Christian Holst

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  • Erstaunlich sakral

    Vergangenen Samstag bekam die Zürcher Oper eine zweite Chance. Es gab Parsifal, Inszenierung Hans Hollmann, von dem ich noch nie was gehört hatte, musikalische Leitung Bernard Haitink, den ich endlich einmal hören wollte. Auch wenn die Inszenierung sehr abstrakt war, hat sie mir unterm Strich doch ganz gut gefallen. Erstaunlich war nämlich, dass die sakralen Handlungen, die sonst meist dem aufklärerischen Anspruch des Regisseurs zum Opfer fallen, allesamt sehr konkret gezeigt wurden. Bei der ersten Gralsenthüllung wurden tatsächlich Wein und Brot ausgeteilt, im dritten Aufzug gab es eine echte Fußwaschung, eine echte Salbung etc. Ironischerweise ist eine solche (zumindest im Ansatz) »buchstabengetreue« Umsetzung mittlerweile viel verstörender und provozierender, als das ehrwürdige Bühnenweihfestspiel in einem Bahnhofsklosetting o.ä. spielen zu lassen.

    Wirklich großartig waren auch die Lichteffekte, die einen großen Reiz der Inszenierung ausmachten. Die Verfolger waren absolut präzise, durch geschicktes Abdimmen verschwanden Personen einfach im Nichts oder traten nur als Schemen in Erscheinung. Auch die Szene der Blumenmädchen war auf einem sehr gelungenen Lichteffekt aufgebaut: Sie waren dunkel gekleidet und trugen farbige, reflektierende Tafeln vor sich her, die in der Gesamtwirkung ein zwar abstraktes, aber sehr eindrucksvolles Blumenmeer in der ansonsten fast komplett schwarzen Bühne bildeten.

    Das Orchester unter Haitink war phänomenal, insbesondere wenn man bedenkt, dass es sich lediglich um eine Wiederaufnahme handelte mit vermutlich entsprechend wenig Proben. Da stimmte einfach alles. Die großen Partien waren zwar mit hochkarätigen Leuten besetzt, die aber teilweise nicht gerade ihren besten Tag erwischt hatten.

    Nichtsdestotrotz: Chance genutzt.

  • Knut in Bern

    Die Berner Lokalzeitung »Berner Bär« hat sich in der Ausgabe vom 29. März bereits einen vorzeitigen Aprilscherz erlaubt. Titelgeschichte am Donnerstag war nämlich, dass Eisbär Knut aus Berlin zu Besuch kommt, um den trostlosen, aber berühmten Berner Bärengraben zu begutachten. Anlässlich des Besuchs entbrannte im Gemeinderat angeblich ein hitziger Streit, wer Knut denn nun als erstes streicheln dürfe:

    »Stapi Alex Tschäppät, stadtbekannter Hundeführer und Drachentöter, beharrte auf dem in der Stadtverfassung von 1191 garantierten präsidialen Erstpräsentationsrecht. Barbara Hayoz hingegen, als Golfspielerin ein Naturmensch par exellence, wollte nicht von dem anno 65 n. Chr. verbrieften Direktions-Bär-Vorpräsentationsrecht lassen.«

    Das kann ja nicht deren Ernst sein. Allerdings: Bei den Schweizer kann man da nicht ganz sicher sein.

  • Berühmte Waldorfschüler

    Bin heute auf eine Liste mit berühmten Waldorfschülern gestoßen. Sind ja doch mehr, als ich gedacht hätte. Z.B. Heiner Lauterbach – tsss. Ich dachte dagegen immer, dass Annie Lennox Waldorfschülerin gewesen sei und deswegen ihr Duo mit Dave Stewart »Eurythmics« genannt hat – eben auch in der typischen Schreibweise. Im Wikipedia-Eintrag über Lennox ist nur zu lesen, dass sie als Kind mit Eurythmie in Berührung gekommen ist.

    Insgesamt viele Schauspieler, ein paar Politiker und immerhin ein Profi-Fußballer!

  • Bremsen

    Heute war ich bei einem Fahrsicherheitstraining im Driving-Center in Veltheim. Ein ganz lustiger Tag, obwohl wir eigentlich nichts anderes gemacht haben, als bremsen zu lernen. Nur bremsen, bremsen mit Ausweichen, bremsen auf nasser Fahrbahn, bremsen mit »Pnö« (schwyzerdütsch für Reifen) ohne Profil auf nasser Fahrbahn usw. usf. Dazu ein bisschen Theorie, bei der ich mich an meine Führerscheintheoriestunden von vor 12 Jahren erinnert gefühlt habe, weil sie ebenso unterhaltsam waren. Habe mich gefragt, ob Fahrlehrer grundsätzlich lustige Personen sind? Bei Horst Schlämmer schien das nicht so der Fall zu sein. Naja, dafür ist Horst ja umso witziger, nicht wahr?

  • Oper 2.0

    Bin gerade durch Zufall auf einen interessanten Artikel gestoßen, der fragt, wem eigentlich die Oper gehört. Es knüpft zwar nicht ganz direkt dort an, aber ich frage mich schon seit längerem, ob das Web 2.0-Prinzip nicht geeignet ist, die altehrwürdige Kulturszene ordentlich aufzumischen. Zum einen, weil das Web 2.0 solche bzw. ähnliche Möglichkeiten zur Teilhabe bietet, wie in dem Artikel beschrieben. (Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie das qualitativ einen Musikgenuss ergeben soll.) Aber auch, weil hier mal Ernst gemacht werden könnte mit dem aufklärerischen Anspruch des Theaters. Denn ohne eine diskursive Komponente stellt er sich doch selbst bloß. Eine Widersprüchlichkeit von (öffentlichen) Theatern besteht doch darin, dass sie mit feudalistischer Struktur die offene, soziale, liberale Gesellschaft (Demokratie) beschwören.

  • Party

    Auf der Fahrt nach Bern habe ich einen Zwischenstopp in Essen gemacht. Scotty ist 30 geworden und halb Essen war da. Nicht nur Essen, die Leute kamen von überall her, Bremen, Bamberg, Berlin, Marburg usw. Also feiern kann er noch, der alte Sack.

    Die Bahnfahrt war ziemlich chaotisch. Verspätung, verpasste Anschlüsse, verpasste Reservierungen. Die schlechte Beratung der Zugbegleiterin fand ich allerdings aufgrund des charmanten holländischen Akzents, in dem sie erteilt wurde, verzeihlich.

    Im Zug habe ich Der Pate II gesehen. Fand ich allerdings nicht ganz so großartig wie den ersten Teil. Vielleicht weil die Grundatmosphäre des Films diesmal keinen Neuigkeitswert mehr hatte. Trotzdem natürlich ein sensationelles Epos. Und was ist Al Pacino für ein unglaublicher Typ! Genial! Robert de Niro dagegen – na ja.

  • Wink mit dem Lattenzaun

    Um hier die Reihe meiner Opernkommentare fortzusetzen, ein kleiner Bericht aus dem Berner Stadttheater, wo ich vorgestern Le Nozze di Figaro sah. Die Vorstellung begann damit, dass kreischende Choristinnen Flugblätter aus den Rängen ins Parkett warfen, auf denen die Abschaffung des Rechts der ersten Nacht gefordert wurde. Aus dieser Forderung ergeben sich nämlich die zahlreichen Konflikte und Intrigen der Oper. (Eine Tatsache übrigens, die eine plausible Aktualisierung der Handlung praktisch unmöglich macht.) Um dies noch einmal zu verdeutlichen, blickte man während der Ouvertüre auf die Projektion eines entblößten, jungfräulichen Schoßes. Das war aber auch schon die einzige originelle Idee des Abends, die immerhin noch bis zur Pause im Bühnenbild präsent blieb. Dies bestand nämlich aus zwei Seitenwänden, die nach hinten auf einen gemeinsamen Fluchtpunkt zuliefen. Vor diesem befand sich ein schmaler Durchgang, auf den sich alles Rein-raus konzentierte. Dr. Freud winkt mit dem Lattenzaun.

    Ansonsten erschöpfte sich die Regie in gepflegtem Rampenstehtheater. Anstatt den überschäumenden Witz der Musik auch szenisch umzusetzen, nahm der Regisseur (Stephan Müller) nur die Gags mit, die auch wirklich nicht zu verfehlen sind und platzierte den ein oder anderen unmotivierten Einfall. Z.B. ließ er Figaros Arie im vierten Akt vor geschlossenem Vorhang und bei erleuchtetem Saal spielen. Die Sänger waren durch die Bank sehr gut, da gab es gar nichts zu mäkeln, und verfügten allesamt auch über die für diese Oper unabdingbare optische Attraktivität.

    Fazit: Also, weh getan hat’s nicht, aber eine gute Figaro-Inszenierung sieht definitiv ganz anders aus.

  • Frauenmusik zum 30.

    Ich habe an dieser Stelle schon mehrfach eine Lanze für den Schlager gebrochen. Bastian Sick tut das an anderer Stelle derzeit übrigens auch. Und zwar für Udo Jürgens, dessen Schlager er für ihre gediegene Sprache – na klar – bewundert. Das ist in der Tat bewundernswert, denn Udo Jürgens ist mittlerweile Schweizer und das sind ja die, wo so merkwürdig »schnurre« ;). Nichtsdestotrotz fehlt mir bei ihm die entscheidende Zutat für wirklich gelungenen Schlager, nämlich Selbstironie.

    Deswegen lautet meine Empfehlung der Woche: Ina Müller. Deren CD ist mir neulich in die Finger geraten. Eigentlich handelt es sich bei der Musik zwar nicht im engeren Sinne um Schlager und außerdem ist es ziemliche Frauenmusik (von wegen Orangenhaut und so), aber sehr witzig und gefällig. Die Texte drehen sich viel um das frühe Älterwerden, also genau das Richtige, um sich auf seinen 30. Geburtstag einzustimmen.

  • McKinsey im Theater

    In der Februar/März-Ausgabe von crescendo gibt es einen Bericht über das neue Marketingkonzept der Frankfurter Oper, das McKinsey-Berater über »mehrere Monate« mit Mitarbeitern der Oper entwickelt haben. Natürlich ist es recht opportun, ins McKinsey-Bashing einzustimmen, aber nach dem Bericht zu urteilen, sind die Beratungsergebnisse doch erstaunlich konventionell.

    Laut dem Artikel empfahlen die Berater der Oper nämlich etliche Dinge, auf die andere Theater auch ohne externe Berater längst gekommen sind: z.B. unkonventionelle Preisgestaltung. Oper zum Kinopreis – gab es während meines Praktikums 2001 schon an der Staatsoper Berlin. Oder ein farbiger Monatsleporello, der nicht mit anderen Kulturinstitutionen geteilt wird. »Darüber hinaus wurde die Internetseite nutzerfreundlich umgestaltet. Neu sind: eine übersichtliche Gliederung, interaktive Elemente und einladende, warme Farben«. Na, das hat aber gedauert! Die Interaktivität der Seite beschränkt sich im Wesentlichen übrigens auf ein Gästebuch, das immerhin ganz niveauvoll genutzt wird. Am innovativsten ist noch der Einsatz von Viralem Marketing, wobei hierzu wenig Konkretes verlautbart wird. Beim Lesen dieses Artikels, der immerhin von den Beratern selbst geschrieben wurde, drängt sich daher die Frage auf: Wofür bekommt eigentlich der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit sein Geld?

    Ich frage mich auch: Warum kommen hochkarätige McKinsey-Leute nicht auf die Idee, konsequent die Möglichkeiten des Online-Marketings in ihrem Konzept zu berücksichtigen? Hier tun sich Möglichkeiten auf, die von Kulturinstitutionen bislang praktisch nicht genutzt werden. Corporate Blogs zum Beispiel sind für Theater wie geschaffen, weil es deren Kerngeschäft ist, Geschichten zu erzählen. Unternehmen wie VW haben es da viel schwerer, denn sie müssen erst eine Geschichte erfinden und einen Bezug zum Produkt herstellen. Trotzdem (oder gerade deswegen?) sind sie viel einfallsreicher. Keine Rede auch von so einfachen und banalen Dingen wie Google Adwords, Community Marketing, social bookmarking, ebay oder Second Life.

    Theater legen einen geradezu neurotischen Wert darauf, »heutig« rüber zukommen. Aber in Sachen »heutige Medien« haben sie den Schuss noch nicht gehört. Und McKinsey auch nicht.

  • Pelleas in Bremen

    Ich mag Bremen ja, fühle mich hier zu Hause und leide mittlerweile schon mit Werder mit, weil sie gerade den Anschluss in Sachen Meisterschaft verpassen. Aber gute Oper kann man hier nicht sehen. Zuletzt musste ich das in Pelleas et Melisande feststellen. Eine Inszenierung von Konstanze Lauterbach, einer Schauspielregisseurin, deren Herangehensweise von wenig Gespür für die Musik getrübt war. Die Subtilität und Uneindeutigkeit der Handlung und der Musik fanden sich in der grobmotorischen Bildersprache (vgl. Wikipedia, dort ist von »reicher, artifizieller Körpersprache« die Rede) überhaupt nicht wieder.

    Stattdessen war die Welt von Pelleas und Melisande als ramponierte Kinderwelt angelegt, die von bösen Erwachsenen immer weiter demoliert wurde, was bei den Liebenden verheerenden psychischen Schaden anrichtete. Mal abgesehen von der Frage, was dieser Ansatz über das Stück sagt, fehlte der Inszenierung insgesamt die Linie. Es reihte sich ein geistreicher Regieeinfall an den nächsten und dröselte dem Zuschauer das Stück so anhand einer Folge von szenischen Nummern auf.

    Musikalisch war es für eine nicht mehr ganz premierennahe Abonnementsvorstellung immerhin recht ordentlich. Zwar spielte das Orchester den Farben- und Facettenreichtum der Partitur nicht aus, aber insgesamt konzentriert und präzise. Die Hauptpartien waren durchaus sehr gut besetzt, insbesondere Nadine Lehner als Melisande war stimmlich und darstellerisch sehr präsent und überzeugend.

    Dennoch: nach dem dritten Besuch und der dritten Enttäuschung bin ich jetzt doch gespannt auf die neue Intendanz. Eigentlich kann es nur besser werden.