Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Blog

  • Eindimensional

    Eigentlich ist theater-tv.com eine gute Idee. Die Videos sind, wie die gesamte Seite, gut gemacht. Eine Produktion, von der ich viel schlechtes gehört habe, schien mir vom Film her zu urteilen durchaus einen Besuch wert. Das spricht zumindest aus Theatermarketing-Sicht für grundsätzlichen Sinn und Zweck des Portals.

    Den Anspruch »Kulturinfos in einer neuen Dimension« löst die Seite allerdings nur ein, sofern man die Betonung auf das Wörtchen »einer« legt. Denn die multidimensionalen, unendlichen Weiten des sog. »Web 2.0« bleiben komplett ungenutzt. Warum sind die Videos nicht als Videocast erhältlich? Warum gibt es keine Kommentarfunktion, keine Bewertungsfunktion, keine Einbettungs- oder auch nur Empfehlungsfunktion, um die sog. »viralen Effekte« zu nutzen. Es ist eine Website, die es nur deswegen vor 5 oder 10 Jahren noch nicht hätte geben können, weil die Verbindungen zu langsam waren. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber diese Seite ist wieder ein Beleg dafür, dass »heutige« Kommunikation eben doch nicht das Ding von Theaterleuten ist.

  • Gegen religiöses Rumgeeier

    Vor einiger Zeit hörte ich bei SWR Leute ein sehr temperamentvolles Interview mit Manfred Lütz, der dort sein Buch Gott – Eine kleine Geschichte des Größten vorstellte. Das war ein wirklich spannendes Interview, also habe ich jetzt das Buch gelesen.

    Lütz macht darin einen kleinen, urteilsfreudigen Parforceritt durch die Geistesgeschichte, immer unter dem Blickwinkel, was die Menschen wann und warum über Gott gedacht haben. Das ist oftmals hochinteressant und lehrreich und was er sagt, fand ich inhaltlich fast immer sinnvoll und überzeugend. Etwas anstrengend ist auf Dauer allerdings der betont rotzige Stil, den Lütz im Nachwort selbstzufrieden als »hemdsärmelig« bezeichnet, genauso wie die scheinbare Belesenheit, die Lütz allzu gern zur Schau trägt. Wie es um die tatsächlich steht, fragt man sich allerdings an mancher Stelle, wo die Argumentation all zu windig wird. Zum Beispiel, als Lütz die Quantentheorie kurzerhand erkenntnistheoretisch vereinnahmt und zum argumentativen Super-GAU der Atheisten hochstilisiert und wenige Seiten später die erkenntnistheoretische Interpretation neuerer Hirnforschung mit ein paar ungnädigen Worten vom Tisch fegt.

    Das letzte Drittel ist so eine Art wortreiche Werbebroschüre für die katholische Kirche, die nach Lütz viel besser ist als ihr Ruf. Wer das nicht so sieht, wird hier vermutlich ein Problem haben, ich habe mich bloß gefragt, was das jetzt noch mit dem eigentlichen Thema zu tun hat. Alles in allem hat es aber Spaß gemacht, das Buch zu lesen und mir eine ganze Reihe Anstöße gegeben. Denn das Buch ist auch ein klares Plädoyer gegen religiöses und spirituelles Herumgeeier.

  • Ausweg aus dem Museum?

    »Wir verehren Altes, nur weil es alt ist.« ist eine zentrale These eines Essays aus der Zeit vom 3.1.08 (Siehe auch Kulturmanagement-Blog und Kulturblog.ch). Warum das Berliner Stadtschloss originalgetreu wieder aufgebaut werden soll, gar nicht mal nur konserviert, sondern komplett neu wieder aufgebaut, das verstehe ich tatsächlich auch nicht. Aber ansonsten glaube ich doch eher, dass wir Altes verehren, weil es gut und verehrungswürdig ist. Was überdauert hat, ist ja nur die Spitze eines Eisberges alter Kunst, von dem sich der weitaus größte Teil unter der Wasseroberfläche befindet, soll heißen: verworfen und vergessen ist. Es ist auch nur ein verschwindend kleiner Teil verglichen mit dem, was an zeitgenössischer Kultur rezipiert wird. Zu glauben, diese fände im Museum oder im Theater statt, ist fast ein bisschen rührend. Wer geht schon ins Museum?

    Einen »Ausweg aus dem Museum«, wie Blom das nennt, muss deswegen nur der suchen, der selbst in alten Kategorien denkt und nicht merkt, dass der Botticelli von heute möglicherweise Modefotograph ist und kein Maler und die heute bedeutenden Dramatiker nicht mehr für das Theater schreiben, sondern »Star Wars« oder »2001: A Space Odyssey« und anderes drehen und gedreht haben. Wer im Theater das wirklich »Heutige« sucht, wird dort deswegen trotz allen Regietheaters nicht fündig werden. Das Theater war das authentische Medium von Shakespeare, Schiller, Verdi und anderen. Heute ist es als Institution selbst Museum und als solches hat es seine Nische verdient. Museen freilich auch, aber die machen in der Regel auch keinen Hehl draus, dass es bei ihnen Altes zu sehen gibt.

  • Filmkritik: Crossroads

    Unterhaltungsprogramm im Zug: der Blues-Film Crossroads. Die Geschichte ist eigentlich so einfach wie der Blues selbst: Willie Brown hatte vor langer Zeit dem Teufel seine Seele dafür versprochen, dass er ihn den wahren Blues lehrt. Jetzt, wo er 80 ist, will er den Vertrag lösen und benutzt den blues-versessenen, Gitarre spielenden Juilliard-School-Studenten Eugene Martone dazu, ihn zurück zu den Crossroads in Mississippi zu bringen, wo er einst den Pakt mit dem Teufel schloss.

    Auf der beschwerlichen Reise nach Mississippi lernt Eugene den wahren Blues, den man an keiner Akademie lernen kann. An der Juilliard School schon gar nicht. Eugene verliebt sich unglücklich, sie werden von der Polizei aufgeschnappt, sie schlafen in Scheunen, kriegen es mit Zuhältern und anderen zwielichtigen Personen zu tun etc. Schließlich treffen sie den Teufel, der nach einigen Verhandlungen bereit ist, den alten Mann aus dem Vertrag zu lassen, wenn Eugene gegen einen »Teufels-Gitarristen« (gespielt von Steve Vai) ein Duell gewinnt. Viele, viele Töne werden ausgeteilt bevor am Ende natürlich Eugene einen klaren K.O.-Sieg verbuchen kann. Ironischerweise ist es aber ein auf der Juilliard School und nicht auf der Straße gelerntes Stück, das dem »Bluesman« die Seele rettet: das Cappriccio Nr. 5 vom »Teufelsgeiger« Nicolo Pagagini. Bei diesem Beinamen muss man auch hier sagen: ironischerweise.

    Guckst du hier:

  • Würdeloses iPhone

    Heute morgen hatte ich das Vergnügen, ein simlockfreies iPhone zu entsperren. Eigentlich ganz einfach. Eigentlich. Nach dieser Erfahrung werde ich es keinem Apple-User mehr durchgehen lassen, sich über Windows lustig zu machen. Was Apple mit dem iPhone veranstaltet, hat Microsoft schon seit Jahren hinter sich: Funktionstüchtigkeit nach dem Zufallsprinzip, nicht nachvollziehbare Programmreaktionen, schlechter Service, ahnungslose Kundenberater. Außerdem finde ich, dass der Touchscreen das iPhone zu einem würdelosen Gerät macht. Hätte es ein bisschen Selbstachtung, würde es sich doch nicht andauernd und zwingenderweise betatschen lassen.

  • Nichts gegen Ikea

    Nachdem ich die letzten Tage damit verbracht habe, diverse Ikea-Möbel aufzubauen, muss ich mit einem Vorurteil aufräumen, auf dem ganze Programme von Fernseh-Comedians a la Mario Barth fußen. Dem Vorurteil nämlich, dass es wahnsinnig kompliziert sei, Ikea-Möbel aufzubauen, weil die Anleitung unverständlich ist, weil immer irgendwelche Teile fehlen und die Hotline, die man dann anrufen soll, keine Ahnung von gar nichts hat usw. Und wenn man dann doch alles einigermaßen hinbekommen hat und das Möbel aufstellt, ist alles krumm und schief oder fällt gleich wieder in sich zusammen oder so. Haha. An diesem Vorurteil ist jedoch nichts (mehr) dran. Nicht nur, dass die Anleitung alle erforderlichen Informationen enthält und alle Teile dabei waren: ich fand sogar, es ist ein planerisches Meisterstück, wie alles so konzipiert und vorbereitet ist, dass man es platzsparend transportieren kann, in überschaubarer Zeit zu Hause zusammenbauen kann und man dann gutaussehende, stabile Möbel bei sich rumstehen hat. Und der gewisse Stolz, dass diese hochwertigen Möbel praktisch Ergebnis eigener Arbeit sind, ist auch nicht zu verachten. 😉

  • Dezente Verlinkung

    Dank Amazon hatte ich einen denkbar stressfreien Weihnachtseinkauf. Man kann gegen das Internet sagen was man will, aber allein schon ein kurzer Blick – am besten an einem Samstag – auf den dezemberlichen Einkaufsterror in Innenstädten und Kaufhäusern führt einem seinen Nutzen drastisch vor Augen. Vor lauter Dank an Amazon habe ich neuerdings dezente Verlinkungen in mein Blog eingebaut: Siehe rechte Spalte ganz unten. Wer mir einen Gefallen tun möchte, sucht die Amazon-Seite zukünftig über die Links auf dieser Seite auf. 🙂 Im Sinne höchstmöglicher Transparenz: ich werde mit 5% an den Umsätzen beteiligt, die über mein Blog zustandekommen. Bezüglich der inhaltlichen Unabhängigkeit, die bekanntermaßen ein wesentliches Qualitätsmerkmal dieses Blogs ist, besteht allerdings auch zukünftig kein Grund zur Sorge. 😉

  • Unerschöpflicher Hörgenuss

    Das Weihnachtsoratorium probend stellte Beisasse die Frage, ob es wichtig ist zu wissen, wie die musikalische Leitung die geistliche Bedeutung der Musik einschätzt. Da ich gerade die unerreichte Weihnachtsoratoriums-Aufnahme von René Jacobs rauf und runter höre, meine ich, dass es zumindest ein großer und unerschöpflicher Hörgenuss ist, wenn dem Text genau nachgespürt wird. Zum Beispiel in der Arie »Großer Herr und starker König«, wo die Trompete (klingendes Symbol königlicher Macht) mal schmetternd, mal weich intoniert, je nachdem, ob gerade vom »großen Herrn« oder vom »liebsten Heiland« die Rede ist.

    Allerdings ist diese Musik auch dann noch wunderbar, wenn die Geigen permanent ein Achtel hinter den anderen Instrumenten herhinken. So war es nämlich am vergangenen Sonntag bei der Aufführung im Bremer Dom. Dank Chor und Solisten war es nichts destotrotz ein sehr schönes Konzert.

  • Franziskus auf tönenden Pfannkuchen

    Von Saint Francois d’Assise gibt es übrigens eine wirklich hervorragende Aufnahme unter der Leitung von Kent Nagano. Getragen wird sie insbesondere von einem grandiosen José van Dam in der Titelrolle. Ihm gelingt es, die demutvolle Haltung des Rollencharakters auch gesanglich umzusetzen und gleichzeitig würdevolle Autorität auszustrahlen. Sein Gesang ist geradlinig, unprätentiös aber mit dezentem Pathos. Wunderschön, sozusagen mit überirdisch reiner Stimme, singt auch Dawn Upshaw die Rolle des Engels. Orchester und Chor sind brillant und sehr präzise und bringen trotzdem die Innerlichkeit wunderbar zur Geltung. Erstaunlich, aber sehr lobenswert, dass sich die Deutsche Grammophon auf solch ein sicher nicht sehr lukratives, aber in jedem Fall künstlerisch lohnenswertes Projekt eingelassen hat.