Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Autor: Christian Holst

  • Dudamel: Der Obama unter den Dirigenten

    Gustavo Dudamel ist so eine Art Barack Obama unter den Dirigenten: Groß geworden in sehr bescheidenen Verhältnissen, dank starker Ausstrahlung und Begeisterungsfähigkeit eine spektakuläre Karriere in der jeweiligen Branche hingelegt und dort höchst rasant auf einen Spitzenposten durchmarschiert. Anfang Oktober trat Dudamel sein Amt als Chef des Los Angeles Philharmonic Orchestras an. Das Eröffnungskonzert in der Hollywood Bowl mit Beethovens 9. Sinfonie gibt es, leider in sehr bescheidener Bild- und Tonqualität, auf youtube zu sehen:

    Mir scheint, dass Dudamel mit seinem ekstatischen Überschwang eine Tradition des Dirigierens wiederbelebt, die nach dem Tod von Leonard Bernstein und Sergiu Celibidache verloren gegangen ist. Gegenüber nüchtern-textkritischen, historisch informierten Interpretationen waren die radikal subjektiven, emotional zugespitzten und deswegen oft streitbaren Deutungen etwas in Verruf geraten. Möglicherweise läutet der immense Erfolg von Dudamel eine gewisse Trendumkehr ein. Denn wenn der Name Dudamel fällt, dann kann man hohe Beträge darauf wetten, dass Worte wie Leidenschaft, Rausch oder Ekstase noch im gleichen Atemzug folgen werden.

  • Podcast: Ein Kontrabass spielt selten allein

    Ein weiteres schönes Beispiel dafür, wie persönlich und authentisch man über soziale Medien kommunizieren kann ist der Podcast Ein Kontrabass spielt (selten) allein. Friedrich Witt – fast 80-jährig! – erzählt darin Anekdoten, Erlebnisse und Ansichten aus seinem Leben als Musiker und jahrzehntelanger Solobassist der Berliner Philharmoniker. Das ist ebenso unterhaltsam wie informativ und subjektiv. Nett sind auch die regelmäßigen Kontrabasseinlagen. Denn der Titel bringt es auf den Punkt: Wann hört man schon mal einen Kontrabass allein? Eine kleine Einschränkung ist, dass Witt zwischendurch immer wieder einmal gerne den Lobgesang anstimmt auf die guten alten Zeiten, in denen es noch richtige Dirigenten wie Karajan oder Furtwängler gab. Wie war das doch schön und vor allem so originell, wenn Karajan unzufrieden war und dem Orchester androhte, es zusammenbinden, mit Benzin übergießen und anzünden zu wollen. Heute möchten die Dirigenten lieber Claudio genannt werden, was bei Witt auf wenig Verständnis stößt. Wer das Buch oder das Stück Der Kontrabass kennt, der wird bei Witt auch immer wieder den Minderwertigkeitskomplex aufblitzen hören, den Patrick Süskind offenbar sehr treffend darstellt. Das wiederum macht den Podcast freilich sehr sympathisch.

  • Staatsballett Berlin: «Audience Development» mit Videocast

    Auf den ersten Blick macht der Videocast des Staatsballetts Berlin nicht wahnsinnig viel her. Wackelige, verwaschene Bilder, keine Moderation, selten mal ein Interview, meistens einfach ein paar amateurhafte Eindrücke aus der Arbeit des Ensembles. Die Machart entspricht nicht den technischen und redaktionellen Standards der PR-Clips der Bayreuther Festspiele. Der Grund ist, dass die Clips in Zusammenarbeit mit Schülern und Schulklassen entstanden sind, die die Compagnie über Tage oder Monate mit der Kamera begleitet und Filme über deren Arbeit erstellt haben. Auch wenn die Videos nicht als PR-Clip taugen, werden hier die neuen kommunikativen Möglichkeiten der sozialen Medien durch die Einbeziehung derjenigen, die man mit seinem Kulturangebot erreichen möchte, viel weitgehender und kreativer genutzt als beim Bayreuther Beispiel. Hier bleibt man nicht dabei, die Logik des Fernsehens in das Web 2.0 zu tragen, sondern wagt darüber hinaus, ein gewisses Maß an Kontrolle über die eigene Außendarstellung aufzugeben. Diejenigen, die man als Zuschauer von morgen gewinnen will, werden so zu aktiven Partnern und Botschaftern, die die Clips in ihre Netzwerke tragen. Jede Wette, dass das so genannte «Audience Development» auf diese Weise nachhaltiger gelingt, als wenn man jungen Leuten kurze PR-Clips präsentiert, wie Viva sie doch einfach besser hinbekommt.

  • Theater-Lobbyismus auf Leben und Tod

    Dass Theater-Lobbyismus nicht eine Angelegenheit der wohldosierten Worte und einer fein austarierten Balance zwischen Jammern und Selbstlob sein muss, zeigt der französische Theaterdirektor Richard Martin. Nachdem die staatlichen Zuschüsse für sein Theater Toursky gestrichen wurden, wählte er die denkbar theatralste Form des Lobbyismus: Er machte den Einsatz für sein Theater zu einer Sache auf Leben und Tod, indem er am Samstag in den Hungerstreik trat und proklamierte, dass «unsere Kultur und Freiheit» in Gefahr sei. Damit steht zumindest fest, dass er etwas von Theatermachen versteht und staatliche Zuschüsse somit weiterhin verdient hätte.

  • Das Dilemma der Theater-Lobbyisten

    Die deutschen Theater und Orchester konnten ihre Eigennahmen in der Saison 2007/08 um 1,1 Prozentpunkte steigern. Für den Deutschen Bühnenverein ein gutes Zeichen, Direktor Rolf Bolwin meint:

    Hier wird deutlich, dass die Theater und Orchester auf die ökonomische Krise mit der Steigerung ihrer eigenen Wirtschaftskraft reagiert haben. Das sieht man auch an der Zahl der Veranstaltungen, die ebenfalls von 63.600 auf 64.700 angestiegen sind.

    Mit solch einer Interpretation dieser Zahlen läuft er allerdings Gefahr, den Bühnenverein mittel- und langfristig in ein Lobbyistendilemma bringen. Denn natürlich muss er die Erfolge der deutschen Theater und Orchester darstellen. Aber wenn die Theater Jahr für Jahr nicht nur künstlerisch zulegen, sondern auch ihre Effizienz und ihren ökonomischen Erfolg steigern, dann drängt sich doch die Frage auf, ob sich die öffentliche Hand nicht in ihrem Engagement zurücknehmen kann. Die Argumente liefert der Bühnenverein sogar frei Haus. Deswegen schiebt Bolwin auch gleich hinterher, dass es jetzt darum ginge, diese Erfolge und erfreulichen Zahlen nicht durch Kürzungen der öffentlichen Finanzierungsbeiträge zu gefährden. Aber welches Gewicht hat so eine Aussage angesichts der Belastungen und Schulden, die durch die Wirtschaftskrise für die öffentliche Hand entstanden sind und noch entstehen werden? Das Eis, das der Bühnenverein hier betritt, scheint mir sehr dünn zu sein.

  • stART als Trendmarke ’09 nominiert (Best practice IX)

    Der Erfolg der stART.09 wurde heute zusätzlich zu den weitestgehend positiven Rückmeldungen der Besucher mit der Nominierung als Trendmarke 2009 noch einmal bestätigt. Der Wettbewerb wird veranstaltet von der Berliner Agentur causales und ist so eine Art Oscar des deutschsprachigen Kulturmanagements. Laut heutiger Pressemitteilung «zeichnet (er) die erfolgreichsten Marketingstrategien von Kulturprojekten und die engagiertesten Kulturvermittler im deutschsprachigen Raum aus». Die Preisvergabe findet am 29. Oktober im Rahmen der Kulturmarken-Gala in Berlin statt. Bitte kräftig die Daumen drücken!

    Die Stadt Duisburg macht etwas richtig: Neben der stARTconference wurde auch Karl Janssen, twitternder Kulturdezernent der Stadt, beim Award nominiert – als «Kulturmanager des Jahres».

  • La Bohème im Multichannel-Livestream

    Vor einiger Zeit habe ich über das Konzert der Philharmoniker Hamburg berichtet, wo das Orchester über halb Hamburg verteilt war und, über Kameras koordiniert, Brahms Zweite spielte. Das Ganze konnte man sich online entweder registerweise oder in der Zusammenschau anhören und -sehen. Wo der künstlerische Mehrwert lag, hat sich mir nicht erschlossen.

    Gestern Abend hat das Berner Symphonieorchester zusammen mit arte.tv ein ähnlich konzipiertes Projekt mit La Bohème durchgeführt. «Bühne» war eine Wohnung im Berner Gäbelbachquartier sowie das Westside-Einkaufszentrum und umliegende Straßen; der «Orchestergraben» war ebenfalls in der Westside. Das alles wurde dann fürs Fernsehen zusammengeschnitten und auf arte gesendet. Bei der Fernsehübertragung einer Opernhandlung mit verschiedenen Schauplätzen schien mir dieser Ansatz weitaus schlüssiger als bei einer Sinfonie, denn auch wenn live gesendet wurde, fehlte der unmittelbare Live-Aspekt in dem Sinne, dass die Zuschauer am Ort der Aufführung anwesend sind. Da spielt es dann, wie bei einer CD-Produktion, auch keine Rolle, ob es sich um Flickwerk handelt. Dass man zusätzlich die Möglichkeiten des Internets nutzt, um dort mit einem Multi-Livestream das Ereignis aus verschiedenen Blickwinkeln zu präsentieren, ist dann ebenfalls nachvollziehbar und von der praktisch-technischen Seite her durchaus sehr interessant. (Im Netz gibt es sieben Kameraperspektiven von den unterschiedlichen Orten des Geschehens.)

    Eine normale Opernaufführung ist bereits ein hochkomplexes Ereignis. In diesem Fall war die Aufführung noch einmal sehr viel komplexer durch den immensen technischen Aufwand, die Schwierigkeit für die Sänger nur mit einem Knopf im Ohr zu einem Orchester zu singen, dass etliche hundert Meter entfernt sitzt, die Schwierigkeit für den Dirigenten ohne Blickkontakt alles beieinander zu halten etc. Das live zu senden zeugt von Mut und der wurde belohnt, denn es hat erstaunlich gut funktioniert.

    Wenn man allerdings solch einen ultra-realistischen Rahmen für eine Handlung wählt, dann springt eben jede inszenatorische Unstimmigkeit besonders ins Auge. Zur ersten Szene schrieb z.B. jemand Im Live-Chat:

    die haben aber eine schöne wohnung, dafür dass sie so arm sind 😉 warum machen sie nicht die zentralheizung an anstatt papier zu verbrennen?

    Auch im sozialen Wohnungsbau friert man heute eben nicht mehr. Ebenso wenn die am Weihnachtsabend spielende erste Szene dann in den Spätsommer-Garten wechselt, lässt sich das viel weniger übersehen, als auf einer Bühne, die die Realität eben doch erkennbar nur nachbaut. Zudem ist das Opernspiel und der Operngesang derart artifiziell, dass es in so einem authentischen Setting sehr befremdlich bleibt. Wie auch immer: So ein Event schafft Aufmerksamkeit für eine Kunstform, die es schwer hat. Das ist ein erster Schritt. Bleibt die Frage, wie nachhaltig das so erzeugte Interesse an Oper ist.

  • Serienreif: Die stARTconference

    Die zwei stART-Tage sind schnell vorbei gegangen – ein gutes Zeichen, wie ich finde: Der Prototyp kann und wird in Serie gehen. Den Erfolg der Konferenz belegen auch die Rückmeldungen via Twitter und im Konferenzblog, bei allem, was im Einzelnen noch zu optimieren ist. Ausführlichere Berichte zur Konferenz gibt es zum Beispiel auf Blogjournalisten, im sozlog von Tina Günther und bei ruhrbusiness-on.

    Mein kurzes, persönliches Fazit: Die große Resonanz belegt, dass mit dem Thema «Social Media und Kultur» ein Nerv getroffen wurde. Ich wüsste keine Konferenz, die sich vorwiegend an Einrichtungen aus dem Bereich der Hochkultur wendet und eine Teilnehmerzahl von knapp 500 erreicht. In diesem Jahr wurden nun vor allem jede Menge Möglichkeiten aufgezeigt und Ideen diskutiert und entwickelt, wie sich Social Media für Kulturunternehmen einsetzen lässt und in Ansätzen auch, welche Erfolgsfaktoren sich bereits identifizieren lassen. An diesem Punkt wird es meines Erachtens spannend sein, im nächsten Jahr anzusetzen. Dass man mit Social Media etwas bewirken kann, ist mittlerweile deutlich. Aber wie nachhaltig diese Wirkung ist, welche Qualität die Öffentlichkeit hat, die man aufbaut, welche Mittel und Wege es gibt, den Erfolg auch tatsächlich zu evaluieren und Ursache-Wirkungs-Verhältnisse nachzuvollziehen, all das sind Fragen, die erst aufgrund von Erfahrungswerten beantwortet werden können. Das heißt, es müssen sich jetzt erstmal, inspiriert durch die Konferenz, weitere Kulturunternehmen vorwagen und mit Social Media beschäftigen, damit diese Fragen auf den kommenden Konferenzen breit abgestützt diskutiert und beantwortet werden können. Dafür hat die stART.09 im Sinne eines Kick-Offs in meinen Augen eine gute Grundlage gelegt.

  • stARTconference hat begonnen

    Gerade hat mit einem hochinteressanten Vortrag von Gregor Hopf die stART.09 angefangen. Wer nicht live dabei sein kann, kann die Vorträge live im Internet mitverfolgen oder später (noch einmal) ansehen. Über die twitterwall kann man die Konferenz durch die Augen der anwesenden Teilnehmer mitverfolgen.

  • Beethovens Fünfte zum Angucken

    Als Waldorfschüler ist man aus dem Unterrichtsfach Eurythmie mit der Vorstellung vertraut, Musik könne (und solle) nicht nur hör-, sondern auch sichtbar gemacht werden. Auch jahrelanger Unterricht in diesem Fach konnte mich von dieser These allerdings nie überzeugen. Worin sollte da ein Fortschritt oder Vorteil liegen? Ins Zweifeln, ob nicht doch etwas dran sein könnte, hat mich erst diese animierte Partitur vom Allegro con brio aus Beethovens 5. Symphonie gebracht. Natürlich wird hier ebensowenig wie in der Eurythmie Musik sichtbar gemacht, es handelt sich um eine grafische Abbildung musikalischer Vorgänge bzw. musikalischer Koordination. Trotzdem: die Faktur des Stücks wird in einer Art und Weise deutlich, die dem Ohr nicht so deutlich wird. Zum Beispiel, dass wirklich fast jeder einzelne Takt dieses Satzes auf dem berühmten «Ta-ta-ta-taaa»-Motiv beruht. Das sieht man besser, als man es hört und veranschaulicht so die konsequente motivische Arbeit Beethovens. Die Frage bleibt natürlich, ob einem das Stück deswegen mehr sagt.

    httpv://www.youtube.com/watch?v=rRgXUFnfKIY

    Hier gibt es übrigens noch eine Legende zu der Animation.