Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Autor: Christian Holst

  • Aufruf zur Blogparade «Kultur unternehmen»

    Neulich habe ich es schon mal kurz angedroht: Anlässlich der Veröffentlichung meines Büchleins Kultur unternehmen. Wie junge Musiker das Kulturmanagement neu erfinden möchte ich gern eine Blogparade veranstalten. Das Thema ist – Überraschung! – Kultur unternehmen.

    Wieviel Unternehmertum braucht die Kulturszene? Welche Kulturunternehmer oder welche kulturunternehmerischen Initiativen (auch im Amateuerbereich) haben euch begeistert? Oder abgeschreckt? Sind Kulturbesucher nicht auch Kulturunternehmer? Ist das mit dem Unternehmertum nicht einfach nur ein nerviges Trendwort? Oder gar ein Euphemismus, um das Kürzen der Kulturetats zur «Chance» hochzuadeln? Den Assoziationen und der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

    Die Blogparade läuft bis zum 28. Februar 2015., zum Verweisen auf eure Beiträge könnt ihr die Hashtags #kultur_unternehmen und #blogparade verwenden.

    Aber was genau ist nochmal eine Blogparade? Der Chefblogger erklärt das folgendermassen:

    Ein Blogparade oder auch Blog-Karneval ist eine Blogaktion. Ein Blogger der so eine Blogparade erfindet, definiert ein bestimmtes Thema, zum Beispiel.

    Was ist die originelles Art ein Anzug zu tragen?
    Wie öffnet man eine Flasche Bier am originellsten?
    Danach schreibt der Blogparade-Erfinder ein Beitrag darüber. Er ruft die Bloggemeinde auf, in einem bestimmten Zeitraum (meistens 1-4 Wochen) einen Blogbeitrag zu diesem Blogstöcken zu schreiben, und dort ihre Antwort zu liefern. Die anderen Blogger müssen dann zur Teilnahme nur noch den Blogparade-Erfinder benachrichten (zb via eigenen Kommentar im Kommentarfeld)

    Nach Ablauf der Frist, sammelt der Blogparade-Erfinder die Antworten, verlinkt diese und/ oder kommentiert diese. Er kann dann zb die kreativste Antwort auszeichnen, oder die längste… Den Ideen sind keine Grenzen gesetzt.

    Also: wer etwas zum Thema Kultur unternehmen beizusteuern hat, bitte mitmachen! Wer Leute kennt, die etwas dazu zu sagen haben, bitte anstiften mitzumachen. Vielen Dank schonmal! Anders als das Buch, soll die Blogparade nicht auf den (klassischen) Musikbereich beschränkt bleiben. Je unterschiedlicher die Beiträge und Ansätze, umso besser und spannender. Da mich das Thema zur Zeit wirklich sehr interessiert, bin ich gespannt auf eure Meinungen und Einschätzungen.

     

    Beiträge

    Anke von Heyl: Kultur unternehmerisch denken – Interview mit Pausiano-Gründer Holger Simon

    Klaus Pertl: Die besten Vertriebskanäle finden – Interview mit Antje Hinz vom Silberfuchs-Verlag

    Klaus Pertl: Akquise durch Expertise – Interview mit Jonas Möhring von 123comics.net

    Claudia Brose: KULTUR unternehmen – Unternehmertum bei Kultureinrichtungen in den USA

    Wolfgang Muchitsch – Unternehmertum im Kulturbereich

    Christian Holst – Wer Visionen hat, baut ein Festspielhaus

  • Floskelalarm: Theater muss auch subversiv sein!

    Aus der Reihe «Falsch zugeordnete Zitate»:

    Theater muss auch subversiv sein!

    Veronica Ferres

    Ach nein, es war Peter Konwitschny. Zu seinem 70. Geburtstag schenkt er sich und uns ein paar Floskeln, die noch aus dem letzten Jahrtausend übrig geblieben waren. Ach ja, und ein bisschen Publikumsbeschimpfung gibt’s noch oben drauf. Anyway: Herzlichen Glückwunsch!

  • Klassikszene: Vitalfunktionen ok

    In der Klassikszene scheint gerade Optimismus vorzuherrschen. Volker Hagedorn fordert in der Zeit: Hört doch bitte endlich auf zu jammern. Es werde oft geweint, wo es eigentlich Grund zum Lachen gäbe, meint er mit Verweis auf eine Publikumsstatistik der Deutschen Orchestervereinigung.

    Von 2005 bis 2012 ist die Zahl derer, die sich Konzerte der öffentlich finanzierten Orchester in Deutschland anhörten, von etwa 3,9 Millionen auf knapp 4,3 Millionen jährlich gestiegen, parallel zur Zahl der Konzerte selbst: von 8.653 auf 10.371.

    Die Neujahrsmeldung des Blogs Orchesterland, hinter dem ebenfalls die Deutsche Orchestervereinigung steht, stößt ins gleiche Horn. Der Post zeigt ein steigendes Interesse an klassischer Musik anhand von gestiegenen Auslastungszahlen bei verschiedenen Festivals und Opernhäusern und Sinfonieorchestern auf.

    Allerdings lohnt ein genauerer Blick auf diese Zahlen. Denn nach einer Statistik des Musikinformationszentrums (MIZ) sind die Konzertbesuche seit 2005 recht stabil geblieben. Einen Anstieg gab es zwischen 2005 und 2012 nur dadurch, dass die Rundfunkorchester erst seit 2006 mit erfasst werden. Und wenn man sich gemäß den von Hagedorn genannten Zahlen das Verhältnis von zusätzlichen Konzerten (1.718) zu zusätzlichen Besuchern (400.000) anschaut, kommt man auf durchschnittlich 233 Besuche pro zusätzlichem Konzert. Damit liegt die Vermutung auf der Hand, dass schwerpunktmäßig das kammermusikalische Angebot vergrößert wurde, nicht das Orchesterkonzert-Angebot. Diese Entwicklung würde übrigens dem Trend entsprechen, der auch bei Theatern zu beobachten ist, nämlich immer mehr kleine Veranstaltungen mit einem stabilen oder sogar schrumpfenden Personalstock anzubieten.

    Auch die Neujahrsmeldung von Orchesterland lohnt ein genaueres Hinsehen: Eine gestiegene Auslastung sagt nämlich nichts über die Zahl der verkauften Tickets aus. Sie beschreibt das Verhältnis von angebotenen Plätzen zur Nachfrage. Die Auslastung kann daher sowohl steigen, wenn die Nachfrage bei stabilem Platzangebot wächst, als auch, wenn das Platzangebot bei stabiler Nachfrage schrumpft. Die von Orchesterland angeführte Berliner Staatsoper erzielte 2014 eine «Rekordauslastung», obwohl sie 7.000 Besuche weniger hatte als 2013.

    Dennoch teile ich den Optimismus, was die Klassikszene angeht. Er leitet sich aber nicht aus irgendwelchen Zahlen ab, sondern aus einem anderen Argument, das Hagedorn nennt, nämlich der zunehmenden unternehmerischen Vitalität der Szene. Hagedorn nennt als Beispiele den Aufstieg zahlreicher kleiner hervorragender Labels, die Menge und Qualität an spezialisierten freien Ensembles und das Musikmagazin VAN, das Musikjournalismus ins digitale Zeitalter transformiert. Ja, es sind die unternehmerischen Initiativen in der Klassikszene, die sie nach vorne bringen und inhaltlich am Leben halten. Deswegen: So lange die Klassikszene vital bleibt, werden sich auch Zuschauer für dieses Angebot begeistern lassen.

  • Erwartungen übertreffen

    Dass Kultureinrichtungen sich etwas einfallen lassen müssen, um ihre Relevanz und damit auch ihren Fortbestand zu sichern, ist mittlerweile Konsens. Konsens war bislang aber auch, dass neues Publikum über Vermittlung, professionalisiertes Marketing und Update oder Aufhebung der alten Rituale (Kleidung, Verhaltenskodex etc.) gewonnen und gebunden werden muss, damit die programmatischen Entscheidungen nach rein künstlerischen Kriterien getroffen werden können. Dass ein fundamentales Problem der öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen gerade in diesem hermetischen Deutungsanspruch über das Repertoire bestehen könnte, wurde bisher kaum zugestanden. Insofern fand ich ein Interview von Birgit Mandel mit der taz sehr interessant. Mandel sagt dort:

    Ich selbst bin zunächst davon ausgegangen, dass man die Sache einfach anders verkaufen muss: mit neuen Kommunikationsweisen, schönen Rahmenbedingungen. Aber das stimmt nicht, es ist ziemlich deutlich, dass man ein neues Publikum nur dann dauerhaft gewinnen wird, wenn es das Gefühl hat: Die Programme, die gezeigt werden, haben etwas mit meinem Leben zu tun. Und da wird es heikel.

    Warum?

    Da heißt es bei den Machern: Sollen wir uns von Kulturnutzern die Programmpolitik schreiben lassen? Und machen wir dann nur noch Mainstream und verlieren alle Qualitätsansprüche?

    Das Argument, dass künstlerische Qualität und Publikumserfolg in aller Regel nicht zusammengehen, ist zwar schon etwas fadenscheinig geworden, aber scheinbar trotzdem noch fest in den Köpfen der Kulturmacher verankert. Mandel lässt hier die Fadenscheinigkeit zwar anklingen, indem sie zu verstehen gibt, dass es wohl nicht reichen wird, die Sache einfach anders zu verpacken ohne auch den Inhalt mit den Interessen des Publikums in Einklang zu bringen. Wirklich abrücken von diesem Anspruch mag sie aber auch nicht, wenn sie im Weiteren sagt:

    Die Lösung besteht wahrscheinlich darin, dass man seine eigene Mission, seinen eigenen Anspruch an die Arbeit nicht aufgibt, nur um dem Publikum das zu geben, was es schon immer will. Das ist auch total langweilig. Sondern, dass man bei dem, was man ohnehin machen möchte, andere Nutzergruppen stärker mit einbezieht.

    Ist es wirklich langweilig, dem Publikum zu geben, was es schon immer wollte? Ich denke, was das Kulturpublikum schon immer will, ist gerade, sich nicht zu langweilen. Und langweilig wird es da, wo Kulturveranstalter nicht über die Minimalerwartungen des Publikums hinausgehen, ihm also nur geben, womit es sich gerade so zufrieden gibt. Auch wenn es ein viel strapaziertes Beispiel ist, sei hier auf Steve Jobs verwiesen, der meinte: «Meistens wissen die Leute nicht, was sie wollen, bis man es ihnen zeigt.» Das ist nicht nur ein gutes Motto für den Innovationswillen herkömmlicher Unternehmen. Es gilt überall da, wo Kreativität den Kern des Geschäfts ausmacht. Übertragen auf die kulturunternehmerische Arbeit heißt das in meinen Augen: Versuche, die Erwartungen des Publikums nicht (nur) zu erfüllen, sondern in einer Weise zu übertreffen, die es nicht erwartet.

  • Das Buch ist da! – «Kultur unternehmen»

    Es war lange nichts mehr los auf diesem Blog. Der letzte Eintrag stammt von Mitte August. Der wesentliche Grund dafür lag darin, dass die Zeit, die ich normalerweise zum Bloggen erübrigen kann, in die Fertigstellung eines Buches geflossen ist, das nun pünktlich zum Weihnachtsgeschäft erschienen ist. Kultur unternehmen: Wie junge Musiker das Kulturmanagement neu erfinden heißt es. Darin zeige ich in sechs kurzen Fallstudien zu verschiedenen Arbeitsfeldern des Kulturmanagements, z.B. zu Führung, Innovation, Marketing und PR sowie Kulturvermittlung, wie junge Kulturunternehmer Paradigmen der Kulturmanagementlehre neu definieren und frische Impulse setzen. Grundlage für die Fallstudien sind Interviews mit Kulturunternehmern, die jeweils in mindestens einem der genannten Arbeitsfeldern Beispielhaftes erreicht haben. Meine Gesprächspartner waren

    Auch wenn sich zeigt, dass es den exzellenten Kulturbetrieb nach Lehrbuch nicht geben kann, weil künstlerische Zielsetzungen und organisatorische Rahmenbedingungen immer sehr individuell aufeinander abgestimmt werden müssen, so ist es doch meine Hoffnung, dass dieses Büchlein gewisse Denkanstöße und Ideen gibt, wie zeitgemässes Kulturmanagement oder besser Kulturunternehmertum aussehen kann. Damit das gelingen kann, muss in meinen Augen ein zentrales Paradigma der Kulturmanagementlehre über Bord geworfen werden: Nämlich dass Kulturmanagement eine Hilfsfunktion sei, die das Kunstmachen ermöglichen soll, ohne inhaltlich darauf einzuwirken. Dieser Grundsatz mag theoretisch schlüssig sein, zumal wenn das Geld fürs Kunstmachen vom Staat kommt, der sich die Kunst damit freilich nicht willfährig machen können soll. Der Blick auf die Praxis zeigt jedoch, dass dieser Anspruch naiv und nicht einzulösen ist. Kulturmanagement ist idealerweise eine Funktion, die sich rückstandslos im Kunstmachen auflöst, das natürlich nie frei von sozialen, gesellschaftlichen, politischen, ethischen oder ökonomischen Kategorien stattfinden kann. Sozusagen ganz im Sinne von Goethes Epirrhema: «Nichts ist drinnen, nichts ist draussen; denn was innen, das ist aussen.»

    Die Artikel wurden für die Buchveröffentlichung noch einmal überarbeitet, die Interviews von meinen Gesprächspartnern noch einmal gesichtet und ggf. aktualisiert. Neu und bisher unveröffentlicht ist das Einleitungskapitel sowie das ausführliche Interview mit Louis Dupras, dem Geschäftsführer der Berner Camerata. Das Buch ist sowohl in klassischer Papierform als auch als E-Book erhältlich (iTunes, /eBook.de/libri.de). Das gedruckte Buch kostet 8.90 EUR bzw. 13.50 CHF, die E-Book-Variante in den ersten vier Wochen nach Erscheinen 3.99 EUR, danach 5.99 EUR. Rezensionsexemplare können über presse@bod.de bezogen werden. Mein besonderer Dank gilt der Redaktion des KM Magazins, in dem die meisten Artikel zwischen Herbst 2012 und Frühjahr 2013 erstveröffentlicht wurden.

    Natürlich freue ich mich über alle Rezensionen und Empfehlungen auf euren Blogs und Kanälen. Und ich freue mich, wenn ich mit dem Buch zu einer Diskussion beitragen kann, wie sich das Kulturmanagement im Sinne eines frischen, zeitgemäßen Kulturlebens weiter entwickeln sollte. Vor diesem Hintergrund plane ich, eine Blogparade zu dem Thema des Buches veranstalten. Dazu dann in Kürze mehr.

  • Kulturmanagementlehre: Auf dem digitalen Auge blind

    Das Kulturmanagement als akademische Disziplin feiert dieses Jahr seinen 25-jährigen Geburtstag. Anlässlich dieses Jubiläums unternahm Stephan Opitz kürzlich in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel «Ungeklärte Kernfragen» (leider nicht online verfügbar) eine kritische Würdigung: Die Entstehung des Faches verdanke sich einerseits der Verwandlung von Kultur- und Bildungsereignissen in Events, die in den 1980er Jahren vorangeschritten sei, sowie den zunehmenden Finanzschwierigkeiten, mit denen der in den 1970er massiv ausgebaute Kultursektor seit den 1990er Jahren zu kämpfen habe.

    Dafür sollte man das betriebswirtschaftliche Einmaleins lernen, um mit Marketingmethoden, führungstechnischen und finanzwirtschaftlichen Kompetenzen andererseits der Kultur auf die Sprünge zu helfen.

    Grundlegende Aspekte seien in der Ausbildung allerdings auf der Strecke geblieben, so Opitz. Etwa die Frage «Was ist Kultur – und warum soll sie von wem für wen vermittelt werden?», also die nach der grundlegenden Funktion, Bedeutung und Rolle von Kultur in der Gesellschaft. Als jemand, der im kulturwissenschaftlichen Grundstudium dauernd auf Adorno und im Hauptstudium dauernd auf Systemtheorie gestoßen wurde, kann ich den Eindruck nicht teilen, dass diese Frage zu kurz gekommen wäre. Auch im engeren Sinne ist die Kulturvermittlung, nicht zuletzt als Antwort auf den viel beschworenen demographischen Wandel, ein zentrales Thema in der Disziplin Kulturmanagement geworden und Gegenstand jeder gefühlten zweiten Abschlussarbeit, von der ich höre.

    Dass es ungelöste Kernfragen im Kulturmanagement gibt, sehe ich dennoch genauso. In meinen Augen dreht sich eine zentrale Kernfragen darum, wie sich der öffentlich finanzierte Kultursektor den digitalen Wandel zu Nutze macht bzw. der digitale Wandel Tatsachen mit sich bringt, auf die die Kultureinrichtungen zu reagieren haben. Eine Vorstellung davon, wie dies zu einer existenziellen Kernfrage werden könnte, erhält man mit Blick auf die kommerziellen Kulturbetriebe – insbesondere Verlage und Musikbusiness – deren Geschäftsmodelle durch digitale Innovationen entweder bereits überrollt wurden oder gerade überrollt werden. Ein aktuelles Beispiel ist der Streit zwischen Amazon und Hachette bzw. namhaften Autoren aus den USA. Öffentlich finanzierte Kultureinrichtungen mögen hier dank der öffentlichen Finanzierung etwas Schonzeit haben, früher oder später wird sie das Thema auch einholen.

    Zwar ist das Thema Kultur und Digitalisierung Gegenstand der einen oder anderen Publikation, aber als Kernfrage wird es in der Kulturmanagementlehre kaum verstanden. Was sich immerhin in Theorie und Praxis durchgesetzt hat, ist die Erkenntnis, dass auch Kultureinrichtungen digitale Medien für die (externe) Kommunikation nutzen können und sollten. Dieses Subthema der Digitalisierung hat somit inzwischen auch teilweise Eingang in die Studienpläne der Kulturmanagementlehrgänge und die Ressourcenplanung der Kultureinrichtungen gefunden. Aber damit fängt es erst an: Die Digitalisierung betrifft genauso auch die interne Kommunikation, das Marketing und den Kundenservice (Stichwort Big Data und Business Intelligence), das Wissensmanagement, die Rezeptionsgewohnheiten, ästhetische Innovationen, Crowdfunding und die Veränderung des Entscheidungsverhaltens der Besucher oder Kunden (s. hierzu etwa Zero Moment of Truth). Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

    Mein Eindruck ist, dass der blinde Fleck, den Opitz‘ Analyse diesbezüglich hat, symptomatisch für die gesamte Disziplin des Kulturmanagements ist. Wenn man aber Überlegungen über die Weiterentwicklung des Faches Kulturmanagements anstellt, ist es in meinen Augen zentral, dem Thema «digitaler Wandel» einen größeren Stellenwert einzuräumen. Mit der defensiven Strategie, das Thema so lange zu verdrängen, bis es sich selbst mit Macht aufdrängt, verpasst man die Chance, etwas draus zu machen. Das wär ebenso schade wie dumm.

  • Kulturvermittlung und Web 2.0 – Eine Liebe auf den dritten Blick?

    Bei diesem Blogpost handelt es sich um einen Debattenbeitrag, der im Juni 2012 auf kultur-vermittlung.ch erschienen ist. Da die Rubrik «Debatte» und damit auch der Artikel inzwischen nicht mehr online sind, veröffentliche ich ihn hier mit dem Einverständnis von kultur-vermittlung.ch erneut.

    Das Web 2.0 und die klassische Kultur – das ist keine Liebe auf den ersten Blick. Noch nicht einmal unbedingt auf den zweiten. Das Social Web scheint so viele Gewissheiten des klassischen Kulturbetriebs über den Haufen zu werfen: freier Download statt Recht auf geistiges Eigentum, die Intelligenz der Masse statt Genie des einzelnen Künstlers, Zerstreuung statt Muße und Konzentration, unverbindliche Häppchenkultur statt der Bereitschaft, sich auch auf Schwieriges einzulassen.

    Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man auf Facebook, Twitter und Co. nach Kultureinrichtungen sucht. Natürlich sind dort mittlerweile viele Kultureinrichtungen vertreten, aber allzu oft verstehen sie Social Media nur als zusätzliche, neue Kanäle, die mit den altbewährten PR- und Marketingbotschaften befüllt werden können. Für die Kulturvermittlung wird Social Web nur selten genutzt. Teilweise kursiert sogar die Sorge, das Internet könne Kulturvermittlung überflüssig machen. Die Kulturmanagement-Professorin Birgit Mandel spricht hier von «kulturellen Selbstbildungsprozessen» der sog. «digital natives». Ob einem Oper gefällt? – mal schnell bei Youtube gucken. Was war noch mal Impressionismus? Kurz bei Wikipedia nachschlagen, dann weiß man’s. Wenn man es so sieht, dann scheint das Web 2.0 mehr eine Bedrohung als eine Bereicherung zu sein. Bei einer Entwicklung, die aber nicht mehr aufzuhalten, sondern nur noch mit zu gestalten ist, zählt aber der Blick auf die Chancen.

    Gerade wer junge Menschen ansprechen möchte, kommt an Facebook und Co. nicht mehr vorbei. Laut James-Studie 2010 haben 84% aller Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren ein Profil in einem Social Network, meist bei Facebook. Wer mit jungen Menschen kommunizieren möchte und – fast noch wichtiger – lernen möchte, wie sie kommunizieren, sollte sich auf Facebook umsehen.

    Vor allem spricht aber ein inhaltlicher Grund für Kulturvermittlung im Social Web: Gute Vermittlung bedeutet, nicht nur zu belehren und zu informieren, sondern die Faszination der Kunst durch Partizipation erlebbar zu machen. Was liegt da also näher, als das «Mitmach-Web» – wie das Web 2.0 auch genannt wird – für die Kulturvermittlung zu nutzen? Es gibt erstaunlich wenige Beispiele, wo das bereits geschieht.

    Eins ist das Education-Angebot des Staatsballetts Berlin. Dies umfasst natürlich Angebote für Schüler, selbst zu tanzen. Aber nicht jeder ist zum Tänzer geboren. Eine andere Möglichkeit besteht daher darin, dass die Schüler die Compagnie mit der Kamera begleiten und Filme über deren Arbeit produzieren, die sie bei Youtube einstellen. Diese Videos taugen nicht als PR-Clip, aber die jungen Filmemacher lernen aus nächster Nähe, was es heißt, ein Ballett zu erarbeiten. Und die Filme, in die sie ihre eigene ästhetische Handschrift einbringen können, verbreiten sie in ihren Netzwerken und werden so selbst zu Kulturvermittlern.

    Das Social Web ermöglicht auf diese Weise «kulturelle Selbstbildungsprozesse» im besten Sinne, macht das Engagement der Fans sichtbar und multipliziert es. Eine Studie aus den USA zeigt, dass das nicht das Kunsterlebnis vor Ort ersetzt. Im Gegenteil – wer sich in den digitalen Medien mit Kunst und Kultur auseinandersetzt, wird angeregt, dies auch im Hier und Jetzt der Aufführung oder Ausstellung zu tun.

    Viele Kinoromanzen leben davon, dass sich die Protagonisten zuerst nicht mögen und erst nach allerlei Wirren zueinander finden. Aber das Happy End bleibt nie aus. Warum sollte es also bei der Kultur und dem Web 2.0 anders sein?

  • Mindestlohn am Theater

    In letzter Zeit wird die prekäre Lage von Künstlern immer häufiger zum Thema gemacht, habe ich das Gefühl: Im Frühjahr veröffentlichte theaterjobs.de eine Vergütungsumfrage, über die ich hier bereits kurz geschrieben habe. Die aktuelle Ausgabe der Kulturpolitischen Mitteilungen widmet sich dem Schwerpunkt «Kreatives Prekariat» mit etlichen interessanten Artikeln zum Thema. Kulturmanagement.net lässt nun eine Sonderreihe mit dem Titel «Mindestkultur» über den soeben beschlossenen Mindestlohn und dessen Auswirkungen auf den Kulturbereich folgen. Den Auftakt zu dieser Serie durfte ich mit einem kurzen Kommentar zum Mindestlohn am Theater geben.

  • Skrowaczewskis Bruckner

    Durch einen Bekannten wurde ich kürzlich auf den Bruckner-Zyklus des Dirigenten Stanislaw Skrowaczewski aufmerksam. Ich hatte den Namen vorher noch nie gehört, die Aufnahmen dementsprechend auch nicht. Als ich sie dann hörte, fragte ich mich allerdings, wieso dieser Dirigent so ein Schattendasein in der Musikwelt fristet, während Christian Thielemann als der Bruckner-Dirigent unserer Tage gefeiert wird. Man kommt dabei auf unschöne, spekulative Gedanken über die Macht von Agenten und PR-Strategen im Klassikbusiness, die man schnell beiseite schieben sollte. Immerhin gibt es ja diese Aufnahmen und sie machen schnell klar, dass Skrowaczewski den Vergleich mit den grossen Bruckner-Dirigenten wie Wand, Celibidache oder Giulini nicht nur nicht zu scheuen braucht, sondern in vielen Punkten gewinnt. Und das, obwohl er für seine Einspielung kein Weltklasseorcherster zur Verfügung hatte wie die oben genannten.

    Von den Bruckner-Sinfonien kenne ich die 8. am besten, was damit zu tun hat, dass ich vor 14 Jahren mal als «Mädchen für alles» bei einer Orchesterakademie fungiert habe, bei der diese Sinfonie einstudiert wurde. Aus diesem Grund habe ich mir vor allem diese Einspielung genauer angehört und mit anderen Aufnahmen, die ich kenne, verglichen. Die besondere Stärke von Skrowaczewskis Aufnahme scheint mir darin zu liegen, die Stärken vieler anderer Brucknerdirigenten zu vereinen: Wie Celibidache oder Wand hat er die viel beschworenen grossen Bögen bei Bruckner perfekt im Griff. Das zeigt sich insbesondere im Adagio, wo er die grossen Steigerungswellen über 20 Minuten hinweg spannungsvoll bis zum grossen Höhepunkt staffelt und dann langsam wieder verebben lässt.

    Wie Karajan oder Giulini pflegt er einen satten, prächtigen Klang, mit einer allerdings eher rauen, markigen Tongebung im Blech. Trotzdem ist der Klang erstaunlich durchhörbar: Jedes einzelne Instrument bleibt auch in den grossen blechdominierten Klangmassen identifizierbar (sicher auch ein Verdienst der Tontechniker). Skrowaczewskis Bruckner lebt aber nicht – wie Celibidaches oder Karajans – von grossen Bögen und sattem Klang, sondern auch von hörbarer Detailarbeit, die immer überzeugend ist. Anders als Thielemann, der sich in der 8. hier und da gewisse Mätzchen herausnimmt, die zwar mal einen guten dynamischen oder agogischen Effekt hergeben, aber wenig mit dem zu tun haben, was Bruckner sich laut Partitur vorgestellt hat, entwickelt Skrowaczewski die Phrasierungen zwar auch mit einer gewissen interpretatorischen Freiheit gegenüber der Partitur, aber doch sehr natürlich aus dem Gestus, der in der Musik liegt. Im Scherzo etwa nimmt er die Hörner und Posaunen beim grossen Tutti mit den Pauken zuerst etwas zurück und lässt sie dann auf den Schlusspunkt der Phrase hin crescendieren (Min. 1:18-1:24). Stark. Ebenso die scharfen Blechakzente in den lauten Motivrepetitionen davor (Min 0:52).

    Diese Details in den Phrasierungen machen seine Interpretation ebenso spannend wie die von Harnoncourt, deren Stärken insbesondere auf diesem Gebiet der «musikalischen Rhetorik» liegt.

    Nach dieser Hörerfahrung mit Skrowaczewskis Bruckner-Aufnahmen hörte ich mir auch Beethovens 4. Sinfonie an. Ich habe nicht viel erwartet, weil ich keinen tollen Bruckner-Dirigenten kenne, dessen Beethoven-Aufnahmen mir gefallen. Ich war dann sehr positiv überrascht: Skrowaczewskis Beethoven klingt fast, als hätte er sich mit historischer Aufführungspraxis beschäftigt. Auch hier haben mich die Details begeistert. Mehr als bei den Bruckneraufnahmen wird hier allerdings deutlich, dass das eigentlich sehr gute RSO Saarbrücken spieltechnisch dann doch nicht auf den Champions League-Plätzen mitspielt, also dort, wo sich etwa Chaillys superbrillanter Hochpräzisionsbeethoven mit dem Gewandhausorchester Leipzig bewegt.

    Wie der Zufall es so will, gastiert Skrowaczewski im nächsten Frühjahr beim Basler Sinfonieorchester. Ursprünglich stand die 8. Sinfonie auf dem Programm. Leider wurde sie jetzt gegen die Bruckners 4. und eine Mozart-Sinfonie eingetauscht. Aber was soll’s? Das Konzert ist ein Pflichttermin!

  • Content war King

    «2014 wird das Jahr des Content Marketing», las ich kürzlich. Auf onlinemarketing.de wird es sogar als «neue Wunderwaffe» bezeichnet. Und für einmal kann man feststellen, dass der klassische Kulturbereich einem Marketing-Trend nicht hinterherhinkt. Auch wenn der Begriff «Content Marketing» in aller Regel im Zusammenhang mit Online- und Social Media-Aktivitäten genutzt wird – wie in dem verlinkten Artikel – so haben Theater und Museen das analoge Pendant dieser Marketingtechnik schon vor langer Zeit für sich entdeckt. Die meisten größeren Theater haben eine Theaterzeitung, mit der den Lesern durch redaktionelle Berichte und Inhalte Lust gemacht werden soll, das Haus (wieder) einmal zu besuchen. Als gelungene Beispiele können hier etwa das Magazin des Opernhauses Zürich (ja, ich bin voreingenommen, aber es wird immerhin auch vom ehemaligen Musikredakteur der ZEIT konzipiert und redaktionell geleitet), das der Berliner Philharmoniker oder der Staatsopern in Hamburg und Stuttgart dienen. Diese Liste ist ebenso willkürlich wie unvollständig. Mir geht es darum, zu zeigen, dass vielerorts bereits analoges Content Marketing auf hohem Niveau betrieben wird.

    Wenn die 16. These des Cluetrain Manifestos also lautet: «Schon jetzt erreichen Unternehmen, die mit der Stimme des Marktschreiers reden, niemanden», kann man festhalten, dass dieser Paradigmenwechsel vom Push- zum Pull-Marketing im Kulturbereich längst vollzogen wurde. Man setzt schon lange auf interessante Geschichten und inhaltsvolle Informationen statt auf sich ständig weiter aufschaukelnden Werbedruck und laute, austauschbare Slogans. Fragt sich nur, warum die Kultureinrichtungen dann nicht auch eine Vorreiterrolle im digitalen Content Marketing einnehmen? Es gibt zwar mittlerweile einige gelungene Beispiele für Content Marketing aus dem klassischen Kulturbereich, so z. B. das Blog des Theaters Heilbronn, das der Bayerischen Staatsoper und das Online-Magazin der Schirnhalle. Aber die Auswahl an Beispielen fällt insgesamt deutlich spärlicher aus als im Printbereich. Woran liegt das?

    Mein Verdacht ist, dass bei aller Euphorie über die Pull-Logik, wie sie z.B. im Cluetrain Manifest oder dem eingangs verlinkten Artikel zum Tragen kommt, außer Acht gerät, dass auch im Social Web das Push-Marketing nach altem Muster nicht abgeschafft ist: Facebook kapitalisiert den Zugang zu seinen Nutzern ebenso wie die Tageszeitung den Zugang zu ihren Abonnenten. Das heißt Facebook – für viele Kultureinrichtungen mehr oder weniger gleichbedeutend mit «Social Web» – lässt sich die Reichweite von Unternehmensposts zunehmend bezahlen. Einerseits im Sinne der Nutzer, für die Unternehmensposts grundsätzlich zu den weniger interessanten Beiträgen in ihren Neuigkeiten gehören und andererseits natürlich und vor allen im unternehmerischen Interesse von Facebook selbst. Wenn allfacebook.de deswegen empfiehlt: «Bucht Werbung», dann  sagen sie nichts anderes als: Kehrt zum alten Push-Marketing zurück.

    Was die Reichweite der oben genannten digitalen Content Marketing-Beispiele angeht, kenne ich keine Zahlen. Ich wage aber die These, dass es sich nicht um berauschende Zahlen handelt. Die Wiener und die Bayerische Staatsoper führen mit 27.000 bzw. knapp 21.000 Facebook-Fans das Ranking der deutschsprachigen Opern- und Theaterlandschaft an. Verglichen mit den Berliner Philharmonikern mit 650.000 Fans ist das praktisch nichts. Und eben: Der Vorsprung der Berliner Philharmoniker lässt sich nicht dadurch erklären, dass sie  eine viel genialere Content Strategie oder bessere Inhalte hätten als alle anderen. Ihre Posts sind sogar meistens salesorientiert, die kleinen Teaser zu den Konzerten aus der Digital Concert Hall (die natürlich ein echtes «Content Asset» ist) werden in stets gleicher Machart präsentiert. Darüber hinaus gibt es ab und an Sonderaktionen, bei denen man kostenlose Konzerte in der Digital Concert Hall anschauen kann und ein gut gemachtes Blog (Content: Fotos). Das ist zweifelsfrei alles sehr gut und professionell, erklärt allein aber nicht den immensen Erfolg in Bezug auf die Fanzahlen. Die Wiener Staatsoper, die mit ihrem Livestreamingangebot auch über ein echtes, allerdings noch nicht so etabliertes «Content Asset» verfügt, kommt wie gesagt auf nicht einmal 5 % der Fanzahlen. Man muss nicht über Sherlock Holmes‘ deduktive Fähigkeiten verfügen, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass die Berliner Philharmoniker offenbar sehr viel Geld in die Hand nehmen, um ihre Digital Concert Hall zu promoten. Als Fan der Facebookseite habe ich praktisch täglich einen Beitrag der Philharmoniker in meinen Neuigkeiten, obwohl ich die nur selten anklicke. Von der Bayerischen Staatsoper, deren Fan ich ebenfalls bin, kriege ich kaum je etwas in meinen Neuigkeiten angezeigt, obwohl Facebook über Daten verfügt, die mein Interesse für Oper bezeugen.

    Die Aufregung darüber, dass Facebook mehr und mehr dazu übergeht, Reichweite zu verkaufen, mag auch mit dem lang gehegten Glauben zu tun haben, wir hätten es im Social Web mit einer gänzlich neuen Form der Kommunikation zu tun. Eine Form der Kommunikation, bei der jeder, der etwas Interessantes zu sagen hat, sich auch unabhängig von seinen Mitteln Gehör verschaffen kann – «content is was king». Und ja, schöner wäre es natürlich, Facebook würde seine Dienstleistung kostenlos zur Verfügung stellen und Audi seine Autos verschenken…

    Nach meinen Erfahrungen bietet Facebook ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Für vergleichsweise wenig Geld erreicht man mit hoher Treffsicherheit Personen, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit für das eigene Angebot interessieren. Denn anders als Zeitungen, Onlineportale oder Anbieter von Außenwerbung, kennt Facebook seine Nutzer sehr genau. Mit Conversion Tracking lässt sich zudem der Erfolg einzelner Kampagnen genau messen. Eine Facebook-Beraterin sagte mir einmal, dass man mit durchschnittlich 8 bis 12 Werbe-Euro pro Kauf rechnen sollte. Meine persönliche Erfahrung ist, dass sich diese Zahlen mit einem guten Angebot und einem präzis ausgewählten Publikum um mehr als die Hälfte unterbieten lassen. Mit Facebook lässt sich also ein Verhältnis von Insertionskosten und werbegeneriertem Umsatz erzielen, von dem man bei allen anderen Optionen nur träumen kann. Dieses Verhältnis ist außerdem eine aussagekräftige Kennziffer, um den Erfolg der Social Media-Aktivitäten zu messen, ohne dass man die ganze Diskussion um den ROI von Social Media noch einmal aufrollen müsste.

    Bleibt am Schluss die Frage, ob das jetzt heißt, am besten gleich alles Content Marketing in den Wind zu schießen?! Das sicher nicht. Aber unangefochtener King ist Content auch nicht (mehr). Am Schluss ist es wohl ein auf Basis von Erfahrungswerten individuell austarierter Mix aus Pull- und Push-Elementen in der Social Web-Kommunikation, der es macht.