Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Blog

  • «Effi Briest» als Soap Opera

    Vom 5. bis zum 15. Februar war Berlinale. Harald Martenstein war dort und hat für die Zeit ein kleines Tagebuch im Stile seiner legendären Kolumne geschrieben. Der Eintrag des siebten Berlinale-Tages beschäftigt sich mit Sinn und Unsinn der Aktualisierung von Klassikern, in diesem Falle «Effi Briest», das die Regisseurin laut Martenstein in «Gute Zeiten, schlechte Zeiten» verwandelt. Sein Fazit:

    Klassiker werden Klassiker, wie etwa «Effi Briest» oder «Der Prozess», weil ihre Geschichte auch etwas Zeitloses hat, eine Kraft, wie sie kein einziges dämliches Fernsehspiel besitzt. Ist das so schwer zu kapieren? Offenbar ja.

    Ja, tatsächlich. Das Gros der Theaterregisseure tut sich mit dieser Erkenntnis ja ebenso schwer.

  • Spannend: Cruise als Stauffenberg

    Obwohl der Ausgang des Stauffenberg-Attentats ja bekannt ist, habe ich lange nicht einen so spannenden Film wie Operation Walküre gesehen. Dem Film gelingt es, einen immer wieder in die Hoffnung der Protagonisten zu versetzen, alles möge noch gut ausgehen. Das liegt vor allem daran, dass zunächst sehr genau die sorgfältigen Planungen, die taktischen Abstimmungen und strategischen Überlegungen unter den gar nicht so wenigen Verschwörern gezeigt werden und man so bestens im Bilde ist, was dann später bei der Durchführung schief zu gehen droht oder tatsächlich schief geht. Dem zum Opfer fällt die Psychologie der Figuren, die Spannung bleibt rein äußerlich und macht sich allein an den Ereignissen fest. Freilich wäre Tom Cruise auch eine denkbar schlechte Besetzung, wenn man zeigen wollte, was in Stauffenbergs Innerstem vorging, was ihn antrieb, welche Ängste er zu bekämpfen hatte. Auch deswegen ist es gut, dass der Film hier konsequent bleibt (anders als der deutsche Stauffenberg-Film aus dem Jahr 2004 der mehr, aber auch nicht konsequent, auf Stauffenbergs Motivation eingeht). Sicher wird der Film dem historischen Ereignis damit nicht voll gerecht, aber er regt an, sich intensiver mit dem Attentat vom 20. Juli und dem militärischen Widerstand zu beschäftigen.

    Spannend ist übrigens auch eine Frage, die sich dem Film nicht stellt, aber aus ihm ergibt: Wäre Stauffenberg heute auch ein Held und Deutschland die Demokratie, die es heute ist, wenn der Putsch geglückt wäre? Ganz so einfach, wie es zunächst scheint, würde die Antwort darauf wohl nicht ausfallen.

  • Comeback

    Mit Extreme und Guns N’Roses haben 2008 zwei Bands meiner Jugend ihr Comeback gefeiert und CDs herausgebracht, die ich mittlerweile mal die Gelegenheit zu hören hatte. Bei GNR ist nach 15-jähriger Arbeit an Chinese Democracy, ausschweifenden Rausschmissen und Auswechslungen von Bandmitgliedern, x-fachen Neu-Einspielungen, permanenten Verschiebungen des Veröffentlichungstermins doch noch ein solides Album entstanden, das deutlich besser ist, als ich erwartet hatte. Zwar singt Axl immer noch nicht besser oder gar schöner als in den 90ern, aber viele Songs sind gut und ideenreich produziert und Slash fehlt nicht so sehr, wie man denken könnte. Die unterschiedlichen Nachfolger haben zwar nicht seinen charakteristischen samtig sägenden Ton, stecken ihn aber in allen anderen Belangen in die Tasche.

    Die Zeit, die Extreme seit dem letzten Album verstreichen ließ, ist fast genauso lang. Sie haben sich aber erst Ende 2007 wieder ins Studio begeben und Saudades de Rock innerhalb weniger Monate eingespielt. Offenkundig die erfolgreichere Herangehensweise, denn ihnen ist wirklich ein großer Wurf gelungen. Bei ihrer Musik handelt es sich um bodenständigen Rock im allerbesten Sinne, eine gute, ausdifferenzierte Weiterentwicklung des letzten Albums Waiting for the punchline und in gitarristischer Hinsicht übrigens ganz großes Tennis: geradeaus, kraftvoll, virtuos aber nicht so selbstverliebt wie manches auf Pornograffitti und vieles auf III Sides to Every Story. Neben einigen wirklich guten Krachern (Star, Comfortably dumb – auf myspace zu hören) gibt es auch einige sehr schöne ruhigere Songs (Ghost, Interface).

  • Online-Petition fürs Grundeinkommen

    Mit direkter Demokratie hapert es in Deutschland ja noch ziemlich. Immerhin kann man aber auf der Website des Bundestages online Petitionen einreichen. Wenn die ein Quorum von 50.000 Stimmen erreichen, werden sie im Petitionsausschuss des Bundestages öffentlich beraten und der Petitionsinitiator («Petent») bekommt Gelegenheit, seine Petition dort zu begründen. Noch bis zum 10.2.09 kann man eine Petition für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens mitzeichnen. Eine kurze Registrierung genügt. Obwohl diese Petition aktuell mit Abstand die meisten Stimmen hat, ist sie noch weit vom Quorum entfernt. Also: mitmachen und weitersagen!

  • stART.09-Website ist online

    Heute ist die Website zur stART.09 online gegangen. Die Konferenz zum Thema Kultur und Web 2.0 wird am 24. und 25. September 09 in der Duisburger Mercatorhalle stattfinden. Der allerersten Resonanz zufolge rennen wir offene Türen ein. Ebenfalls heute gestartet ist der »Call for paper«: Wer Interesse hat, selbst einen Vortrag oder einen Workshop zur Tagung beizusteuern, ist herzlich eingeladen, sich zu bewerben. Alle Infos dazu gibt es auf der Website, ebenso wie den offiziellen Clip und Banner zum Einbetten und -binden auf der eigenen Seite. Einzelheiten zum Programm, zu Referenten, zu Ticketbestellung und -preisen etc. werden in den kommenden Wochen folgen.

  • Viel oder gut – Was kann Social Media?

    Bei allen Chancen von sozialen Medien (Social Media), die sich durch Offenheit und gleiche Augenhöhe von Sender und Rezipient ergeben, ist die Kommunikation, die sie hervorbringen, oftmals unverbindlich, unkonzentriert, lakonisch, redundant und mitunter leichtfertig. Das Prinzip des Einfach-mal-Machens, das viele der Social Media-Dienste überhaupt erst hervorgebracht hat, obwohl es kein tragfähiges Geschäftsmodell gibt, schlägt auch inhaltlich durch und bestimmt die Kommunikation mittels dieser Dienste. Auch hier gilt der von mir gern zitierte Satz, dass das Medium an den Gedanken mitschreibt. Es wundert daher nicht, dass man in sozialen Medien vor allem pragmatisch ausgerichtete How-to-Anleitungen findet (die durchaus sehr gut sein können!), Tipps, Linksammlungen, Clips oder mal mehr mal weniger unterhaltsame Folienpräsentationen, die ebenfalls zum «einfach mal machen» animieren wollen. Das ist eine spezielle Qualität mit viel Potenzial, keine Frage. Aber lassen sich Social Media-Dienste auch dort, wo man thematisch und inhaltlich tiefer schürfen möchte, sinnvoll einsetzen? Diese Frage ist speziell hinsichtlich der Nutzung von Social Media durch Kultur- und Bildungseinrichtungen spannend, wie mir in einem kürzlichen Beitrag im Kulturmanagement-Blog deutlich wurde. Soziale Medien sind Popularisierungswerkzeuge, die Quantität und Effizienz erzeugen können. Aber eignen sie sich auch für qualitativ hochwertige, effektive Auseinandersetzung mit Kunst, Wissenschaft, Kultur? Wird Wikipedia irgendwann z.B. zitierfähig oder das dacapo-Blog eingefleischte Fans der Duisburger Philharmoniker hervorbringen? Und: soll es das überhaupt?

  • Jodeldiplom

    Meine erste Begegnung mit dem Jodeln hatte ich bei Otto Waalkes, der diese Disziplin für einen Norddeutschen erstaunlich gut beherrscht. Die meisten Durchschnittsdeutschen tun sich dagegen mit dieser eigenartigen Sangeskunst ziemlich schwer, wie Frau Hoppenstedts ersten unsicheren Schritte auf dem Weg zum Jodel-Diplom zeigen:

    Was bei Loriot nur Gag ist, ist in der Schweiz Realität: Melanie Oesch, Sängerin der Schweizer Familienband Oeschs die dritten, hat sich tatsächlich ein Diplom erjodelt: sie wählte Jodeln als Abiturprüfungsfach. Oeschs die dritten sind in der Schweizer Volksmusikszene übrigens gerade der Renner und schaffen es, wie auch andere Jodelgruppen, regelmässig in die Schweizer Popcharts.

    Dieses Lied ist übrigens ein weiterer Beleg dafür, dass es hinter der pittoreksen Fassade des Schlagers durchaus sehr schlüpfrig zugeht – auch wenn eine Zeile wie «So üben wir die ganze Nacht, bis morgen früh der Tag erwacht: dann jodelst du ganz sicherlich, genauso gut wie ich!» natürlich lange nicht an z.B. Roland Kaisers erotische Eskapaden in «Santa Maria» oder «Manchmal möchte ich schon mit dir…» heranreichen.

    (Dass der Name der Gruppe Bezug auf das dentale Equipment des Stammpublikums Bezug nähme, wäre übrigens ein Trugschluss: die Familienband heißt so, weil sie mittlerweile in der dritten Generation musiziert.)

  • Mediendarwinismus

    Mittlerweile habe ich einige Einträge darüber geschrieben, dass ich das Theater für ein antiquiertes Medium halte, das ungeeignet ist, heutige Stoffe und Themen angemessen zu reflektieren. Bei aller Sympathie für diese These, bleibt mir doch die Frage, warum dieser Umstand zwar für das Theater, aber nicht für andere alte Medien, Bücher zum Beispiel, gelten soll. Zwar gibt es vielleicht den ein oder anderen, der den Bedeutungsverlust des Buches bzw. dessen weitreichende Ablösung durch digitale Textspeicher ebenso kommen sieht. Trotzdem glaube ich nicht, dass das Buch so bald zu einem medientechnologischen Museumsstück wird, wie das Theater.

    Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist die Reichweite eines Mediums entscheidend. Durch die Allverfügbarkeit von Inhalten, den die Digitalisierung mit sich gebracht hat, geraten die alten Medien unter Druck. Medien, die keine Reichweiten erzielen, werden teuer und unrentabel. Bücher sind hier weit weniger anfällig als Theater, die ortsgebunden sind oder deren Mobilität zumindest einen hohen logistischen Aufwand nach sich zieht.

    Der andere Grund ist, dass ein Buch keine anderen rezeptiven Anforderungen als ein digital gespeicherter Text stellt. Ob man Goethes Faust lieber als Reclam-Heft oder lieber bei Gutenberg liest, ist vor allem eine Geschmacksfrage. Verstehen kann man den Text in beiden Fällen gleich gut oder schlecht, weil man die gleichen Buchstaben liest und kognitiv verarbeitet. Der Film hingegen hat es gegenüber dem Theater wesentlich leichter, das «Als-ob» zu vermitteln, die illusorischen Möglichkeiten sind um ein Vielfaches größer. Dem kann das Theater nur die Interaktion entgegensetzen und vielleicht noch die Einmaligkeit des Moments, wobei weder das eine noch das andere zwangsläufig ein Qualitätsversprechen bedeutet. (Man denke an Stadelmeiers legendäre Begegnung mit dem interaktiven Theater oder die uninspirierten Repertoirevorstellungen, in denen man schon so saß). Und wahrscheinlich ist es auch nur noch eine Frage von ein paar Jahren, bis der Film auch diese «Unique Selling Propositions» in perfekter Illusion nachbilden kann.

  • Der Roman zum Umzug: Heidiland

    Lange Zeit hat es mir keinen Spaß mehr gemacht Romane zu lesen. Nach 20 Seiten fand ich es immer irgendwie langweilig, selbst bei guten Büchern, und habe stattdessen lieber DVD geguckt o.ä. Jetzt aber habe ich den Roman zum Schweiz-Umzug gelesen: «Heidiland». Hier wird am Beispiel einer jungen Ärztin das deutsche Gastarbeiterdasein in der Schweiz literarisch aufbereitet. So geht es einerseits um die Integrationsschwierigkeiten, mit denen auch Deutsche sich konfrontiert sehen, zum Beispiel was die Sprache angeht, die berühmt-berüchtigten Waschtage, der dezentere Umgangston, die Bahn, auf deren Unpünktlichkeit man sich nicht verlassen darf usw. Andererseits geht es um die deutsche Parallelgesellschaft, die sich mittlerweile in der Schweiz und offenbar insbesondere an den Kliniken, entwickelt hat und die einerseits Halt und Heimat gibt, in der sich andererseits aber auch typisch deutsche Gehässigkeiten fortsetzen, z.B. die Karrierekämpfe und ein harscher «Ruck-zuck, zack-zack»-Tonfall. Gewisse Klischees sind so natürlich unvermeidbar, aber zugleich auch nicht von der Hand zu weisen.

    Die «Migrations-Problematik» ist allerdings nur einer von mehreren Handlungssträngen. Parallel dazu geht es auch um das gespannte Verhältnis der Heldin zu ihrem planlosen Freund, das komplizierte Verhältnis zum dominanten Vater, der außerdem mit seiner Firma nach Moldawien expandiert, eine Bürgerinitiative sowie eine Miniaturvariante von Jürgen Harksen. Von A-Z wird die Auswanderung daher nicht beschrieben, was mich zuerst etwas stutzig machte, weil ich das aufgrund einer Rezension erwartet hatte. Aber das ist freilich nichts, was sich dem Buch vorwerfen ließe. Insgesamt plätschert der Roman angenehm unterhaltend vor sich hin, ohne eine echte Linie oder ein klares Anliegen, aber durchaus humorvoll, virtuos und bildreich. Das Ende allerdings kam mir reichlich konstruiert vor. Als hätte die Autorin gemerkt, dass ihr auf einmal – nach 320 Seiten – nur noch 20 weitere bleiben, alles zu einem guten Ende zu bringen. Entsprechend unwahrscheinlich und unmotiviert sind dann die Ereignisse der letzten Seiten.

  • Über die eigenen Gedanken gestolpert

    Förster und Kreuz, die sich selbst als «Business-Querdenker mit dem Hang zu unkonventionellen Ideen» rühmen, haben vor ein paar Tagen ein eBook mit 99 Zitaten für andere Querdenker veröffentlicht. Ihre ziemlich aufgeplusterte Selbstbeschreibung suggeriert, es handele sich um einen Hang zu eigenen Ideen. Warum sollten sie sonst die Business-Querdenker sein? Tatsächlich zeigt dieses eBook aber im Kleinen, wie die anderen Bücher von Förster und Kreuz im Grossen funktionieren: man sammele gute Ideen und Sprüche von findigen, schlauen Unternehmern, sortiere sie thematisch, gieße etwas lauwarme Instant-Theoriesoße darüber und kompiliere das Ganze zu einem Buch. Das ist in Wirklichkeit «nachdenken» in wörtlichstem und schlechtestem Sinne und wird dem großspurigen innovativen Anspruch nicht gerecht. Was das Problem an der Sache ist, wird klar, wenn man das Bild, auf dem die Selbstbeschreibung fußt, konsequent zu Ende denkt: Wer quer denkt, wird über seine eigenen Gedanken stolpern, wenn er nach vorn will. Lieber also die Gedanken nach der Marschrichtung ausrichten und, wenn das Nachdenken in positivem Sinne schon solche Mühe bereitet, dann wenigstens «vordenken».