Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Kategorie: Gesellschaft

  • Steingart stellt die Machtfrage

    Gesine Schwan hat kürzlich geäußert, die Demokratie könne durch die aktuelle Krise in Gefahr geraten und die Kritik, dass diese Befürchtung wohl etwas überzogen ist, ist wohl nicht von der Hand zu weisen. Oder aber man muss die Frage so zuspitzen wie Gabor Steingart in seinem aktuellen Buch «Die Machtfrage. Ansichten eines Nichtwählers» und fragen, wie demokratisch unsere Demokratie überhaupt noch ist (auch ohne Krise). Steingarts Analyse fällt recht ernüchternd aus. Er zeigt schlüssig und anekdotenreich, dass in Deutschland eben nicht das Volk regiert, sondern die Parteien, die sich in ihrer politischen Grundausrichtung praktisch nicht mehr unterscheiden. Sie sind auf ihren Machterhalt ausgerichtet, nicht auf die nachhaltige Vitalisierung der Demokratie. Steingarts Fazit: Die Demokratie erstarrt mehr und mehr und verliert, zumindest in ihrer jetzigen Form als indirekte Parteiendemokratie, ihren Rückhalt in der Bevölkerung. Zur Bundestagswahl 1972 gab es eine Wahlbeteiligung von über 91%, bei der letzten waren es nur noch knappe 78%. Das Nichtwählen ist für Steingart die einzige Möglichkeit des Wählers, seine grundsätzliche Unzufriedenheit über das System indirekte Parteiendemokratie auszudrücken.

    Das Buch liest sich wie ein sehr langer Stern-Artikel, auch wenn Steingart eigentlich für den Spiegel schreibt: locker-flockig, pointiert, aber recht oberflächlich. Es ist eine wohlkalkulierte Provokation, um jetzt vor der Bundestagswahl in möglichst viele Talkshows eingeladen zu werden. Nichtsdestotrotz ist es eine wichtige Debatte, in die Steingart mit diesem Buch einsteigt und die er damit popularisiert. Denn so geeignet die Parteiendemokratie für Deutschland nach dem 2. Weltkrieg war, so wenig zeitgemäß ist sie heute noch, wo Deutschland bewiesen hat, dass es Demokratie kann. Jetzt steht es an, eine neue, direktere demokratische Kultur in Deutschland und Europa zu entwickeln.

    Eine detaillierte Kritik zum Buch gibt’s beim Spiegelfechter.

  • Kultur ist eben doch Luxus

    Kürzlich hörte ich ein Interview mit Hortensia Völkers, der Geschäftsführerin der Kulturstiftung des Bundes, in dem es u.a. um die Frage ging, warum die traditionellen Kultureinrichtungen so wenig junges Publikum haben. Völkers meinte, ein Problem läge darin, dass junge Leute in der Schule nicht mehr vermittelt bekommen, ins Theater, ins Konzert, ins Museum zu gehen.

    Diese Diagnose ist sicher nicht falsch und der Grund dafür, warum ein Education-Programm mittlerweile in den Werkzeugkasten eines jeden Intendanten gehört. Ich glaube aber, dass sie unvollständig ist. Denn das Hauptproblem der traditionellen Kultureinrichtungen ist eher ein strukturelles. Die Anzahl der kulturellen Angebote ist in den letzten Jahren immens gestiegen oder, aus Sicht der Kultureinrichtungen formuliert, die Konkurrenz hat stetig zugenommen. Das wiederum führt dazu, dass die Rezipienten anspruchsvoller und exklusiver in ihrem Geschmack geworden sind. Durch die Verfügbarkeit kultureller Inhalte im und via das Internet, greift auf hier das Long-Tail-Prinzip, d.h. Rezipienten finden ihre Nischen und das ganz speziell auf ihren individuellen Geschmack abgepasste Angebot. Dadurch, dass ein großer Teil des Angebots nicht direkt ersatzweise, sondern zusätzlich rezipiert wird – mobile Endgeräte machen es möglich – vollzieht sich dieser Strukturwandel immerhin allmählich.

    Ein weiteres Problem der traditionellen Kulturangebote ist, dass sie über nicht massentaugliche Medien vermittelt werden. Das macht sie teuer. Die Kosten, die die Aufführung eines Theaterstücks verursacht, umgelegt auf die Anzahl der Personen, die es sehen, sind weit höher als die der Vorführung eines Blockbusters. In dem einen Fall erreicht man üblicherweise einige tausend Leute, in dem anderen Fall einige Hunderttausende oder sogar Millionen. Wo es dem Film nicht reicht, fließen auch für ihn öffentliche Förderungen. (Dass dieses Argument allein nicht trägt, sieht man daran, dass Fernsehen und Zeitschriften auch mit rückläufigen Zuschauer- bzw. Leserzahlen zu kämpfen haben, obwohl dieses Problem für sie nicht, oder weit weniger gelten dürfte.)

    Und schließlich, diesen Gedanken formuliere ich hier nicht zum ersten Mal, streben Theater, Museen, Orchester und andere Einrichtungen eine permanente inhaltliche Erneuerung mit recht begrenzten, anachronistischen Mitteln an – Museen haben da noch die besten Möglichkeiten. Insgesamt setzt das der Kreativität und Originalität aber enge Grenzen. Im Fall Theater: Das Gros der Inszenierungen, die es auf deutschen Bühnen zu sehen gibt, sind verzweifelte Verdrängungsversuche dieser banalen Erkenntnis.

    Für die meisten traditionellen Kultureinrichtungen heißt das über kurz oder lang, wenn man sie am Leben hält, dann deshalb, weil sie «Weltkulturerbe» sind oder solches ent- und erhalten. Antje Vollmer hat vor einiger Zeit mit dem Vorstoß, die deutsche Theaterlandschaft zum Weltkulturerbe zu erklären, viel Schimpf und Spott abbekommen, obwohl es genau darum geht. Die Erfahrung in anderen, ebenfalls durchaus kulturbeflissenen Ländern zeigt, dass man nie im Leben so viele Theater braucht, wie Deutschland hat. Wenn man so viele Theater hat, dann weil man es will und weil diese Tatsache an sich etwas Besonderes ist. Das ist eine normative Entscheidung, die man wie Armin Klein «strukturkonservativ» schimpfen mag. Allein, die Möglichkeiten der inhaltlichen Weiterentwicklung, der permanenten Selbstrechtfertigung sind zu klein, als dass Theater, Orchester oder Museen aus sich heraus ihren Fortbestand sichern könnten. Auch wenn es keiner hören mag: sie sind strukturkonservativ, sie sind Museen (ja, auch die Theater!). Das wird in den kommenden Jahren mehr und mehr deutlich werden und sich immer mehr in der Frage zuspitzen: Wie viel alte Kultur wollen wir noch? Kultur ist entgegen anders lautender populärer Slogans zumindest in dieser institutionalisierten Form eben doch ein Luxus.

  • Online-Petition fürs Grundeinkommen

    Mit direkter Demokratie hapert es in Deutschland ja noch ziemlich. Immerhin kann man aber auf der Website des Bundestages online Petitionen einreichen. Wenn die ein Quorum von 50.000 Stimmen erreichen, werden sie im Petitionsausschuss des Bundestages öffentlich beraten und der Petitionsinitiator («Petent») bekommt Gelegenheit, seine Petition dort zu begründen. Noch bis zum 10.2.09 kann man eine Petition für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens mitzeichnen. Eine kurze Registrierung genügt. Obwohl diese Petition aktuell mit Abstand die meisten Stimmen hat, ist sie noch weit vom Quorum entfernt. Also: mitmachen und weitersagen!

  • Kulturimpuls Grundeinkommen

    In letzter Zeit war es etwas still geworden um die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Doch der Einbruch der Wirtschaft bedeutet einen konjunkturellen Aufschwung für diese Idee. Ich wäre zwar vorsichtig mit der mitunter zu hörenden Diagnose, dass der Kapitalismus jetzt gescheitert sei, dennoch gibt die aktuelle Lage durchaus Anlass, über gesellschaftspolitische Alternativen nachzudenken. Götz Werner, vermutlich der prominenteste Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens, hat es vergangenen Sonntag sogar in die Runde bei Anne Will geschafft. Die Sendung gibt es übrigens als Livestream oder als Podcast.

    Seit einiger Zeit gibt es auch einen ausgesprochen sehenswerten Film, der die Idee des Grundeinkommens mit sehr plausiblen Argumenten propagiert. Vom Flaschclip bis zum DVD-Paket gibt es den Film in verschiedenen Versionen zum kostenlosen Download auf kultkino.ch. Interessant und neuartig an der Idee des Grundeinkommens finde ich, dass sie weit mehr als ein politisches Konzept ist, um soziale Missstände zu beheben. Vielmehr versteht sich diese Idee als Kulturimpuls. Was der Unterschied ist, springt schnell ins Auge, wenn man Götz Werner neben ein paar Politikern reden hört, die sich sofort in realpolitischem Hickhack die Köpfe heiß reden. Obwohl Werner sich hier als Lobbyist noch sehr zurückhält.

  • Drohkulisse demografischer Wandel

    Im Rahmen der allgemeinen Reformitis, die ja mittlerweile auch den Kulturbereich zu infizieren droht, darf auch der demografische Wandel als Drohkulisse nicht fehlen. Viele Einrichtungen treibt die Angst um, dass ihnen in den nächsten 20 Jahren das Publikum wegsterben werde. Deswegen schießen aller Orten so genannte Education-Programme aus dem Boden, die die Kartenverkäufe von morgen sicher stellen sollen. Abgesehen davon, dass es natürlich überhaupt nicht schadet, gute Kulturangebote für Kinder und Jugendliche zu entwickeln und das Interesse, das in diesem Alter geweckt wird, sicher am nachhaltigsten ist, frage ich mich aber, auf welcher empirischen Grundlage man hier agiert. Gibt es hierzu wirklich fundierte Zahlen, an denen nichts zu deuteln ist? Würde mich sehr interessieren.

    Grundsätzlich ist es ja durchaus plausibel, dass vor allem ältere Menschen Kultureinrichtungen besuchen. Junge Menschen wissen mit einer speziellen Szene- oder Subkultur in aller Regel mehr anzufangen, als mit traditioneller Kultur. Die Schlussfolgerung, die traditionellen Kultureinrichtungen müssten dann eben hier andocken, halte ich für ebenso falsch, wie die des Musiklehrers, mit der 9. Klasse mal einen Bushido-Song zu analysieren. Da macht man sich nur lächerlich. Berufseinsteiger, die sich im Job beweisen müssen, sind auch keine ideale Zielgruppe für zusätzliche emotionale und intellektuelle Herausforderungen am Feierabend. Junge Eltern haben dann weder den Nerv, noch die Zeit, noch das Geld regelmäßig das Theater oder die Oper zu besuchen. Bleiben die älteren Menschen über 45 übrig, die mittlerweile lokal verankert sind, entsprechend verdienen, sich weder beruflich noch privat die Hörner abstoßen müssen und daher einem anspruchsvollen Freizeitvergnügen gegenüber aufgeschlossen sind.

    Auch das ist freilich nur eine Hypothese, aber vielleicht plausibel genug, um nicht in Panik auszubrechen, weil man im Konzert- oder Theatersaal vor allem die sogenannten Best oder Silver Agers zu Gesicht bekommt. Jenseits von Vermutungen kann man sich eigentlich nur bewegen, wenn deutschlandweit über Jahrzehnte hinweg eine einheitliche Studie durchgeführt würde, die über die demografischen Entwicklungen unter den Besuchern Aufschluss gäbe. Untersuchungen, mit je unterschiedlichem Forschungsdesign, die je spezielle kulturelle Milieus oder Traditionen betrachten, sollten zumindest mit größter Vorsicht genossen werden.

    Also bemüht man sich als öffentlich finanzierte Kultureinrichtung weiterhin (wie man es unabhängig von vermeintlich alarmierenden Studien sowieso tun sollte), ein umfassendes Kulturangebot zu machen, bei dem Kinder und Jugendliche die Faszination der jeweiligen Kunstgattung erfahren können und junge und mittelalte Erwachsene ebenso auf ihre Kosten kommen wie die langjährigen treuen Abonnenten jenseits der 60.

  • NPO-Blogparade: Selbstbestätigung durch Finanzkrise

    »Keine Panik. Das ist schon wieder nicht das Ende« titelt die aktuelle Brandeins zur Finanzkrise und bietet damit eine treffende Einschätzung und sinnvolle Handlungsempfehlung. Denn die Panik ist ja nicht nur Folge der Krise, sondern – zumindest zum Teil – auch deren Ursache. Gerade dadurch ist die Krise nicht auf den Finanzsektor beschränkt geblieben, sondern hat gesamtwirtschaftliche Auswirkungen, deren Ausmaß für mich als Laien nicht abzusehen ist, die früher oder später aber natürlich auch die NPOs und Kultureinrichtungen treffen können. Insbesondere solche, die verstärkt auf die viel gepriesenen kurzfristigen, projektorientierten Finanzierungsformen wie Sponsoring, Fundraising und Fördergelder gesetzt haben. Was das im Einzelnen bedeuten könnte könnte, haben Karin Janner und Brigitte Reiser bereits im Rahmen der NPO-Blogparade dargestellt.

    Wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann kürzlich bemerkte, ist die Lage für öffentlich finanzierte Kultureinrichtungen grundsätzlich weniger dramatisch, da ihre Finanzierung mit öffentlichen Mitteln stabiler, langfristiger und nachhaltiger ist. Eine Chance, die ich daher in der Finanzkrise sehe, besteht in einem klaren, selbstbewussten Bekenntnis zu dem deutschen Kulturmodell mit breiter öffentlicher und damit relativ krisensicherer Finanzierung. Anstatt wie Armin Klein radikales Umdenken einzufordern und das angeblich so viel besucherorientiertere, unbürokratischere, visionsgeleitete amerikanische Kultursystem als Modell der Zukunft zu verklären, können wir uns ruhig mal darüber freuen, doch erstaunlich viele und grundlegende Dinge richtig gemacht zu haben und den scheinbar typisch deutschen Selbstzweifel und -hass durch die scheinbar typisch amerikanische Selbstgewissheit ersetzen. Besser werden zu wollen, ist natürlich nach wie vor erlaubt.

  • Wir sind besser als Armin Klein glaubt

    Bücher, die in dramatischer Weise gesellschaftliche Missstände aufzeigen und schonungslos Reformen fordern haben seit einiger Zeit Konjunktur: Gabor Steingart, Hans Werner Sinn, Meinhard Miegel, Paul Kirchhoff usw. Da konnte es nicht ausbleiben, dass sich früher oder später eine Kassandra zu Wort melden würde, um auch dem deutschen Kulturbetrieb als solchem gehörig die Leviten zu lesen und ein tiefgreifendes Umdenken zu fordern. Die Rede ist von Armin Kleins Buch Der exzellente Kulturbetrieb.

    Diesen Büchern ist gemein, dass sie allesamt auf wenigen, immergleichen Mantren beruhen, die in jeweils verschiedenen Abwandlungen lauten: zuviel Staat, zuviel Regulierung und Bürokratie, zu wenig Eigenverantwortung und Eigeninitiative, verbitterte Besitzstandswahrung aller Orten, weiterwurschteln ohne Ziel und Vision. Um es vorweg zu nehmen, es ist die größte Schwäche von Kleins Buch, sich unreflektiert dieser Reformrhetorik zu bedienen.

    Schenkt man Klein Glauben, ist die deutsche Kulturlandschaft mittlerweile so verkorkst, dass nur noch ein harter, sauberer Schnitt und ein Neustart bei Null hilft. So besteht das erste Kapitel mit dem Titel »Zeit, dass sich etwas bewegt« in einer Auflistung all der Probleme, mit denen Kultureinrichtungen angeblich und tatsächlich zu kämpfen haben. Diese Bestandsaufnahme ist bereits höchst fragwürdig, weil Klein sich fast ausschließlich auf Zeitungsartikel (immerhin niveauvoller Zeitungen wie der FAZ und der Zeit) beruft (S. 16ff.), wissenschaftliche Studien aus zweiter Hand zitiert (z.B. S.21) und andere Wissenschaftler streckenweise aus der Sekundärliteratur zitiert werden (z.B. Luhmann, S. 47). Weiter geht es mit begrifflichen Unklarheiten. Klein spricht zum Beispiel von Subventionen für öffentliche Kulturbetriebe, später von Kultur als meritorischem Gut, d.h. als Leistungen, die auf Basis eines gesellschaftlichen Konsenses öffentlich finanziert werden. Dass öffentliche Finanzierung und Subvention jedoch zwei grundsätzlich verschiedene Dinge sind, wird deutlich, wenn man von staatlichen Subventionen für das Schulwesen oder die Polizei spricht. Klingt unsinnig, eben weil es keine Subventionen sind. Rein aus solchen formalen Gründen sind schon mal schwere Bedenken bei der Seriosität der Analyse anzumelden.

    Für den in Kleins Augen unumgänglichen Neustart empfiehlt er Kulturbetrieben zunächst einmal, Vision und Mission zu formulieren. Das heißt für ihn zum einen zu klären, wohin wollen wir uns entwickeln? (Vision) und zum anderen klar zu kriegen, warum gibt es uns heute? (Mission) Die Einschätzung, dass es ein gravierendes Problem im Kulturbereich gibt, weil diese Fragen oftmals nicht ausreichend beantwortet sind, kann ich nicht teilen. Die Aufgabe eines Stadttheaters (anhand dessen Beispiel Klein das Vorgehen deutlich macht) oder Landesmuseums ist in aller Regel klar umrissen und langfristig definiert. Da sich solche Einrichtungen nicht in einer hochdynamischen Konkurrenzsituation mit anderen Wettbewerbern befinden, lässt sich zudem die für private Unternehmen geltende Logik nicht ohne Weiteres auf öffentliche Kulturbetriebe übertragen.

    Überhaupt wird allzu oft die Marktlogik umstandslos auf den Kulturbereich angewandt und Methoden und Instrumente aus der BWL propagiert, die dort auch nicht mehr der letzte Stand der Forschung sind oder für Kulturbetriebe gar nicht sinnvoll greifen. Während Klein z.B. im Rahmen der strategischen Neuausrichtung die gute alte Situations- und SWOT-Analyse empfiehlt, wären gerade für gesellschaftlich stark verpflichtete und vernetzte Einrichtungen, wie Kulturbetriebe es sind, neuere, systemische Methoden und ganzheitliches Management mit Auswertung über Balanced Scorecards wesentlich sinnvoller.

    Das gleiche Problem im Kapitel »Konsequente Besucherorientierung«, wo das klassische Marketingmodell der BWL ohne weiteres auf den Kulturbereich übertragen wird, ungeachtet der Tatsache, dass zum Beispiel für die Preispolitik oftmals gänzlich andere Regeln gelten und ungeachtet der Tatsache, dass dieses Modell auch längst nicht mehr unumstritten ist. Überhaupt könnte man sich wünschen, dass ein kulturell beleckter Autor zunächst einmal den Begriff des Marketings für den Kulturbereich ganz grundsätzlich kritisch reflektiert. In dieser Hinsicht sehr empfehlenswert sind die Bücher von Peter Bendixen.

    Im Kapitel »Die lernende Kulturorganisation« beklagt Klein die überbordende Bürokratie in Kultureinrichtungen und kritisiert, dass Theater und Museen, die ja oftmals als nachgeordnete Behörden oder Regiebetriebe organisiert sind, nach Behördenlogik arbeiten und nicht der Logik ihrer speziellen Aufgabe folgen würden. Eine erstaunliche Feststellung für jemanden, der selbst am Theater gearbeitet hat. Gerade hier ordnen sämtliche Abteilungen (abgesehen vielleicht von der Lohnbuchhaltung) ihre Arbeitsweise der Logik des Betriebs unter: »Dienst nach Bedarf« ist das Motto für fast alle Mitarbeitergruppen, nicht »Dienst nach Vorschrift«. Sonst wären Nacht- und Wochenendarbeit für Künstler, Leitungsteam, Technik und Werkstätten eben so wenig eine Selbstverständlichkeit wie Überstunden für termingerechte Fertigstellung von jeweils individuell gefertigten Bühnenbildern und Kostümen.

    Die Liste ließe sich ohne Weiteres fortsetzen. Kulturmanagement sollte sich in meinen Augen jedoch davor hüten, einfach eine BWL für Kulturbetriebe zu sein, vielmehr eine um eine kulturelle Dimension erweiterte BWL, die nicht nur für Kultureinrichtungen stimmt, sondern alle Bereiche des Wirtschaftslebens bereichern kann. Wer regelmäßig Brand eins liest (aktuell mit einem wirklich witzigen Titel!), sollte wissen, was ich meine. Erfolgreiches, nachhaltiges, modernes Management braucht immer eine kulturelle Dimension. Das sollte das Kulturmanagement zu allererst begreifen. Das diesbezügliche Reflexionsniveau in Kleins Buch ist dürftig, die erwähnten Bücher von Bendixen zeigen, dass und wie es anders geht.

    Darüber hinaus ärgert mich, dass Klein mit zeitgeistiger Reformrhetorik die deutsche Kulturlandschaft schlechter macht, als sie ist. Sie ist einzigartig in ihrer Vielfalt und ihrer Leistungsfähigkeit, bei allen unbestreitbaren Herausforderungen und Problemen. Eine Antwort auf die oben erwähnten Bücher von Kirchhoff, Sinn und Co. ist Peter Bofingers Wir sind besser als wir glauben. Das sollte auch die Antwort der Kulturmanager auf Kleins Buch sein!

  • Staatsziel Kultur

    Gerade ist das Staatsziel Kultur am Bundesrat gescheitert. 2005 hatte die Enquete-Kommission Kultur in Deutschland vorgeschlagen, den Artikel 20, der die rechtliche Grundordnung Deutschlands definiert, um einen Absatz b zu erweitern mit dem Wortlaut: »Der Staat schützt und fördert die Kultur«. Einen konkreten Vorteil hätte das allerdings niemandem gebracht. Sinn und Zweck dieses Artikels wäre es allein gewesen, dass Künstler, Intendanten und Direktoren jedes Mal lautstark einen Verfassungsbruch hätten anprangern können, wenn wieder einmal irgendwo ein Kulturetat zusammengekürzt wird, freilich ohne durch diesen Artikel eine rechtliche Handhabe gegen die Kürzungen zu haben. Insofern ein völlig überflüssiger Artikel.

    Was Kunst und Kultur von staatlicher Seite aus brauchen, ist schon über Artikel 5, Abs. 3 gesichert, nämlich die Freiheit der Kunst. Dieser Artikel schützt die Kunst gegenüber politischer Willkür und ist die argumentative Grundlage für die öffentliche Finanzierung von Museen, Theatern, Orchestern, Filmen usw. Weiter sollte sich der Staat nicht in kulturelle Angelegenheiten einmischen. Sich schützen und fördern muss die Kultur schon selbst, indem sie sich aus inhaltlichen Gründen unverzichtbar macht. Wo der Schutz und die Förderung aus formalen, d.h. juristischen Gründen erfolgen muss, liegt der Verdacht nahe, das Geld könne eigentlich anderswo besser ausgegeben werden.

  • Streit um Künstlersozialkasse

    Ähnlich wie die Erwerbsunfähigenversicherung der Rentenreform von 2001 sollte jetzt offenbar die Künstlersozialkasse klammheimlich dem allgemeinen Bürokratieabbau geopfert werden. So heißt es zumindest in einer alarmierenden Meldung des Deutschen Kulturrats. Für freiberufliche Künstler wäre das tatsächlich äußerst bitter gewesen, schließlich übernimmt die KSK sozusagen den Arbeitgeberanteil an den Sozialbeiträgen und macht sie damit für Freiberufler und Selbständige mit einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von knapp über 1.000 Euro im Monat halbwegs bezahlbar. Besser verdienende Künstler und Agentur-Inhaber hingegen hätte es gefreut, weil sie in der Regel mit einer privaten Absicherung günstiger weg kommen – zumindest zwischenzeitlich. Der anschauliche offene Brief auf dieser Kampagnenseite ist sehr lesenswert, weil er zeigt, dass es tatsächlich manche Ungereimtheit und Ungerechtigkeit im KSVG (Künstlersozialversicherungsgesetz) gibt. Auch die Antwortbriefe verschiedener Parteien sind aufschlussreich zu lesen. Interessanterweise schlägt sich sogar die FDP auf die Seite der minderbemittelten Künstler.

    Jedenfalls zeigt der Widerstand des Kulturrats Wirkung: Jetzt will es keiner gewesen sein und man wiegelt ab, dass es sich bloß um »Missverständnisse auf Arbeitsebene« (Böhrnsen) gehandelt habe. Aber einen Versuch war es offenbar wert.

  • Deutsches Kulturleben in Zahlen

    Vor kurzem hatte ich bereits per Twitter auf eine Studie des Statistischen Bundesamtes zum deutschen Kulturleben verlinkt. Inzwischen habe ich da auch mal reingeguckt und ein paar griffige Kennzahlen über Kulturrezeption in Deutschland herausgepickt:

    • Die Deutschen lassen sich ihr Kulturleben 8 Mrd. EUR im Jahr kosten, das sind 1,6% des gesamten Haushalts und 97,10 EUR pro Person im Bundesschnitt. Sachsen ist in dieser Hinsicht das spendabelste Bundesland und gibt pro Person und Jahr 155,40 EUR für Kultur aus. Das heißt aufgeschlüsselt:
    • 137 Mio. Kinobesuche, d.h. 1,7 pro Bundesbürger und Jahr,
    • 434 Mio. Entleihungen in Bibliotheken (d.h. 5,3 pro Bundesbürger und Jahr),
    • 102,6 Mio. Museumsbesuche, d.h. 1,2 pro Bundesbürger und Jahr
    • 34,8 Mio. Theaterbesuche, d.h. 0,4 pro Bundesbürger und Jahr, Tendenz übrigens rückläufig.
    • 870.000 Menschen arbeiten in Kulturberufen, 31% mehr als 1997.
    • Interessant ist auch, dass die drei Stadtstaaten kulturell immer ganz vorne mit dabei sind. 7,5% der Erwerbstätigen in Berlin sind im Kulturbereich beschäftigt, in Hamburg sind es 5,9%, in Bremen 3,1%. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 2,3%.
    • Bei den Theaterbesuchen pro 1.000 Einwohner liegt Hamburg mit 2.380 vorne – Stage Entertainment dürfte daran wesentlich mitschuldig sein; es folgen Bremen mit 920 (erstaunlich!) und Berlin mit 910. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 420.

    Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2006.