Kulturvermittlung und Web 2.0 – Eine Liebe auf den dritten Blick?

Veröffentlicht von Christian Holst am

Bei diesem Blogpost handelt es sich um einen Debattenbeitrag, der im Juni 2012 auf kultur-vermittlung.ch erschienen ist. Da die Rubrik «Debatte» und damit auch der Artikel inzwischen nicht mehr online sind, veröffentliche ich ihn hier mit dem Einverständnis von kultur-vermittlung.ch erneut.

Das Web 2.0 und die klassische Kultur – das ist keine Liebe auf den ersten Blick. Noch nicht einmal unbedingt auf den zweiten. Das Social Web scheint so viele Gewissheiten des klassischen Kulturbetriebs über den Haufen zu werfen: freier Download statt Recht auf geistiges Eigentum, die Intelligenz der Masse statt Genie des einzelnen Künstlers, Zerstreuung statt Muße und Konzentration, unverbindliche Häppchenkultur statt der Bereitschaft, sich auch auf Schwieriges einzulassen.

Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man auf Facebook, Twitter und Co. nach Kultureinrichtungen sucht. Natürlich sind dort mittlerweile viele Kultureinrichtungen vertreten, aber allzu oft verstehen sie Social Media nur als zusätzliche, neue Kanäle, die mit den altbewährten PR- und Marketingbotschaften befüllt werden können. Für die Kulturvermittlung wird Social Web nur selten genutzt. Teilweise kursiert sogar die Sorge, das Internet könne Kulturvermittlung überflüssig machen. Die Kulturmanagement-Professorin Birgit Mandel spricht hier von «kulturellen Selbstbildungsprozessen» der sog. «digital natives». Ob einem Oper gefällt? – mal schnell bei Youtube gucken. Was war noch mal Impressionismus? Kurz bei Wikipedia nachschlagen, dann weiß man’s. Wenn man es so sieht, dann scheint das Web 2.0 mehr eine Bedrohung als eine Bereicherung zu sein. Bei einer Entwicklung, die aber nicht mehr aufzuhalten, sondern nur noch mit zu gestalten ist, zählt aber der Blick auf die Chancen.

Gerade wer junge Menschen ansprechen möchte, kommt an Facebook und Co. nicht mehr vorbei. Laut James-Studie 2010 haben 84% aller Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren ein Profil in einem Social Network, meist bei Facebook. Wer mit jungen Menschen kommunizieren möchte und – fast noch wichtiger – lernen möchte, wie sie kommunizieren, sollte sich auf Facebook umsehen.

Vor allem spricht aber ein inhaltlicher Grund für Kulturvermittlung im Social Web: Gute Vermittlung bedeutet, nicht nur zu belehren und zu informieren, sondern die Faszination der Kunst durch Partizipation erlebbar zu machen. Was liegt da also näher, als das «Mitmach-Web» – wie das Web 2.0 auch genannt wird – für die Kulturvermittlung zu nutzen? Es gibt erstaunlich wenige Beispiele, wo das bereits geschieht.

Eins ist das Education-Angebot des Staatsballetts Berlin. Dies umfasst natürlich Angebote für Schüler, selbst zu tanzen. Aber nicht jeder ist zum Tänzer geboren. Eine andere Möglichkeit besteht daher darin, dass die Schüler die Compagnie mit der Kamera begleiten und Filme über deren Arbeit produzieren, die sie bei Youtube einstellen. Diese Videos taugen nicht als PR-Clip, aber die jungen Filmemacher lernen aus nächster Nähe, was es heißt, ein Ballett zu erarbeiten. Und die Filme, in die sie ihre eigene ästhetische Handschrift einbringen können, verbreiten sie in ihren Netzwerken und werden so selbst zu Kulturvermittlern.

Das Social Web ermöglicht auf diese Weise «kulturelle Selbstbildungsprozesse» im besten Sinne, macht das Engagement der Fans sichtbar und multipliziert es. Eine Studie aus den USA zeigt, dass das nicht das Kunsterlebnis vor Ort ersetzt. Im Gegenteil – wer sich in den digitalen Medien mit Kunst und Kultur auseinandersetzt, wird angeregt, dies auch im Hier und Jetzt der Aufführung oder Ausstellung zu tun.

Viele Kinoromanzen leben davon, dass sich die Protagonisten zuerst nicht mögen und erst nach allerlei Wirren zueinander finden. Aber das Happy End bleibt nie aus. Warum sollte es also bei der Kultur und dem Web 2.0 anders sein?


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