Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Blog

  • Dr. Psycho

    Vor einiger Zeit bin ich auf die Seite myspass.de gestoßen und habe sie seitdem gern besucht, weil man dort Comedy-Serien und -Shows von Brainpool TV kostenlos angucken kann, darunter wirklich unterhaltsame wie Pastewka oder Stromberg.

    Eher unwillig, weil ich alles andere, was mich interessiert hätte, schon kannte, habe ich vor kurzem trotz des beknackten Titels bei Dr. Psycho reingeguckt und war positiv überrascht. Denn die Serie, irgendwas zwischen Krimi und Comedy, ist sehr unterhaltsam, mitunter sogar spannend. Wenn man so will ist Christian Ulmen als Polizeipsychologe Dr. Max Munzl so eine Art junge deutsche Ausgabe von Columbo: verpeilt, unbedarft, unfähig, aber eigentlich doch am Ende doch immer schlauer und überlegter als man ihm zugetraut hat.

  • Rutschgefahr

    Bei ihren Promoauftritten für Feuchtgebiete war Charlotte Roche immer ein Garant für gute Unterhaltung. Das lag zum einen an ihr selbst und zum anderen natürlich auch am Thema. Auf youtube gibts u.a. ihre charmanten Auftritte bei der N3-Talkshow und bei Kerner, der hörbar Mühe mit dem Thema hat, zu sehen.

    Von darstellenden Umsetzungen ihres Buches wollte Roche zunächst nichts wissen. Das Neue Theater Halle hat aber offenbar lange genug gebettelt und stellt sich jetzt der letzten Herausforderung des Regietheaters, wie es die Süddeutsche formuliert, indem es eine Bühnenfassung des Bestsellers herausbringt. So gering die Rutschgefahr in kommerzieller Hinsicht sein dürfte, so groß ist sie vermutlich in künstlerischer. Deswegen schon mal ein herzliches toi, toi, toi!

  • Demokratische Kultur in Deutschland und Europa

    Der Wirbel, den das Nein der Iren zum Vertrag von Lissabon verursacht hat, zeigt wie schlecht es um die demokratische Kultur in Europa steht. Anders als viele Politiker jetzt glauben machen wollen, haben 1 Million Iren nicht 500 Mio. Europäern ihren unmaßgeblichen Willen aufgedrückt, sondern als einzige die Möglichkeit gehabt, ihren Willen wirklich demokratisch kund zu tun und das stellvertretend für die Mehrheit der Europäerinnen und Europäer getan. Die Drohungen gegen Irland und gegen Länder, die die Entscheidung der Iren ernst nehmen und die Ratifizierung des Vertrags aussetzen (Polen, Tschenien), zeigen deswegen die anmaßende Gesinnung hinter der demokratischen Maske von Steinmeier, Schäuble, Koch-Mehrin und allen möglichen anderen Politikern.

    Volksentscheide werden gerne als Befindlichkeitsbarometer abqualifiziert, untauglich als maßgebendes Element demokratischer Prozesse. Einigermaßen erstaunlich ist deswegen, was Horst Köhler kürzlich zu diesem Thema gesagt hat. Er fordert mehr demokratische Teilhabe der Bevölkerung, denn: »Es ist auch Eure Demokratie, also helft bitte mit, etwas Gutes draus zu machen.« Wobei dieses unscheinbare Wörtchen »auch« höchst verräterisch ist. Offenbar meint auch Köhler, dass es »vor allem« die Demokratie der Berufspolitiker, Bürokraten, Lobbyisten und Berater ist. Diese Herrschaftsform ist aber eigentlich die Aristokratie, denn das heißt wörtlich übersetzt »Herrschaft der Besten«. Nur: Wenn man es so sagt, besteht allerdings kein Zweifel mehr, dass das niemand wollen kann. Also bleiben wir lieber bei »parlamentarische Demokratie«.

    Dass es übrigens sehr gute juristische Gründe gibt, gegen den Vertrag von Lissabon zu sein, wurde in der Diskussionsrunde zum bei Phoenix deutlich, in der auch Karl Albrecht Schachtschneider zu Gast war – emeritierter Jura-Professor aus Erlangen, der gegen die Ratifizierung des Vertrages durch Bundestag und Bundesrat Verfassungsbeschwerde eingelegt hat.

  • Shining eyes mit Benjamin Zander

    Eigentlich halte ich die Behauptung, dass Musik eine universelle Sprache ist, die jeder versteht, die alle Grenzen überwindet usw. für musiksoziologisch verklärtes Blabla. Aber nicht aus dem Munde des Dirigenten Benjamin Zander, der zwar Engländer ist, aber eine sehr amerikanische Begeisterungs- und Lehrfähigkeit hat, die an Leonard Bernstein erinnert. Denn Zander »beweist« in diesem Clip, dass es niemanden gibt, der mit klassischer Musik nichts anfangen kann.

  • Kulturmarketing 2.0

    Nicht nur aufgrund der zahlreichen Beispiele in der Web 2.0-Serie des Kulturmarketing-Blog, sondern auch durch aktuelle Gespräche bekomme ich das Gefühl, dass Web 2.0 in Kultureinrichtungen ein Thema wird und auch hier mit einiger Verspätung ein gewisser Hype entsteht. Mitunter werden die Möglichkeiten äußerst euphorisch und optimistisch eingeschätzt, mit Web 2.0 neues Publikum erschließen zu können. Da man mittlerweile in etwa weiß, was das Web 2.0 kann und was nicht, könnte das Kulturmarketing diese Hype-Phase eigentlich überspringen und von vornherein mit ganz pragmatischen und realistischen Erwartungen an das Thema herangehen.

    Live-Übertragungen von Events halte ich da zum Beispiel für nicht sonderlich erfolgsversprechend. Sei es ein Orchesterkonzert der Musikhochschule Rostock, die Wiederaufnahme der Meistersinger bei den Bayreuther Festspielen oder Konzerte aus Aspen oder Aix-en-Provence (geniale Seite!), die Faszination klassischer Musik vermittelt sich wohl kaum über PC-Monitor und -Boxen. Das gilt insbesondere, wenn es nicht um die großen, eingängigen Hits geht, zu denen ich die Meistersinger schon nicht mehr rechnen würde. Es mag funktionieren, einen Eindruck von dem zu vermitteln, was die Besucher erwarten dürfen. Streams und Clips werden aber eine schlechte Alternative zur Live-Veranstaltung bleiben und auch nur für Personen in Frage kommen, die sowieso auch ins Konzert gehen würden.

    Neues Publikum gewinnt man nicht mit neuen Medien, sondern mit einer neuen, web 2.0-gemäßen Haltung. Die besteht darin, den Dialog und die Vernetzung mit den BesucherInnen zu suchen, und zwar auf Augenhöhe. Gerade im Bereich der Hochkultur gilt es da m.E. zunächst, einigen Dünkel gegenüber dem Publikum über Bord zu werfen und es nicht nur als stumpfe, konsumistische, tendenziell ignorante Masse wahrzunehmen, die es zu gutem Geschmack zu erziehen gilt. Bevor man diese neue Haltung nicht verinnerlicht hat, wird man das Web 2.0 auch nicht erfolgreich nutzen können.

  • Sprachverfall ist nur Sprachwandel

    Gerade bin ich auf einen sehr lesenswerten, erfrischenden Artikel des Germanisten Rudi Keller gestoßen, in dem er sich mit dem angeblichen, vielerseits beklagten Verfall der deutschen Sprache beschäftigt. Er zeigt anhand sehr sinnfälliger Beispiele, dass diese Sorge eigentlich unbegründet ist, dass die Fehler von heute die Regeln von morgen sein werden und dass das schon immer so gewesen ist.

    »Sprachzustände sind keine Endzustände von Prozessen, sondern flüchtige Episoden in einem potentziell unendlichen Prozess kultureller Evolution.« So bringt Keller seinen Ansatz auf den Punkt. Allein schon sein Stil zeigt, dass er damit einem unbedachten Umgang mit Sprache sicher nicht das Wort redet. Eher im Gegenteil, denn unbedacht ist es in seinen Augen, Sprache für statisch zu halten und mit dem (derzeit) regelkonformem Gebrauch des Genitivs oder des Kausalsatzes gleich das gesamte Abendland untergehen zu sehen.

  • Heidenreichs Bayreuther Visionen

    Seit einiger Zeit veröffentlicht die FAZ so genannte Bayreuther Visionen, auf die ich hier zu deren Beginn mal verlinkt habe. Es ist schon sehr bezeichnend für die ignorante Selbstbezogenheit und Routine der maßgeblichen Opernmenschen, dass ausgerechnet Elke Heidenreich als Leiterin der Kinderoper Köln die bislang querdenkerischsten und originellsten Ideen beisteuert und es nicht bloß bei wohlfeilen Mahnungen über falsch verstandenes Traditionsbewusstsein belässt.

    Ihre »Vision«, Aufführungen auf eine Großbildleinwand vor dem Festspielhaus und per Livestream im Internet zu zeigen, wird jetzt allerdings noch unter Wolfgang Wagners Intendanz Wirklichkeit. Dass man für die Freischaltung des Livestreams 49 Euro zahlen muss, davon ist bei Heidenreich allerdings nicht die Rede.

    Erstaunlich und direkt wohltuend ist übrigens, wie ungewohnt zurückhaltend sich Peter Konwitschny zu der ganzen Angelegenheit verhält. 😉

  • Fußballtheater: Gaga genug für Tagesthemen

    Kultureinrichtungen haben es dieser Tage schwer gegen die EM. In der Host City Zürich mussten sogar Vorstellungen abgesagt werden. Also ist es ja für die Theater eigentlich ganz naheliegend, selbst auf Fußball zu setzen: Ein Schweizer Schauspieler spielt zum Original-Radiokommentar das EM-Spiel BRD gegen DDR (0:1) nach. Volle 90 Minuten rennt er auf dem ansonsten leeren Platz (keine Mitspieler, kein Ball) die Laufwege des Torschützen Jürgen Sparwasser nach. Das ist so gaga, dass es sogar in den Tagesthemen kam.

  • Theatermarketing via Klingelton

    Von wegen, dass Theater sich mit der digitalen Kommunikation mit Ihren Besuchern noch schwer tun, wie ich immer gern meine. Das Theater Augsburg bewirbt seine Produktion vom weißen Rößl mit einem Klingelton: »Tritt ein und vergiss deine Sorgen, im weißen Rößl am See!«. So richtig Web 2.0 ist das zwar nicht, aber ein netter Gag und total simpel umzusetzen, wenn man mal die vermutlich sich über Wochen hinziehenden Verhandlungen mit dem Orchestervorstand außer Acht lässt. Ich stelle es mir nur schwierig vor, wenn alle Mitarbeiter aus Gründen der Identifikation mit Ihrem Arbeitgeber diesen Klingelton benutzen. Dafür ist es nicht so schlimm, wenn man als Besucher vergisst, das Handy auszustellen – vorausgesetzt es klingelt synchron zur Livemusik.

  • Bio ist besser – auch bei Musik

    »Die ganze Barockmusik ist langweilig« schreibt Herbert Rosendorfer in einer Glosse in der aktuellen Rondo (gehe zu S. 20). Als Ausnahmen lässt er nur Bach, Händel, Telemann und Vivaldi gelten. Die Werke anderer Barockkomponisten sind seiner Meinung nach zu Recht vergessen. Da ist was dran.

    Das Genörgel an historischer Aufführungspraxis dagegen zeugt von Unkenntnis und schlechtem Geschmack. Rosendorfer spricht hier von: »Bio-Musik sozusagen, naturbelassen« und entblödet sich nicht, zu behaupten, Mozart habe sich den Klang moderner Instrumente beim Komponieren gewünscht. Man muss nur mal die Don Giovanni-Einspielungen von Karajan und Jacobs im Vergleich hören, um diesen Gedanken alsbald als untauglich zu verwerfen. Hier klebrig-breiiger Schönklang, der die Möglichkeiten moderner Instrumente vollends kultiviert, dort agile, fein nuancierte Klangrede auf Basis des »dünnen« Klangs alter Instrumente. Jacobs Akademie für Alte Musik zeigt übrigens nicht nur in dieser Aufnahme, dass historische Instrumente nicht schlecht klingen müssen.

    Rosendorfer erlaubt sich hier den gleichen gedanklichen Kurzschluss wie Regisseure, die glauben, Opern des 18. Oder 19. Jahrhunderts ins Hier und Heute übersetzen zu können oder Komponist Arnecke, der heutige Themen mit Mitteln der Oper vermitteln möchte. Aber Mozarts Kompositionen sind wie die Werke jedes anderen Künstlers auch nur zu verstehen, wenn sie vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit interpretiert werden. Einzelne Aspekte zu isolieren bedeutet, das Werk zu verzerren, denn auch in diesem Fall schreibt das Werkzeug bzw. das Medium (18.-Jhd.-Orchester) an den Gedanken (Musik) mit.

    Auch wenn man die Fortschritts-Logik der Bio-Metapher weiterdenkt wird’s klar: Erdbeerjoghurt mit künstlichem Aroma schmeckt vielleicht erdbeeriger als jeder Biojoghurt mit echten Früchten. Aber deswegen noch lange nicht besser.