Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Schlagwort: Buch

  • Gerade erschienen: Kultur in Interaktion

    Das Thema des stARTcamps 2018 war „Co-Creation im Kultursektor“. Da dieses Thema bislang kaum aus der theoretischen Perspektive bearbeitet wurde, entstand die Idee, die Themen, die am Camp verhandelt wurden, auch noch einmal in einem Buch zu dokumentieren. Dieses Buch mit dem Titel «Kultur in Interaktion. Co-Creation im Kultursektor» ist jetzt gerade im Springer Gabler Verlag erschienen. Es versammelt elf Beiträge von denen einige auf Sessions und Themen des stARTcamps 2018 basieren. Andere sind aber auch erst nachträglich dazugekommen. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie sich um die Frage drehen, wie Co-Creation, Partizipation und Interaktion in Kultureinrichtungen gestaltet werden können, insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung, die wie ein Katalysator auf diese Prozesse wirkt.

    Der offene, partizipative, man könnte auch sagen unsystematische Charakter von stARTcamps, bei dem sehr unterschiedliche Perspektiven, Ansätze, Formate und Menschen zusammen finden, schlägt sich auch in diesem Band nieder. Das heißt, die Zugänge zu dem Thema sind in Form und Inhalt sehr unterschiedlich: Bei manchen Beiträgen handelt es sich um theoretisch-wissenschaftliche Aufsätze, andere sind praxisbezogene (Erfahrungs-)Berichte, bei zwei Beiträgen handelt es sich um Gespräche. Den roten Faden bildet die Erkenntnis, dass digitale Technologien zwar helfen können, Co-Creation, Partizipation und Interaktion zu ermöglichen. Ob solche Aktivitäten allerdings erfolgreich sind, ist vor allem eine Frage der Herangehensweise und der Denkhaltung. Eine Denkhaltung, mit der Kultureinrichtungen sich oftmals schwertun. Oftmals, aber nicht immer, wie dann auch einige Fallbeispiele deutlich machen.

    Der Band beginnt mit einem Beitrag von Annette Jagla und Tobias Knoblich, in dem sie über die Rahmenbedingungen sprechen, die zu „Kultur in Interaktion“ führen und sie ermöglichen können. Jagla bringt dabei die Perspektive einer Organisationsentwicklerin mit ein, Knoblich die eines Kulturpolitikers. Die dahinterliegende Frage ist, welche Akteure auf welche Weise zu einem gelingenden Wandel beitragen können, auf dessen Basis mehr Interaktion, Ko-Kreation und Teilhabe möglich wird.

    In meinem eigenen Beitrag beschäftige ich mich mit der Frage, wie die Idee von Co-Creation mit dem meist angebotsorientierten Selbstverständnis von Kultureinrichtungen zu vereinbaren ist. Die Antwort in kurz: Kultureinrichtungen müssen die Kunst nicht verraten, aber sollten sich mehr als Moderator denn als Kurator in künstlerischen Aushandlungsprozessen positionieren.

    Helge Kaul beleuchtet das Thema Co-Creation aus der Kulturmarketing-Sicht. In einer groß angelegten Studie (s. auch hier) hat er untersucht, wie neue Beteiligungsformen zum Einsatz kommen und auf empirischer Basis vier verschiedene Kooperationstypen im Kulturpublikum ermittelt. Indem Kultureinrichtungen verstehen, wie diese verschiedenen Typen in die interaktive Wertschöpfung einbezogen werden können, können sie dauerhafte Wettbewerbsvorteile erzielen.

    Antje Schmidt untersucht in ihrem Beitrag die Voraussetzungen und Herausforderungen, unter denen Co-Creation im Museumsbereich stattfindet. Wichtig sind dabei zum einen frei zugängliche Digitalisate und Kulturgütern. Dies ist rechtlich wie technisch nicht immer so einfach, wie es zunächst scheinen mag. Und auch wenn diese Hürden genommen sind, ist das kein Garant dafür, dass Co-Creation wirklich stattfindet.

    Unter ganz anderen Voraussetzungen findet Co-Creation in den darstellenden Künsten statt, auf die Ervina Kotolloshi ihren Fokus legt. Sie unterscheidet drei Arten von Aufführungen, die durch den Einsatz digitaler Kommunikationstechnologien zu ko-kreativen Ereignissen werden. Während die Interaktivität einerseits neue Theatererfahrungen ermöglicht, bietet sie durch ihre Dynamik und Unvorhersehbarkeit auch die Gefahr, unfertige oder gar misslungene ästhetische Resultate hervorzubringen.

    Tabea Schwarze stellt am Beispiel der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe dar, wie Co-Creation und Partizipation in der Museumspraxis gelebt werden können und welche Erfahrungen auf diesem Feld bislang gemacht wurden. Co-Creation und Partizipation sollen einerseits dabei helfen, dem Bildungsauftrag im digitalen Raum nachzukommen, andererseits aber auch die Akzeptanz der Digitalisierung intern zu fördern.

    Katrin Schröder und Anaïs Wiedenhöfer geben mit ihrem Beitrag ebenfalls einen Bericht aus der Praxis, hier am Beispiel des Archäologischen Museums Hamburg (AMH). Sie stellen die zahlreichen Experimente und Projekte in Sachen ko-kreativer Kommunikation und Veranstaltungsformate des AMH vor und reflektieren die gewonnenen Erfahrungen.

    Iris Groschek zeigt am Beispiel von KZ-Gedenkstätten, dass Interaktion in den sozialen Medien nicht einfach nach den beliebten How-To-Rezepten gestaltet werden kann. Denn die Rahmenbedingungen von Interaktion und Partizipation in Erinnerungseinrichtungen sind sehr spezifisch und müssen entsprechend berücksichtigt werden. Soziale Medien können aber durchaus als offener Ort dienen, an dem eine gemeinsame Erinnerungskultur etabliert werden kann.

    Anna Rentsch macht in ihrem Beitrag aus Agenturperspektive deutlich, welche Bedeutung die Einbeziehung von externen Anspruchsgruppen bereits im Rahmen des Designs von Kommunikationsangeboten hat. Sie meint, dass ein Design-Ansatz, der Bedürfnisse, Interessen und Rezeptions- gewohnheiten der Adressaten berücksichtigt, einen wichtigen Grundstein für gelingende Interaktion darstellt.

    Richard Wetzel zeigt in seinem Beitrag, wie Co-Creation bei der Entwicklung von Games in interdisziplinären Teams mit Hilfe von Ideationskarten organisiert werden kann. Dieses Verfahren erleichtert es interdisziplinären (Entwickler-)Teams, eine gemeinsame Sprache und Herangehensweise zu entwickeln, die nicht von der Logik einer bestimmten Disziplin dominiert wird. Das Verfahren, das Wetzel vorstellt, funktioniert analog, auch wenn die zu entwickelnden Produkte in der Regel digitale Produkte sind oder zumindest wesentliche digitale Komponenten haben.

    Isabel Jansen von der Hamburg Kreativ Gesellschaft spricht im Interview über das Crowdfunding als eine mittlerweile sehr populäre Form von Co-Creation und Publikumsbeteiligung mittels digitaler Plattformen. Sie gibt einen Überblick über allgemeine Trends des Crowdfundings und stellt dar, für welche Gelegenheiten und Branchen sich die Schwarmfinanzierung besonders eignet sowie welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Kampagne erfolgreich wird.

    Ich freue mich, dass der Band jetzt erschienen ist und danke allen, die dazu beigetragen haben sehr herzlich! Außerdem freue ich mich natürlich über Feedback und/oder Weiterempfehlung.

  • Ein Buch namens Zimbo

    Max Goldt hat ein neues Buch veröffentlicht. Es enthält eine Sammlung einiger Titanic-Kolumnen sowie die Dankesrede zur Verleihung des Kleist-Preises. Bislang habe ich noch jedes Buch von Max Goldt verschlungen, aber diesmal ist der Funke irgendwie nicht rübergesprungen.

    In einer Rezension des Hessischen Rundfunks heißt es: «… der Schreibstil wird dann zum eigentlichen Bedeutungsträger.» Da ist was dran und wahrscheinlich hat mich das diesmal – zum ersten Mal – gestört. Im Vorgänger-Buch Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens, so war mein Eindruck, gab es eine Reihe von Texten, in denen Goldt Stellung zu mehr oder wenigen aktuellen Problemen oder Fragen bezog und die sich tendenziell von der assoziativen Kolumne zu einer eher ernsthaften, gründlich reflektierenden essayistischen Form entwickelt hatten. Diesmal scheint’s mir wieder in die andere Richtung zu gehen und kaum über eine Reminiszenz an alte Texte und Bücher hinauszugehen. Den Texten fehlt das überraschende Moment und die sinnfälligen Aufhänger.

    Vielleicht aber gibt es ja auch ein Max Goldt-Alter, aus dem ich jetzt einfach raus bin? In seinen Lesungen sitzen wirklich immer 90% Studenten.

  • Buchtipp: Tristanakkord

    Für meinen Trip nach Cardiff über das vergangene Wochenende habe ich mich bei der Suche nach geeigneter Reiselektüre für Tristanakkord von Hans-Ulrich Treichel entschieden, ein Buch, das ich vor einiger Zeit schon einmal mit ziemlichem Vergnügen gelesen hatte. Dieses Mal war das Vergnügen nicht kleiner, denn das Buch ist eine wunderbar treffsichere Tragikomödie über die Eitel- und Abgründigkeiten des klassischen Musikbetriebs.

    Durch einen Zufall erhält der frisch absolvierte, unbedarfte Germanist Georg Zimmer einen Job bei dem weltberühmten und weltläufigen Komponisten Bergmann. Er soll dessen Memoiren durchsehen und ein Personenverzeichnis erstellen und folgt Bergmann dazu auf die Hebriden, nach New York und schließlich nach Sizilien. Später wird ihm sogar die Ehre zuteil, eine Hymne für die neue Komposition des großen Komponisten schreiben zu sollen. Aber natürlich ist es viel weniger die Geschichte, als die lakonisch erfassten Situationen und die glaubwürdige Schilderung des Künstlermilieus und dessen Selbstbespiegelung, die dieses Buch auszeichnen:

    Obwohl Georg Bergmann sagte, daß das Personenverzeichnis eines Buches alle in dem Buch erwähnten Namen aufführen müsse, ganz gleich, ob diese Personen dem Verfasser sympathisch seien oder nicht, versuchte Bergmann ihn davon zu überzeugen einige Namen aus dem Verzeichnis herauszunehmen. Darauf sagte ihm Georg, daß er zwar die Namen tilgen könne. Doch wenn er die Namen aus dem Verzeichnis tilge, dann müßten sie auch aus dem Text getilgt werden. Sonst würde es sich nicht mehr um ein echtes Personenverzeichnis handeln, sondern eher um so etwas wie eine umgehkehrte Tabul gratulatoria, (…) also ein Verzeichnis, welches die in ihm aufgeführten Personen dadurch ehrte und würdigte, daß sie in diesem Verzeichnis vorkämen. «Sehr gut», sagte Bergmann, «wunderbar, das machen wir».

    Ein Maß an Realitätsverlust, dass Bergmann gerade noch vor psychiatrischer Behandlung bewahrt, auch wenn es bei Licht betrachtet schon pathologisch ist. Aber diese Mechanismen würden nicht funktionieren, wenn Leute wie Georg nicht mitspielen würden:

    Und er war auch gerührt, daß Bergmann ihm die Partiturseiten von «Pyriphlegethon für großes Orchester» ( 🙂 ) zugeschoben und ihn gebeten hatte, die Seiten ohne Umstände auf den Fußboden zu legen. (…) Das Stück war ein Auftragswerk, das im New Yorker Lincoln Center uraufgeführt werden sollte. «Und ich», dachte Georg, «habe es auf den Teppich gelegt.»

    Aber nicht nur die Personen, auch die neunmalklugen Irrläufe der Musikwissenschaften, die diesem Treiben wort- und kenntnisreich Tiefe verleihen wollen, werden aufs Korn genommen:

    Der Tristanakkord, hatte er gelernt, sei aus sich selbst heraus gar nicht verständlich. Er würde aber verständlicher werden, wenn man sich Aeneas‘ ersten Auftritt in Purcells «Dido und Aeneas» vergegenwärtige. Noch verständlicher würde er werden, wenn sich darüber hinaus das 4. Rezitativ aus Bachs Kantate Nr. 82, die den Titel «Ich habe genug» trägt, einmal anschaue. (…) Je länger Georg die Stewart-Stern-Debatte studierte, um so klarer wurde ihm, daß die Tristanakkord-Forschung die Tendenz hatte, zu einer Forschung über alles mögliche zu werden.

    Künstler und Kulturschaffende zeichnen sich nicht unbedingt durch die Fähigkeit aus, über sich selbst und das, was sie tun, lachen zu können. Die, die es doch können, werden aber helle Freude an diesem Buch haben.

  • Mediendarwinismus

    Mittlerweile habe ich einige Einträge darüber geschrieben, dass ich das Theater für ein antiquiertes Medium halte, das ungeeignet ist, heutige Stoffe und Themen angemessen zu reflektieren. Bei aller Sympathie für diese These, bleibt mir doch die Frage, warum dieser Umstand zwar für das Theater, aber nicht für andere alte Medien, Bücher zum Beispiel, gelten soll. Zwar gibt es vielleicht den ein oder anderen, der den Bedeutungsverlust des Buches bzw. dessen weitreichende Ablösung durch digitale Textspeicher ebenso kommen sieht. Trotzdem glaube ich nicht, dass das Buch so bald zu einem medientechnologischen Museumsstück wird, wie das Theater.

    Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist die Reichweite eines Mediums entscheidend. Durch die Allverfügbarkeit von Inhalten, den die Digitalisierung mit sich gebracht hat, geraten die alten Medien unter Druck. Medien, die keine Reichweiten erzielen, werden teuer und unrentabel. Bücher sind hier weit weniger anfällig als Theater, die ortsgebunden sind oder deren Mobilität zumindest einen hohen logistischen Aufwand nach sich zieht.

    Der andere Grund ist, dass ein Buch keine anderen rezeptiven Anforderungen als ein digital gespeicherter Text stellt. Ob man Goethes Faust lieber als Reclam-Heft oder lieber bei Gutenberg liest, ist vor allem eine Geschmacksfrage. Verstehen kann man den Text in beiden Fällen gleich gut oder schlecht, weil man die gleichen Buchstaben liest und kognitiv verarbeitet. Der Film hingegen hat es gegenüber dem Theater wesentlich leichter, das «Als-ob» zu vermitteln, die illusorischen Möglichkeiten sind um ein Vielfaches größer. Dem kann das Theater nur die Interaktion entgegensetzen und vielleicht noch die Einmaligkeit des Moments, wobei weder das eine noch das andere zwangsläufig ein Qualitätsversprechen bedeutet. (Man denke an Stadelmeiers legendäre Begegnung mit dem interaktiven Theater oder die uninspirierten Repertoirevorstellungen, in denen man schon so saß). Und wahrscheinlich ist es auch nur noch eine Frage von ein paar Jahren, bis der Film auch diese «Unique Selling Propositions» in perfekter Illusion nachbilden kann.