Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Kategorie: Theater

  • Filmpreis für Wagner

    Nachdem ich neulich die E-Book-Fassung von Filmpreis für Wagner entdeckt habe, habe ich es mir auch prompt gekauft. Es ist wirklich interessant. Schulz denkt den schon häufiger geäußerten Gedanken, dass Wagners Musiktheater eine erstaunliche Nähe zum Film hat, konsequent zu Ende und plädiert dafür, seine Opern zukünftig lieber im Kino, am besten im 3D-Kino, aufzuführen.

    Das neue an diesem Gedanken ist, die Darbietung von Wagners Opern Musikdramen konsequent an dessen Idealvorstellungen auszurichten, anstatt die Werke auf die Möglichkeiten des Theaters herunter zu brechen. Das ist heute meistens der Fall, obwohl inzwischen die technischen Voraussetzungen bestehen, es besser zu machen. Die Ironie dabei ist, dass das sog. Regietheater üblicherweise darauf abzielt, Wagners Werk auf »heutig« zu trimmen und das damit begündet, dass seine ästhetischen Vorstellungen überholt und dem 19. Jahrhundret verhaftet sind. Bei Schulz läuft es jedoch darauf hinaus, dass Wagners Ästhetik sehr modern ist, aber der Apparat Theater einfach völlig veraltet und unzureichend ist und dieser Ästhetik deswegen nicht gerecht wird.

  • Wagner satt

    Heute gab (und gibt es noch) Wagners Ring auf 3sat. Nonstop von morgens um 9 bis Mitternacht. Und zwar in den vielgerühmten Stuttgarter Inszenierungen von Joachim Schlömer (Das Rheingold), Christof Nel (Die Walküre), Jossi Wieler/Sergio Morabito (Siegfried) und Peter Konwitschny (Götterdämmerung).

    Ich habe mich bei der Walküre reingeschaltet und es seitdem nebenbei immer mal wieder verfolgt. So vom Bildschirm aus hat mich das Ganze aber weder musikalisch noch szenisch überzeugt oder auch nur angesprochen. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber am besten gefällt mir noch die Konwitschny-Inszenierung, die etwas albern, aber deswegen eben auch unterhaltsam ist. Z.B. schickt Brünnhilde Siegfried im Bärenfell und mit Steckenpferd auf die Rheinfahrt. Und Waltraute seilt sich, mit klassischem Walkürenhelm und -panzer bekleidet (»so wie Wagner es wollte«), aus dem Schnürboden ab, um mit Brünnhilde Sektimbiss abzuhalten. Mal unabhängig davon, dass es sich hierbei natürlich genau um den von Werner Schneyder gemeinten überdotierten Schwachsinn handelt, ist es eben immerhin einigermaßen amüsant.

    Um die öffentliche Finanzierung dieses Rings zu legitimieren hat Klaus Zehelein natürlich noch ein paar gedrechselte Dramaturgenphrasen beigegeben. »Die Welt scheint in einem Anlauf nicht mehr darstellbar« heißt es auf der Website. Deswegen also vier verschiedene Regieteams. Und weiter: »Diesem ‚Zerfall der Totalen‘ sah sich die Stuttgarter Arbeit verpflichtet.« Nee, is klar.

    Bei Dieter-David Scholz gibt es zu den Mitschnitten eine lesenswerte Rezension, der ich nach meinen Eindrücken nur zustimmen kann. Die gesangliche Mittelmäßigkeit, die er anspricht, ist wirklich auffällig. Für die meisten Sänger scheint es einfach darum zu gehen, irgendwie bis zum Schluss durch zu kommen. Und unterm Strich bleibt die Frage: Was sagt dieser Ring eigentlich (neues)?

  • Speisung der 7.000

    Bregenz lebt natürlich von den Festspielen. Das merkt man insbesondere in den Stunden vor den Aufführungen auf der Seebühne, wo nicht daran zu denken ist, im näheren Umkreis irgendwo einen Tisch in einem Restaurant oder Café zu bekommen. Immerhin passen 7.000 Personen auf die Seetribüne. (Ich habe mich gefragt, wie das gehen soll, wenn die Vorstellung bei schlechtem Wetter ins Festspielhaus verlegt wird, das vielleicht allerhöchstens 2.000 Leute fasst?!?)

    Wir haben uns Tosca auf der Seebühne allerdings nicht angeguckt, da wir die Preise zu hoch fanden. Inbesondere deswegen, weil klassische Musik unter freiem Himmel in den seltensten Fällen ein Genuss ist. Allerdings habe ich nachher überlegt, ob es nicht doch ein Erlebnis gewesen wäre, als ich gelesen habe, dass man in Bregenz ein eigenes, hochkomplexes Soundsystem entwickelt hat, mit dem Orchester und Sänger verstärkt werden und das sozusagen als eigenes Instrument eingesetzt wird. Laut Aussage des Dirigenten lassen sich damit spektakuläre Effekte erzeugen. Das hätte zumindest mal interessant sein können, ob hier nicht ein viel versprechender Berührungspunkt zwischen moderner Technik und der musealen Kunstform Oper liegt, die ja normalerweise mit einem denkbar altertümlichen Apparat aufgeführt wird.

    Wie auch immer, wir haben wir uns stattdessen ein Konzert mit dem hervorragenden (Knaben-)Chor des St. John’s College, Cambridge, angehört. Der erste Teil bestand aus Musik von Purcell, die ich langweiliger als erwartet fand, der zweite Teil vor allem aus Brittens »Ceremony of Carols« für Chor und Harfe, die wirklich großartig ist.

  • Psychologie des Theaters

    In der Zeit gibt es gerade eine interessantes Interview mit der Sängerin Vesselina Kasarova. Zum einen beschreibt sie sehr eindrücklich den unglaublichen psychischen Druck, dem insbesondere Sänger, aber eigentlich aufführende Künstler insgesamt, ausgesetzt sind. Der ist wirklich beträchtlich. In der Champions League, in der Kasarova spielt, sicher besonders, aber grundsätzlich ist das an all den Staatsopern und -theatern auch nicht viel anders. Der Konkurrenzkampf ist ziemlich gnadenlos und jede jede neue Besetzungsrunde und jedes Vorsingen hält Kränkungen und Demütigungen bereit, die schnell an die Substanz gehen.

    Die andere Seite dieser Kränkungen ist dann das Lamentieren über unfähige Kollegen (Dirigenten, Regisseure, Sänger), die auch in diesem Interview vorkommen. Interessanterweise wird nie von verschiedenen Auffassungen gesprochen, sondern immer gleich von Unfähigkeit. Auch das finde ich sehr typisch. Insofern gewährt dieses Interview einen kleinen, aber grundlegenden Einblick in die Psychologie des Theaters.

    Ganz großartig beschrieben wird das übrigens in dem »Opernroman« von Petra Morsbach. Ein toller Roman, der in nüchterner, einfacher Sprache Szenen aus dem Leben verschiedener KünstlerInnen eines fiktiven mittelmäßigen Opernhauses portraitiert. Es hat mir vor allem deswegen so gut gefallen, weil es deutlich macht, dass die menschlichen Dramen, die sich hinter den Kulissen abspielen, häufig viel anrührender und ergreifender sind, als das was auf der Bühne passiert.

  • Das Gute, Schöne, Hehre

    Im aktuellen Crescendo schreibt Katharina Wagner über das Gute, Schöne, Hehre – in ziemlich geschwurgeltem Stil, damit jeder merkt, dass sie auch studiert hat. Ein schönes Schwurgelbeispiel ist, wo sie schreibt, dass ihr beim Schluss vom Rheingold »leicht und regenbogenbunt« ums Herz wird und von »Frühlingsfrische und Riesenwaschkraft« schwadroniert. Ja, und der Regisseur, der die allzu einfachen Antworten scheut, wird vom Publikum ausgebuht. Dummes Publikum, schlauer Regisseur. So ist das nämlich! Wird bestimmt eine hochintelligente Meistersinger-Inszenierung in Bayreuth, nur keiner wird es merken.

  • Schon wieder ins Innere der Figuren verlegt

    Gestern schon wieder Oper. Diesmal in Oldenburg: Dialogues des Carmélites (Gespräche der Karmeliterinnen) von Francis Poulenc in einer Inszenierung von Jörg Behr. Der war Regieassistent an der Stuttgarter Oper, was man irgendwie sehen konnte, denn seine Inszenierung hat ein ziemliches Wieler-Morabito-Viebrock-Look-and-Feel.

    ln in der Kurzeinführung wurde übrigens gesagt, das Besondere der Inszenierung sei, dass die Handlung ins Innere der Figuren, genauer der einen Hauptfigur, verlegt sei. Naja, so besonders ist das natürlich nicht. Außerdem war der Gedanke nicht sonderlich konsequent umgesetzt, so dass die Inszenierung ohne Programmzettel und Kurzeinführung praktisch nicht zu begreifen war. Eigentlich geht Blanche – toll gesungen und gespielt von Anja Metzger – aufgrund unbestimmter Existenzangst ins Kloster, um dort Ruhe zu finden. In dieser Inszenierung nun existiert das Kloster und die Schwestern allerdings nur in Blanches Vorstellungswelt, wo sie es sich als Fluchtort vor den sexuellen Übergriffen des Vaters aufgebaut hat. Nicht konsequent war da z.B., dass die echten Figuren mit den imaginierten interagierten, weswegen diese Trennung von realer Welt und Vorstellungswelt überhaupt nicht klar wurde.

    Trotzdem hat mir die Inszenierung eigentlich ganz gut gefallen, denn sie war handwerklich gut und wirkungsvoll gemacht, sehr gute Personen- und gute Lichtregie, da gibt es gar nichts zu meckern. Richtig gut fand ich den Schluss, bei dem ich mich irgendwie an den Schluss von Der Pate III erinnert gefühlt habe, wo auch zu hochdramatischer, religiös konnotierter Opernmusik eine Reihe von Hinrichtungen stattfinden. Das geht wirklich unter die Haut.

  • Ins Innere der Figuren verlegt

    Gestern waren wir in Tristan und Isolde im Bremer Theater. Beim Blättern im Programmheft vor Beginn der Oper fiel mir ein Wagner-Zitat ins Auge, in dem es heißt: »nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten!« Mich überkam da schon die Befürchtung, das könne als vorweggenommene Entschuldigung für die Inszenierung gemeint sein. Aber so schlimm war es nicht.

    Die Inszenierung war in einem neutralen Sinne einfach nichts sagend. Sehr abstrakt und minimalistisch angelegt, gewissermaßen »entrümpelt«, auch wenn das heute natürlich keine originelle Idee mehr ist. Im Prinzip ist »Tristan« aber die Oper von Wagner, die das am besten verträgt, weil die Handlung »ganz ins Innere der Figuren verlegt« ist, wie es immer so schön heißt. Die Regisseurin Reinhild Hoffmann machte Ernst mit diesem Gedanken, so dass es fast schon eine konzertante Aufführung in Kostüm war. Die Inszenierung blieb so zwar frei von modernistischem Schnickschnack und »heutigen« oder gar »verstörenden« Gags, aber leider auch von zwingenden Momenten und Bildern. Nur das Schlussbild war eine Ausnahme, wo es vom Schnürboden auf die den Liebestod sterbende Isolde herunterregnete, was durch geschickte Beleuchtung wirklich ziemlich gut aussah. Was das allerdings mit dem Liebestod zu tun hat, ist dann wieder eine andere Frage, eine, die nicht beantwortet wurde.

    Musikalisch war die Aufführung allerdings außerordentlich gut und wirklich leidenschaftlich präsentiert. Die Sänger waren durch die Bank bemerkenswert – und bis auf Matthias Schulz als Tristan allesamt aus dem eigenen Ensemble rekrutiert. Lediglich den Kurwenal fand ich etwas schwach. Für die beiden Titelhelden und Orchester samt Interims-GMD Stefan Klingele gab es dann zu Recht tosenden Beifall.

  • theater@youtube

    Christian Henner-Fehrs beschreibt in der Fortsetzung zur Diskussion Theater 2.0 über ein Londoner Theater, das mit Clips auf Youtube wirbt. Eine eigentlich naheliegende Idee. Und es ist auch nicht so, dass es keine deutschen Theaterhäuser gäbe, die kleine Werbe-Clips produzieren. Auf der Seite der Berliner Staatsoper habe ich mal ein Interview mit Barenboim zu einer Produktion gesehen und wahrscheinlich ist es nicht bei diesem einen Clip geblieben. Auf den Seiten z.B. des Aalto-Theaters und des Staatstheaters Braunschweig kann man sich kurze Ausschnitte aus den aktuellen Stücken anzeigen lassen. Allerdings im Realplayer, was nun wirklich die schlechteste Möglichkeit ist, Videos im Netz abzuspielen. Über die Ursachen kann man spekulieren. Vielleicht ist es die Angst vor Kontrollverlust, wenn das Ding einmal »außer Haus« gegeben ist. Wobei ich mich frage: Was sollte Befürchtenswertes passieren? Vielleicht ist es auch das Nonsense- und Schmuddelimage von Videoportalen. Ich vermute aber, der eigentliche Grund ist ganz einfach Ahnungslosigkeit. Und sicherlich gilt der Einwand: Ein paar Videos bei Youtube einzustellen, ist noch nicht mit einem neuen Marketingverständnis gleichzusetzen und wird nach meiner Einschätzung auch kaum nennenswerte Effekte erzielen. Aber alles in allem, also wenn man »vollintegriert« denkt, dann bietet das sog. Web 2.0 einiges an Potenzial – gerade für Theater. Aber das hatten wir ja schon.

  • Operntest Essen

    Zum Start meines Wochenendes in Essen habe ich die Oper »getestet«, die ja laut Feuilleton mittlerweile auf den UEFA-Cup-Plätzen der deutschen Opernliga mitspielt. Gestern gab es die Derniere von »Die Nase«, einer Oper von Schostakowitsch nach einer Erzählung von Gogol. Die Story ist ziemlich gaga, die Musik grell, schrill und meistens ziemlich laut. Sie klingt eigentlich so, wie ich glaube, wie nichtbewanderte Menschen sich moderne Musik vorstellen. Die Inszenierung von Johannes Schaaf fand ich solala, irgendwie ein routiniertes Regietheater-Einfälle-Mosaik mit Autos und Motorrädern, die im Schneckentempo auf die Bühne und wieder runterfuhren, fahrradfahrendem und tischtennisspielendem Chor und weiterer lustiger Sachen. Naja, hat mich jetzt nicht so überzeugt. Wirklich gut war allerdings das Orchester unter Soltesz – unglaublich virtuos, präzise und genau. Nicht zu Unrecht gabs dafür dann auch den meisten Applaus.

  • Moskau Tscherjomuschki

    Gestern war ich das erste Mal seit ziemlich genau 11 Monaten wieder in Oldenburg im Theater. Aber es kam mir vor, als sei es erst vorgestern gewesen. Das klingt natürlich furchtbar floskelig, aber es war wirklich so. Alles ganz vertraut und so. Obwohl natürlich auch einiges anders ist mittlerweile, überall z.B. große grüne „Os“ in der Gegend rumstehen und an den Wänden hängen.

    Zu sehen gab es »Moskau Tscherjomuschki« von Schostakowitsch in einer Inszenierung von David Herrmann. Der war letzten Sommer so ungefähr direkt von den Salzburger Festspielen nach Oldenburg gereist, um das Stück dort als Eröffnungspremiere im Musiktheater herauszubringen. Auch wenn zu meiner Zeit keine Salzburger Festspiel-Regisseure inszeniert haben, konnte ich einen Qualitätssprung nach oben nicht ausmachen. Denn dafür, dass die Musik richtig fetzt, war die Inszenierung ziemlich flau. Beispiel: Bei der wilden Autofahrt durch Moskau schaukelten die Sänger gemütlich in Skiliftsesseln in den Schnürboden. Für sich genommen kein schlechter Effekt, aber für diese Situation nicht passgenau. Allerdings muss man auch sagen, dass die Handlung einfach nicht sonderlich viel hergibt: Eine Reihe von Leuten bezieht frisch gebaute Plattenbauten im Moskauer Vorort Tscherjomuschki (Kirschgarten); der eine und die kommen sich näher und es gibt ein paar Streitigkeiten mit Hausbesitzer und -meister. Sehr wohl was hergeben tut aber die quirlige, ironische, aber äußerst eingängige und effektvoll instrumentierte Musik. Das Überdrehte und Groteske, die krachend-pompösen Märsche, mit denen der bürokratische Apparat parodiert wird, das rührend Sentimentale, mit dem das banale Streben nach ein bisschen privatem Glück in Form einer kleinen Plattenbauwohnung portraitiert wird – all das blieb in der Inszenierung allerdings verschenkt.

    P.S.: Für das neue Spielzeitheft wurden übrigens einige Änderungen am Corporate Design vorgenommen, weswegen es jetzt sehr viel besser aussieht als das letzte Heft. Auch der neue Spielplan ist nun Oldenburg-adäquater, mit nicht mehr fast ausschließlich Opern des 20. Jahrhunderts im Musiktheater sondern einer guten Mischung aus Repertoire-Schlagern und seltener gespielten Werken. Tja, manche Erfahrungen muss wohl jeder selbst machen… 😉