Christian Holst

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Kategorie: Musik

  • Haydn im Dom

    Komme gerade aus einer wunderschönen Aufführung von Haydns »Schöpfung« im Bremer Dom. Hätte gar nicht gedacht, dass mir das Stück so gut gefällt. Aber bei Haydn habe ich schon öfters die Erfahrung gemacht, dass es extrem von den Interpreten abhängt. Es kann echt langweilig sein, wenn einfach nur die Noten wiedergegeben werden und es kann ganz großartig sein, wenn der Interpret es versteht, ihnen Leben einzuhauchen. Besonders bemerkenswert in dieser Hinsicht – aber auch wegen ihrer wunderbaren Stimme – war die Sopranistin, Stephanie Petit-Laurent hieß sie, glaube ich. Wow!

    So, hiermit verabschiede ich mich dann auch in die Sommerpause. Spätestens Ende Juli geht es weiter.

  • Das Gute, Schöne, Hehre

    Im aktuellen Crescendo schreibt Katharina Wagner über das Gute, Schöne, Hehre – in ziemlich geschwurgeltem Stil, damit jeder merkt, dass sie auch studiert hat. Ein schönes Schwurgelbeispiel ist, wo sie schreibt, dass ihr beim Schluss vom Rheingold »leicht und regenbogenbunt« ums Herz wird und von »Frühlingsfrische und Riesenwaschkraft« schwadroniert. Ja, und der Regisseur, der die allzu einfachen Antworten scheut, wird vom Publikum ausgebuht. Dummes Publikum, schlauer Regisseur. So ist das nämlich! Wird bestimmt eine hochintelligente Meistersinger-Inszenierung in Bayreuth, nur keiner wird es merken.

  • Schon wieder ins Innere der Figuren verlegt

    Gestern schon wieder Oper. Diesmal in Oldenburg: Dialogues des Carmélites (Gespräche der Karmeliterinnen) von Francis Poulenc in einer Inszenierung von Jörg Behr. Der war Regieassistent an der Stuttgarter Oper, was man irgendwie sehen konnte, denn seine Inszenierung hat ein ziemliches Wieler-Morabito-Viebrock-Look-and-Feel.

    ln in der Kurzeinführung wurde übrigens gesagt, das Besondere der Inszenierung sei, dass die Handlung ins Innere der Figuren, genauer der einen Hauptfigur, verlegt sei. Naja, so besonders ist das natürlich nicht. Außerdem war der Gedanke nicht sonderlich konsequent umgesetzt, so dass die Inszenierung ohne Programmzettel und Kurzeinführung praktisch nicht zu begreifen war. Eigentlich geht Blanche – toll gesungen und gespielt von Anja Metzger – aufgrund unbestimmter Existenzangst ins Kloster, um dort Ruhe zu finden. In dieser Inszenierung nun existiert das Kloster und die Schwestern allerdings nur in Blanches Vorstellungswelt, wo sie es sich als Fluchtort vor den sexuellen Übergriffen des Vaters aufgebaut hat. Nicht konsequent war da z.B., dass die echten Figuren mit den imaginierten interagierten, weswegen diese Trennung von realer Welt und Vorstellungswelt überhaupt nicht klar wurde.

    Trotzdem hat mir die Inszenierung eigentlich ganz gut gefallen, denn sie war handwerklich gut und wirkungsvoll gemacht, sehr gute Personen- und gute Lichtregie, da gibt es gar nichts zu meckern. Richtig gut fand ich den Schluss, bei dem ich mich irgendwie an den Schluss von Der Pate III erinnert gefühlt habe, wo auch zu hochdramatischer, religiös konnotierter Opernmusik eine Reihe von Hinrichtungen stattfinden. Das geht wirklich unter die Haut.

  • Ins Innere der Figuren verlegt

    Gestern waren wir in Tristan und Isolde im Bremer Theater. Beim Blättern im Programmheft vor Beginn der Oper fiel mir ein Wagner-Zitat ins Auge, in dem es heißt: »nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten!« Mich überkam da schon die Befürchtung, das könne als vorweggenommene Entschuldigung für die Inszenierung gemeint sein. Aber so schlimm war es nicht.

    Die Inszenierung war in einem neutralen Sinne einfach nichts sagend. Sehr abstrakt und minimalistisch angelegt, gewissermaßen »entrümpelt«, auch wenn das heute natürlich keine originelle Idee mehr ist. Im Prinzip ist »Tristan« aber die Oper von Wagner, die das am besten verträgt, weil die Handlung »ganz ins Innere der Figuren verlegt« ist, wie es immer so schön heißt. Die Regisseurin Reinhild Hoffmann machte Ernst mit diesem Gedanken, so dass es fast schon eine konzertante Aufführung in Kostüm war. Die Inszenierung blieb so zwar frei von modernistischem Schnickschnack und »heutigen« oder gar »verstörenden« Gags, aber leider auch von zwingenden Momenten und Bildern. Nur das Schlussbild war eine Ausnahme, wo es vom Schnürboden auf die den Liebestod sterbende Isolde herunterregnete, was durch geschickte Beleuchtung wirklich ziemlich gut aussah. Was das allerdings mit dem Liebestod zu tun hat, ist dann wieder eine andere Frage, eine, die nicht beantwortet wurde.

    Musikalisch war die Aufführung allerdings außerordentlich gut und wirklich leidenschaftlich präsentiert. Die Sänger waren durch die Bank bemerkenswert – und bis auf Matthias Schulz als Tristan allesamt aus dem eigenen Ensemble rekrutiert. Lediglich den Kurwenal fand ich etwas schwach. Für die beiden Titelhelden und Orchester samt Interims-GMD Stefan Klingele gab es dann zu Recht tosenden Beifall.

  • Jede Menge gute Tipps von Grönemeyer und einer von mir

    So, jetzt habe ich es im dritten Anlauf tatsächlich mal geschafft, die neue Grönemeyer-CD durchzuhören. Vorher hatte ich das immer mal versucht, aber auch immer gleich wieder sein gelassen, weil ich sie doof fand. Jetzt fand ich sie auch doof, aber ich saß nachts in Basel auf dem Bahnhof fest und mir war so langweilig, dass sogar das neue Grönemeyer-Album noch eine gewisse Abwechslung war. Also die CD ist wirklich doof. Die Musik ist ziemlich einfallslos und langweilig, was mal durch Streicherteppiche, mal durch auf alt geschminkte Sounds und mal durch penetrante Synthesizer-Klängen kaschiert werden soll. In ihren zweifelhaftesten Momenten klingt sie wie schlecht kopierte Brecht/Weill-Songs. Und das knödlige Gesinge ging mir diesmal auch gehörig auf den Sack.

    Das Schlimmste sind aber die Texte. »Mensch« hat mir ja wirklich gefallen, auch gerade wegen der Texte (sehr schön z.B. »Dort und hier«). Aber da waren es auch recht allgemeine Themen, einfach die Hochs und Tiefs des menschlichen Daseins. Diesmal ist es politischer, gesellschaftskritischer, mahnender und das ist echt kaum erträglich: »Wir sitzen alle in einem Boot« oder »Es gibt genug für alle« oder »Die Erde ist freundlich, warum wir eigentlich nicht?« um nur mal ein paar Weisheiten aus dem Opener »Stück vom Himmel« zu zitieren. Ja, und Politiker sind faul, dumm und ideenlos, also mach du es besser und »vertritt deinen Punkt, aber zeug‘ immer von Respekt«, »lüge nicht«, »gib nie auf«, »genieße dich« usw. Dann sind wir ja für die Zukunft gerüstet, dank der vielen guten Tipps von Onkel Herbert.

    Mein guter Tipp lautet: Lieber was anderes hören.

  • Akustischer Nachtrag

    Hier noch ein kleiner akustischer Nachtrag zu dem gestrigen Eintrag.

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  • Fünf Mal Moderne

    Welcher Landschaft entspricht wohl die musikalische Moderne? Hm, Keine Ahnung, Vorschläge sind willkommen. Trotz mangelnden Vergleichs kommt hier eine Zusammenstellung mit fünf Klassikern der Moderne.

    Ligetis Atmospheres: Ja, schön klingt das nicht direkt, aber es erzeugt unbestreitbar so viel Atmosphäre, dass es seinen Namen zu Recht trägt. Sonst hätte das Stück wohl kaum an der Seite von der »Schönen blauen Donau« als Filmmusik in Stanley Kubricks »2001: A Space Odyssee« Berühmtheit erlangt.

    Schostakowitsch war ein begnadeter Komponist. Seine Jazz Suites sind geniale Unterhaltungsmusik, absolut eingängige Ohrwürmer, brillant instrumentiert. Man sollte es nicht gerade in der Interpretation von Andre Rieu anhören, der die Stücke dazu benutzt, behaupten zu können, nicht nur Strauß-Walzer zu spielen, sondern auch mal was »Modernes«. Ansonsten ein echtes unbeschwertes Vergnügen. (Ein Walzer aus der 2. Suite ist übrigens auch durch Stanley Kubrick berühmt geworden: als Musik in »Eyes Wide Shut«)

    Weberns 6 Orchesterstücke op. 6 sind wie fast alles von Webern dicht, kompakt und trotzdem (oder gerade deswegen) hoch expressiv. Ich finde es großartig! Ganz pragmatisch gedacht ist Weberns Musik übrigens gut geeignet, um sich einen Eindruck von Neuer Musik zu verschaffen, denn wenn es einem nicht gefällt, ist es auch schnell wieder vorbei. 🙂

    Frank Zappas Yellow Shark ist laut Y. aka beisasse die avancierteste Musik in meiner Sammlung. (Da besaß ich allerdings Neither noch nicht.) Tatsächlich ist das ziemlich abgedrehte Musik zwischen Jazz, Minimal, Kakophonie und allen möglichen anderen Stilen. Mein Lieblingsstück ist »Welcome to the United States of America«, was so eine Art Kabarettnummer über amerikanische Einwanderungspolitik mit begleitender Karnevalsmusik ist.

    Ja, auch moderne Komponisten wie Morton Feldman haben noch Opern geschrieben. Oder sowas in der Art zumindest. In Neither singt eine Sopranistin über eine Stunde verteilt ein 16-zeiliges Gedicht von Samuel Beckett ohne dass eigentlich etwas passiert. Das Publikum der Uraufführung wusste damit nicht viel anzufangen und verlangte der Sängerin durch seine Unmutsäußerungen einiges an Nervenstärke ab. Heute, 30 Jahre später, wo einen gar nichts mehr schockt, kann man sich die Oper aber gut anhören und ihr durchaus was abgewinnen.

    Siehe auch Fünf Mal Spätromantik und Fünf Mal Barock.

  • Operntest Essen

    Zum Start meines Wochenendes in Essen habe ich die Oper »getestet«, die ja laut Feuilleton mittlerweile auf den UEFA-Cup-Plätzen der deutschen Opernliga mitspielt. Gestern gab es die Derniere von »Die Nase«, einer Oper von Schostakowitsch nach einer Erzählung von Gogol. Die Story ist ziemlich gaga, die Musik grell, schrill und meistens ziemlich laut. Sie klingt eigentlich so, wie ich glaube, wie nichtbewanderte Menschen sich moderne Musik vorstellen. Die Inszenierung von Johannes Schaaf fand ich solala, irgendwie ein routiniertes Regietheater-Einfälle-Mosaik mit Autos und Motorrädern, die im Schneckentempo auf die Bühne und wieder runterfuhren, fahrradfahrendem und tischtennisspielendem Chor und weiterer lustiger Sachen. Naja, hat mich jetzt nicht so überzeugt. Wirklich gut war allerdings das Orchester unter Soltesz – unglaublich virtuos, präzise und genau. Nicht zu Unrecht gabs dafür dann auch den meisten Applaus.

  • Moskau Tscherjomuschki

    Gestern war ich das erste Mal seit ziemlich genau 11 Monaten wieder in Oldenburg im Theater. Aber es kam mir vor, als sei es erst vorgestern gewesen. Das klingt natürlich furchtbar floskelig, aber es war wirklich so. Alles ganz vertraut und so. Obwohl natürlich auch einiges anders ist mittlerweile, überall z.B. große grüne „Os“ in der Gegend rumstehen und an den Wänden hängen.

    Zu sehen gab es »Moskau Tscherjomuschki« von Schostakowitsch in einer Inszenierung von David Herrmann. Der war letzten Sommer so ungefähr direkt von den Salzburger Festspielen nach Oldenburg gereist, um das Stück dort als Eröffnungspremiere im Musiktheater herauszubringen. Auch wenn zu meiner Zeit keine Salzburger Festspiel-Regisseure inszeniert haben, konnte ich einen Qualitätssprung nach oben nicht ausmachen. Denn dafür, dass die Musik richtig fetzt, war die Inszenierung ziemlich flau. Beispiel: Bei der wilden Autofahrt durch Moskau schaukelten die Sänger gemütlich in Skiliftsesseln in den Schnürboden. Für sich genommen kein schlechter Effekt, aber für diese Situation nicht passgenau. Allerdings muss man auch sagen, dass die Handlung einfach nicht sonderlich viel hergibt: Eine Reihe von Leuten bezieht frisch gebaute Plattenbauten im Moskauer Vorort Tscherjomuschki (Kirschgarten); der eine und die kommen sich näher und es gibt ein paar Streitigkeiten mit Hausbesitzer und -meister. Sehr wohl was hergeben tut aber die quirlige, ironische, aber äußerst eingängige und effektvoll instrumentierte Musik. Das Überdrehte und Groteske, die krachend-pompösen Märsche, mit denen der bürokratische Apparat parodiert wird, das rührend Sentimentale, mit dem das banale Streben nach ein bisschen privatem Glück in Form einer kleinen Plattenbauwohnung portraitiert wird – all das blieb in der Inszenierung allerdings verschenkt.

    P.S.: Für das neue Spielzeitheft wurden übrigens einige Änderungen am Corporate Design vorgenommen, weswegen es jetzt sehr viel besser aussieht als das letzte Heft. Auch der neue Spielplan ist nun Oldenburg-adäquater, mit nicht mehr fast ausschließlich Opern des 20. Jahrhunderts im Musiktheater sondern einer guten Mischung aus Repertoire-Schlagern und seltener gespielten Werken. Tja, manche Erfahrungen muss wohl jeder selbst machen… 😉

  • Fünf Mal Barock

    Auch für das Wattenmeer gibt es eine musikalische Entsprechung: Die Barock-Musik. Auf den ersten Blick überaus langweilig, wenn man genauer hinhört jedoch von unvergleichlichem Reichtum und Schönheit.

    (1) Bei Bach empfiehlt es sich natürlich, gleich eine eigene Liste anzulegen. So wie Y. aka beisasse das in seinem Eintrag Das Evangelium nach St. Johann Sebastian getan hat. Wie ich in den Kommentaren zu diesem Eintrag schon angemerkt habe, würde ich – sollte ich mich entscheiden müssen – bei den Motetten Singet dem Herrn wählen. Da hat man alles, was Bach ausmacht auf engstem Raum: unerreichte Kontrapunktik, doppelchörige Koloraturen, Choralsatz, tiefen, religiösen Ernst und eine unvermeidliche kleine Fuge am Schluss.

    (2) Monteverdis Marienvesper ist für mich ein Paradebeispiel für den Facettenreichtum des Barock, in diesem Fall des Frühbarock. Das ganze Werk atmet in locker pulsierenden Rhythmen, weit ausschwingenden Melodien und schwebenden Harmonien und ist dadurch von irgendwie ätherischem Charakter. (Aber gar nicht so esoterisch, wie meine Beschreibung jetzt klingt 😉 .)

    (3) Henry Purcells The Fairy Queen ist eine Semi-Oper, so eine Art Schauspielmusik zu Shakespeares Sommernachtstraum. Neben einleitenden Instrumentalstücken und Tänzen kommen auch etliche Arien, Gesangsnummern und Chöre drin vor. Allesamt wunderschön, Prädikat: sehr empfehlenswert.

    (4) Händel ist eigentlich nicht so mein Fall. Aber irgendwie darf er auch nicht fehlen, deswegen lege ich euch hier Quincy Jones‘ Soul-Fassung vom Messias ans Herz, die wirklich gut ist. Absolute Gute-Laune-Musik.

    (5) Pergolesi ist so eine Art Mozart des Barock: genialer, frühreifer Künstler, jung gestorben. Und was bei Mozart das Requiem ist, ist bei Pergolesi das Stabat Mater. Es ist das letzte Werk, angeblich auch auf dem Sterbelager geschrieben, um das nachträglich allerlei Mythen und Legenden gesponnen wurden.