Christian Holst

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Autor: Christian Holst

  • Filmpreis für Wagner

    Nachdem ich neulich die E-Book-Fassung von Filmpreis für Wagner entdeckt habe, habe ich es mir auch prompt gekauft. Es ist wirklich interessant. Schulz denkt den schon häufiger geäußerten Gedanken, dass Wagners Musiktheater eine erstaunliche Nähe zum Film hat, konsequent zu Ende und plädiert dafür, seine Opern zukünftig lieber im Kino, am besten im 3D-Kino, aufzuführen.

    Das neue an diesem Gedanken ist, die Darbietung von Wagners Opern Musikdramen konsequent an dessen Idealvorstellungen auszurichten, anstatt die Werke auf die Möglichkeiten des Theaters herunter zu brechen. Das ist heute meistens der Fall, obwohl inzwischen die technischen Voraussetzungen bestehen, es besser zu machen. Die Ironie dabei ist, dass das sog. Regietheater üblicherweise darauf abzielt, Wagners Werk auf »heutig« zu trimmen und das damit begündet, dass seine ästhetischen Vorstellungen überholt und dem 19. Jahrhundret verhaftet sind. Bei Schulz läuft es jedoch darauf hinaus, dass Wagners Ästhetik sehr modern ist, aber der Apparat Theater einfach völlig veraltet und unzureichend ist und dieser Ästhetik deswegen nicht gerecht wird.

  • Wenn das alle machen würden

    Ich hatte mir ja schon einige Schreckensszenarien ausgemalt für die Zugfahrt am Freitag zurück nach Bremen. Z.B. sah ich mich schon die Nacht auf dem Bahnhof in Frankfurt oder Hannover verbringen und tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich als frisch gebackener Bahn-Comfort-Kunde ja immerhin in der DB-Lounge nächtigen könnte, wo heiße Getränke angeboten werden und es einigermaßen warm ist. Wahrscheinlich machen die über Nacht aber zu. Ist ja jetzt auch egal, denn wenn ich jetzt am Freitag liegen bleibe, dann zumindest nicht wegen Streik.

    Irgendwie finde ich es auch etwas fragwürdig, dass so eine kleine Gewerkschaft mit ein paar tausend Mitgliedern der Deutschen Bahn so penetrant auf der Nase rumtanzen kann – wenn das alle machen würden…! Andererseits hat das auch etwas von David gegen Goliath, und da ist natürlich klar, wie die Sympathien verteilt sind.

  • Wagner satt

    Heute gab (und gibt es noch) Wagners Ring auf 3sat. Nonstop von morgens um 9 bis Mitternacht. Und zwar in den vielgerühmten Stuttgarter Inszenierungen von Joachim Schlömer (Das Rheingold), Christof Nel (Die Walküre), Jossi Wieler/Sergio Morabito (Siegfried) und Peter Konwitschny (Götterdämmerung).

    Ich habe mich bei der Walküre reingeschaltet und es seitdem nebenbei immer mal wieder verfolgt. So vom Bildschirm aus hat mich das Ganze aber weder musikalisch noch szenisch überzeugt oder auch nur angesprochen. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber am besten gefällt mir noch die Konwitschny-Inszenierung, die etwas albern, aber deswegen eben auch unterhaltsam ist. Z.B. schickt Brünnhilde Siegfried im Bärenfell und mit Steckenpferd auf die Rheinfahrt. Und Waltraute seilt sich, mit klassischem Walkürenhelm und -panzer bekleidet (»so wie Wagner es wollte«), aus dem Schnürboden ab, um mit Brünnhilde Sektimbiss abzuhalten. Mal unabhängig davon, dass es sich hierbei natürlich genau um den von Werner Schneyder gemeinten überdotierten Schwachsinn handelt, ist es eben immerhin einigermaßen amüsant.

    Um die öffentliche Finanzierung dieses Rings zu legitimieren hat Klaus Zehelein natürlich noch ein paar gedrechselte Dramaturgenphrasen beigegeben. »Die Welt scheint in einem Anlauf nicht mehr darstellbar« heißt es auf der Website. Deswegen also vier verschiedene Regieteams. Und weiter: »Diesem ‚Zerfall der Totalen‘ sah sich die Stuttgarter Arbeit verpflichtet.« Nee, is klar.

    Bei Dieter-David Scholz gibt es zu den Mitschnitten eine lesenswerte Rezension, der ich nach meinen Eindrücken nur zustimmen kann. Die gesangliche Mittelmäßigkeit, die er anspricht, ist wirklich auffällig. Für die meisten Sänger scheint es einfach darum zu gehen, irgendwie bis zum Schluss durch zu kommen. Und unterm Strich bleibt die Frage: Was sagt dieser Ring eigentlich (neues)?

  • Unverhofft sympathisch

    Die aktuelle Ausgabe der brand eins zum Thema Fehler finde ich äußerst empfehlenswert. Die Artikel zum Thema sind fast durchgängig ausgesprochen interessant. Vielleicht weil es dabei einfach immer so schön menschelt. Eine Seite enthält z.B. Antworten von einem Dutzend Prominenter auf die Frage, was ihr größter Fehler sei. »Ungeduld« heißt es da immer. Nur Hans-Olaf Henkel, der als letzter antwortet, hat einen erstaunlich lichten Augenblick, der ihn unverhofft sympathisch werden lässt. Er antwortet: »Bestimmt nicht Ungeduld, wie die meisten Feiglinge hier antworten, eher Selbstgerechtigkeit, Egozentrik und Narzissmus.«

  • Die Schweiz wird 716

    Dem Mythos zufolge haben sich im Jahre 1291 Vertreter der drei Schweizer Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden auf dem Rütli getroffen und einen Bund geschlossen, der die Unabhängigkeit der Kantone sichern sollte, auf die die Schweizer bis heute so stolz sind. Da der Rütli damit so etwas wie ein nationales Heiligtum ist, übt er nicht nur eine große Anziehungskraft auf Politiker aus, die dort am 1. August Reden halten, wenn sie das Amt des Bundespräsidenten inne haben, sondern auch auf Rechtsradikale. (Witzigerweise und eigentlich fälschlicherweise werden die auch in der Schweiz als Neonazis bezeichnet, obwohl es hier ja keine »Classic Nazis« gegeben hat.)

    Das trieb die Sicherheitskosten derart in die Höhe, dass dieses Jahr ursprünglich keine Feier auf dem Rütli stattfinden sollte. Insbesondere die rechtspopulistisch angehauchte SVP vertrat diese Position, obwohl sie sonst keine Gelegenheit für patriotische Feierlichkeiten auslässt. Stattdessen machte sich aber die linksliberale Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey für die Rütlifeier stark und tat einen privaten Sponsoren auf, der die Kosten übernahm und der Bundespräsidentin damit die Möglichkeit eines öffentlichkeitswirksamen Auftritts eröffnete. Jetzt habe ich gelesen, dass die SVP nicht gegen die Feier an sich war, sondern offenbar verhindern wollte, dass erstmals eine Frau auf dem Rütli spricht. Tsss!

    Die Rechtsradikalen haben diesmal versucht, die Feier mit Schlauchbooten (schweiz.: »Gummiböötli«) vom Vierwaldstätter See aus zu stürmen, wurden aber mit Wasserwerfern vertrieben. Und irgendwelche Idioten (vielleicht waren das eher Linksradikale?!) haben in der Rütliwiese Feuerwerkskörper vergraben, die per Zeitzünder gezündet wurden. Offenbar ist aber niemand zu Schaden gekommen, weil sie erst explodierten, als die Feier schon weitgehend vorbei war.

  • Cosi fan tutte in der Damensauna

    Noch was Interessantes zum Thema Musik und Oper habe ich im Urlaub beim Podcast-Hören entdeckt. In NDR-Kultur – Das Gespräch war am 24. Februar 07 Werner Schneyder zu Gast und sprach über seine Autobiographie. Da er als junger Mann eine Karriere als Wagner-Tenor erwog und später als Dramaturg arbeitete, kam die Sprache auch auf das Musiktheater. Auf die Frage, ob ihm im Operntheater heute zuviel Schindluder getrieben wird, antwortet Schneyder:

    Ich finde das Operntheater etwas Wunderbares, nur man muss sich klar machen: Es ist eine museale Kunst. Und gemessen daran, ist sie überdotiert. Und daher gibt es auch diesen unendlichen Starkult mit seinen Mega-Stargagen. Und das Gefälle zur sogenannten Provinz, die es heute nicht mehr gibt, also zu den Mittelbühnen, ist ganz einfach zu krass.

    Und weiter auf die Frage, wer dafür verantwortlich sei:

    Es ist das Feuilleton. Es ist ganz einfach das Feuilleton, das nicht sagt: Hier geschieht eine Trottelei. Sondern das Feuilleton sagt: Hier geschieht eine Innovation. Carmen in einem Iglu gespielt oder Cosi fan tutte in der Damensauna ist keine Innovation, sondern Schwachsinn.

  • Surftipp

    Die Seite von Dieter-David Scholz ist eine echte (Wieder-)Entdeckung. War schon lange nicht mehr drauf und habe jetzt viele höchst interessante Berichte gefunden, vor allem über Wagner.

    Zum Beispiel ein höchst aufschlussreiches Interview mit Brigitte Hamann über ihr Buch »Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth«. Dort geht es natürlich vor allem um Winifreds Verhältnis zu Hitler und zum Nationalsozialismus, aber auch um Wieland Wagners bis heute ziemlich tot geschwiegene Nazi-Vergangenheit. Er konnte später nur deshalb glaubwürdig zum Entnazifizierer Bayreuths werden, weil seine Mutter die gesamte Schuld auf sich genommen hat.

    Schön zu lesen ist aber auch die Kritik über das Buch von Axel Brüggemann, das ich zwar selbst nicht kenne, über das ich aber an anderer kompetenter Stelle ebenfalls schon einen saftigen Verriss gelesen habe. Wobei: kann man von einem Verriss sprechen, wenn fachliche Fehler und Halb- und Unwahrheiten benannt werden? Peinlich, dass ausgerechnet Bärenreiter solch einen Ausfall im Programm führt.

    Aber auch sonst sind dort etliche gut geschriebene, sehr interessante Texte zum Thema Musik, Oper und Aufführungskultur zu finden.

  • Hollywood avant la lettre

    Nochmal zum Thema Oper und moderne Technik. Gerade bin ich auf der Seite von Dieter David Scholz auf einen Buchtipp gestoßen, der extrem interessant klingt: »Filmpreis für Wagner. Eine zeitgemäße Betrachtung seines Theaters« von Eric Schulz, einem Musiktheaterregie-Absolventen der Hamburger Musikhochschule. Leider ist das Buch mit 49 Euro für 111 Seiten verdammt teuer. Allerdings gibt es bei Amazon auch eine E-Book-Fassung 19,99 Euro plus Versandkosten. (Für ein E-Book?!?)

    Scholz schreibt:

    In ihm lotet er (E. Schulz) konsequent Wagners Nähe zum Film aus und interpretiert das »Kunstwerk der Zukunft« als eine das Illusionstheater des 19. Jahrhunderts übersteigende Utopie, ja als Vorwegnahme von Ideen filmischer und elektronischer Medien.

    Dieses Buch wollte ich doch schreiben! Verdammt! 🙂 Ich hätte es allerdings »Hollywood avant la lettre« genannt. (Jetzt kann ich immerhin mal einen Blog-Eintrag so nennen.) Das ist ein Zitat aus der Berliner Antrittsvorlesung von Friedrich Kittler in der er die These vertritt, dass Wagners Musiktheater Hollywood »avant la lettre«, d.h. bevor es diesen Begriff überhaupt gab, ist. Also das, was Adorno, Eisler und Wieland Wagner ja auch schon gesagt haben (s. Scholz), aber nicht wie Kittler unter einem diskursanalytischen Blickwinkel. Das ist allerdings sehr interessant und originell.

    Tja, dann werde ich eben darüber schreiben müssen, inwieweit Wagner in seinen Vorstellungen das vergesellschaftete Kunstwerk vorweggenommen hat, dass jetzt im Web 2.0 greifbare Option wird. 🙂

  • Speisung der 7.000

    Bregenz lebt natürlich von den Festspielen. Das merkt man insbesondere in den Stunden vor den Aufführungen auf der Seebühne, wo nicht daran zu denken ist, im näheren Umkreis irgendwo einen Tisch in einem Restaurant oder Café zu bekommen. Immerhin passen 7.000 Personen auf die Seetribüne. (Ich habe mich gefragt, wie das gehen soll, wenn die Vorstellung bei schlechtem Wetter ins Festspielhaus verlegt wird, das vielleicht allerhöchstens 2.000 Leute fasst?!?)

    Wir haben uns Tosca auf der Seebühne allerdings nicht angeguckt, da wir die Preise zu hoch fanden. Inbesondere deswegen, weil klassische Musik unter freiem Himmel in den seltensten Fällen ein Genuss ist. Allerdings habe ich nachher überlegt, ob es nicht doch ein Erlebnis gewesen wäre, als ich gelesen habe, dass man in Bregenz ein eigenes, hochkomplexes Soundsystem entwickelt hat, mit dem Orchester und Sänger verstärkt werden und das sozusagen als eigenes Instrument eingesetzt wird. Laut Aussage des Dirigenten lassen sich damit spektakuläre Effekte erzeugen. Das hätte zumindest mal interessant sein können, ob hier nicht ein viel versprechender Berührungspunkt zwischen moderner Technik und der musealen Kunstform Oper liegt, die ja normalerweise mit einem denkbar altertümlichen Apparat aufgeführt wird.

    Wie auch immer, wir haben wir uns stattdessen ein Konzert mit dem hervorragenden (Knaben-)Chor des St. John’s College, Cambridge, angehört. Der erste Teil bestand aus Musik von Purcell, die ich langweiliger als erwartet fand, der zweite Teil vor allem aus Brittens »Ceremony of Carols« für Chor und Harfe, die wirklich großartig ist.

  • Österreicher mögen Kalbsbeuschl aber ekeln sich vor Vokalen

    Etwas ernüchternd an Bregenz und Lindau war, dass man dort kaum regionale Spezialitäten mehr bekommt. In den Supermärkten bekommt man sowieso genau das gleiche wie in Bremen oder sonstwo, abgesehen mal vom Käse und der Tatsache, dass manche Sachen anders heißen. Quark heißt z.B. Topfen, weswegen Milram für Österreich andere Verpackungen benutzt. Aber auch sonst: man kann an jeder Ecke italienisch essen gehen, aber für österreichische Spezialitäten, wie z.B. Kalbsbeuschl (s. Foto), muss man dann schon eine Weile suchen. Und man kann nicht sagen, dass die Mühe belohnt würde und Kalbsbeuschl eine echte Entdeckung seien. Dann lieber Apfelstrudel oder Wiener Schnitzel, auch wenn das natürlich nicht nur in Österreich bekannt ist.

    Kalbsbeuschl

    Ansonsten gibt es natürlich Fisch aus dem Bodensee, insbesondere Zander, Felchen und Egli. Aber der schmeckte meistens ziemlich fad, als wüssten die Köche nicht recht was damit anzufangen. Insofern hat es uns auch kaum gewundert, dass man sich in Lindau dann lieber auf die norddeutsche Fischküche kapriziert hat, die zwar nicht raffiniert, aber immerhin schmackhaft ist. In Lindau gab es allerorten Matjes und Scholle mit Kartoffelsalat und Remoulade zu bestellen.

    Die letzte Bastion kultureller Eigenständigkeit scheint die Sprache zu sein. Beim Bregenzer oder evtl. auch Vorarlberger Dialekt handelt es sich um eine eigenartige Mischung aus Österreichisch, Schwyzerdütsch und Bayrisch. Die Vokale sind häufig typisch österreichisch gedehnt (ich finde ja, die Österreicher und insbesondere die Wiener reden so, als würden sie sich vor den Vokalen ekeln), die Konsonanten krachend und kratzend wie bei den Schweizern und bestimmte Worte und Floskeln wie z.B. »Servus« und »Pfiadi« aus dem Bayrischen übernommen.