Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Kategorie: Musik

  • Diva im Badeanzug

    Der Weser-Kurier stellte gestern in einem Bericht über die Midem 08 fest, dass der Klassikmarkt zunehmend nach den Mechanismen des Popmarktes funktioniert. Das künstlerische Fliegengewicht Anna Netrebko lässt grüßen. Die Gefahr sei, so der Weser-Kurier, dass Künstler verheizt würden. Die andere Gefahr, die nicht erwähnt wurde aber damit zusammenhängt, ist die der nachlassenden Qualität. Sehr schön zu hören in den La Traviata-DVDs mit Netrebko und Angela Gheorghiu. Wo Netrebko froh ist, wenn sie an den richtigen Stellen atmet, gestaltet Gheorghiu jede einzelne Note mit bemerkenswertem künstlerischen Instinkt. Und dabei würde sie, im Badeanzug das Lied an den Mond singend, gar nicht mal schlechter aussehen als Netrebko.

  • Von Coelho lernen

    Die CD-Verkäufe bröckeln seit einiger Zeit fröhlich dahin, auch im letzten Jahr gab es wieder Umsatzeinbußen von 20%. Auf der Musikmesse Midem kam die Musikindustrie deswegen überein, zukünftig verstärkt auf Online-Vermarktung und vor allem auf Online-Abos zu setzen. Naxos macht bereits vor, wie es gehen kann. Die Branche verbindet damit die Hoffnung, das Problem der Raubkopien auf diese Weise in den Griff zu bekommen. Ob es wirklich ein Problem ist fragt man sich allerdings, wenn man bei Bernd Röthlingshöfer liest, wie clever Paulo Coelho seine langweiligen Bücher mittels Raubkopien an den Mann bringt.

  • Ausweg aus dem Museum?

    »Wir verehren Altes, nur weil es alt ist.« ist eine zentrale These eines Essays aus der Zeit vom 3.1.08 (Siehe auch Kulturmanagement-Blog und Kulturblog.ch). Warum das Berliner Stadtschloss originalgetreu wieder aufgebaut werden soll, gar nicht mal nur konserviert, sondern komplett neu wieder aufgebaut, das verstehe ich tatsächlich auch nicht. Aber ansonsten glaube ich doch eher, dass wir Altes verehren, weil es gut und verehrungswürdig ist. Was überdauert hat, ist ja nur die Spitze eines Eisberges alter Kunst, von dem sich der weitaus größte Teil unter der Wasseroberfläche befindet, soll heißen: verworfen und vergessen ist. Es ist auch nur ein verschwindend kleiner Teil verglichen mit dem, was an zeitgenössischer Kultur rezipiert wird. Zu glauben, diese fände im Museum oder im Theater statt, ist fast ein bisschen rührend. Wer geht schon ins Museum?

    Einen »Ausweg aus dem Museum«, wie Blom das nennt, muss deswegen nur der suchen, der selbst in alten Kategorien denkt und nicht merkt, dass der Botticelli von heute möglicherweise Modefotograph ist und kein Maler und die heute bedeutenden Dramatiker nicht mehr für das Theater schreiben, sondern »Star Wars« oder »2001: A Space Odyssey« und anderes drehen und gedreht haben. Wer im Theater das wirklich »Heutige« sucht, wird dort deswegen trotz allen Regietheaters nicht fündig werden. Das Theater war das authentische Medium von Shakespeare, Schiller, Verdi und anderen. Heute ist es als Institution selbst Museum und als solches hat es seine Nische verdient. Museen freilich auch, aber die machen in der Regel auch keinen Hehl draus, dass es bei ihnen Altes zu sehen gibt.

  • Unerschöpflicher Hörgenuss

    Das Weihnachtsoratorium probend stellte Beisasse die Frage, ob es wichtig ist zu wissen, wie die musikalische Leitung die geistliche Bedeutung der Musik einschätzt. Da ich gerade die unerreichte Weihnachtsoratoriums-Aufnahme von René Jacobs rauf und runter höre, meine ich, dass es zumindest ein großer und unerschöpflicher Hörgenuss ist, wenn dem Text genau nachgespürt wird. Zum Beispiel in der Arie »Großer Herr und starker König«, wo die Trompete (klingendes Symbol königlicher Macht) mal schmetternd, mal weich intoniert, je nachdem, ob gerade vom »großen Herrn« oder vom »liebsten Heiland« die Rede ist.

    Allerdings ist diese Musik auch dann noch wunderbar, wenn die Geigen permanent ein Achtel hinter den anderen Instrumenten herhinken. So war es nämlich am vergangenen Sonntag bei der Aufführung im Bremer Dom. Dank Chor und Solisten war es nichts destotrotz ein sehr schönes Konzert.

  • Franziskus auf tönenden Pfannkuchen

    Von Saint Francois d’Assise gibt es übrigens eine wirklich hervorragende Aufnahme unter der Leitung von Kent Nagano. Getragen wird sie insbesondere von einem grandiosen José van Dam in der Titelrolle. Ihm gelingt es, die demutvolle Haltung des Rollencharakters auch gesanglich umzusetzen und gleichzeitig würdevolle Autorität auszustrahlen. Sein Gesang ist geradlinig, unprätentiös aber mit dezentem Pathos. Wunderschön, sozusagen mit überirdisch reiner Stimme, singt auch Dawn Upshaw die Rolle des Engels. Orchester und Chor sind brillant und sehr präzise und bringen trotzdem die Innerlichkeit wunderbar zur Geltung. Erstaunlich, aber sehr lobenswert, dass sich die Deutsche Grammophon auf solch ein sicher nicht sehr lukratives, aber in jedem Fall künstlerisch lohnenswertes Projekt eingelassen hat.

  • Fünf Mal Oper

    Da ich fand, dass es mal wieder Zeit ist für eine neue Folge in der Reihe »Fünf mal…« ist, hier und heute fünf hörenswerte Opern.

    Norma mochte schon Wagner, was erstaunlich ist, weil er ja normalerweise kein gutes Haar an der italienischen Oper ließ. Und Norma ist durch und durch italienische Oper: Liebe, Eifersucht, Tod und wunderbare Melodien. Seit ich Norma an der Stuttgarter Staatsoper gesehen habe, mag ich sie auch. Hauptgrund war die wirklich phänomenal singende Catherine Naglestad, die auf sehr eindrucksvolle Weise vorgeführt hat, in welche euphorische Verzückung man durch vollendeten Belcanto versetzt werden kann.

    Ich zähle mich nicht zu den großen Mozartfans und freue mich durchaus über so ketzerische Aussagen wie den berühmten Kommentar von Glenn Gould zur g-Moll Sinfonie: »Die Sinfonie in g-Moll besteht aus acht bemerkenswerten Takten umgeben von einer halben Stunde Banalität.« Hehe! Allerdings bin ich ein großer Fan von Le Nozze di Figaro. Für mich zweifellos und mit Abstand die beste Mozartoper und eine der besten Opern überhaupt. Wenn es gut läuft, sitzt man im Theater und ist nach zwei Takten Ouvertüre einfach gut drauf. Wenn es nicht so gut läuft, kann es allerdings auch ein langer Abend werden.

    Sehr viel deutscher als diese beiden Opern ist Wagners Parsifal. Für ihren quasi-religiösen Charakter, der schon in der bemerkenswerten Gattungsbezeichnung Bühnenweihfestspiel zum Ausdruck kommt, wurde und wird sie häufig belächelt. Zu allererst von Nietzsche, heute von jedem Regisseur, der nicht für blöd und reaktionär gehalten werden möchte. Das ist schade, denn in dieser Hinsicht ernst genommen wäre das Bühnenweihfestspiel mit Sicherheit »verstörender« als das, was Regisseuren so dazu einfällt.

    Aufgrund des ebenfalls religiös anmutenden Sujets irgendwie ähnlich ist Olivier Messiaens Oper Saint Francois d’Assise. Noch mehr als bei Parsifal ist bei Francois d’Assise allerdings die Frage, ob man von Oper überhaupt sprechen kann. Messiaen gab dem Werk den Untertitel »Franziskanische Szenen«, was sicher eine treffendere Gattungsbezeichnung ist. Bei den Szenen handelt es sich eher um szenische Meditationen über Stationen im Leben des Franz von Assisi. Erstaunlich ist der tiefe, gänzlich undistanzierende, unironische Ernst dieses Werks. Die Auftritte des Engels gehören in meinen Augen zu dem Schönsten, was die Musik des letzten Jahrhunderts zu bieten hat (weil es eigentlich wie Musik des vorletzten Jahrhunderts klingt 😉 ), die Szene, in der Franziskus die Wundmale empfängt, zu dem Monumentalsten und Beeindruckendsten.

    Über The Fairy Queen von Purcell habe ich schon einmal im Beitrag Fünf Mal Barock geschrieben. Meistens finde ich Barockoper ziemlich langweilig, aber diese ist wirklich bezaubernd.

  • Drei Orangen

    Endlich bin ich jetzt mal dazu gekommen, die Aufnahme von »L’Amour des trois Oranges« zu hören, die schon seit langer Zeit in meinem Besitz ist, die ich aber irgendwie nie die Lust zu hören hatte. Das hing wahrscheinlich mit der Erinnerung an eine anstrengende Aufführung dieser Oper in der Komischen Oper Berlin statt. Diese Aufführung war so anstrengend, dass ich kurzerhand eingeschlafen bin. Aber das hatte weniger mit der Qualität der Darbietung zu tun als mit meiner Verfassung an jenem Tag. Trotzdem ist mir der gesamte Abend nicht in besonders guter Erinnerung.

    Jetzt hat mir die Musik beim Hören allerdings wirklich gut gefallen. Sie ist gewitzt, schnell und mitunter auch abgedreht und erinnert daher etwas an »Die Nase« oder andere, leichtere Musik von Schostakowitsch. Auch die Geschichte ist bei Prokofiew ähnlich absurd wie in »Die Nase«. Insgesamt jedoch alles sehr viel zahmer, was mir aber nur recht ist.

  • »Jetzt singt sie auch noch!«

    Nachdem ich ein sehr unterhaltsames, lustiges Interview mit Barbara Schöneberger im Bayern3-Podcast gehört hatte, interessierte mich ihr Album Jetzt singt sie auch noch! Wie das Schicksal es wollte wurden mir tags drauf ein paar iTunes-Songcard zugespielt, so dass ich es mir runterladen konnte. Singen kann Barbara Schöneberger, keine Frage. Allerdings finde ich, dass ihre Stimme nicht viel her macht, sondern dünn und fast ein bisschen piepsig klingt. Darüber hinaus riefen die Musik auf der einen und die Texte auf der anderen Seite bei mir eine gewisse kognitive Dissonanz hervor. Denn die großgestigen Gala-Show-Bigband-Arrangements, sowieso nicht so mein Fall, gehen in meinen Augen überhaupt nicht mit den meist ironisch-banalen Erlebnisberichten aus dem ganz normalen Beziehungsalltag zusammen (z.B. »Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann« oder »Ich hab Mailverkehr und sonst gar nichts mehr«). Auch wenn der Vergleich jetzt sehr willkürlich ist: Ina Müller hat das für meinen Geschmack authentischer hinbekommen und außerdem die bessere, weil charakteristischere Stimme.

  • Gehversuch im Web 2.0

    Auf connectedmarketing fand ich den Hinweis auf die sog. Whirlpods des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin. So langsam kommen die Möglichkeiten des Web 2.0 offenbar auch bei den »klassischen« Kultureinrichtungen an. Die Filme sind gut gemacht und Ingo Metzmacher ist auch einfach ein sympathischer Typ. Allerdings hat Martin Oetting recht, wenn er bemängelt, dass die Clips nicht eingebunden werden können. Man kann nicht mal den Link direkt an einen Freund senden. Auch Abonnierbarkeit wäre wünschenswert – zumindest wenn weitere Clips folgen, wonach es aber aussieht.

  • Karajan probt Schumann

    Neulich wurde ich auf diesen und weitere Youtube-Clips aufmerksam gemacht, die zeigen, wie Herbert von Karajan mit den Wiener Symphonikern Schumanns 4. Symphonie probt. Ich gehöre nicht direkt zu den Herbie-Fans, aber es ist doch beeindruckend, welch klare und präzise Vorstellungen Karajan von dem hat, was er hören möchte, und wie er das anschaulich und ganz praktisch vermitteln kann. Etwas anstrengend finde ich allerdings das überkandidelte Gehabe des Maestro.