Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Kategorie: Gesellschaft

  • Verschärft

    Anstatt sich der etwas beschränkten Befürchtung hinzugeben, es könnte sich das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte 1:1 wiederholen, wenn man nicht absolut wachsam ist, sollten die selbsternannten Wächter der Demokratie lieber bei einigen Vorschlägen genauer nachhaken, die deutsche Bundesminister zur Zeit von sich geben. Hier wird natürlich nicht mit Ermächtigungsgesetzen o.ä. operiert, deswegen liegt die Zweifelhaftigkeit dieser Vorschläge vielleicht nicht ganz so sehr auf der Hand. Die Einschränkung von Grundrechten – sei es z.B. aus Gründen der inneren Sicherheit oder der Kostenkontrolle im Gesundheitswesen – geschieht subtil und schleichend, ist deswegen mittelfristig aber vielleicht viel gefährlicher. Auf jeden Fall ist hier, anders als in vielen anderen Fällen, eine ernsthafte Debatte zu führen.

    Im Zusammenhang mit der Verschärfung der Sicherheitsgesetze wird immer wieder auf ein aufschlussreiches Phänomen verwiesen, das einem zu denken geben sollte: Ein Frosch, der in heißes Wasser geworfen wird, versucht, dort so schnell wie mögich wieder herauszukommen. Logisch. Setzt man ihn jedoch in kaltes Wasser und erwärmt dieses ganz allmählich, dann bleibt er einfach sitzen, bis er stirbt. Er bemerkt die Bedrohung nicht.

  • Mehr Demokratie

    Wenn man einen Aktionstag für Birma macht, dann kann man sich angesichts des Anlasses über die deutschen Verhältnisse natürlich nicht beklagen. Schließlich heißt es deutschen Grundgesetz »Alle Macht geht vom Volke aus«. Das klingt nach lupenreiner Demokratie. Aber wenn man genau liest, dann impliziert dieser Satz auch, dass das Volk keinen Einfluss mehr darauf hat, wo es mit der Macht eigentlich hingeht. Wer ist denn zum Beispiel so naiv zu glauben, Friedrich Merz sei ein Volksvertreter?

    Ein geeignetes Gegenmittel wären da meines Erachtens Volksentscheide, wie sie in der Schweiz üblich sind. Volksentscheide sind ein gutes Mittel gegen selbstherrliche Eliten und Politiker und damit auch gegen Politikverdrossenheit. In Deutschland stößt dieser Vorschlag merkwürdigerweise häufig auf Ablehnung, weil man meint, dass dann ja die Bildzeitung das Land regieren würde. Mal abgesehen davon, dass 11,5 Mio. Bildleser weder allesamt zwingend auch die Meinung des Blattes vertreten, noch eine entscheidungsfähige Mehrheit darstellen würden, ist das im Kern eine undemokratische Aussage. Denn Demokratie heißt auch, dass sich einfältige Meinungen von Leuten durchsetzen können, die zum Beispiel zu blöd sind zu verstehen, warum Hartz IV oder andere Reformen Deutschland fit für die Zukunft machen sollen. Das sind dann die Kollateralschäden der Demokratie. Die Herrschaftsform, in der (Bildungs-)Eliten, Fachleute und Experten entscheiden, nennt man übrigens nicht Demokratie sondern Aristokratie, denn das bedeutet: Herrschaft der Besten. De facto gibt es in Deutschland also eine demokratisch legitimierte Aristokratie.

  • Im Namen des Vaters, des Sohnes und der Boston Consulting Group

    Als Y. sein Konzept von der Boring Church entwarf, das mich übrigens auf Anhieb überzeugt hat, guckte ich spaßeshalber mal bei Wikipedia nach dem Stichwort Kirchenmarketing. Ich war ziemlich erstaunt, als ich dann einen längeren Beitrag dazu fand mit etlichen Literaturangaben. Vermutlich ist es nur noch eine Frage von Wochen oder höchstens Monaten, bis es auch den ersten Lehrstuhl (vielleicht eine Stiftungsprofessur von Deichmann?) und dann wenig später den ersten Aufbaustudiengang zu diesem Thema gibt. Aber damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht in Sicht.

    Auf der gestrigen Bahnfahrt nach Bremen hörte ich nämlich ein Gespräch mit Andreas von Maltzahn, frisch gebackener Bischof der Landeskirche Mecklenburg, der u.a. über seine Vorbehalte gegen Taufquoten sprach. Ich hielt das für einen Scherz, aber offenbar gibt es die Tendenzen tatsächlich, auch die (geistliche! nicht nur die administrative) Arbeit der Kirche nach betriebswirtschaftlichen Kennziffern zu bewerten. Dann kommt sicher auch bald die leistungsbezogene Vergütung für Pastoren und die DIN ISO-Zertifizierung für geistliche Dienstleistungen.

    Wenn das so weiter geht, dann wird das die Chance für die Boring Church. Allerdings sollte man die Ideen mit dem Branding (»Es ist öde hier!«) gleich wieder fallen lassen, sonst tappt man früher oder später in die gleiche Falle.

  • Braunes Wording

    Wie gut, dass es so viele wachsame Demokraten mit Rückgrat gibt. So lassen wir uns weder von Wagners Deutschtümeleien einlullen noch von Rudolf Steiner eine rassistische Irrlehre aufschwatzen, noch von Eva Herman erzählen, dass bei den Nazis nicht alles schlecht war und auch nicht von Kardinal Meisner sagen, wann Kunst »entartet« ist.

    In meinen Augen ist die Aussage des Kardinals die Empörung gar nicht wert. Nicht, weil ich es gut oder richtig fände, diese oder jene Kunst als »entartet« zu brandmarken, sondern weil sich kein Schwein für Meisners Aussage interessiert hätte, wenn er nicht das Nazi-Wort benutzt hätte. Inhaltlich entspricht seine Aussage genau dem, was man von einem konservativen katholischen Geistlichen erwartet. Aber kaum hören die unerschrockenen Mahner das Wort »entartet«, sind sie alle zur Stelle und überbieten sich gegenseitig in wohlfeiler Empörung. Meine Güte!

    Siehe dazu auch meine Diskussion mit Christian Henner-Fehr.

  • Immer noch Sommerloch

    Nachdem Katharina Wagner sich im Sommer mit ihrer Meistersinger-Inszenierung über Hans Sachs‘ Schlussansprache aufgeregt hat, und damit zum 42.345. Mal die »unbequeme« Frage nach Wagners Nähe zum Nationalsozialismus gestellt hat, ist jetzt mal wieder Rudolf Steiner dran.

    Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat nämlich gerade überlegt, zwei seiner Bücher auf den Index zu setzen, wegen angeblich rassistischen Inhalts. Den Jugendlichen hätte ich gerne mal gesehen, der »Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie« und »Geisteswissenschaftliche Menschenkunde« liest und wegen ein paar zweifelhafter Stellen zum rassistischen Hassprediger wird. Jetzt ist das Thema aber vom Tisch, weil der Rudolf-Steiner-Verlag zugesichert hat, einen kritischen Kommentar in die Neuauflage aufzunehmen. Hoffentlich werden die minderjährigen Steiner-Jünger diesen Kommentar genauso gründlich lesen wie die Bücher selbst und sich auf diese Weise vor ideologischer Desorientierung schützen. Tsss!!

    P.S.:Wer an einer differenzierten Bewertung der fraglichen Stellen interessiert ist – jenseits der tendenziösen Berichterstattung z.B. des Spiegelsklicke hier. Fazit:

    Die Zahl der Seiten, auf der Aussagen vorkommen, die als diskriminierend erlebt werden können, umfaßt weniger als ein Promille der gut 89.000 Seiten umfassenden Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe. Anthroposophie und Sozialdarwinismus widersprechen sich. Unterstellungen, Rassismus wäre der Anthroposophie inhärent oder Steiner wäre in konzeptioneller Hinsicht ein Wegbereiter des Holocaust, haben sich als kategorisch unrichtig erwiesen. Die Kommission kommt zu der festen Überzeugung, dass Rudolf Steiner im Vergleich zu anderen Vorkriegsautoren und Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts (etwa Hegel oder Albert Schweitzer) das Opfer selektiver Entrüstung geworden ist.

  • Im Supermarkt die Seele retten

    Nachdem ich mich neulich als Vertreter des LOHAS outete, brachte Y. noch den LOVOS (Lifestyle Of VOluntary Simplicity) und den Karmakonsum ins Spiel, wenn man so will die fundamentalistischen Varianten des LOHAS. Auf jeden Fall ist das eine ganz interessante Sache. Denn war es nicht eine zeitlang eine beliebte These, dass der Kapitalismus in unserer Zeit zur neuen Religion würde? Jetzt scheint sich eine Synthese zu vollziehen und der Kapitalismus bekommt ein geradezu spirituelles Element.

    Übrigens gibt es auch noch die DINKYs (Double Income No Kids Yet), zu denen ich mich bzw. unseren Haushalt auch zählen könnte. Es klingt zwar vielleicht etwas besser als LOHAS (obwohl…?), aber es verrät nicht, dass man ein guter Mensch ist. Also lieber LOHAS.

  • Voll im neuen Öko-Trend

    Wenn man einen Kühlschrank mit Energieeffizienzklasse A++ kauft (was wir gerade gemacht haben), bekommt man 50 Euro von den SWB auf die Stromrechnung gutgeschrieben. Allerdings verstehe ich das nicht so ganz, denn die SWB sind eine Aktiengesellschaft. Da können sie doch kein Interesse daran haben, dass ihre Kunden sparsam sind. Uns kann es natürlich nur recht sein.

    Auf jeden Fall mutieren wir gerade zu richtigen Lohas: A++-Kühlschrank, Mitgliedschaft beim Ökosupermarkt, fehlt eigentlich nur noch das Hybrid-Auto. Meine Klamotten kaufe ich nämlich neuerdings auch ökologisch und ehtisch korrekt bei Fairtragen, einem kleinen Geschäft bei uns um die Ecke, das auch auf den neuen Öko-Trend setzt. Bislang brummt es da noch nicht so, was schade ist, denn der Laden ist wirklich nett.

  • Bedingungsloses Grundeinkommen

    Im letzten Eintrag habe ich mich etwas über selbst ernannte Querdenker aufgeregt. Eine Ausnahme mache ich bei Götz Werner und seiner Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen. Die Idee ist zwar vielleicht nicht realisierbar und nicht finanzierbar und hätte praktisch umgesetzt möglicherweise verheerende Folgen, aber sie ist mal tatsächlich originell und nicht banal, wie Lotters Eigenverantwortungs-Bullshit. (Ja, ja, neues Lieblingswort!)

    Mir gefällt der Gedanke. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen im Hintergrund ergibt auch das zeitgeistige Gerede von »Mehr Eigenverantwortung«, »Mehr Freiheit« und »Mehr Leistungsbereitschaft« einen Sinn. Der Ruf nach umwälzenden Veränderungen ist immer schnell getan und anzunehmen, dass nach diesen Veränderungen wirklich alles besser ist, ist wohl ausgesprochen naiv. Aber an der Idee des Grundeinkommens gefällt mir, dass sie den Menschen etwas zutraut und dass sie überhaupt auf einem Menschenbild fußt und nicht auf rein ökonomischen Vorstellungen. Sie ist allein deswegen besser als Forderungen nach (Bullshit-Alarm!:) Flattaxes, Privatisierung und niedrigen Lohnnebenkosten.