Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Blog

  • Kulturvermittlung und Web 2.0 – Eine Liebe auf den dritten Blick?

    Bei diesem Blogpost handelt es sich um einen Debattenbeitrag, der im Juni 2012 auf kultur-vermittlung.ch erschienen ist. Da die Rubrik «Debatte» und damit auch der Artikel inzwischen nicht mehr online sind, veröffentliche ich ihn hier mit dem Einverständnis von kultur-vermittlung.ch erneut.

    Das Web 2.0 und die klassische Kultur – das ist keine Liebe auf den ersten Blick. Noch nicht einmal unbedingt auf den zweiten. Das Social Web scheint so viele Gewissheiten des klassischen Kulturbetriebs über den Haufen zu werfen: freier Download statt Recht auf geistiges Eigentum, die Intelligenz der Masse statt Genie des einzelnen Künstlers, Zerstreuung statt Muße und Konzentration, unverbindliche Häppchenkultur statt der Bereitschaft, sich auch auf Schwieriges einzulassen.

    Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man auf Facebook, Twitter und Co. nach Kultureinrichtungen sucht. Natürlich sind dort mittlerweile viele Kultureinrichtungen vertreten, aber allzu oft verstehen sie Social Media nur als zusätzliche, neue Kanäle, die mit den altbewährten PR- und Marketingbotschaften befüllt werden können. Für die Kulturvermittlung wird Social Web nur selten genutzt. Teilweise kursiert sogar die Sorge, das Internet könne Kulturvermittlung überflüssig machen. Die Kulturmanagement-Professorin Birgit Mandel spricht hier von «kulturellen Selbstbildungsprozessen» der sog. «digital natives». Ob einem Oper gefällt? – mal schnell bei Youtube gucken. Was war noch mal Impressionismus? Kurz bei Wikipedia nachschlagen, dann weiß man’s. Wenn man es so sieht, dann scheint das Web 2.0 mehr eine Bedrohung als eine Bereicherung zu sein. Bei einer Entwicklung, die aber nicht mehr aufzuhalten, sondern nur noch mit zu gestalten ist, zählt aber der Blick auf die Chancen.

    Gerade wer junge Menschen ansprechen möchte, kommt an Facebook und Co. nicht mehr vorbei. Laut James-Studie 2010 haben 84% aller Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren ein Profil in einem Social Network, meist bei Facebook. Wer mit jungen Menschen kommunizieren möchte und – fast noch wichtiger – lernen möchte, wie sie kommunizieren, sollte sich auf Facebook umsehen.

    Vor allem spricht aber ein inhaltlicher Grund für Kulturvermittlung im Social Web: Gute Vermittlung bedeutet, nicht nur zu belehren und zu informieren, sondern die Faszination der Kunst durch Partizipation erlebbar zu machen. Was liegt da also näher, als das «Mitmach-Web» – wie das Web 2.0 auch genannt wird – für die Kulturvermittlung zu nutzen? Es gibt erstaunlich wenige Beispiele, wo das bereits geschieht.

    Eins ist das Education-Angebot des Staatsballetts Berlin. Dies umfasst natürlich Angebote für Schüler, selbst zu tanzen. Aber nicht jeder ist zum Tänzer geboren. Eine andere Möglichkeit besteht daher darin, dass die Schüler die Compagnie mit der Kamera begleiten und Filme über deren Arbeit produzieren, die sie bei Youtube einstellen. Diese Videos taugen nicht als PR-Clip, aber die jungen Filmemacher lernen aus nächster Nähe, was es heißt, ein Ballett zu erarbeiten. Und die Filme, in die sie ihre eigene ästhetische Handschrift einbringen können, verbreiten sie in ihren Netzwerken und werden so selbst zu Kulturvermittlern.

    Das Social Web ermöglicht auf diese Weise «kulturelle Selbstbildungsprozesse» im besten Sinne, macht das Engagement der Fans sichtbar und multipliziert es. Eine Studie aus den USA zeigt, dass das nicht das Kunsterlebnis vor Ort ersetzt. Im Gegenteil – wer sich in den digitalen Medien mit Kunst und Kultur auseinandersetzt, wird angeregt, dies auch im Hier und Jetzt der Aufführung oder Ausstellung zu tun.

    Viele Kinoromanzen leben davon, dass sich die Protagonisten zuerst nicht mögen und erst nach allerlei Wirren zueinander finden. Aber das Happy End bleibt nie aus. Warum sollte es also bei der Kultur und dem Web 2.0 anders sein?

  • Mindestlohn am Theater

    In letzter Zeit wird die prekäre Lage von Künstlern immer häufiger zum Thema gemacht, habe ich das Gefühl: Im Frühjahr veröffentlichte theaterjobs.de eine Vergütungsumfrage, über die ich hier bereits kurz geschrieben habe. Die aktuelle Ausgabe der Kulturpolitischen Mitteilungen widmet sich dem Schwerpunkt «Kreatives Prekariat» mit etlichen interessanten Artikeln zum Thema. Kulturmanagement.net lässt nun eine Sonderreihe mit dem Titel «Mindestkultur» über den soeben beschlossenen Mindestlohn und dessen Auswirkungen auf den Kulturbereich folgen. Den Auftakt zu dieser Serie durfte ich mit einem kurzen Kommentar zum Mindestlohn am Theater geben.

  • Skrowaczewskis Bruckner

    Durch einen Bekannten wurde ich kürzlich auf den Bruckner-Zyklus des Dirigenten Stanislaw Skrowaczewski aufmerksam. Ich hatte den Namen vorher noch nie gehört, die Aufnahmen dementsprechend auch nicht. Als ich sie dann hörte, fragte ich mich allerdings, wieso dieser Dirigent so ein Schattendasein in der Musikwelt fristet, während Christian Thielemann als der Bruckner-Dirigent unserer Tage gefeiert wird. Man kommt dabei auf unschöne, spekulative Gedanken über die Macht von Agenten und PR-Strategen im Klassikbusiness, die man schnell beiseite schieben sollte. Immerhin gibt es ja diese Aufnahmen und sie machen schnell klar, dass Skrowaczewski den Vergleich mit den grossen Bruckner-Dirigenten wie Wand, Celibidache oder Giulini nicht nur nicht zu scheuen braucht, sondern in vielen Punkten gewinnt. Und das, obwohl er für seine Einspielung kein Weltklasseorcherster zur Verfügung hatte wie die oben genannten.

    Von den Bruckner-Sinfonien kenne ich die 8. am besten, was damit zu tun hat, dass ich vor 14 Jahren mal als «Mädchen für alles» bei einer Orchesterakademie fungiert habe, bei der diese Sinfonie einstudiert wurde. Aus diesem Grund habe ich mir vor allem diese Einspielung genauer angehört und mit anderen Aufnahmen, die ich kenne, verglichen. Die besondere Stärke von Skrowaczewskis Aufnahme scheint mir darin zu liegen, die Stärken vieler anderer Brucknerdirigenten zu vereinen: Wie Celibidache oder Wand hat er die viel beschworenen grossen Bögen bei Bruckner perfekt im Griff. Das zeigt sich insbesondere im Adagio, wo er die grossen Steigerungswellen über 20 Minuten hinweg spannungsvoll bis zum grossen Höhepunkt staffelt und dann langsam wieder verebben lässt.

    Wie Karajan oder Giulini pflegt er einen satten, prächtigen Klang, mit einer allerdings eher rauen, markigen Tongebung im Blech. Trotzdem ist der Klang erstaunlich durchhörbar: Jedes einzelne Instrument bleibt auch in den grossen blechdominierten Klangmassen identifizierbar (sicher auch ein Verdienst der Tontechniker). Skrowaczewskis Bruckner lebt aber nicht – wie Celibidaches oder Karajans – von grossen Bögen und sattem Klang, sondern auch von hörbarer Detailarbeit, die immer überzeugend ist. Anders als Thielemann, der sich in der 8. hier und da gewisse Mätzchen herausnimmt, die zwar mal einen guten dynamischen oder agogischen Effekt hergeben, aber wenig mit dem zu tun haben, was Bruckner sich laut Partitur vorgestellt hat, entwickelt Skrowaczewski die Phrasierungen zwar auch mit einer gewissen interpretatorischen Freiheit gegenüber der Partitur, aber doch sehr natürlich aus dem Gestus, der in der Musik liegt. Im Scherzo etwa nimmt er die Hörner und Posaunen beim grossen Tutti mit den Pauken zuerst etwas zurück und lässt sie dann auf den Schlusspunkt der Phrase hin crescendieren (Min. 1:18-1:24). Stark. Ebenso die scharfen Blechakzente in den lauten Motivrepetitionen davor (Min 0:52).

    Diese Details in den Phrasierungen machen seine Interpretation ebenso spannend wie die von Harnoncourt, deren Stärken insbesondere auf diesem Gebiet der «musikalischen Rhetorik» liegt.

    Nach dieser Hörerfahrung mit Skrowaczewskis Bruckner-Aufnahmen hörte ich mir auch Beethovens 4. Sinfonie an. Ich habe nicht viel erwartet, weil ich keinen tollen Bruckner-Dirigenten kenne, dessen Beethoven-Aufnahmen mir gefallen. Ich war dann sehr positiv überrascht: Skrowaczewskis Beethoven klingt fast, als hätte er sich mit historischer Aufführungspraxis beschäftigt. Auch hier haben mich die Details begeistert. Mehr als bei den Bruckneraufnahmen wird hier allerdings deutlich, dass das eigentlich sehr gute RSO Saarbrücken spieltechnisch dann doch nicht auf den Champions League-Plätzen mitspielt, also dort, wo sich etwa Chaillys superbrillanter Hochpräzisionsbeethoven mit dem Gewandhausorchester Leipzig bewegt.

    Wie der Zufall es so will, gastiert Skrowaczewski im nächsten Frühjahr beim Basler Sinfonieorchester. Ursprünglich stand die 8. Sinfonie auf dem Programm. Leider wurde sie jetzt gegen die Bruckners 4. und eine Mozart-Sinfonie eingetauscht. Aber was soll’s? Das Konzert ist ein Pflichttermin!

  • Content war King

    «2014 wird das Jahr des Content Marketing», las ich kürzlich. Auf onlinemarketing.de wird es sogar als «neue Wunderwaffe» bezeichnet. Und für einmal kann man feststellen, dass der klassische Kulturbereich einem Marketing-Trend nicht hinterherhinkt. Auch wenn der Begriff «Content Marketing» in aller Regel im Zusammenhang mit Online- und Social Media-Aktivitäten genutzt wird – wie in dem verlinkten Artikel – so haben Theater und Museen das analoge Pendant dieser Marketingtechnik schon vor langer Zeit für sich entdeckt. Die meisten größeren Theater haben eine Theaterzeitung, mit der den Lesern durch redaktionelle Berichte und Inhalte Lust gemacht werden soll, das Haus (wieder) einmal zu besuchen. Als gelungene Beispiele können hier etwa das Magazin des Opernhauses Zürich (ja, ich bin voreingenommen, aber es wird immerhin auch vom ehemaligen Musikredakteur der ZEIT konzipiert und redaktionell geleitet), das der Berliner Philharmoniker oder der Staatsopern in Hamburg und Stuttgart dienen. Diese Liste ist ebenso willkürlich wie unvollständig. Mir geht es darum, zu zeigen, dass vielerorts bereits analoges Content Marketing auf hohem Niveau betrieben wird.

    Wenn die 16. These des Cluetrain Manifestos also lautet: «Schon jetzt erreichen Unternehmen, die mit der Stimme des Marktschreiers reden, niemanden», kann man festhalten, dass dieser Paradigmenwechsel vom Push- zum Pull-Marketing im Kulturbereich längst vollzogen wurde. Man setzt schon lange auf interessante Geschichten und inhaltsvolle Informationen statt auf sich ständig weiter aufschaukelnden Werbedruck und laute, austauschbare Slogans. Fragt sich nur, warum die Kultureinrichtungen dann nicht auch eine Vorreiterrolle im digitalen Content Marketing einnehmen? Es gibt zwar mittlerweile einige gelungene Beispiele für Content Marketing aus dem klassischen Kulturbereich, so z. B. das Blog des Theaters Heilbronn, das der Bayerischen Staatsoper und das Online-Magazin der Schirnhalle. Aber die Auswahl an Beispielen fällt insgesamt deutlich spärlicher aus als im Printbereich. Woran liegt das?

    Mein Verdacht ist, dass bei aller Euphorie über die Pull-Logik, wie sie z.B. im Cluetrain Manifest oder dem eingangs verlinkten Artikel zum Tragen kommt, außer Acht gerät, dass auch im Social Web das Push-Marketing nach altem Muster nicht abgeschafft ist: Facebook kapitalisiert den Zugang zu seinen Nutzern ebenso wie die Tageszeitung den Zugang zu ihren Abonnenten. Das heißt Facebook – für viele Kultureinrichtungen mehr oder weniger gleichbedeutend mit «Social Web» – lässt sich die Reichweite von Unternehmensposts zunehmend bezahlen. Einerseits im Sinne der Nutzer, für die Unternehmensposts grundsätzlich zu den weniger interessanten Beiträgen in ihren Neuigkeiten gehören und andererseits natürlich und vor allen im unternehmerischen Interesse von Facebook selbst. Wenn allfacebook.de deswegen empfiehlt: «Bucht Werbung», dann  sagen sie nichts anderes als: Kehrt zum alten Push-Marketing zurück.

    Was die Reichweite der oben genannten digitalen Content Marketing-Beispiele angeht, kenne ich keine Zahlen. Ich wage aber die These, dass es sich nicht um berauschende Zahlen handelt. Die Wiener und die Bayerische Staatsoper führen mit 27.000 bzw. knapp 21.000 Facebook-Fans das Ranking der deutschsprachigen Opern- und Theaterlandschaft an. Verglichen mit den Berliner Philharmonikern mit 650.000 Fans ist das praktisch nichts. Und eben: Der Vorsprung der Berliner Philharmoniker lässt sich nicht dadurch erklären, dass sie  eine viel genialere Content Strategie oder bessere Inhalte hätten als alle anderen. Ihre Posts sind sogar meistens salesorientiert, die kleinen Teaser zu den Konzerten aus der Digital Concert Hall (die natürlich ein echtes «Content Asset» ist) werden in stets gleicher Machart präsentiert. Darüber hinaus gibt es ab und an Sonderaktionen, bei denen man kostenlose Konzerte in der Digital Concert Hall anschauen kann und ein gut gemachtes Blog (Content: Fotos). Das ist zweifelsfrei alles sehr gut und professionell, erklärt allein aber nicht den immensen Erfolg in Bezug auf die Fanzahlen. Die Wiener Staatsoper, die mit ihrem Livestreamingangebot auch über ein echtes, allerdings noch nicht so etabliertes «Content Asset» verfügt, kommt wie gesagt auf nicht einmal 5 % der Fanzahlen. Man muss nicht über Sherlock Holmes‘ deduktive Fähigkeiten verfügen, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass die Berliner Philharmoniker offenbar sehr viel Geld in die Hand nehmen, um ihre Digital Concert Hall zu promoten. Als Fan der Facebookseite habe ich praktisch täglich einen Beitrag der Philharmoniker in meinen Neuigkeiten, obwohl ich die nur selten anklicke. Von der Bayerischen Staatsoper, deren Fan ich ebenfalls bin, kriege ich kaum je etwas in meinen Neuigkeiten angezeigt, obwohl Facebook über Daten verfügt, die mein Interesse für Oper bezeugen.

    Die Aufregung darüber, dass Facebook mehr und mehr dazu übergeht, Reichweite zu verkaufen, mag auch mit dem lang gehegten Glauben zu tun haben, wir hätten es im Social Web mit einer gänzlich neuen Form der Kommunikation zu tun. Eine Form der Kommunikation, bei der jeder, der etwas Interessantes zu sagen hat, sich auch unabhängig von seinen Mitteln Gehör verschaffen kann – «content is was king». Und ja, schöner wäre es natürlich, Facebook würde seine Dienstleistung kostenlos zur Verfügung stellen und Audi seine Autos verschenken…

    Nach meinen Erfahrungen bietet Facebook ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Für vergleichsweise wenig Geld erreicht man mit hoher Treffsicherheit Personen, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit für das eigene Angebot interessieren. Denn anders als Zeitungen, Onlineportale oder Anbieter von Außenwerbung, kennt Facebook seine Nutzer sehr genau. Mit Conversion Tracking lässt sich zudem der Erfolg einzelner Kampagnen genau messen. Eine Facebook-Beraterin sagte mir einmal, dass man mit durchschnittlich 8 bis 12 Werbe-Euro pro Kauf rechnen sollte. Meine persönliche Erfahrung ist, dass sich diese Zahlen mit einem guten Angebot und einem präzis ausgewählten Publikum um mehr als die Hälfte unterbieten lassen. Mit Facebook lässt sich also ein Verhältnis von Insertionskosten und werbegeneriertem Umsatz erzielen, von dem man bei allen anderen Optionen nur träumen kann. Dieses Verhältnis ist außerdem eine aussagekräftige Kennziffer, um den Erfolg der Social Media-Aktivitäten zu messen, ohne dass man die ganze Diskussion um den ROI von Social Media noch einmal aufrollen müsste.

    Bleibt am Schluss die Frage, ob das jetzt heißt, am besten gleich alles Content Marketing in den Wind zu schießen?! Das sicher nicht. Aber unangefochtener King ist Content auch nicht (mehr). Am Schluss ist es wohl ein auf Basis von Erfahrungswerten individuell austarierter Mix aus Pull- und Push-Elementen in der Social Web-Kommunikation, der es macht.

  • Vergütungsumfrage im britischen Kultursektor

    Quasi als Nachtrag zum letzten Beitrag noch ein Verweis auf eine britische Vergütungsumfrage unter Kulturschaffenden (gibt’s eigentlich wirklich kein besseres Wort?!?). Diese zeigt ein ähnliches Bild wie die theaterjobs.de-Umfrage, umfasst jedoch den gesamten Kultursektor, nicht nur den Theaterbereich: Trotz in der Regel hoher Qualifikation sind Verdienst und Verdienstaussichten bescheiden. Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines britischen Kulturarbeiters beträgt knapp 20.000 Pfund (ca. 24.000 EUR) und die Befragten gehen davon aus, dass sich das auch nicht wesentlich verändern wird. So weit, so wenig überraschend. Aufschlussreicher ist das Profil des typischen Kulturschaffenden:

    The survey found the profile of a typical person participating in the arts sector is a female (Anm.: Der Frauenanteil im britischen Kultursektor beträgt gem. dieser Befragung 77%!), aged 34.5 who lives in London, is highly educated with a minimum of a undergraduate degree, and probably a post-graduate degree. (…) She is motivated not by money but by her passion for the arts and overall enjoys good job satisfaction.

    Diese Ergebnisse machen einerseits deutlich, dass Frauen nicht aufgrund struktureller Diskriminierung in der schlecht zahlenden Kulturbranche arbeiten (müssen), sondern es aufgrund von persönlicher Neigung und selbstbestimmten Entscheidungen tun. Und sie machen andererseits deutlich, dass der Gender Pay Gap damit zu tun hat, dass schlecht zahlende Branchen offenbar Arbeit zu bieten haben, die insbesondere Frauen attraktiv finden.

  • Vergütungsumfrage von theaterjobs.de

    Gerade stieß ich auf eine Vergütungsumfrage unter sogenannten «Theaterschaffenden», die es amtlich macht: am Theater wird man nicht reich – zumindest nicht reich an Geld. Durchgeführt wurde die Umfrage von theaterjobs.de. In der Auswertung werden verschiedene Berufsgruppen am Theater in Hinblick auf einige Kriterien wie den mittleren Verdienst, Einkommensunterschiede bei Männern und Frauen und selbständige und unselbständige Beschäftigungsverhältnisse untersucht. Die Ergebnisse kommentiert Sören Fenner, Geschäftsführer von theaterjobs.de, wie folgt:

    Unsere befragten Theaterleute verdienen wenig, haben unsichere Beschäftigungsverhältnisse und Frauen verdienen deutlich weniger als Männer. Gleichzeitig werden auf dieser Basis Inszenierungen produziert, die ethische Grundwerte wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Verantwortung an ihr Publikum vermitteln. Wie passt das zusammen?

    Ulf Schmidt hat diesen Widerspruch einmal mit den Worten vom «Theater als moralischer Anstalt und unmoralischem Unternehmen» auf den Punkt gebracht. Dass die Zahl der deutlich schlechter bezahlten Freiberufler in den letzten Jahren rasant gestiegen ist, passt da nur ins Bild.

    Leider lässt sich aus der Auswertung der Umfrage nicht viel mehr ablesen, als ebendiese wenig überraschenden Feststellungen. Und richtiggehend unsinnig wird es bei der Bewertung der Einkommensunterschiede von Männern und Frauen. Hier wird der gleiche Fehler gemacht wie beim Gender Pay Gap, der angeblich über 20 % betragen soll, wenn sauber gerechnet wird aber nur 2% beträgt: In der Umfrage wurde offenbar weder nach dem Arbeitspensum (Vollzeit, Teilzeit?) noch nach Hierarchiestufe und Karrierelevel (Führungs- oder Budgetverantwortung?) oder Berufserfahrung gefragt. Dementsprechend mangelt es den Zahlen an Aussagekraft. Bei den freiberuflich arbeitenden Autoren scheint die Schere besonders groß zu sein: Laut der Umfrage erhalten weibliche Autoren nur 43% des Stundenlohns männlicher Kollegen. «Negativrekord in Sachen Geschlechtergerechtigkeit» heißt es dazu. Eine Aussage, die nur Sinn ergeben würden, wenn ein und derselbe Auftraggeber diese unterschiedlichen Stundenlöhne zahlen würde. Wenn es sich zum Beispiel zeigen würde, dass weibliche Autoren eher für die freie Szene schreiben und männliche Autoren eher für die öffentlich finanzierten Häuser, dann wäre der Pay Gap schnell erklärt. Am Ende überwiegt doch der Eindruck, dass am Theater nur wenige bekommen, was sie verdienen und ein mehr oder weniger großer Teil des Lohn in Form unsicherer Hoffnung auf Selbstverwirklichung ausgezahlt wird.

  • Winterreise

    Denn das Schöne ist nichts
    als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
    und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
    uns zu zerstören.

    Rilkes Zeilen aus der ersten Duineser Elegie klingen, auf eine künstlerische Darbietung bezogen, erstmal nicht nach einem Lob. Aber eigentlich kann man einem Künstler kein größeres machen. Die Worte beschreiben für mich die perfekte Kunsterfahrung und geben eine Definition von Schönheit, die so pointiert wie vollständig ist. Ich musste an sie denken, als ich kürzlich in einem kleinen Schulsaal saß und Schuberts Winterreise hörte. Ich war mit keinen allzu grossen Erwartungen an das Kulturprogramm der Zürcher Vorstadt zu diesem Liederabend gegangen und umso mehr gefangen von der grossartigen Darbietung von Marret Winger (Sopran) und Steffen Hartmann (Klavier).

    Hartmann sagte in einer kurzen Erläuterung zu Beginn des Konzerts, dass Schubert das Gefühl der Fremdheit, das viele Menschen in unserer Zeit erleben würden, vorausgeahnt und antizipiert hätte. Mit ihrer Interpretation machten Winger und Hartmann allerdings deutlich, dass Schuberts und Müllers Werk weit über ein epochenspezifisches Lebensgefühl hinausgeht und vielmehr eine zeitlose menschliche Urangst beschreibt: Die Angst, allein zu sein, nicht gewollt zu sein, die Angst vor Sinnlosigkeit, die so tief geht, dass der Tod zur verlockenden Option wird. Zugleich zeigten sie, wie stark es sich bei der Winterreise um Zukunftsmusik handelt, wie viel Schubert hier in musikalischer Hinsicht vorausgeahnt hat, so modern, brüchig und «mahlerisch» klang manche Stelle an diesem Abend. Denn wie später Mahler entwickelt auch Schubert aus der scheinbar unverfänglichen Form des Liedes abgründige Dramen, deren Erschütterungsfaktor Rilkes Schönheitsdefinition voll und ganz entspricht.

    Im kleinen Rahmen mit ca. 40 Konzertbesuchern hat so ein Liederabend eine beklemmende Intensität. In etwa so, als würde jemand bei einem im Wohnzimmer anfangen zu singen, was fraglos eine Zumutung wäre. Und in einem guten, nicht ganz so überrumpelnden Sinne ist es das auch noch in so einem intimen Konzertrahmen, wo die Künstler und Publikum ohne trennenden Bühnenabsatz oder gar Graben auf einander treffen. Es ist ein bisschen so, als würde man im Zoo direkt ins Raubtiergehege gehen und nach dem Motto «Die haben mindestens so viel Angst vor dir, wie du vor ihnen» hoffen, das nichts passiert. Und auch wenn nichts passiert, dann wundert es einen nach einem solchen Konzert nicht, dass Schuberts Freunde verstört reagierten als er ihnen – sich selbst am Klavier begleitend – die Lieder erstmals vorspielte. Auch hier greift das Rilke-Zitat.

    Im Nachklang des Konzerts hörte ich auf spotify in verschiedene Interpretationen rein. Eine, die mich total faszinierte, ist die Aufnahme von Nataša Mirkovic De Ro und Matthias Loibner. Loibner begleitet die Sängerin, die mit wunderbar unprätentiöser und zurückgenommener Stimme singt, mit Drehleier. Dieses gebrechliche, schnarrende, klappernde, in jeder Hinsicht unzulängliche Instrument verstärkt noch einmal das Brüchige, Spröde dieses Liederzyklusses.

  • Stream a little stream…

    Christian Henner-Fehr fragt in einem aktuellen Artikel, ob die digitale Verbreitung von Opernaufführungen und anderen Kulturveranstaltungen zu einer Verdrängung der kleinen Häuser führen könnte. Er bezieht sich dabei auf einen Blogbeitrag von Michael Kaiser, der eine Handvoll Superinstitutionen entstehen sieht, die mit Hilfe von digitalen Vertriebskanälen ihre Vormachtstellung über die Region hinaus absichern und ausbauen können – zu Lasten von kleineren Häusern mit weniger Mitteln und weniger Renommee.

    Ich denke, diese Konzentration auf die grossen Häuser findet ohnehin schon statt, auch unabhängig von digitalen Verbreitungskanälen, die allerdings als Katalysator wirken. Dass große Häuser diese neuen Kanäle nutzen, zeigt eher deren bestehende Vormachtsstellung und deren Fähigkeit, für bestimmte Projekte potente Sponsoren zu akquirieren. Denn die braucht es für digitale Übertragungsangebote. Bislang ist noch keins dieser Angebote selbsttragend oder gar profitabel – zumindest in Europa, nähere Zahlen aus den USA kenne ich nicht. Zudem sind öffentlich finanzierte Einrichtungen an ihren Leistungsauftrag gebunden und müssen ihre Mittel verwenden, um diesen Auftrags zu erfüllen. Die hohen Investitionen für ein hochklassiges digitales Angebot, die aufgrund des beständigen technischen Fortschritts auch hoch bleiben, müssen deswegen durch Drittmittel gedeckt sein.

    Zu den wirtschaftlichen Risiken kommt noch die Frage der inhaltlichen Akzeptanz eines solchen Angebots. Sir Peter Jonas glaubt nicht an das Streaming. Es könne zwar funktionieren – «so wie Masturbation als Ersatz für oder Ergänzung zu Sex mit anderen funktionieren kann» – aber der Kick bleibe bescheiden, verglichen mit dem Besuch einer Opernaufführung, die echtes Risiko bedeute: von peinlich bis fantastisch sei hier alles möglich und dass man nicht genau wisse, was an diesem Abend passieren werde, mache genau den Reiz einer Live-Aufführung aus.

    Diese Einstellung hat sicher mit Jonas‘ kultureller Sozialisation und seinem Anspruch an ein kulturelles Erlebnis zu tun. Mir persönlich geht es da nicht anders. Ich finde auch, dass es kaum etwas Langweiligeres gibt, als eine Opernaufführung am Bildschirm anzuschauen. Denn den Sehgewohnheiten, die wir am Bildschirm entwickelt haben, kann eine von Opernaufführung nicht gerecht werden. Zum einen, weil die Aufführungen nicht auf die Rezeption am Bildschirm hin inszeniert werden: zuviel große Geste in Nahaufnahme, zuviel Schminke. Zum anderen aufgrund der Dramaturgie der Stoffe selbst. In der Oper werden die Situationen chronologisch erzählt und langsam entwickelt. Durch Film und Internet sind wir dagegen an eine Dramaturgie gewöhnt, die uns sehr viel Kombinations- und Assoziationsarbeit überlässt. Bildschirmgeschichten werden in der Regel anhand von kurzen, pointierten Szenen erzählt, oftmals mit verschiedenen Handlungssträngen parallel, die immer wieder unterbrochen, wieder aufgenommen, verwoben werden usw usf. Ich finde es deswegen oftmals schon ermüdend, Filme aus den 70er Jahren zu schauen, die noch ein ganz anderes Tempo haben.

    Ich glaube deswegen auch nicht so recht an die Streaming-Konzepte, zumindest nicht an die, die bezahlt werden müssen. Sie sind allenfalls für Opernfreaks interessant, die gern in der Wiener Staatsoper säßen, es aber nicht können, weil die Anreise aus Atlanta oder Taipeh nunmal zu aufwändig wäre. Für sie ist es aber wirklich nur ein Ersatz. Aussicht auf Erfolg haben m.E. solche Formate, die einen eigenen Eventcharakter bieten können. Wie die Kinoübertragungen der Met und des Royal Opera House, wo man zusammen mit anderen Oper sieht und hört. Das ist etwas zwar ganz anderes als einer Bühnenaufführung beizuwohnen; trotzdem können solche Formate einen eigenen Eventcharakter und speziellen Charme entwickeln. Sie bieten somit ein zwar anders geartetes, aber gleichwertiges Erlebnis wie eine Opernaufführung. Dabei kann der Eventcharakter sicher auch virtuell erzeugt werden, in Social Media, über die man sich in Echtzeit mit anderen austauschen kann (wie bei Fußballspielen) oder über andere Second Screen-Angebote. Aber ohne das, bleibt die Opernrezeption am Bildschirm fade.

    Für die Anbieter solcher Angebote geht es momentan wohl mehr um Image und Ausstrahlung als um neue Einnahmequellen. Denn mit solchen Angeboten kann sich die Oper volkstümlicher geben, als sie oftmals wahrgenommen wird und sie kann über die Vorreiterrolle, die mit solchen Angeboten noch verbunden ist, positive PR erzeugen. Man kann jetzt schon sehen, dass diejenigen Häuser ein internationales Image haben, die in diversen Märkten präsent sind: im Buch-, DVD- und Tonträger-Markt, im Kino etc. Image und Präsenz beflügeln sich gegenseitig. Die Aufführungsübertragungen werden dies weiter untermauern und darin besteht aktuell der Nutzen für die Häuser. Damit diese Übertragungen auch zu Einnahmequellen werden können, müssten zum einen die Leistungsvereinbarungen mit den öffentlichen Trägern angepasst werden, was langwierig genug werden dürfte. Zum anderen müsste die Darbietungsform neu erfunden werden – mit Blick auf die erzählerischen Möglichkeiten und Voraussetzungen des jeweiligen Mediums, in dem Oper gezeigt werden soll. Das ist dann eigentlich eine neue Kunstform…

  • Theater als das schlechte Gewissen der anderen

    Die Theater scheinen für die Kulturwelt das zu sein, was die Grünen in der Politik sind: das schlechte Gewissen der anderen. Diese Schlussfolgerung legt ein Fall nahe, der sich kürzlich am Burgtheater ereignete. Anlässlich des 125-jährigen Geburtstags wurde dort ein Kongress veranstaltet mit dem Titel «Von welchem Theater träumen wir?» Ein Billetteur, so nennt man in Österreich offenbar den Zuschauerdienst, verstand diese rhetorische Frage absichtlich miss und versuchte eine kurze Pause zu nutzen, um in einer kurzen Ansprache das Theater zu schildern, von dem er träumt: Eines, zu dem die Billetteure dazugehören und nicht in ein Sicherheitsunternehmen ausgelagert sind, das wohl nicht im Burgtheater, aber an vielen anderen Orten offenbar in massive Menschenrechtsverletzungen involviert ist. Auf youtube findet man den Versuch, die Rede zu halten, auf nachtkritik.de dann die schriftliche Version der Performance, die geplant war und die mehr als unglückliche Antwort des Burgtheaters darauf. Ausserdem eine Reihe von Kommentaren, in denen diese Antwort auseinander genommen wird und dem Billetteur zu seinem Mut gratuliert wird. Angesichts der Selbstgerechtigkeit, die einen aus der Erklärung der Theaterleitung anspringt, bleibt mir die Frage: Wie kommt es, dass Theater einerseits lautstark beanspruchen, unverzichtbare kritische Instanz der Gesellschaft zu sein, ihr den Spiegel vorzuhalten und so weiter und andererseits noch nicht einmal dann merken, wie schlecht vor der Tür des Glashauses gekehrt worden ist, in dem sie selbst sitzen, wenn sie mit der Nase in diesen Dreck gestossen werden. Dieser Eindruck muss ja zumindest entstehen, wenn man so wenig auf die inhaltlichen Vorwürfe eingeht. «Illusion ist immer noch das Kerngeschäft des Theaters, so sehr mir da einige widersprechen werden», schreibt Frederik Tidén. «Die Illusion des trompe l’oeil und der vierten Wand ist nur einer anderen Illusion gewichen: Der Illusion auf der richtigen Seite zu stehen.»

    Nachtrag vom 19. Oktober: nachtkritik.de führte noch ein kurzes Interview mit Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann zu dem Fall. Vielsagend ist die Antwort auf die Frage, wie sich neoliberales Geschäftsgebahren und utopisches Moment des Theaters vereinbaren lassen. Hartmann spielt der Politik den schwarzen Peter zu und verweigert jede unternehmerische Verantwortung für das Haus, das er leitet. Mit dieser Haltung haben sich Kultureinrichtungen vielleicht in den 1970er Jahren führen lassen, heute kostet sie das Theater seine (mittelfristige) Zukunft.

  • Frauenquote im Kulturbereich?

    Dass Kultur im Bundestagswahlkampf praktisch keine Rolle gespielt hat, liegt in der Natur der Kulturfinanzierung in Deutschland begründet: sie ist Kommunen- und Ländersache. Insofern verwundert es nicht, dass kaum eine der fünf (nunmehr vier) großen Parteien der Kultur mehr als zwei Seiten ihres Wahlprogramms gewidmet hat. Kulturmanagement-Network hat sich dennoch die Mühe gemacht und die Positionen in einer Serie dargestellt. Aufgrund des mauen Interesses und der geringen Bedeutung der Kulturpolitik in der Bundespolitik blieb eine Meldung fast völlig unbeachtet, die jedoch eigentlich einige grundsätzliche Überlegungen provoziert. Und zwar forderte Jürgen Trittin im Namen der Grünen eine Frauenquote für Kulturberufe. Auf den ersten Blick betrachtet hat diese Forderung zumindest mehr Sinn, als Privatunternehmen eine solche Quote aufzuzwingen. Schliesslich leben viele grosse Kultureinrichtungen von staatlichem Geld. Die Vertragsfreiheit, wie sie für private Unternehmen gilt, steht hier also ohnehin unter einem gewissen Vorbehalt politischer Zielsetzungen. Warum also nicht auch unter dem Vorbehalt einer Frauenquote?

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