Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Blog

  • Lang

    Karstadt in Bremen hat eine coole Adresse: Obernstraße 5-33. Schlappe 14 Hausnummern für ein Gebäude. Dazu drängt sich förmlich ein alter Witz von Otto auf: »Ich habe einen Freund, der ist von Geburt aus sehr lang. – Er wurde geboren am 23., 24. und 25. Juli.«

    Aprospros lang: Ich lese gerade ein sehr interessantes Buch mit dem Titel Der lange Schwanz (kicher kicher). In diesem Buch wird erklärt, warum Karstadt in nicht allzu ferner Zukunft möglicherweise ein paar von seinen Hausnummern wird abtreten müssen. Konkret: Der Autor Chris Anderson beschreibt, wie das Internet das Verhältnis von Angebot und Nachfrage verändert. Im Internet können nämlich nicht mehr nur die Hits angeboten werden, also wenige Produkte, die mit ziemlicher Sicherheit in kurzer Zeit einen Abnehmer finden, sondern eigentlich alle Produkte, die irgendwann irgendjemand auf der Welt mal haben wollen könnte. Das ergibt einen langen Rattenschwanz an Produkten, die bei Karstadt nicht rentabel verkauft werden können, weil sie kostspieligen Regalplatz beanspruchen. Im Internet dagegen beanspruchen sie lediglich etwas Speicherplatz und ein bisschen Übertragungskapazität und dann ist es egal, wenn sich in ganz Bremen kein einziger Mensch dafür interessiert. Dadurch ändert sich der Konsum grundlegend, weil hier wieder echte, funktionierende Märkte entstehen: viele kleine Anbieter und viele kleine Abnehmer.

    Angenehmerweise ist das Buch auch sehr gut geschrieben, was für amerikanische Sachbücher ja keineswegs selbstverständlich ist. Sie sind häufig oberflächlich und in einem nervtötenden Motivations-Jargon mit direkter Anrede geschrieben, was oft schwer zu ertragen ist. Das vielgerühmte Cluetrain-Manifest, das als eine Art Bibel des Web 2.0- und Internetzeitalters gefeiert wird, habe ich deswegen nach ein paar Seiten erbost in die Ecke gepfeffert. Wie auch immer, »Der lange Schwanz« ist anders und sei hiermit ausdrücklich empfohlen.

  • Museen, die die Welt nicht braucht

    Es gibt schon sehr merkwürdige Museen. Als sei ein Osterhasen-Museum oder ein Stoßstangenmuseum nicht verrückt genug, gibt es in München sogar ein Bourdalou-Museum. Wer weiß schon was ein Bourdalou ist? Google natürlich. Im Netz findet man dazu in etwa folgende Geschichte, deren Wahrheitsgehalt allerdings nicht gesichert ist.

    Am Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. pflegte ein Jesuitenpater namens Louis Bourdaloue nicht enden wollende, aber offenbar sehr fesselnde Predigten zu halten. Um zwischendurch nicht austreten zu müssen und womöglich etwas entscheidendes zu verpassen, kamen einige Damen des Hofes auf die Idee, Saucieren mit in die Kirche zu nehmen, um ggf. ihre Blase leeren zu können. Angeblich war das leicht möglich, da erstens die weiten Röcke permanent knisterten und raschelten und verdächtige Geräusche weitgehend übertönten und es zweitens nicht üblich war, Unterwäsche zu tragen. Unklar bleibt höchstens, wie die randvolle Sauciere diskret wieder aus der Kirche hinausbefördert werden konnte.

    Wie auch immer, pfiffige Geschäftsleute kamen auf die Idee, Gefäße herzustellen, die für den besagten Zweck noch besser geeignet waren als Saucieren und zudem mit anspielungsreichen Verzierungen, frechen Bonmots und sogar mit verspiegeltem Boden versehen waren. Dem Jesuitenpater wurde die zweifelhafte Ehre zuteil, als Namensgeber für diese praktischen Gerätschaften zu dienen.

  • Voll im neuen Öko-Trend

    Wenn man einen Kühlschrank mit Energieeffizienzklasse A++ kauft (was wir gerade gemacht haben), bekommt man 50 Euro von den SWB auf die Stromrechnung gutgeschrieben. Allerdings verstehe ich das nicht so ganz, denn die SWB sind eine Aktiengesellschaft. Da können sie doch kein Interesse daran haben, dass ihre Kunden sparsam sind. Uns kann es natürlich nur recht sein.

    Auf jeden Fall mutieren wir gerade zu richtigen Lohas: A++-Kühlschrank, Mitgliedschaft beim Ökosupermarkt, fehlt eigentlich nur noch das Hybrid-Auto. Meine Klamotten kaufe ich nämlich neuerdings auch ökologisch und ehtisch korrekt bei Fairtragen, einem kleinen Geschäft bei uns um die Ecke, das auch auf den neuen Öko-Trend setzt. Bislang brummt es da noch nicht so, was schade ist, denn der Laden ist wirklich nett.

  • Sound Theories Vol. 1 & 2

    Sound Theories Vol. 1 & 2Mittlerweile ist das Orchester-Doppel-Album von Steve Vai erschienen und ich muss meine damals geäußerte Enttäuschung über »For The Love Of God« etwas revidieren. Das Stück ist natürlich nicht besser geworden, aber es ist nicht repräsentativ für das Album, wie ich schon zu befürchten geneigt war. Eher nur für Vol. 1, das bekannte Vai-Songs enthält, vom Meister selbst gespielt, aber eben orchestral aufgemotzt. Allerdings sind die Stücke zum überwiegenden Teil deutlich origineller orchestriert als »For The Love of God« und wie ich schon in dem Eintrag vom Mai gehofft hatte, merkt man immer wieder die Zappa-Einflüsse. Ein gutes Beispiel ist die Neuinterpretation von »Kill The Guy With The Ball« (Alien Love Secrets), die man sich anhören kann, indem man bei youtube den Titel in die Suche eingibt und das oberste Suchergebnis anklickt.

    Vol 2. besteht dann aus richtigen Orchesterkompositionen, die interessanterweise zum großen Teil schon Anfang der 80er Jahre entstanden sind. Nach dem ersten Hören würde ich jetzt nicht so weit gehen zu sagen, dass Steve Vai ein genialer Orchesterkomponist ist, dazu ist das ganze zu simpel konstruiert, zu collagenhaft und zu wenig konsistent. Aber schlecht ist es auch nicht, und ich habe den Verdacht, dass es mir immer besser gefallen wird, je öfter ich es höre. Auf jeden Fall kann man wohl sagen, dass es von allen Orchesterprojekten von Rockbands oder -musikern das avancierteste, individuellste und originellste ist. Weniger hätte es bei Steve Vai aber auch nicht sein dürfen.

  • Filmpreis für Wagner

    Nachdem ich neulich die E-Book-Fassung von Filmpreis für Wagner entdeckt habe, habe ich es mir auch prompt gekauft. Es ist wirklich interessant. Schulz denkt den schon häufiger geäußerten Gedanken, dass Wagners Musiktheater eine erstaunliche Nähe zum Film hat, konsequent zu Ende und plädiert dafür, seine Opern zukünftig lieber im Kino, am besten im 3D-Kino, aufzuführen.

    Das neue an diesem Gedanken ist, die Darbietung von Wagners Opern Musikdramen konsequent an dessen Idealvorstellungen auszurichten, anstatt die Werke auf die Möglichkeiten des Theaters herunter zu brechen. Das ist heute meistens der Fall, obwohl inzwischen die technischen Voraussetzungen bestehen, es besser zu machen. Die Ironie dabei ist, dass das sog. Regietheater üblicherweise darauf abzielt, Wagners Werk auf »heutig« zu trimmen und das damit begündet, dass seine ästhetischen Vorstellungen überholt und dem 19. Jahrhundret verhaftet sind. Bei Schulz läuft es jedoch darauf hinaus, dass Wagners Ästhetik sehr modern ist, aber der Apparat Theater einfach völlig veraltet und unzureichend ist und dieser Ästhetik deswegen nicht gerecht wird.

  • Wenn das alle machen würden

    Ich hatte mir ja schon einige Schreckensszenarien ausgemalt für die Zugfahrt am Freitag zurück nach Bremen. Z.B. sah ich mich schon die Nacht auf dem Bahnhof in Frankfurt oder Hannover verbringen und tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich als frisch gebackener Bahn-Comfort-Kunde ja immerhin in der DB-Lounge nächtigen könnte, wo heiße Getränke angeboten werden und es einigermaßen warm ist. Wahrscheinlich machen die über Nacht aber zu. Ist ja jetzt auch egal, denn wenn ich jetzt am Freitag liegen bleibe, dann zumindest nicht wegen Streik.

    Irgendwie finde ich es auch etwas fragwürdig, dass so eine kleine Gewerkschaft mit ein paar tausend Mitgliedern der Deutschen Bahn so penetrant auf der Nase rumtanzen kann – wenn das alle machen würden…! Andererseits hat das auch etwas von David gegen Goliath, und da ist natürlich klar, wie die Sympathien verteilt sind.

  • Wagner satt

    Heute gab (und gibt es noch) Wagners Ring auf 3sat. Nonstop von morgens um 9 bis Mitternacht. Und zwar in den vielgerühmten Stuttgarter Inszenierungen von Joachim Schlömer (Das Rheingold), Christof Nel (Die Walküre), Jossi Wieler/Sergio Morabito (Siegfried) und Peter Konwitschny (Götterdämmerung).

    Ich habe mich bei der Walküre reingeschaltet und es seitdem nebenbei immer mal wieder verfolgt. So vom Bildschirm aus hat mich das Ganze aber weder musikalisch noch szenisch überzeugt oder auch nur angesprochen. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber am besten gefällt mir noch die Konwitschny-Inszenierung, die etwas albern, aber deswegen eben auch unterhaltsam ist. Z.B. schickt Brünnhilde Siegfried im Bärenfell und mit Steckenpferd auf die Rheinfahrt. Und Waltraute seilt sich, mit klassischem Walkürenhelm und -panzer bekleidet (»so wie Wagner es wollte«), aus dem Schnürboden ab, um mit Brünnhilde Sektimbiss abzuhalten. Mal unabhängig davon, dass es sich hierbei natürlich genau um den von Werner Schneyder gemeinten überdotierten Schwachsinn handelt, ist es eben immerhin einigermaßen amüsant.

    Um die öffentliche Finanzierung dieses Rings zu legitimieren hat Klaus Zehelein natürlich noch ein paar gedrechselte Dramaturgenphrasen beigegeben. »Die Welt scheint in einem Anlauf nicht mehr darstellbar« heißt es auf der Website. Deswegen also vier verschiedene Regieteams. Und weiter: »Diesem ‚Zerfall der Totalen‘ sah sich die Stuttgarter Arbeit verpflichtet.« Nee, is klar.

    Bei Dieter-David Scholz gibt es zu den Mitschnitten eine lesenswerte Rezension, der ich nach meinen Eindrücken nur zustimmen kann. Die gesangliche Mittelmäßigkeit, die er anspricht, ist wirklich auffällig. Für die meisten Sänger scheint es einfach darum zu gehen, irgendwie bis zum Schluss durch zu kommen. Und unterm Strich bleibt die Frage: Was sagt dieser Ring eigentlich (neues)?

  • Unverhofft sympathisch

    Die aktuelle Ausgabe der brand eins zum Thema Fehler finde ich äußerst empfehlenswert. Die Artikel zum Thema sind fast durchgängig ausgesprochen interessant. Vielleicht weil es dabei einfach immer so schön menschelt. Eine Seite enthält z.B. Antworten von einem Dutzend Prominenter auf die Frage, was ihr größter Fehler sei. »Ungeduld« heißt es da immer. Nur Hans-Olaf Henkel, der als letzter antwortet, hat einen erstaunlich lichten Augenblick, der ihn unverhofft sympathisch werden lässt. Er antwortet: »Bestimmt nicht Ungeduld, wie die meisten Feiglinge hier antworten, eher Selbstgerechtigkeit, Egozentrik und Narzissmus.«

  • Die Schweiz wird 716

    Dem Mythos zufolge haben sich im Jahre 1291 Vertreter der drei Schweizer Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden auf dem Rütli getroffen und einen Bund geschlossen, der die Unabhängigkeit der Kantone sichern sollte, auf die die Schweizer bis heute so stolz sind. Da der Rütli damit so etwas wie ein nationales Heiligtum ist, übt er nicht nur eine große Anziehungskraft auf Politiker aus, die dort am 1. August Reden halten, wenn sie das Amt des Bundespräsidenten inne haben, sondern auch auf Rechtsradikale. (Witzigerweise und eigentlich fälschlicherweise werden die auch in der Schweiz als Neonazis bezeichnet, obwohl es hier ja keine »Classic Nazis« gegeben hat.)

    Das trieb die Sicherheitskosten derart in die Höhe, dass dieses Jahr ursprünglich keine Feier auf dem Rütli stattfinden sollte. Insbesondere die rechtspopulistisch angehauchte SVP vertrat diese Position, obwohl sie sonst keine Gelegenheit für patriotische Feierlichkeiten auslässt. Stattdessen machte sich aber die linksliberale Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey für die Rütlifeier stark und tat einen privaten Sponsoren auf, der die Kosten übernahm und der Bundespräsidentin damit die Möglichkeit eines öffentlichkeitswirksamen Auftritts eröffnete. Jetzt habe ich gelesen, dass die SVP nicht gegen die Feier an sich war, sondern offenbar verhindern wollte, dass erstmals eine Frau auf dem Rütli spricht. Tsss!

    Die Rechtsradikalen haben diesmal versucht, die Feier mit Schlauchbooten (schweiz.: »Gummiböötli«) vom Vierwaldstätter See aus zu stürmen, wurden aber mit Wasserwerfern vertrieben. Und irgendwelche Idioten (vielleicht waren das eher Linksradikale?!) haben in der Rütliwiese Feuerwerkskörper vergraben, die per Zeitzünder gezündet wurden. Offenbar ist aber niemand zu Schaden gekommen, weil sie erst explodierten, als die Feier schon weitgehend vorbei war.

  • Cosi fan tutte in der Damensauna

    Noch was Interessantes zum Thema Musik und Oper habe ich im Urlaub beim Podcast-Hören entdeckt. In NDR-Kultur – Das Gespräch war am 24. Februar 07 Werner Schneyder zu Gast und sprach über seine Autobiographie. Da er als junger Mann eine Karriere als Wagner-Tenor erwog und später als Dramaturg arbeitete, kam die Sprache auch auf das Musiktheater. Auf die Frage, ob ihm im Operntheater heute zuviel Schindluder getrieben wird, antwortet Schneyder:

    Ich finde das Operntheater etwas Wunderbares, nur man muss sich klar machen: Es ist eine museale Kunst. Und gemessen daran, ist sie überdotiert. Und daher gibt es auch diesen unendlichen Starkult mit seinen Mega-Stargagen. Und das Gefälle zur sogenannten Provinz, die es heute nicht mehr gibt, also zu den Mittelbühnen, ist ganz einfach zu krass.

    Und weiter auf die Frage, wer dafür verantwortlich sei:

    Es ist das Feuilleton. Es ist ganz einfach das Feuilleton, das nicht sagt: Hier geschieht eine Trottelei. Sondern das Feuilleton sagt: Hier geschieht eine Innovation. Carmen in einem Iglu gespielt oder Cosi fan tutte in der Damensauna ist keine Innovation, sondern Schwachsinn.