Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Kategorie: Gesellschaft

  • Ruhm = Qualität?

    Die ZEIT beschäftigte sich im Feuilleton der letzten Ausgabe mit Starkult, auch und gerade im Kulturbetrieb. »Ruhm ist das wichtigste Gut im Kulturbetrieb« heißt es in einem Artikel. Und weil Ruhm im Showgeschäft (und im Kulturbetrieb) das ist, was die Marke im Konsumgüterbereich ist, sind alle scharf darauf. Je mehr der klassische Kulturbetrieb aus seiner Nische tritt, umso mehr ersetzt der Ruhm der Akteure die Kennerschaft beim Rezipienten und muss die Qualität bezeugen. Anna Netrebko, die imho sängerisch nicht so herausragend ist, wie ihr Ruhm suggeriert, ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung.

    Dass das einem Frankfurter-Schule-Jünger wie Klaus Zehelein mächtig gegen den Strich geht, ist klar. Es ist erstaunlich, wie er auf der kulturellen Überlegenheit der »seriösen Kunst« und damit auf der Unterscheidung zwischen »echter« Kunst und »Konsumkunst« beharrt. Das wird in diesem (nichtsdestotrotz schönen) Zitat deutlich:

    Als Paulus in Athen war, hat er Marktraffinesse bewiesen. Er wies die Athener darauf hin, dass sie zahlreiche Altäre für verschiedene Götter hätten, auch einen Altar für den unbekannten gott. Den hat Paulus marketingmäßig durch seinen Gott besetzt. Das ist der Erfolg des Evangeliums und der Erfolg der sogenannten seriösen Kunst in der Popularkultur.

  • Demokratische Kultur in Deutschland und Europa

    Der Wirbel, den das Nein der Iren zum Vertrag von Lissabon verursacht hat, zeigt wie schlecht es um die demokratische Kultur in Europa steht. Anders als viele Politiker jetzt glauben machen wollen, haben 1 Million Iren nicht 500 Mio. Europäern ihren unmaßgeblichen Willen aufgedrückt, sondern als einzige die Möglichkeit gehabt, ihren Willen wirklich demokratisch kund zu tun und das stellvertretend für die Mehrheit der Europäerinnen und Europäer getan. Die Drohungen gegen Irland und gegen Länder, die die Entscheidung der Iren ernst nehmen und die Ratifizierung des Vertrags aussetzen (Polen, Tschenien), zeigen deswegen die anmaßende Gesinnung hinter der demokratischen Maske von Steinmeier, Schäuble, Koch-Mehrin und allen möglichen anderen Politikern.

    Volksentscheide werden gerne als Befindlichkeitsbarometer abqualifiziert, untauglich als maßgebendes Element demokratischer Prozesse. Einigermaßen erstaunlich ist deswegen, was Horst Köhler kürzlich zu diesem Thema gesagt hat. Er fordert mehr demokratische Teilhabe der Bevölkerung, denn: »Es ist auch Eure Demokratie, also helft bitte mit, etwas Gutes draus zu machen.« Wobei dieses unscheinbare Wörtchen »auch« höchst verräterisch ist. Offenbar meint auch Köhler, dass es »vor allem« die Demokratie der Berufspolitiker, Bürokraten, Lobbyisten und Berater ist. Diese Herrschaftsform ist aber eigentlich die Aristokratie, denn das heißt wörtlich übersetzt »Herrschaft der Besten«. Nur: Wenn man es so sagt, besteht allerdings kein Zweifel mehr, dass das niemand wollen kann. Also bleiben wir lieber bei »parlamentarische Demokratie«.

    Dass es übrigens sehr gute juristische Gründe gibt, gegen den Vertrag von Lissabon zu sein, wurde in der Diskussionsrunde zum bei Phoenix deutlich, in der auch Karl Albrecht Schachtschneider zu Gast war – emeritierter Jura-Professor aus Erlangen, der gegen die Ratifizierung des Vertrages durch Bundestag und Bundesrat Verfassungsbeschwerde eingelegt hat.

  • Sprachverfall ist nur Sprachwandel

    Gerade bin ich auf einen sehr lesenswerten, erfrischenden Artikel des Germanisten Rudi Keller gestoßen, in dem er sich mit dem angeblichen, vielerseits beklagten Verfall der deutschen Sprache beschäftigt. Er zeigt anhand sehr sinnfälliger Beispiele, dass diese Sorge eigentlich unbegründet ist, dass die Fehler von heute die Regeln von morgen sein werden und dass das schon immer so gewesen ist.

    »Sprachzustände sind keine Endzustände von Prozessen, sondern flüchtige Episoden in einem potentziell unendlichen Prozess kultureller Evolution.« So bringt Keller seinen Ansatz auf den Punkt. Allein schon sein Stil zeigt, dass er damit einem unbedachten Umgang mit Sprache sicher nicht das Wort redet. Eher im Gegenteil, denn unbedacht ist es in seinen Augen, Sprache für statisch zu halten und mit dem (derzeit) regelkonformem Gebrauch des Genitivs oder des Kausalsatzes gleich das gesamte Abendland untergehen zu sehen.

  • Feminismus-Debatte

    Interessant ist die Diskussion um den alten und den neuen Feminismus, die durch die Auszeichnung Alice Schwarzers mit dem Ludwig-Börne-Preis startete. In ihrer Dankesrede griff sie nämlich den sog. neuen Wellness-Feminismus an, bei dem es nur um den persönlichen Erfolg in Sachen Karriere und Männer gehe.

    Während die Replik der Alphamädchen etwas beleidigt ausfiel (»Wir wollen aber auch was zum Feminismus sagen dürfen!«), war die der neuen deutschen Mädchen offensiv und intelligent: indem Schwarzer ihnen derart über den Mund fahre und abkanzele, was sie zur Diskussion beizusteuern haben, mache Schwarzer mit ihnen das, was sie der patriarchalen Gesellschaft vorwirft, mit den Frauen insgesamt zu machen. Eine scharfzüngige Antwort aus altfeministischen Reihen ließ wiederum auch nicht lange auf sich warten.

    Fehlt eigentlich nur noch die Stimme der aufkeimenden Männerbewegung, um diese Diskussion endgültig zu einer hochexplosiven Angelegenheit werden zu lassen.

    Dass diese ganze Debatte um Gleichstellung oder nicht möglicherweise aber schon etwas anachronistisch sein könnte, legt ein Buch der amerikanischen Wissenschaftlerin Susan Pinker nahe. Ihre These lautet in etwa: Frauen wollen weder in die Chefetagen, noch in techniklastige Branchen. Dass sie dort selten zu finden sind, sei ein Zeichen von Freiheit und Selbstbestimmung und nicht eines von Benachteiligung. Im Gegenteil: in armen Ländern ist der Anteil an Frauen, die in technischen Berufen arbeiten, wesentlich höher, weil sie dort besser verdienen als in kommunikativen, erzieherischen oder medizinischen Berufen, die sie ohne wirtschaftliche Not lieber ausüben würden. Diese Unterschiede in der Berufswahl lägen im übrigen nicht an patriarchal definierten Geschlechterrollen, sondern seien im Grunde hormonell bedingt. Testosteron wecke die Konkurrenzlust, das weibliche Hormon Oxytocin dagegen begünstigt Empathie. Ganz so simpel ist es vermutlich nicht, aber das Buch hat auch 400 Seiten.

    Ob es eine Chance gibt, dieses ganze Thema sachlich zu diskutieren?

  • Lang Lang gedopt?

    Durch ein Interview mit dem Pharmakologen und Doping-Experten Fritz Sörgel, das ich gerade gehört habe, bin ich auf ein sehr interessantes Tabuthema gestoßen und zwar: Doping im Kulturbereich. Das klingt vielleicht erstmal nach einem blöden Witz, ist aber durchaus nicht so gemeint. Kürzlich schrieb ich im Zusammenhang mit Trip to Asia über den immensen Leistungsdruck bei Musikern. In dem Film klang bereits an, dass Alkoholkonsum für manchen eine Strategie sein kann, diesen Druck zu kompensieren. Allerdings ist Alkohol natürlich keine leistungssteigernde Substanz im Sinne des Doping.

    Wohl aber sind es die nach Sörgel in Musikerkreisen ebenfalls durchaus verbreiteten Beta-Blocker, die gegen Nervösität und Panik helfen, indem sie die durch Stress und Belastung steigende Herzfrequenz senken; indirekt erhöhen sie so auch die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit. Wer sich als Instrumentalist in einem Wettbewerb oder Probespiel auf diese Weise einen Vorteil verschafft, würde im Sport als gedopt gelten. Ritalin, das zur Behandlung von ADS eingesetzt wird, wirkt bei gesunden Menschen als »Brainbooster« und wird deswegen auch bei Lernstress eingeworfen. Ein Schauspieler, der Faust oder Wallenstein zu spielen hat, kommt da sicher auch leicht in Versuchung. Vielleicht muss zukünftig nicht nur bei der Olympiade und der Tour de France kontrolliert werden, sondern auch bei den Salzburger Festspielen?

  • Initiative Printmedien

    Die Gesamtauflagen der deutschen Tageszeitungen sind seit 1993 – dem Jahr, als der Netscape-Browser auf den Markt kam – um gut 5,6 Mio. gesunken, konkret von 30,5 auf 24,9 Mio. Dieses wirtschaftliche Problem der Werbung verkaufenden Zeitungsverlage deutet die Initiative Printmedien in ein kulturelles um: Die Jugend werde immer lesefauler, was geradewegs in die Politikverdrossenheit und demokratische Teilnahmslosigkeit führe. In einem Konzeptpapier von Kulturstaatsminister Bernd Neumann heißt es:

    Auch gibt es immer mehr Stimmen, die einen Zusammenhang zwischen der abnehmenden Nutzung von Printmedien, sinkender Lesefähigkeit und wachsendem Desinteresse an politischen und gesellschaftlichen Fragen sehen. Deshalb ist es nicht nur für den Fortbestand einer pluralistischen Medienordnung, sondern auch für die Zukunft unserer Demokratie insgesamt lebenswichtig, dass besonders junge Menschen stärker über die klassischen schulischen Angebote hinaus an einen mündigen Umgang mit Zeitungen und Zeitschriften herangeführt werden.

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  • Fehlbare werden verzeigt

    Am vergangenen Wochenende habe ich eine Weiterbildung gemacht, bei der es u.a. um Internationales Management ging. Dabei wurde auch besprochen, dass man die Unterschiede zwischen Ländern aus dem gleichen Kulturkreis leicht mal unterschätzt. Dass es in China oder Indien völlig anders zugeht als in Deutschland ist keine Frage und keine Überraschung. Mancher Unterschied zwischen Nachbarländern wie Schweiz und Deutschland dagegen schon, zumal wenn man der irrigen Meinung aufsitzt, hier werde die gleiche Sprache gesprochen. Passenderweise stach mir auf dem Pausenspaziergang, auf dem ich mir diese Erkenntnis noch einmal durch den Kopf gehen ließ, dieser Warnhinweis ins Auge: Warnschild

  • Kultur ist unkaputtbar

    Auf dem Kulturmanagement-Blog und auf Moving-Culture wird gerade die gute alte Frage diskutiert, wieweit Kultur mit Wirtschaft verzahnt werden sollten und was Kultur eigentlich „wert“ ist. Ein Problem ist meines Erachtens, dass sich die Grenze gar nicht scharf ziehen lässt.

    Zum einen, weil Kultur nicht von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängt. Besonders die sog. Hochkultur ist hochgradig verinstitutionalisiert, aber mit der Abschaffung von Institutionen geht Kultur an sich nicht verloren. Das einzigartige, aber kostspielige Theaterwesen in Deutschland ist nicht zwingend ausschlagebend dafür, ob Menschen Theater spielen oder nicht. Es hilft dabei, es ist gut, aber es ist nicht das Theaterspielen an sich. Die Schlussfolgerung aus dieser Überlegung ist in meinen Augen allerdings nicht, dass einem deswegen die Institutionen egal sein können, sondern dass man bewusste Entscheidungen für oder gegen diese Institutionen treffen kann. Eine bewusste Entscheidung dafür heißt dann aber auch, die wirtschaftlichen Grundlagen bereitzustellen und nicht ständig in Frage zu stellen. (mehr …)

  • Lieber Elbe statt Starnberger See

    Vor einiger Zeit schrieb ich über einen ZEIT-Artikel, in dem das Hamburger und Münchner Kulturleben miteinander verglichen wurde – aus Münchner Sicht. Jetzt gibt es, ebenfalls in der ZEIT, eine wirklich brilliant geschriebene, sehr amüsante Antwort aus Sicht eines Hamburgers. Fazit: lieber vom Elbwind durchpusten lassen als fett werden und im seichten Wasser des Starnberger Sees ertrinken. Allerdings, kann man da nur sagen!

  • Gender Mainstreaming: Pudding an die Wand nageln

    Kürzlich bin ich wieder einmal über den Begriff »Gender Mainstreaming« gestolpert und wollte diesmal wissen, was das eigentlich ist. Was man bei Wikipedia dazu lesen kann, ist recht abstrakt. Bei weiterer Recherche bin ich allerdings auf einen Artikel gestoßen, wo Gender Mainstreaming wesentlich griffiger und anschaulicher, allerdings auch ironischer, beschrieben wird. Nämlich als Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln, der leider nur banale Ergebnisse zu Tage bringt. (mehr …)