Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Autor: Christian Holst

  • Blogparade stARTconference: Allianzen für Kulturcommunities

    «Geschäftsmodelle im Web 2.0» und Kultureinrichtungen – dieser Zusammenhang mag zunächst etwas abwegig erscheinen – schließlich beschäftigen sich, zumindest die öffentlich finanzierten, Kultureinrichtungen auch im «echten Leben» nicht unbedingt mit Geschäftsmodellen für ihre Arbeit. (Simon Frank geht in seinem Beitrag zur startconference-Blogparade auf diesen Graben genauer ein.) Teilweise herrscht sogar die Haltung vor, dass Kultur ein Anrecht auf Alimentierung hat, schließlich sei sie «kein Luxus, sondern Notwendigkeit» (ehem. EU-Kulturkommissar Ján Figel’). Dennoch: in Zeiten knapper werdender öffentlicher Kassen ist es für Kultureinrichtungen strategisch angebracht, auch über alternative Finanzierungsformen (wie eben tragfähige Geschäftsmodelle) zumindest einmal nachzudenken. Weil das Web 2.0 hier interessante, neue Möglichkeiten bietet, ist es sinnvoll, diese einmal in Bezug auf ihre Anwendbarkeit im Kulturbereich abzuklopfen.

    Zu den neuen Geschäftssystemen, die das Internet und insbesondere das Web 2.0 hervorgebracht haben, gehören z.B.:

    • Crowdsourcing, d.h. die Auslagerung von Tätigkeiten an Amateure oder Fans. Beispiel aus dem Kulturbereich ist die Verfilmung von Paolo Coelhos «Hexe von Portobello» durch seine Fans. (Genaue Projektbeschreibung im Blog «socialnetworkstrategien».)
    • Crowdfunding, eine Unterform des Crowdsourcing, bei der es um das Sammeln kleiner Geldbeträge in sozialen Netzwerken im Internet geht. Ein Beispiel aus dem Kulturbereich ist sellaband.
    • «Long Tail» meint die Möglichkeit, auch kleine Absatzmengen und Nischenprodukte über einen durch das Internet geografisch skalierten Markt profitabel zu vertreiben. Ein Beispiel aus dem Kulturbereich ist die Band Element of Crime, die Konzertmitschnitte ihrer aktuellen Tournee über iTunes bzw. Tunecore verkauft, insbesondere an die, die live beim Konzert dabei waren und eine akustische Erinnerung haben möchten.
    • Finanzierung durch individualisierte, kontextabhängige Werbung à la Google. Wirklich ausgefeilte Modelle sind mir im Kulturbereich nicht bekannt. Am nächsten an dieses Modell heran kommt der Musikerstellenmarkt vioworld.de, wenngleich die Werbung hier nicht automatisiert geschaltet wird.
    • Freemium-Modelle, bei denen Basisdienste zum Zwecke der Marktdurchdringung kostenlos, weitere Dienste zu Profitzwecken jedoch kostenpflichtig angeboten werden. Nach diesem Prinzip funktioniert das Kulturmanagement Network mit einem kostenlosen redaktionellen Angebot und einem kostenpflichtigen Stellenmarkt.

    Typischerweise leben diese Geschäftsmodelle von geografisch groß abgesteckten Märkten. Der einzelne Zahlungs- oder Rechnungsbetrag ist meist klein, dem entsprechend hoch müssen die Absatzzahlen sein, bevor nennenswerte Umsätze zustande kommen. Viele Kultureinrichtungen sind jedoch lokal oder regional verankert und haben für diese geografisch begrenzte Öffentlichkeit eine wichtige Bedeutung, aber kaum darüber hinaus. Diese Öffentlichkeit bzw. den Markt geografisch zu erweitern ist zwar dank des Internets theoretisch kein Problem mehr, aber dennoch muss man davon ausgehen, dass es trotzdem bestenfalls eine Option für kulturelle «Big Player» wie die Berliner Philharmoniker ist. Deren Konzertmitschnitte lassen sich über die Digital Concert Hall nicht nur regional, sondern weltweit vermarkten. Aber selbst dieses Vertriebsmodell ist bislang auf die großzügige Unterstützung der Deutschen Bank angewiesen und trägt sich noch nicht von allein. Umso weniger kommt – zumindest derzeit – ein solches Modell für andere deutsche Kulturorchester in Frage.

    Eine einfache Anwendung der klassischen Web 2.0-Geschäftsmodelle scheint also für traditionelle Kultureinrichtungen zumindest momentan nicht sehr aussichtsreich. Eine Chance könnte aber in Allianzen mit anderen Kultureinrichtungen aus der Region liegen. Solche Ansätze sind schon verschiedentlich vorhanden. Zum Beispiel pflegen die Berliner Bühnen eben so wie die nordrheinwestfälischen je einen gemeinsamen Terminkalender. Das bietet Mehrwert für den Theaterbesucher, der auf einen Blick das aktuelle, gesamte Angebot findet, ebenso wie für die Einrichtung, die ihre Termine nur noch über eine Datenbank verwalten muss. Dieses Modell ist ausbaufähig. Die partizipativen Medien bieten Möglichkeiten, auch inhaltlich solche gemeinsamen Auftritte und eine regionale Kultur-Community über die Grenzen einzelner Einrichtungen und Sparten hinweg aufzubauen. Die Kultureinrichtungen schöpfen aus einem großen Fundus an interessanten Menschen und Geschichten, die redaktionell attraktiv sind. Weiterhin können Ticketservices und Tourismusanbieter von so einem Portal profitieren und es ihrerseits mit eigenen Angeboten weiter aufwerten. Das klassische Marketing- und Markendenken wird durch ein solches Portal herausgefordert, denn hier steht nicht die Einrichtung im Vordergrund, sondern die künstlerischen Inhalte. Aber gerade um die geht es ja. So gesehen, bietet das Web 2.0 die Möglichkeit, den kulturellen Auftrag durch Vernetzung mit Besuchern und Partnern breit und umfassend abzustützen. Und zwar in einer Weise, die auch ökonomisch in absehbarer Zeit interessant werden dürfte.

    Dies ist ein Beitrag zur Blogparade der startconference. Auf der verlinkten Seite finden sich weitere Informationen dazu, wie so eine Blogparade funktioniert.

  • Beethoven-Analyse im Sportreportjargon

    In den Kommentaren zu einem Artikel von Christian Henner-Fehr, in dem es um die (Un)Vereinbarkeit von Fußball und Kunst ging, stieß ich neulich auf diesen grandiosen Youtube-Clip (nur Audio):

    Ganz erstaunlich, wie gut es einer einigermaßen fundierten musikalischen Analyse von Beethovens Fünfter steht, wenn sie in dampfplaudernden Sportreporter-Jargon eingekleidet wird. Man könnte doch noch glatt auf die Idee kommen, die sich abzeichnende Rezession des Konzertwesens sei tatsächlich in erster Linie ein Vermittlungsproblem. 😉

  • stART10: Run auf Tickets

    Gestern startete der Ticketverkauf zur stART10. Die ersten 100 Tickets gibt es zu einem Überraschungspaket-Preis von 100 EUR. Rund die Hälfte der Tickets ist allerdings schon weg! Wer noch von diesem Preis profitieren möchte, sollte sich also beeilen. Aber auch ein Ticket zum Early-Bird-Tarif (290 EUR) lohnt auf jeden Fall die Investition. Für Studierende und Personen, die zwei oder mehr Karten kaufen, gibt es nochmal einen Rabatt von 20%. Am Programm wird derzeit noch gebastelt, erste Informationen werden aber in Kürze auf der Konferenz-Website bekannt gegeben.

  • Johannes-Passion: «Mein teurer Heiland»

    Letzte Woche hatte ich das Vergnügen, mit dem Berner Kammerchor zwei Mal die Johannes-Passion aufführen zu können. Eins meiner Lieblingsstücke aus dieser Passion ist die Bass-Arie mit Chor «Mein teurer Heiland». Als kunstvolle Verschränkung von Arie und Choral in jeweils unterschiedlichen Taktarten ist sie einerseits musikalisch besonders. Aber auch inhaltlich ist sie in meinen Augen zentral, weil sie aus den Ereignissen des Karfreitags, dem Tod Jesu, bereits das Ostereignis, die Erlösung durch Auferstehung herausdeutet. Das Bild, in dem dies ausgedrückt wird, ist dabei durchaus makaber: «Und neiget das Haupt und verschied» singt der Evangelist zuvor. Der Solist interpretiert dies als Nicken, das seine Frage «Ist aller Welt Erlösung da?» mit «Ja» beantwortet.

  • Airbag für die Pferdekutsche: Innovation im klassischen Konzert

    Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht übersteigen – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.

    Diese Äußerung von Gottlieb Daimler bringt ein elementares Problem von Innovationen auf den Punkt: Wir wissen nicht, was wir nicht wissen und wo unsere blinden Flicken sind.

    Daimlers Einschätzung ist aus heutiger Sicht vor allem amüsant. Kurios dagegen ist es, wenn man Innovation auch aus der Rückschau nicht erkennt. So scheint es mir der Fall bei einer These zu sein, die gerade für Aufsehen sorgt: Das Klassikpublikum stirbt nach aktuellen Hochrechnungen aus, das traditionelle Konzert müsse sich darum erneuern, um sich zu erhalten. Es sei allerdings nicht die klassische Musik, die nicht mehr interessiere, sondern die Darbietungsform, die veraltet und nicht mehr zeitgemäß sei und viele Leute daher von der klassischen Musik fern halte. Das heutige Konzertwesen sei praktisch unverändert das Konzertwesen, dass sich zwischen 1880 und 1910 herausgebildet habe.

    Man muss ein ziemlich enges Blickfeld haben, um zu übersehen, dass die kreative Schumpetersche Zerstörung im Bereich des Konzertwesens schon längst für radikale Innovationen gesorgt hat: Zum einen sind Konzerte durch moderne Technik und Logistik skalierbar geworden und damit marktfähig geblieben. Sie finden heute nicht mehr nur in Konzertsälen statt, sondern auch in Mehrzweckhallen und Sportarenen. Das sind zwar meistens keine klassischen Konzerte, aber auch. Man denke etwa an die Drei Tenöre, Carmina Burana oder Beethovens Neunte mit dem Philharmonischen Orchester Bratislava in der städtischen Mehrzweckhalle oder dem Aida-Spektakel in der Color-Line-Arena etc. Es gibt ein breites Angebot an Veranstaltungen mit klassischer Musik, die jenseits des bürgerlichen Konzertsaals oder Opernhauses aufgeführt wird. Wer Angst vor dem Konzertsaal hat, aber unbedingt klassische Musik hören möchte, der hat heute zahlreiche Möglichkeiten, das live zu tun. Das in diesem Rahmen aber keinen aufsehenerregenden Interpretationen entstehen, hat seine Gründe: die Darbietungsform wird dem Inhalt nicht vollständig gerecht.

    Darüber hinaus haben die Tonträger haben das Wohnzimmer zum Konzertsaal gemacht und so die Form des Konzerts innoviert. Würde die These stimmen, dass es einfach die seit zig Jahren unveränderte Form des Konzerts ist, die viele von klassischer Musik abschreckt, dann dürfte der Tonträger-Markt im Klassikbereich boomen. Das tut er aber nicht. Er tat es parallel mit dem Konzertwesen. Weil Plattenfirmen aber nicht öffentlich finanziert werden, mussten sie sich drauf einstellen und haben weitgehend die Vermarktungsmechanismen der Pop-Musik übernommen. Eine Geschäftsmodellinnovation.

    Man sieht daran, ebenso wie an der Einführung von elektronischen Instrumenten oder Stadionkonzerten im 20. Jahrhundert: Die Form bzw. die Umstände wirken immer auf den Inhalt zurück. Das Werk ist nicht eine absolute, künstlerische Idee, das in beliebigen sozialen, historischen, technischen oder kulturellen Kontexten bestehen könnte, sondern immer spezifischer Ausdruck solcher Kontexte. Deswegen ist das klassische Konzertwesen heute zwangsläufig museal: es basiert weitgehend auf Repertoire, das 100 Jahre oder älter ist und verweist damit auf ein soziotechnokulturelles Umfeld, das Geschichte ist. Aber museal ist hierbei im besten Sinne zu verstehen: Das Museum neutralisiert den Umstand, dass wir die alten Kunstwerke nicht mehr in ihrem spezifischen Kontext wahrnehmen können und macht uns genau dies deutlich.

    Auch die Form des bürgerlichen Konzerts ist mitsamt ihren Inhalten, d.h. insbesondere den romantischen Tondichtungen und Sinfonien, museal in diesem Sinne und sie kann es auch nur sein, weil man heute andere Formen und dementsprechend Inhalte hat, sich musikalisch auszudrücken. Die Frage kann daher nicht sein, wie man die den sinfonischen Werken gemäße Darbietungsform ändert, sondern ob man das «bürgerliche Konzert» als ausreichend wichtiges kulturelles Erbe erachtet, es weiterhin zu fördern und zum kulturellen Kanon zu rechnen.

    Wenn man sich mit den empirischen Befunden beschäftigt, warum kein junges Klassikpublikum nachwächst, dann findet man ebenfalls deutlich bestätigt, dass es nicht die veraltete Darbietungsform ist, die die zeitlosen Inhalten verleidet. Eine Studie der Uni St. Gallen zeigt, dass die musikalische Sozialisation und Bildung der entscheidende Faktor ist. Eine Zusammenfassung dieser Studie und ihrer Schlussfolgerungen findet man in „Das Orchester“, Ausgabe 9/2005. Die kurz gefasste Erkenntnis dort: Wer selbst ein klassisches Instrument lernt und als Kind aktiv (klassische Musik) musiziert, wird mit großer Wahrscheinlichkeit sein Leben lang einen positiven Bezug zur klassischen Musik behalten, zumindest als Fan, vielleicht auch als aktiver (Amateur-)Musiker. Die zu Recht Aufsehen erregenden Musik- bzw. Kulturvermittlungsangebote setzen deswegen genau bei diesem Punkt an: Jedem Kind ein Instrument, Rhythm Is It, Jungend-Sinfonie-Orchester der Tonhalle Düsseldorf etc. Alles andere mag eine nette Ergänzung und im Einzelfall durchaus angebracht sein, aber es wird wahrscheinlich nichts Grundlegendes bewirken. Eine Pferdekutsche kann auch nicht auf dem allgemeinen Auto-Markt konkurrieren, sobald man ihr einen Airbag einbaut. Ebenso wenig wird man junge Leute nachhaltig für klassische Musik begeistern, indem man in der Eingangshalle Techno spielt, wie der Intendant der Elbphilharmonie vorschlägt – offenbar in Unkenntnis, dass Techno heute auch schon ein «musealer» Musikstil des letzten Jahrtausends ist.

    Die Krise der Kunst ist nicht eine Krise ihrer Darbietungsform sondern ihrer gesellschaftlichen Relevanz. Aber auch die funktioniert nicht nach unbestechlichen Naturgesetzen.

  • Studie zum Schweizer Kulturverhalten

    Im Jahr 2008 führte das Bundesamt für Statistik gemeinsam mit dem Bundesamt für Kultur eine repräsentative, gesamtschweizerische Erhebung zum Kulturverhalten durch. Ziel der Erhebung war es, die bisherigen Kenntnisse über das Kulturverhalten zu erweitern und zu aktualisieren (die letzte gesamtschweizerische Erhebung stammt aus dem Jahr 1988), internationale Vergleichbarkeit zu ermöglichen und statistische Grundlagen für die Schweizer Kulturpolitik zu liefern.

    Die Vermutung, dass kulturelles Interesse insbesondere bei älteren Menschen ausgeprägt sei, bestätigt die Studie nur teilweise. Tendenziell wird das kulturelle Angebot von jungen Menschen sogar am meisten genutzt. Allerdings zeigt sich, dass sich die von jungen Menschen bevorzugten kulturellen Aktivitäten auf die Bereiche Kino, Konzerte jeder Art und Festivals beziehen, also vergleichsweise wenig auf den Bereich der «Hochkultur».

    Auch wenn man durchaus davon ausgehen kann, dass das kulturelle Interesse einerseits grundsätzlich erhalten bleibt und sich im Laufe des Lebens in Richtung «Hochkultur» verändern mag, bleibt diese Erkenntnis für die Museen und Kultureinrichtungen durchaus zweischneidig. Denn mit einer wachsenden Bedeutung der von jungen Menschen favorisierten Kulturformen gerät die Legitimation öffentlicher Finanzierung von Hochkultur einerseits unter Druck. Warum sollten die ohnehin knappen Kulturbudgets für Kunstformen verwendet werden, die nur auf geringeres Interesse stoßen und wenn, dann auf das Interesse einer typischerweise zahlungskräftigen Klientel? Anderseits stellt ein grundlegend hohes kulturelles Interesse bei jungen Menschen eine gute Ausgangsbasis dar, sie mittel- und langfristig als Besucher zu gewinnen – egal um welche Art Kultur es sich handelt. Verglichen mit den Durchschnittswerten der 27 EU-Mitglieder aus dem Jahr 2007 fällt das kulturelle Interesse in der Schweiz in Bezug auf alle kulturelle Aktivitäten ohnehin überdurchschnittlich aus.

  • Web 2.0-Geschäftsmodelle für Kultureinrichtungen

    Neben dem «mobilen Web» bilden «Geschäftsmodelle im Web 2.0» einen Schwerpunkt auf der stART.10 im kommenden September. Das mag zunächst etwas abwegig erscheinen – schließlich beschäftigen sich, zumindest die öffentlich finanzierten, Kultureinrichtungen auch im echten Leben nicht unbedingt mit Geschäftsmodellen für ihre Arbeit. Eher herrscht weitgehend die Haltung vor, dass Kultur ein Anrecht auf Alimentierung hat, schließlich sei sie «kein Luxus, sondern Notwendigkeit» (ehem. EU-Kulturkommissar Ján Figel‘). Dennoch: in Zeiten knapper werdender öffentlicher Kassen ist es für Kultureinrichtungen strategisch angebracht, auch über alternative Finanzierungsformen (wie eben tragfähige Geschäftsmodelle) zu nachzudenken. Weil das Web 2.0 hier interessante Möglichkeiten bietet, ist es ein Schwerpunktthema auf der stART.

    Eine andere Überlegung fasst den Begriff der «Geschäftsmodelle» etwas weiter: Aktivitäten im Web 2.0 von Kultureinrichtungen machen Arbeit und effektive Arbeit ist immer eine Investition in die Zukunft der Einrichtung, in der sie geleistet wird. Investitionen sollten sich aber auf die ein oder andere Art immer rechnen. In diesem Sinne ist die Frage nach den Geschäftsmodellen im Web 2.0 die Frage danach, was man von seinen Web 2.0-Aktivitäten eigentlich hat. Die Antwort muss nicht unbedingt in finanziellen Kennzahlen ausgedrückt werden, aber sie sollte klar und deutlich und am besten smart ausfallen.

    Zu den neuen Geschäftssystemen, die das Internet und insbesondere das Web 2.0 hervorgebracht haben, gehören z.B.:

    • Crowdsourcing, d.h. die Auslagerung von Tätigkeiten an Amateure oder Fans. Beispiel aus dem Kulturbereich ist die Verfilmung von Paolo Coelhos «Hexe von Portobello» durch seine Fans. (Genaue Projektbeschreibung im Blog «socialnetworkstrategien».)
    • Crowdfunding, eine Unterform des Crowdsourcing, bei der es um das Sammeln kleiner Geldbeträge in sozialen Netzwerken im Internet geht. Ein Beispiel aus dem Kulturbereich ist sellaband.
    • «Long Tail» meint die Möglichkeit, auch kleine Absatzmengen und Nischenprodukte über einen durch das Internet geografisch skalierten Markt profitabel zu vertreiben. Ein Beispiel aus dem Kulturbereich ist die Band Element of Crime, die Konzertmitschnitte ihrer aktuellen Tournee über iTunes bzw. Tunecore verkauft, insbesondere an die, die live beim Konzert dabei waren und eine akustische Erinnerung haben möchten.
    • Finanzierung durch individualisierte, kontextabhängige Werbung à la Google. Wirklich ausgefeilte Modelle sind mir im Kulturbereich nicht bekannt. Kennt jemand Beispiele?
    • Freemium-Modelle, bei denen Basisdienste zum Zwecke der Marktdurchdringung kostenlos, weitere Dienste zu Profitzwecken jedoch kostenpflichtig angeboten werden. Nach diesem Prinzip funktioniert das Kulturmanagement Network mit einem kostenlosen redaktionellen Angebot und einem kostenpflichtigen Stellenmarkt.

    Typischerweise leben diese Geschäftsmodelle von geografisch groß abgesteckten Märkten. Der einzelne Zahlungs- oder Rechnungsbetrag ist meist klein, dem entsprechend hoch müssen die Absatzzahlen sein, bevor nennenswerte Umsätze generiert werden. Viele Kultureinrichtungen sind jedoch lokal oder regional verankert und haben innerhalb dieser begrenzten Öffentlichkeit eine Art Monopolstellung (z.B. ein städtisches Museum oder Theater). Diese Öffentlichkeit bzw. den Markt geografisch zu erweitern ist dank des Internets kein Problem mehr. Umdenken ist allerdings hinsichtlich der Konkurrenzsituation gefragt, die plötzlich eintritt, wenn man seinen Wirkungskreis erweitert. Um sich gegen andere städtische Kultureinrichtungen zu behaupten, die die gleiche Idee hatten, wird plötzlich eine Spezialisierung erforderlich sein, die öffentliche Kultureinrichtungen meist bewusst vermeiden und im Rahmen ihres öffentlichen Auftrags für die regional begrenzte Öffentlichkeit auch vermeiden müssen. Die Antwort auf die neue Herausforderung, sich auf einmal einem Wettbewerb zu stellen, liegt möglicherweise in der Besinnung auf die Besonderheiten und Charakteristika des kulturellen Raums, auf den sich die Einrichtung vormals beschränkt hat.

    P.S.: Der Call for Paper für die stART.10 läuft noch bis zum kommenden Freitag, 12. März 2010.

  • Führung im Kulturbetrieb II

    In neueren Führungskonzepten wird unterschieden zwischen transaktionaler und transformationaler Führung. Transaktionale Führung versteht Arbeit als ein Tauschverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Individualinteressen der Mitarbeiter und die Unternehmensinteressen werden über eine Tauschaktion (Transaktion) ins Verhältnis gesetzt: Leistung gegen Belohnung. Der Mitarbeiter wird im Sinne der klassischen wirtschaftswissenschaftlichen Terminologie als rational denkender und handelnder Nutzenmaximierer, als homo oeconomicus, gesehen. MbO fällt unter diesen Ansatz der transaktionalen Führung. Über die speziell im Kulturbetrieb aber auch allgemein damit einhergehenden Probleme habe ich im ersten Teil beschrieben. Oftmals wird das transaktionale Modell übrigens dem Manager zugeschrieben, während sich der Leader des transformationalen Modells bediene. Aufgrund dessen, was ich im ersten Teil über Leadership geschrieben habe, kann ich mich dieser Auffassung allerdings nicht anschließen.

    Transformationale Führung

    Im Unterschied zum transaktionalen Modell umfasst die transformationale Führung auch soziale und emotionale Aspekte von Führung und spricht damit auch höhere Bedürfnisse des Menschen an. Hier geht es darum, den Mitarbeitern persönliche Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, die intrinsische Arbeitsmotivation auf den Unternehmenszwecks auszurichten und den Mitarbeiter auf diese Weise zum Mitunternehmer zu machen, man könnte auch sagen zu «transformieren». Analog zu den berühmten vier P des Marketing, bietet das Modell der transformationalen Führung vier Is als Merkhilfe. Denn transformationale Führung ist

    • Identifizierend. Damit ist ein authentisches Verhalten der Führungskraft gemeint, der dadurch Respekt und Vertrauen gezollt werden und die durch Übereinstimmung von Reden und Handeln zur Identifikationsfigur wird.
    • Inspirierend. Die Führungskraft vermag es, Sinn zu stiften (zum Beispiel mittels Vision, Symbolen, Bilder) und dadurch die Bedeutung von Zielen und Aufgaben zu erhöhen. Die Identifikation mit den Zielen der Firma wird so nicht nur durch monetäre oder Status-Anreize erreicht, sondern auch durch persönliche Verbundenheit.
    • Intellektuell. Die Mitarbeiter werden aber auch auf geistiger, intellektueller Ebene angeregt, Denkmuster zu hinterfragen und aktiv neue Erkenntnisse und Einsichten anzustreben, Probleme als Chance zu begreifen, etwas neues zu lernen und im Sinne des Ganzen zu denken und Verantwortung zu übernehmen (Mitunternehmertum).
    • Individuell. Im Rahmen der transformationalen Führung geht die Führungskraft individuell auf die Mitarbeiter und ihre sozialen Interaktionen ein, fördert und fordert den Einzelnen gemäß seinen Stärken und Schwächen und entwickelt Perspektiven mit ihm/ihr.

    Insbesondere den letzten Punkt erachte ich in Hinblick auf Führung im Kulturbetrieb für besonders wichtig, denn es ist ja nicht nur ein Klischee, dass Künstler Individualisten sind und dementsprechend auch individuell behandelt werden wollen. Der ehrgeizige, aber unerfahrene Jungschauspieler muss anders geführt werden als die Diva auf der Höhe ihrer Karriere und anders als der alternde Schauspieler, dessen beste Zeit vorbei ist. Der gewissenhafte Verwaltungsangestellte muss anders geführt werden als der genialische, aber launenhafte Hausregisseur. Diese, zugegebenermaßen etwas klischeehaften, Beispiele beziehen sich allein auf die Funktion des Mitarbeiters und zeigen, dass bereits in Bezug auf dieses eine Kriterium verschiedenste Führungsansprüche bestehen.

    Situative Führung

    Einen Ansatz, diesen unterschiedlichen Ansprüchen Rechnung zu tragen, bietet die situative Führung, z.B. in Form des Reifegradmodells von Hersey und Blanchard. Hierbei wird je nach Reifegrad und Motivation des Mitarbeiters ein anderer Führungsstil empfohlen. In Abhängigkeit von Motivation und Reifegrad wird unterschiedlich geführt:

    • Ist die fachliche Kompetenz und Motivation hoch, kann gemäß dem Management by Exceptions delegiert werden («delegating»). Diese Führung ist weder sonderlich aufgabenorientiert, noch sonderlich beziehungsorientiert.
    • Ist die fachliche Kompetenz hoch, die Motivation jedoch niedrig, zum Beispiel bei altgedienten Routiniers, wird weniger aufgabenorientiert, dafür stark beziehungsorientiert geführt («participating», kooperativer Stil).
    • Ist die fachliche Kompetenz niedrig, aber die Motivation hoch, zum Beispiel bei ambitionierten Anfängern, wird gleichermaßen stark beziehungs- und aufgabenorientiert geführt («selling», trainieren)
    • Bei geringer Reife und niedriger Motivation des Mitarbeiters erhält dieser einfach Anweisungen («telling», unterweisen). Die Führung konzentriert sich auf die Aufgabe, nicht auf die Beziehung zum Mitarbeiter.

    Jenseits von dieser schematisierten Darstellung situativer Führung umfasst diese freilich auch Führungshandeln in Bezug auf gruppendynamische und zwischenmenschliche Sym- und Antipathien. Um bei den konkreten Beispielen zu bleiben: Die Leiter der Schreinerwerkstatt und der Malerei, die sich seit Jahren in den Haaren liegen, müssen anders angesprochen werden als Disponent und Schauspieldirektor, die beste Freunde sind usw.

    Wie ich bereits im ersten Teil angesprochen habe, arbeitet in Kultureinrichtungen typischerweise eine besonders bunte Mischung an verschieden ausgebildeten und sozialisierten Menschen, weswegen die Führungsanforderungen hier wahrscheinlich anspruchsvoll und vielfältig wie kaum sonst irgendwo sind. Aber nicht nur im Kulturbereich, sondern insgesamt im kreativen, wissensbasierten, innovativen, dynamischen Umfeld, wo große Komplexität herrscht und Ziele nicht statisch definiert werden können, sondern sich kontinuierlich ändern und angepasst werden müssen, bietet sich daher intuitives, transformationales Führungshandeln zugunsten von Führungstechniken an. Transformationale Führung beinhaltet gegenüber der transaktionalen Führung, zu der MbO gerechnet werden kann, einen entscheidenden Paradigmenwechsel in der Sicht auf Führung: Der Vorgesetzte wird zur Führungskraft. Führungsinteraktionen berücksichtigen nicht mehr nur die vertikale Ebene von Vorgesetztem zu Mitarbeiter, sondern auch die horizontale Ebene der Mitarbeiter und ihre wechselseitige Beeinflussung untereinander. Die Führungskraft versucht komplexe, soziale Interaktionen in ihrem Team so zu beeinflussen, dass dieses seine Kreativität und Produktivität voll entfalten kann und in den Dienst der Sache stellt. Das heißt, die Führungskraft kann nicht mehr unbedingt wissen, was am Ende herauskommt und ist im besten Fall selbst von dem Ergebnis positiv überrascht.

  • Führung im Kulturbetrieb I

    Vor einiger Zeit rezensierte Christian Henner-Fehr in seinem Blog Armin Kleins Buch zu «Leadership im Kulturbetrieb». In den Kommentaren entspann sich dann eine Diskussion zu Sinn und Unsinn von Kleins Vorstellungen, die mich dazu veranlasst haben, das Thema für mich noch einmal gründlich aufzurollen und Führungsprinzipien für Kulturbetriebe zu skizzieren, die ich als tauglicher erachte. Die Ergebnisse stelle ich hier in zwei Teilen unter der Überschrift «Führung im Kulturbetrieb» zur Diskusion. Der erste Teil widmet sich noch einmal den zentralen Instrumenten, die Klein vorschlägt, der zweite denjenigen, die ich für geeigneter halte.

    Meine Kritik zielte darauf, dass Klein den Modebegriff «Leadership» auf den Kulturbereich überträgt und dabei in meinen Augen wesentliche Aspekte und Führungsbedingungen außer Acht lässt. Für Klein läuft es, grob gesagt, darauf hinaus, dass er «Leadership» mittels Vision und die Umsetzung der Vision mittels Management by Objectives (MbO) empfiehlt.

    Leadership

    Zunächst zum Thema «Leadership»: Fredmund Malik hat diesen Modebegriff sehr überzeugend auseinandergenommen. Es beginnt damit, dass es sich bei dem Begriff um schlecht rückübersetztes Englisch handelt und er eigentlich nichts anderes als Management meint. Die scheinbar so sinnfällige Unterscheidung zwischen dem Manager, der exekutiert, kontrolliert, stabilisiert etc. und dem Leader, der durch sein Charisma begeistert und visionengetrieben gestaltet und innoviert etc. wird bei Malik damit schnell zur hinfälligen Unterscheidung. Damit einher geht für Malik auch die Tatsache, dass nicht Persönlichkeitsmerkmale und Charisma entscheidend für Führungserfolg sind, also nicht, was jemand ist, sondern, was jemand tut. Sowohl die großartigsten, als aber auch die schrecklichsten Ereignisse der Geschichte wurden durch «Leader» herbeigeführt. Die detaillierte Kritik lässt sich nachlesen in dem Buch: Leadership. Best practices und Trends von Heike Bruch und Bernd Vogel. Reflexionen zum Begriff des Leadership wie Malik sie anstellt, sucht man bei Klein jedoch vergebens. Man mag es nun kleinkariert finden, Klein dafür zu kritisieren, dass er einen trotz aller Fragwürdigkeiten ja durchaus geläufigen Fachterminus übernimmt. Mich stört es auch nur insoweit, als es der erste Hinweis auf das geringe Reflexionsniveau des Buches ist, das im Weiteren zu m.E. nutzlosen, wenn nicht gar irreführenden Empfehlungen kommt.

    Führung mittels Vision

    Dabei ist Führung über Vision erstmal ein einleuchtendes Konzept. Es basiert auf der Erkenntnis, dass extrinsische Motivatoren nicht reichen, um Höchstleistung zu erbringen und dass ein Unternehmen seinen Mitarbeitern (Lebens-)Sinn vermitteln, d.h. eine ganz wörtlich zu verstehende «sinnvolle» Tätigkeit bieten muss, um zu Höchstleistungen anszuspornen. Zugespitzt gesagt, soll die Vision dem Mitarbeiter vermitteln, warum es sich für ihn lohnt, Lebenszeit in dieses Unternehmen zu investieren. Eine Vision soll organisationale Energie freisetzen, die sich mittels Bezahlung oder anderer extrinsischer Motivatoren nicht heben lässt. Wenn Nike die Vision verfolgte: «Crush Adidas», dann ist damit ein klar definiertes, erreichbares, sportliches Ambitionsniveau festgelegt, dass durchaus in der Lage ist, Potenzial freizusetzen.

    Öffentlich finanzierte Kulturbetriebe funktionieren jedoch anders als ein Unternehmen wie Nike. Zum einen sind die Mitarbeiter (zumindest die künstlerischen) in aller Regel in hohem Maße intrinsisch motiviert, was sie allerlei Zumutungen bezüglich Bezahlung und Arbeitszeiten wegstecken lässt. Die Notwendigkeit den Mitarbeitern Sinn für ihre Arbeit zu versprechen, ist damit zwar nicht per se unnötig aber deutlich geringer als in Industrie- oder anderen Dienstleistungsunternehmen. Dazu kommt, dass die öffentlich finanzierten Kulturbetriebe einen öffentlichen Auftrag haben, der ihnen einen recht eng definierten Handlungsrahmen und -horizont vorgibt. Ein Dreisparten-Stadttheater soll auch in fünf Jahren noch Stadttheater sein und die Einwohner der finanzierenden Kommune mit anspruchsvollem Theater versorgen. Es kann gewisse Schwerpunkte setzen, aber grundsätzlich muss es für jung und alt, für Schauspiel-, Tanz- und Opernfans, für Unterhaltungsfans wie für hornbebrillte Literaturfreaks ein ansprechendes Angebot machen. Es ist zum Beispiel nicht frei zu entscheiden, dass beste Jugendtheater oder die avantgardistischste Experimentierbühne des deutschsprachigen Raums zu werden und dementsprechend alle Kräfte auf dieses Ziel zu fokussieren.

    Beide Faktoren schließen eine Vision nicht aus, reduzieren aber ihre Wirksamkeit erheblich und stellen sie damit als effektives Führungsinstrument in Frage. Die Vision, die sich für ein Stadttheater oder ein städtisches Museum entwickeln ließe, wäre ziemlich zahnlos. Anders sieht es natürlich bei privat finanzierten Kulturunternehmen aus. Das heisst: Führung über Vision kann im Einzelfall geeignet sein, ist es aber nicht allgemein.

    Management by Objectives

    MbO wurde in den 1950er Jahren von dem Management-Vordenker Peter Drucker entwickelt. Die Idee von MbO ist es, dass jeder Vorgesetzte mit seinen Mitarbeitern Ziele vereinbart, die es zu erreichen gilt. Die Zielerreichung wird durch den Vorgesetzten regelmäßig kontrolliert und häufig mit einer außerordentlichen Geldzuwendung oder evtl. einer Weiterbildung oder Beförderung belohnt. Der Fortschritt gegenüber älteren Führungskonzepten ist, dass der Mitarbeiter frei in der Wahl der Mittel und Wege zur Zielerreichung ist, der Vorgesetzte funkt ihm nur im Ausnahmefall dazwischen (Management by Exception). Das erhöht seinen Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten und damit seine Motivation. MbO ist daher ein geeignetes Führungsinstrument für Unternehmen, in denen sich die Ziele operationalisieren und quantitativ definieren lassen und dessen Mitarbeiter hohe Handlungskompetenz haben, klassische Beispiele dafür sind Vertrieb und Außendienst. Der Motivationsansatz ist jedoch extrinsisch. Es besteht kein Grund für den Mitarbeiter, über das definierte Ziel hinaus Einsatz zu zeigen oder das Ziel gar besonders ehrgeizig zu definieren. Der Mitarbeiter funktioniert hier wie ein Hund, den man für ein Leckerli in die Höhe springen lässt. Der Hund springt so hoch wie er muss, um an die Beute heranzukommen, aber nicht höher, selbst wenn er könnte.

    Man stelle sich jetzt vor, wie solches Führungstechnik in einem Kulturbetrieb angewendet werden soll. Kulturbetriebe zeichnen sich dadurch aus, dass sie über eine besonders bunte Palette an Mitarbeitern verfügen. Besonders deutlich wird das am Theater, wo Verwaltungsbeamte, Musiker, bildende Künstler, Juristen, Betriebswirte, Geisteswissenschaftler, Techniker und Handwerker arbeiten. Museen, Verlage haben eine ähnlich große Bandbreite, vielleicht etwas weniger differenziert aufgefächert. Die Unterschiedlichkeit der Mitarbeiter spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Verträgen wieder: Am Theater ist von der Beamtenbesoldung über den TVöD/BAT über die TVK (Orchester), NV Bühne mit verschiedenen Regelungen für verschiedene Berufsgruppen bis hin zu Gastspielverträgen alles vertreten.

    Es bedarf nicht viel, um zu erkennen, dass sich eine solche Bandbreite an Personen, jede mit einem unterschiedlich zum Haus definierten Verhältnis in Form des jeweiligen Arbeitsvertrages, nicht mit einer Führungstechnik erfolgreich führen lässt. In einer Versicherung, bei einem Maschinenbauer, oder in einem Callcenter gibt es eine solch große Bandbreite typischerweise nicht. Aber selbst hier wäre es fahrlässig davon auszugehen, dass deswegen alle Mitarbeiter mit einer einzigen Führungstechnik geführt werden könnten.

    An eine weitere Grenze stößt MbO im kreativen, wissensintensiven, dynamischen Umfeld. Wenn niemand weiß, wie das Ziel konkret aussehen soll, dann lässt sich nicht definieren, wie der Beitrag jedes einzelnen dazu aussehen soll und es lässt sich auch viel schlechter abschätzen, wie umfangreich dieser Beitrag und dementsprechend, wie groß die Belohnung für diesen Beitrag ausfallen muss. Um es noch einmal am Beispiel des Theaters konkret zu machen: Mit einem Schauspieler kann vereinbart werden, wieviel unterschiedliche Rollen er in einer Spielzeit zu spielen bekommt und wieviele Abende er auf der Bühne stehen muss. Das Entscheidende jedoch, nämlich wie er diese Arbeit inhaltlich auszufüllen hat, lässt sich nicht über Zielvereinbarung klären, gerade das muss aber geführt werden. Regieteam und Schauspielensemble müssen es in permanenter Interaktion (= Proben) miteinander freilegen. Die Führungsherausforderung liegt hier darin, soziale Interaktion zu steuern und zwar nicht nur im hierarchischen Verhältnis zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter (wie bei MbO), sondern in der gesamten Gruppe. Und sie liegt darin, Potenzial freizusetzen, von dem möglicherweise zuerst weder der Regisseur noch der Schauspieler wussten, dass es überhaupt vorhanden war. Wenn das gelingt, entsteht eine großartige Inszenierung und das möglichst oft zu erreichen muss das oberste Ziel der Leitung sein. Mit dem Verwaltungsleiter kann der Intendant dagegen wahrscheinlich wunderbar über MbO arbeiten.

    Das Hauptproblem von MbO gerade im Kulturbereich sehe ich daher in der «One-fits-all»-Logik, die nicht funktionieren kann. Eine Fokussierung auf dieses Instrument halte ich daher für im besten Fall weitgehend nutzlos – eben überall dort, wo sich Ziele nicht operationalisieren lassen und das ist im Kulturbereich sehr weitläufig der Fall – , im schlechtesten Fall für schädlich, weil die teilweise Wirkungslosigkeit der Führungstechnik auf die gesamte Organisation frustrierend und lähmend zurückwirken könnte.

  • Heutiges Musiktheater: Nur «Hope» macht Hoffnung

    Die Oper erhebt zwar immer den Anspruch, «heutig» sein zu wollen, tatsächlich versucht man aber doch auffällig oft, sich in den warmen Glanz der großen Kunst und der großen Erzählungen der Vergangenheit zu legen und diesen zu reflektieren. Beispiel Wolfgang Rihm. Sein letztes Bühnenwerk war eine Vertonung von Goethes Proserpina, einer Figur aus der griechischen Mythologie. Rihms nächstes Bühnenwerk, Auftragswerk für die Salzburger Festspiele, beflügelt sich wieder mittels Highlights abendländischer und deutscher Kulturgeschichte: es basiert auf Nietzsches Dionysos-Dithyramben. Klingt (wie etliche von Rihms Werken) nach Neuer Musik als Karikatur ihrer selbst. Wem hier wohlfeile, politisch korrekte Betroffenheit zu kurz kommt, der kann sich auf der Münchener Biennale eine Klimawandel-Oper anhören. So bewusst heutig ist es ebenso unfreiwillig komisch wie Rihms sophistiziert daherkommende Remixe mythologischen Materials.

    Irgendwie haut das im Musical besser hin: In Frankfurt läuft seit Januar das Obama-Musical «Hope». Klingt erstmal auch kurios, aber eigentlich liegt es auf der Hand. Schließlich war Obamas Wahlkampf emotional und perfekt inszeniert – eben wie ein gutes Musical. Als zusätzliches Gimmick und Zeichen echter «Heutigkeit» gibt es interaktive Trommelstühle, bei denen sich das Publikum interaktiv einbringen kann. Keine Ahnung, wie das genau funktioniert, aber auch hier liegt die Parallele zu Obamas mitreissendem, aktivierendem Web 2.0-Wahlkampf auf der Hand. Ob so ein Musical nun thematisch weniger blöd als eine Klimawandel-Oper ist, sei dahingestellt, «heutiger» ist es auf jeden Fall. Auch deswegen, weil es hierzu wenigstens ein anständiges Youtube-Video gibt: