Christian Holst

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  • Politisches Erdbeben

    In der Schweiz ereignet sich gerade etwas, was Medien wohl gerne als »politisches Erdbeben« oder auch als »Politkrimi« bezeichnen. Gestern waren Bundesratswahlen. Der Schweizer Bundesrat entspricht in etwa der deutschen Bundesregierung. Anders als die deutschen Minister, werden die Bundesräte aber direkt vom Parlament gewählt. Dazu stellt jede der vier großen Parteien entsprechend ihrer Größe Kandidaten zur Wahl. Bei der rechtskonservativen SVP, größte Fraktion im Schweizer Bundesparlament, waren das Samuel Schmid und Christoph Blocher. Letzterer ist so eine Art schweizerischer Markus Söder, nur älter und in sehr viel bedeutenderen Positionen. Auf jeden Fall scheiden sich an ihm schon lange die Geister. Deswegen vereitelten die gegnerischen Fraktionen in einer konzertierten Aktion seine Wiederwahl, indem sie einfach seine Partei-Kollegin mit dem lustigen Namen Eveline Widmer-Schlumpf wählten, obwohl die gar nicht offiziell zur Wahl stand und bisher Kantonspolitik gemacht hat. Diese Aktion wurde streng geheim vorbereitet, so dass niemand etwas ahnte und das Abstimmungsergebnis dann eine echte Sensation, eben ein politisches Erdbeben, darstellte. Eveline Widmer-Schlumpf hatte daraufhin die schwierige Entscheidung zu treffen, ob sie die Wahl annimmt und damit ihre eigene Partei gegen sich aufbringt. Denn die SVP drohte, in die Opposition zu gehen, die es in der Schweizer Konkordanz-Demokratie eigentlich gar nicht gibt, sollte sie ihre offiziellen Kandidaten nicht durchbekommen.

    Heute morgen hat Widmer-Schlumpf die Wahl nun angenommen, die SVP hat ihr die Unterstützung versagt und wird jetzt als Opposition alles untergraben, was sie und die Regierung unternehmen. Etliche Leute meinen aber, dass das eigentlich keinen Unterschied mache, weil Blocher schon zuvor das Kunststück gelungen sei, Regierungsmitglied und zugleich Oppositionsführer zu sein.

    Bei aller Spannung in dieser Angelegenheit schien es mir doch so, dass alles vergleichsweise unaufgeregt über die Bühne ging und man schnell wieder zur Tagesordnung überging. Zwei beleidigte, aber noch nicht einmal besonders scharf formulierte Erklärungen der SVP und ein paar verbale Muskelspielchen in Interviews, aber das wars dann schon fast. Ich glaube, in Deutschland hättte so ein Coup sehr viel größere Wellen geschlagen und das politische Geschäft für Tage oder Wochen aus dem Tritt gebracht.

  • Fünf Mal Oper

    Da ich fand, dass es mal wieder Zeit ist für eine neue Folge in der Reihe »Fünf mal…« ist, hier und heute fünf hörenswerte Opern.

    Norma mochte schon Wagner, was erstaunlich ist, weil er ja normalerweise kein gutes Haar an der italienischen Oper ließ. Und Norma ist durch und durch italienische Oper: Liebe, Eifersucht, Tod und wunderbare Melodien. Seit ich Norma an der Stuttgarter Staatsoper gesehen habe, mag ich sie auch. Hauptgrund war die wirklich phänomenal singende Catherine Naglestad, die auf sehr eindrucksvolle Weise vorgeführt hat, in welche euphorische Verzückung man durch vollendeten Belcanto versetzt werden kann.

    Ich zähle mich nicht zu den großen Mozartfans und freue mich durchaus über so ketzerische Aussagen wie den berühmten Kommentar von Glenn Gould zur g-Moll Sinfonie: »Die Sinfonie in g-Moll besteht aus acht bemerkenswerten Takten umgeben von einer halben Stunde Banalität.« Hehe! Allerdings bin ich ein großer Fan von Le Nozze di Figaro. Für mich zweifellos und mit Abstand die beste Mozartoper und eine der besten Opern überhaupt. Wenn es gut läuft, sitzt man im Theater und ist nach zwei Takten Ouvertüre einfach gut drauf. Wenn es nicht so gut läuft, kann es allerdings auch ein langer Abend werden.

    Sehr viel deutscher als diese beiden Opern ist Wagners Parsifal. Für ihren quasi-religiösen Charakter, der schon in der bemerkenswerten Gattungsbezeichnung Bühnenweihfestspiel zum Ausdruck kommt, wurde und wird sie häufig belächelt. Zu allererst von Nietzsche, heute von jedem Regisseur, der nicht für blöd und reaktionär gehalten werden möchte. Das ist schade, denn in dieser Hinsicht ernst genommen wäre das Bühnenweihfestspiel mit Sicherheit »verstörender« als das, was Regisseuren so dazu einfällt.

    Aufgrund des ebenfalls religiös anmutenden Sujets irgendwie ähnlich ist Olivier Messiaens Oper Saint Francois d’Assise. Noch mehr als bei Parsifal ist bei Francois d’Assise allerdings die Frage, ob man von Oper überhaupt sprechen kann. Messiaen gab dem Werk den Untertitel »Franziskanische Szenen«, was sicher eine treffendere Gattungsbezeichnung ist. Bei den Szenen handelt es sich eher um szenische Meditationen über Stationen im Leben des Franz von Assisi. Erstaunlich ist der tiefe, gänzlich undistanzierende, unironische Ernst dieses Werks. Die Auftritte des Engels gehören in meinen Augen zu dem Schönsten, was die Musik des letzten Jahrhunderts zu bieten hat (weil es eigentlich wie Musik des vorletzten Jahrhunderts klingt 😉 ), die Szene, in der Franziskus die Wundmale empfängt, zu dem Monumentalsten und Beeindruckendsten.

    Über The Fairy Queen von Purcell habe ich schon einmal im Beitrag Fünf Mal Barock geschrieben. Meistens finde ich Barockoper ziemlich langweilig, aber diese ist wirklich bezaubernd.

  • Drei Orangen

    Endlich bin ich jetzt mal dazu gekommen, die Aufnahme von »L’Amour des trois Oranges« zu hören, die schon seit langer Zeit in meinem Besitz ist, die ich aber irgendwie nie die Lust zu hören hatte. Das hing wahrscheinlich mit der Erinnerung an eine anstrengende Aufführung dieser Oper in der Komischen Oper Berlin statt. Diese Aufführung war so anstrengend, dass ich kurzerhand eingeschlafen bin. Aber das hatte weniger mit der Qualität der Darbietung zu tun als mit meiner Verfassung an jenem Tag. Trotzdem ist mir der gesamte Abend nicht in besonders guter Erinnerung.

    Jetzt hat mir die Musik beim Hören allerdings wirklich gut gefallen. Sie ist gewitzt, schnell und mitunter auch abgedreht und erinnert daher etwas an »Die Nase« oder andere, leichtere Musik von Schostakowitsch. Auch die Geschichte ist bei Prokofiew ähnlich absurd wie in »Die Nase«. Insgesamt jedoch alles sehr viel zahmer, was mir aber nur recht ist.

  • Totale Sicherheit

    Kürzlich sah ich Minority Report. Ein ziemlich guter Film. Wenn man so will trotz Tom Cruise, der ja nicht gerade ein besonders guter Schauspieler ist. Sonst hätte er wohl bei der Bambi-Verleihung auch nicht in der fragwürdigen Kategorie »Mut« ausgezeichnet werden müssen und sich vielleicht auch nicht mit seiner Dankesrede blamiert. (»Es lebe das heilige Deutschland!«)

    Wie auch immer, Minority Report hat eine intelligente, gute Geschichte, die nachher doch nicht so vorhersehbar ist, wie es zunächst scheint. Für die handelnden Figuren ebenso wie für den Zuschauer. Das Gute an dem Film ist aber vor allem das Zukunftsszenario, das er zeichnet. Zum Beispiel personalisierte Werbung im Kaufhaus dank Iris-Scan am Eingang. Das ist einerseits (noch) eine witzige Vorstellung, andererseits aber auch nur Tendenzen der heutigen Werbung und Kundenbindung konsequent weiter gedacht. Der Film macht so auf anschauliche (weil natürlich auch etwas überspitzte) Weise klar, welche Folgen die totale Durchleuchtung der Menschen hat, die eigentlich doch nur den totalen Service und die totale Sicherheit verspricht. Angesichts der sicherheitspolitischen Diskussionen, die gerade geführt werden, wird einem da direkt mulmig. Siehe dazu z.B. hier.

  • Originelle Grammatik

    Die Schweizer und die Deutschen verbindet angeblich eine lang gepflegte Hassliebe. Der Hass kommt dabei von schweizer Seite, die Liebe von deutscher. Vor einiger Zeit ging das in der Schweiz groß durch die Medien. Weil da natürlich viel Stimmungsmache im Spiel war, haben sich zwei Schweizer Schüler ausführlich damit in ihrer »Maturitätsarbeit« beschäftigt. Die wichtigen Erkenntnisse haben sie in einer ausgesprochen gut gemachten Audiodokumentation zusammengefasst. Um Gewinn daraus zu ziehen, muss man allerdings des Schwyzerdütschen einigermaßen mächtig sein, auch wenn es sich hier um eine sehr gepflegte Variante handelt.

    Etwas übertrieben wird m.E. der wirtschaftliche Vorsprung der Schweiz dargestellt. Es stimmt sicher nicht, dass ein deutscher Bauarbeiter nur 1440 CHF im Monat verdient (knappe 900 Euro), spätestens nicht mehr, seit der Aufschwung bei den Menschen ankommt. Und die Lebenshaltungskosten sind einfach deutlich teurer. Mein beliebtes Beispiel: ein einfacher Herrenhaarschnitt in Bern ist kaum für weniger als 40 Franken zu bekommen (etwa 25 Euro) – in Bremen gibt es den ab 8 Euro. Also für nicht mal ein Drittel.

    Sicher richtig ist dagegen, was zum Sprachproblem gesagt wird. Viele Schweizer reden sehr ungern Hochdeutsch und bedenken dabei nicht, dass ich ihnen ihre originelle Grammatik gerne nachsehe, wenn ich sie dafür ansonsten gut verstehen kann.

  • »Jetzt singt sie auch noch!«

    Nachdem ich ein sehr unterhaltsames, lustiges Interview mit Barbara Schöneberger im Bayern3-Podcast gehört hatte, interessierte mich ihr Album Jetzt singt sie auch noch! Wie das Schicksal es wollte wurden mir tags drauf ein paar iTunes-Songcard zugespielt, so dass ich es mir runterladen konnte. Singen kann Barbara Schöneberger, keine Frage. Allerdings finde ich, dass ihre Stimme nicht viel her macht, sondern dünn und fast ein bisschen piepsig klingt. Darüber hinaus riefen die Musik auf der einen und die Texte auf der anderen Seite bei mir eine gewisse kognitive Dissonanz hervor. Denn die großgestigen Gala-Show-Bigband-Arrangements, sowieso nicht so mein Fall, gehen in meinen Augen überhaupt nicht mit den meist ironisch-banalen Erlebnisberichten aus dem ganz normalen Beziehungsalltag zusammen (z.B. »Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann« oder »Ich hab Mailverkehr und sonst gar nichts mehr«). Auch wenn der Vergleich jetzt sehr willkürlich ist: Ina Müller hat das für meinen Geschmack authentischer hinbekommen und außerdem die bessere, weil charakteristischere Stimme.

  • Top of Europe

    Heute habe ich einen Ausflug aufs Jungfraujoch gemacht. Die Anfahrt von Bern dauert schlappe 3,5 Stunden, allein die letzten 9 Kilometer mit der Jungfraubahn dauern eine knappe Stunde und kosten 35 Euro (einfache Fahrt). Dort oben, auf im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden 3500 Metern Höhe, hat man eine fantastische Aussicht. Zur einen Seite auf das Berner Oberland, die Kleine Scheidegg, das Lauberhorn und bei richtig gutem Wetter angeblich sogar bis zum Schwarzwald und den Vogesen. Und zur anderen Seite auf die 26,5 Mrd. Tonnen Eis des Aletschgletschers. Hier eine kleine Fotostrecke, die zumindest eine leise Ahnung von der prachtvollen Aussicht vermittelt, die man dort oben genießt.

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  • Andere Länder, andere Sitten

    In Indien kann man offenbar auch Tiere heiraten. Dazu gibt es auch eine kleine Zeremonie und Brautschmuck für den Hund (s. Bild). Sollte das Herrchen später eine Ehe mit einer Artgenossin eingehen wollen, dann ist allerdings keine Scheidung erforderlich. Nur eine nicht ganz unwesentliche Frage bleibt in dem Bericht offen: Wie steht das indische Gesetz zu dem Vollzug einer solchen Ehe?

  • 6 Staffeln in 7 Minuten

    Bei youtube gibt es alle sechs Soprano-Staffeln im Zeitraffer. Ich bin dabei, die zweite Staffel zu gucken und muss leider feststellen, dass sich mein Sprachschatz vulgärisiert, wenn ich nicht ausreichend lange Pausen zwischen den einzelnen Folgen einlege. An der zweiten Staffeln gefällt mir, dass die einzelnen Handlungsstränge sich doch eher mal über mehrere Folgen ziehen, als es in der ersten Staffel der Fall war. Und Neffe Christopher benimmt sich nicht mehr ganz so dämlich wie in der ersten Staffel. Wie gesagt ist die Serie sehr gut gemacht, aber irgendwie ist es auf Dauer deprimierend, sich ständig unsympathische, brutale, idiotische Typen anzusehen. Die dritte Staffel werde ich deswegen vermutlich erstmal nicht gucken und es lieber mit etwas erbaulichem versuchen. Vielleicht versuche ich es jetzt mal mit den nett-belanglosen Gilmore Girls oder so.

    Nachtrag: Die letzten beiden Folgen der zweiten Staffel sind übrigens richtig blöd. Die Ermordung von Tonys Fast-Schwager Richie ist in puncto dramaturgischer Glaubwürdigkeit bestenfalls einer Vorabendsoap würdig. Und die Fieberträume, die Tony ziemlich unvermittelt auf die Spur des Maulwurfs in seiner Crew bringen, sind noch nicht einmal das.

  • Neudeutsche Sprache – schwere Sprache

    Der Begriff der Gerechtigkeit hat es in Zeiten des scheinbar alternativlosen Sozialabbaus schwer. Nicht selten wird er zum Synonym für eine Haltung, die den Schuss der Globalisierung noch nicht gehört hat und alten, unrealistischen und unsinnigen Vorstellungen nachhängt. So in etwa scheint es auch bei dem Buch einer CDU-Abgeordneten zu sein, die früher mal für die Grünen im Bundestag saß. Das Buch heißt »Neustart!« Untertitel: »Was sich in Politik und Gesellschaft ändern muss. Umdenken lohnt. Freiheit und Fairness statt Gleichheit und Gerechtigkeit.« Ich habe mich gefragt, wer sich wohl ein Buch kauft, bei dem einen die Dummheit schon vom Umschlag anspringt?