Ein Buch als Blog: Verratene Vermächtnisse

Veröffentlicht von Christian Holst am

Mein Lieblingsblog ist ein Buch: «Verratene Vermächtnisse» von Milan Kundera. Natürlich handelt es sich dabei nicht um ein Blog, sondern um eine Sammlung hochspannender Essays. Ich komme aber auf die Aussage, weil das Buch einem in meinen Augen idealen Blogstil sehr nahe kommt: es ist sehr subjektiv und streitbar, meinungsfreudig und klug, ohne gelehrig oder theoretisch zu sein – einfach richtig gut geschrieben.

Inhaltlich dreht sich das Buch um die Vermächtnisse der Künstler Kafka, Strawinsky und Janácek, alle drei heute unbestritten große Künstler. Das war nicht immer so, zunächst waren sie eher verkannte Genies, deren Werk unverstanden blieb. Überlebt hat es aufgrund engagierter Förderer, die es gut meinten und die Werke in bester Absicht etwas zurechttrimmten. Künstlerisch haben sie damit freilich zunächst Schaden angerichtet, die Werke verfälscht und verkitscht, die Vermächtnisse eben verraten. Andererseits haben die Werke nur so eine größere Öffentlichkeit erreicht und können heute textkritisch herausgegeben oder quellengetreu aufgeführt werden. Max Brod beispielsweise ist Kafkas ausdrücklichem Wunsch nicht nachgekommen, seine Werke nach seinem Tod zu verbrennen. Er hat sie stattdessen veröffentlicht, wenngleich mit verfälschenden und entstellenden Eingriffen. Das gilt ähnlich für Janáceks Opern, die Brod ins Deutsche übersetzt und damit im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht hat. Unter künstlerischen Gesichtspunkten war das wirklich verwerflich, weil Janácek seine Musik ganz wesentlich aus der Tonalität der gesprochenen tschechischen Sprache entwickelt. Auf lange Sicht gesehen hat Brod aber beiden Künstlern zu der ihnen gebührenden Geltung verholfen.

Kundera ist in seinem klaren, kompromisslosen Urteil über Brod deswegen nicht gerecht. Kafkas und Janáceks Werk zu bewundern, aber Brod dafür zu verachten, dass er sie unter Missachtung der künstlerischen Anliegen bekannt gemacht hat, das passt nicht recht zusammen. Aber gerade weil Kundera sich der Widersprüchlichkeit seiner Argumentation bewusst ist und sie streitbar bleibt, ist dieses Buch ein großes Lesevergnügen!


3 Kommentare

Gerdchen · 12. September 2009 um 14:43

Es wäre auch wirklich seher schade gewesen Kafkas Werke den Flammen zu übergeben!
Wie gut das man sich seinem letzten Wunsch widersetzt hat.

vioworld · 15. September 2009 um 14:38

Ist auch sicher provokant gemeint, der Vorwurf des „Verrats“ 🙂
Klingt nach einem spannenden Buch.

Hagen

Christian Holst · 15. September 2009 um 20:43

@Gerdchen: Klar, aber es ist doch schon eine spannende Frage, wie wichtig einem der Wille des Künstlers ist, oder?
@Vioworld: In meinen Augen ist es wirklich Champions League-Final-Essayistik. 🙂

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