Toi toi toi – Aberglaube im Dienst der Aufklärung

Veröffentlicht von Christian Holst am

Eins meiner Lieblingsthemen in diesem Blog ist ja der Widerspruch des Theaters, einerseits aufklärerisches Forum und Demokratieschule sein zu wollen und andererseits wie keine andere Institution alten, vordemokratischen Strukturen zu huldigen und anachronistische Medientechnologie zu verwenden. In diesen Widerspruch passt auch der ausufernde Aberglaube, der bis heute am Theater kultiviert wird und so gar nicht zu dem aufgeklärten Anspruch passen will. Da wird zum Beispiel das abergläubische Ritual betrieben, sich vor einer Premiere drei Mal über die linke Schulter zu spucken oder «Toi toi toi!» zu rufen, um den Neid böser Geister zu bannen bzw. den Teufel fern zu halten. Für einen Ahnungslosen ein Minenfeld. Denn man muss wissen, dass man auf solchen Wunsch weder mit einem Danke antworten noch sich in der Schulter irren darf, wenn man das Unheil nicht geradewegs heraufbeschwören möchte. Aber von welcher Perspektive aus ist links eigentlich gemeint? Aus Sicht des Spuckers oder des Bespuckten?

Weitere abergläubische Bräuche sind das Verbot auf der Bühne zu pfeifen, die private Kopfbedeckung auf der Bühne abzunehmen (wie in der Kirche!) und bitteschön nicht zu essen. Teilweise haben diese Regeln einen praktischen Hintergrund. Als im Theater noch Gaslampen zur Beleuchtung genutzt wurden, haben diese beispielsweise gepfiffen, wenn der Sauerstoffgehalt der Luft stark absank, was ein Hinweis auf einen Brand sein konnte. Das Pfeifen war also ein Alarmsignal. Essensreste auf der Bühne haben Theaterratten angelockt usw. Heute haben Theater in der Regel allerdings ganz andere Sorgen. Trotzdem werden diese abergläubischen Rituale selbst von hornbebrillten Rollkragenpulli-Dramaturgen mit einem heiligem Ernst gepflegt, der ihnen zum Beispiel bei Wagner absolut suspekt ist und nach augenblicklicher interpretatorischer Bewältigung und Sublimierung schreit.


5 Kommentare

michael7 · 12. Oktober 2012 um 9:04

Essensreste auf der Bühne und im backstage bereich zieht
noch heute kritiker an 😉

    Christian Holst · 12. Oktober 2012 um 18:46

    🙂 Dabei verdienen die meistens besser als diejenigen, als die Schauspieler, die auf der Bühne rumkrümeln.

Bernhard · 23. Oktober 2012 um 10:49

Meiner Meinung nach schließen sich modernes Denken und traditionelle Rituale nicht aus. Wie schon bei Babys und Kleinkindern schaffen Rhythmen, Regeln und Rituale Vertrauen und Sicherheit aus dessen Geborgenheit auch Raum und Mut für neue Ideen geschöpft werden kann. In diesem Sinne, toi, toi, toi für den vor uns liegenden Tag 😉

    Christian Holst · 24. Oktober 2012 um 22:06

    Ja, es schliesst sich offensichtlich nicht aus, aber ein Widerspruch ist es trotzdem. Es geht mir auch weniger um die Rituale, als um den Aberglauben, der damit zusammenhängt. Der passt für mich nicht zu einem aufgeklärten Selbstverständnis, vor allem nicht, wenn sich dieses teilweise recht aggressiv gegen Stücke äussert, aber nicht gegen die eigenen Verhaltensweisen.

Bernhard · 25. Oktober 2012 um 10:38

OK, mit dem Vorwurf Aufklärung predigen, aber Aberglaube leben, bin ich bei Dir.

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