Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Autor: Christian Holst

  • Jeder Mensch ist Konsument Künstler

    Brecht wünschte sich, Radiohörer sprechen machen zu können. Joseph Beuys meinte, jeder Mensch sei ein Künstler. Das Web 2.0 hat beides wahr werden lassen. Für Beuys‘ These fand ich kürzlich ein schönes Beispiel auf der Ideenbörse für das Kulturmarketing. Für einen Spot für den neuen Z4 hat BMW den Künstler Robin Rhodes eine große weiße Fläche mit einem mit farbigen Reifen versehen Z4 befahren lassen. Die weiße Fläche wurde so zur Leinwand, der Z4 zum Pinsel, das künstlerische Resultat ist ein buntes Knäuel bunter Fahrspuren. Der Clou: Im Netz kann man es Rhodes nachmachen, indem man eine Software installiert, ein Symbol ausdruckt (beides auf dieser Seite zu finden), das von der Webcam des Computers erkannt wird und in der Wiedergabe auf dem Bildschirm durch einen Z4 ersetzt wird. Indem man das Blatt dann hin und herbewegt, kann man, dem schwungvollen Fahrgefühl des Z4 entsprechende, farbige Autospuren auf den Bildschirm malen. Kompliziert zu erklären, am leichtesten verständlich wird es sicher, wenn man sich diesen Youtube-Clip ansieht:

    Das ist in technischer Hinsicht sicher verblüffender als in ästhetischer. Aufschlussreich finde ich allerdings auch die Tatsache, wie Kunst genutzt wird, um dem Z4 eine kulturelle Aura zu verpassen. Das Produkt kann sich mit seinen «inneren Werten» offenbar im hart umkämpften Automarkt nicht mehr differenzieren. Es differenziert sich über die Assoziation mit Ästhetik und künstlerischer Stilsicherheit. Erfolgreich ist nicht mehr, wer effizient Knappheiten zu beseitigen vermag, so wie die klassische Lehre meint, sondern erfolgreich ist, wer Knappheiten schafft, indem er sein Produkt in markttauglicher Weise kulturell auflädt und dem Käufer das Gefühl vermittelt, mit jeder Fahrt seiner unverwechselbaren, einzigartigen, kreativen Persönlichkeit mit ebenso unverwechselbaren, einzigartigen «Pinselstrichen» auf die Straße Ausdruck zu verleihen, anstatt nur ein Transportproblem zu lösen. So wird alles Management zum Kulturmanagement.

    Eine andere, wesentlich günstigere Möglichkeit, mittels der jeder zum Künstler wird, ist das kleine, keine 300 KB große Tool MousePath. Einmal gestartet, hält es sämtliche Malereien fest, die man täglich mit seiner Mouse auf den Bildschirm zeichnet. Wenn die Mouse ruht, entstehen – je länger umso größere – Kreise. Hier meine Gemälde von gestern und heute. Sieht doch aus wie astreine abstrakte Kunst, oder? 🙂

     

  • Call for Papers zur stART.10 läuft

    stART.10Mit dem Relaunch der Website der stART.conference hat auch der Call for Papers für die zweite Ausgabe der Konferenz gestartet. Während es letztes Mal ganz allgemein um das Thema Kunst und Kultur und Web 2.0 ging, werden in diesem Jahr zwei Themenbereiche schwerpunktmäßig behandelt, die sich aus dem Feedback zur stART.09 als besonders interessant herauskristallisiert haben. Das ist zum einen die Frage nach Geschäftsmodellen im Web 2.0, die die Aktivitäten refinanzieren oder einen klar definierten Nutzen bringen. Und das ist zum anderen die Frage, welche Möglichkeiten das Mobile Web bietet. Immer mehr Leuten scheint das iPhone an der Handfläche festgewachsen zu sein, was die Frage aufwirft, wie sich Kommunikation, Kaufverhalten, Wahrnehmung dadurch ändert. Wer Interesse hat, selbst einen Vortrag oder einen Workshop zur Tagung beizusteuern, ist herzlich eingeladen, sich zu bewerben. Alle Infos dazu gibt es auf der Website, die Bewerbung erfolgt bequem per Online-Formular. Weitere Informationen zum Programm, zu den Sprechern und zur Ticketbestellung werden in den kommenden Wochen folgen.

  • Facebook-Sucht stopft Winterloch

    In der Schweiz machte in den letzten Tagen eine Studie mit dem Titel «Facebookless» Schlagzeilen. Für diese Studie wurden 50 «Heavy Facebook Users» rekrutiert, die einen Monat lang auf Facebook verzichten sollten. Das nicht sonderlich überraschende Fazit der Studie: Vielnutzern fällt es zunächst nicht leicht auf Facebook zu verzichten. Überzeugte Sportler, Raucher, Kaffeetrinker, Autofahrer oder Fleischesser würden sicher ähnliches berichten, wenn sie einen Monat lang auf ihre Leidenschaft verzichten würden. Auch, dass man konzentrierter arbeitet, wenn man nicht alle fünf bis zehn Minuten die Live-Meldungen checkt, liegt auf der Hand. Alles also eigentlich wenig spektakulär und aufgrund des Studiendesigns wenig aussagekräftig und verallgemeinerbar.

    Witzig war, was draus gemacht wurde: Im persönlich heisst es recht sachlich: «Wichtige Erkenntnisse zu Facebook. Vertiefte Studie zur Nutzung der Social Media Plattform». Die Weltwoche titelte etwas tendenziöser «Glücklich und süchtig nach Facebook» und verglich die Macht von Facebook auf Menschen mit der einer Sekte. In der 20 Minuten hieß es sogar: «Ohne Facebook ausgegrenzt? Laut einer Studie fühlen sich viele (sic!) Schweizer ohne Facebook-Zugang sozial isoliert. Experten warnen vor einer hohen Suchtgefahr.»

    Winterloch, oder was?

  • Blick in die Glaskugel: Slow Media

    Noch im letzten Jahr wagte Frank Tentler in seinem Echtzeitgeist-Blog den Blick in die Glaskugel und stellte eine Reihe von Prognosen und Thesen zu Social Media-Trends im Jahr 2010 auf. Außerdem lud er ein, seine Aussagen um eigene Einschätzungen zu ergänzen, was ich hiermit tun möchte. Wohlwissend übrigens, dass der Blick in die Glaskugel natürlich umso klarer wird, je weiter das Jahr 2010 fortgeschritten ist.

    Ein Begriff, der mir 2010 schon mehrfach begegnet ist, ist «Slow Media». Slow Media wird als die Entsprechung zum Slow Food bezeichnet, der qualitätsbewussten, genussvollen Zubereitung und Verzehr von Lebensmitteln. Wie zu jedem vernünftigen Trend gibt es inzwischen auch ein Manifest, das Slow Media-Manifest, verfasst von Benedikt Köhler, Jörg Blumtritt und Sabria David (nebenbei bemerkt: alle drei waren Referent(inn)en der stARTconference 2009). Die Idee dahinter: Nachdem im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts mit den partizipativen Medien eine technologische Revolution stattgefunden hat, wird es im zweiten Jahrzehnt darum gehen,

    angemessene Reaktionen auf diese Medienrevolution zu entwickeln – sie politisch, kulturell und gesellschaftlich zu integrieren und konstruktiv zu nutzen.

    Es geht um den bewussten, wählerischen Umgang mit den neuen Möglichkeiten, der wiederum Qualität, Perfektion, Konzentration, nachhaltige Vernetzung usw. nach sich ziehen soll — Dinge, die man momentan noch nicht unbedingt mit Social Media in Verbindung bringt. Ich finde diesen Gedanken äußerst plausibel und begrüßenswert und denke, dass er wichtiger Referenzpunkt für weitere Entwicklungen und Trends im Jahr 2010 und darüber hinaus werden kann.

    Das heißt in meinen Augen zum Beispiel, dass Social Media zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Medienlandschaft werden und der Hype langsam abklingen wird. Social Media wird ganz einfach in klassische Kommunikations-Konzepte integriert (oder anders herum), aus dem heutigen tendenziellen Entweder-Oder wird ein einvernehmliches Sowohl-als-auch und Je-nach-dem. Das wiederum setzt eine eine unaufgeregte, sachliche Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen von Social Media voraus. Bislang wurden kritische Überlegungen gerne mit emotionaler Wucht und fortschrittsgläubiger Empörung abgewiesen. Um es polemisch auszudrücken: Man wird feststellen, dass man mit Social Media nicht alle Diktaturen dieser Welt in die Knie bloggen und twittern kann, das auch Wikipedia nicht alles weiß und dass trotz Facebook nicht alle Menschen Brüder werden. Vermutlich heisst es auch das Ende der Gratiskultur, denn die zukünftige Bedeutung von Social Media wird auch davon abhängen, wie breit sich diese Medien über tragfähige Geschäftsmodelle absichern lassen.

    Bei den Blogpiloten gibt es übrigens ein Interview mit den Verfassern des Slow-Media-Manifests.

  • Dramentheorie reloaded: Steve Jobs Produktinszenierungen

    Welche Bedeutung kulturelle Kompetenz heute für ökonomischen Erfolg hat, zeigt der amerikanische Journalist Carmine Gallo, der sich mit Steve Jobs Präsentationskunst beschäftigt und darüber ein ganzes Buch verfasst hat. Er zeigt, dass die Produktvorstellungen von Apple nicht einfach Produktvorstellungen sind, bei denen die neuen Features der Geräte vorgestellt werden, sondern genau einstudierte Inszenierungen, denen die Fans ebenso entgegenfiebern, wie andere Leute der Eröffnung der Salzburger Festspiele oder der neuen Robert Wilson-Inszenierung. Gallo spielt auf das theatrale Gespür von Jobs an, wenn er seine Analyse in verschiedene Akte unterteilt und die dramaturgischen Funktionen von Jobs Präsentationsmitteln beschreibt.

    Wenn man den hochtrabenden Vergleich nicht scheut, dann ist das fast so etwas wie die Dramentheorie der szenografischen Ökonomie. Allerdings: Während sich die klassische Tragödie über fünf Akte erstreckt — mit den Stationen Exposition, erregendes Moment, Peripetie (Höhepunkt), retardierendes Moment und Katastrophe — kann es nicht verwundern, dass Theorie guter Produktinszenierung nur drei Akte kennt. 🙂

    Via Lummaland.

  • stART.10: Vom 8.-10. September in Duisburg

    stART.10
    Bei der positiven Resonanz auf die stART.09 im vergangenen September, war schnell klar, dass es im Jahr, in dem Essen und das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt sind, auf jeden Fall eine Neuauflage geben würde. Diese findet jetzt statt vom 8.- 10. September 2010, wieder in Duisburg in der Mercatorhalle. Die laufenden Infos, Call for Paper, Ticketverkauf, Programm und Sprecher etc. werden in den kommenden Wochen und Monaten im stART-Blog bekannt gegeben.

    Während es bei der ersten Ausgabe der stARTconference darum ging, ganz grundsätzlich das Potenzial der sozialen Medien für Kultureinrichtungen auszuloten, liegen die thematischen Schwerpunkte in diesem Jahr zum einen auf social-media-basierten Geschäftsmodellen, also der Frage, wie im Web 2.0 trotz Gratis- und Amateur-Kultur Geld zu verdienen ist, und zum anderen auf dem mobilen Web. Gerade das mobile Web könnte Antworten auf die Frage nach den Geschäftsmodellen geben, da hier offenbar eine erhöhte Zahlungsbereitschaft besteht. Auch in diesem Jahr wird es aber wieder Grundlagenworkshops, Best practices und allgemeine Vorträge geben, so dass für jedes Interesse und jeden Kenntnisstand ein interessantes Programm geboten wird.

    Ach ja, hier gibt es noch in Erinnerung an die stART.09 einen Zusammenschnitt aus meinem Workshop «Einführung in das Podcasting kultureller Inhalte»:

    Workshop Christian Holst, Teil 1 from stARTconference on Vimeo.

  • Unleadership nach 50 Cent

    Jetzt, wo auch der Kulturbereich langsam anfängt, die aufgedunsene Begriffssau «Leadership» durchs Dorf zu treiben – siehe zum Beispiel die Novemberausgabe des Kulturmanamgent Magazins oder Armin Kleins neues Buch Leadership im Kulturbetrieb – kommt man andernorts schon auf «Unleadership» als ultimativer Führungstechnik des 21. Jahrhunderts:

    This whole obsession with who the leader is and what his/her presonality is, is a vestige from the command and control era of management. The 21st century leadership will be marked by a totally different style – which I decided to call UnLeadership.

    heißt es da provokativ. Auch wenn ich bestreite, dass gutes Management je im Kommandieren und Kontrollieren bestanden hat, ist dies ein schön subversiver Blick auf das Thema. UnManagement gibt es übrigens auch und ist z.B. in der amerikanischen Subkultur zu lernen. In der aktuellen Ausgabe des GDI Impuls ist ein Artikel über 50 Cent, in dem der Überlebenskampf der Straßendealer auf Erfolgsrezepte für innovatives Management von morgen abgeklopft wird. Die «Take-Home-Message»: Wachsamkeit, kleinunternehmerisches Partisanentum, Vernetzung, Aggressivität, Flexibiltät und die Freiheit, jederzeit gehen zu können machen sowohl den Erfolg eines Straßendealers als auch den des Managers von morgen aus. 🙂

  • Warum der Säbelzahntiger die Neue Musik auf dem Gewissen hat

    Im Hamburger Abendblatt las ich zu Silvester, dass 72 Prozent der Hamburger glauben, dass es im neuen Jahr aufwärts gehen werde. Auch die Wirtschaft ist optimistisch. Keine Spur von Angst vor Neuem oder dem «Früher war alles besser»-Syndrom, zumindest nicht, wenn es um Jahre geht. Das ist etwas anders bei Musik. Heerscharen von Musikpädogogen und Evangelisten zeitgenössischer Tonkunst haben die Neue Musik kaum je aus ihrer durchaus behaglichen, mitunter dünkelhaft verteidigten Nische zu holen vermocht. Da der Ruhm einiger bedeutender Komponisten erst nach einer längeren Inkubationszeit ausbrach, ging auch Arnold Schoenberg Anfang des 20. Jahrhunderts davon aus, dass man seine Musik in einigen Jahrzehnten ganz selbstverständlich auf der Straße pfeifen werde. Diese Prophezeiung hat sich nicht erfüllt.

    In einem ausführlichen, sehr lesenswerten Artikel in der Zeit (schon etwas älter) werden dafür im Wesentlichen zwei Gründe genannt. Das eine ist das Vergnügen, in dem Gehörten wiederkehrende Strukturen auszumachen, ohne dass diese erklärt würden. Kinder lernen auf diese Weise Sprache. Dies ist bei Neuer Musik nur schwer möglich. Die Regeln der Zwölftontechnik in einem Stück auszumachen, gleiche etwa «dem Kunststück, sich eine zwölfstellige Telefonnummer nicht nur auf der Stelle zu merken, sondern sie auch noch wiederzuerkennen, nachdem zu jeder Ziffer vier hinzuaddiert wurden.» Das setzt natürlich ein langjähriges intensives Training voraus, dem sich nur hartgesottene Liebhaber unterziehen. In Klangcollagen oder gar stochastischer Musik ist es freilich noch schwerer Strukturen zu erkennen.

    Das andere ist das Spiel mit der Erfüllung oder Enttäuschung von Erwartungen. Beides muss – je nach Hörerfahrung – in einer bestimmten Relation zueinander vorhanden sein, damit das Hörerlebnis ein Vergnügen ist. Vollkommene Erfüllung von Hörerwartungen ist so langweilig wie die dauernde Enttäuschung frustrierend ist. Wie so gerne, wenn es um die Erklärung menschlicher Vorlieben und Verhaltensweisen geht, bemüht der Artikel auch hier das vorzivilisatorische Leben. Zu Zeiten des Säbelzahntigers sei es überlebenswichtig gewesen, von der Gegenwart auf die Zukunft schließen zu können und zum Beispiel verdächtige Geräusche rechtzeitig richtig zu deuten, um nicht zum Mittagessen des hungrigen Raubtiers zu werden. So entwickelte der Mensch einen «Zukunftssinn», der auch bei Musik angesprochen wird und uns in Erregung versetzt.

    Wenn es dann in dem Artikel resümierend heißt: «In ihrem ständigen Streben nach Innovation, nach neuen Klängen hängen die Komponisten das breite Publikum ab – eine seltsame Eigenheit der westlichen klassischen Musik», dann ist damit wieder das im vorangegangen Beitrag zitierte Innovator’s Dilemma angesprochen. Die Innovation wird – einer bestimmten, festen Logik folgend – immer weiter vorangetrieben und verfehlt schließlich die Bedürfnisse des Marktes bzw. die Ansprüche eines breiten Publikums. Und obwohl ich öffentliche Finanzierung von Kultur grundsätzlich richtig und sinnvoll finde, eben um der Kunst bzw. Musik freie Entfaltungsmöglichkeiten zu gewähren, halte ich sie in Bezug auf dieses Problem für fragwürdig. Denn sie läuft hier Gefahr, Innovationslogiken künstlich am Leben zu erhalten, die ihre Zeit hatten und verhindert es zu überprüfen, ob sich die Leute mit echt neuer Musik schwer tun würden.

  • Weihnachtskonzert im Innovator’s Dilemma

    Es gehört zum guten Ton unter Konzert- und Kulturveranstaltern, Hör- und Seherwartungen des Publikums gezielt zu unterwandern, um deren kulturellen Horizont Richtung zeitgenössischer Kultur zu erweitern. Das führt mitunter dazu, dass man interessante Werke entdeckt, auf die man sonst nicht gestoßen wäre. Mühsam wird es, wenn dieses Vorgehen zur Ideologie wird. Denn dann bekommt es einen pädagogischen und damit gegenüber erwachsenen Menschen herablassenden Aspekt. Ein Beispiel dafür war das Weihnachtskonzert im Bremer Dom, das ich vergangenes Wochenende besucht habe. Es schien, als ginge es dem noch relativ neuen Domkantor vor allem darum, charakteristische Akzente zu setzen als der Gemeinde einen schönen Weihnachtsliederabend zu bieten. So gab es u.a. einen schwachbrüstigen Gospelchor, ermüdende zeitgenössische Orgel-Einleitungen zu klassischen Weihnachtsliedern, dröhnende Orgelbegleitung zum Gemeindegesang und eine scheinbar endlose Abfolge von zweiminütigen Liedern. (Schubert wusste, warum er seine Winterreise nach ca. 70 Min. beendete.)

    Dieses Konzert schien mir ein Beleg dafür, wie sehr die klassische Musik und deren Konzertkultur in einem sog. Innovator’s Dilemma steckt. Damit ist das Phänomen gemeint, dass erfolgreiche Firmen ihre einmal erfolgreiche Innovationslogik immer weiter fortsetzen und elaborieren, bis sie schließlich über die Marktbedürfnisse hinausschießen. Das bietet anderen Firmen die Chance, das gleiche Kundenbedürfnis mit einer ganz anderen Erfolgslogik anzugehen und fokussierter zu bedienen. Ein Beispiel dafür sind die Antiruckeltechnologien, die in den tragbaren CD-Playern eingesetzt wurden und die mit der Einführung der MP3-Player überflüssig wurden. Eine Firma, die gerade in ein Antiruckelforschungszentrum investiert hatte, sah blöd aus gegen die erste Firma, die konsequent auf MP3 setzte.

    Übertragen auf den Bereich der klassischen Musik – die freilich jenseits des bloßen Marktprinzips und einfachen Kundenbedürfnissen funktioniert – stellt sich die Frage, ob man hier nicht an einen Punkt der Innovation gelangt ist, der sich nicht weiter ausreizen lässt. Die Innovationslogik der heute relevanten Musik scheint vielmehr darin zu bestehen, Vorhandenes neu zu kombinieren, als den Materialfortschritt im Sinne adornitischer Ästhetik weiter voranzutreiben.

    Wenngleich ich den Weihnachtsliederabend also für wenig geglückt halte, so hat er doch immerhin diesen Gedankenanstoß gegeben. Und Denkanstöße zu geben, das war ja offenbar genau die Idee des Programms. In diesem Sinne wünsche ich ein frohes Fest!

  • Fingerübung für Fortgeschrittene

    Während Virtuosität bei klassischen Instrumenten eine zwingende Voraussetzung ist, um musikalisch überhaupt ernst genommen zu werden, gilt es in der Pop- und Rockmusik nicht selten als Angeberei oder gar als verkünstelndes Element, das dem unmittelbaren emotionalen Ausdruck im Wege steht. Das ist freilich ein Missverständnis, denn die Virtuosität, also die absolute technische Beherrschung eines Instruments, ist die Bedingung für nuancierten, tiefen Ausdruck. Allerdings kann sie auch zur reinen Fingerübung reduziert werden, was zwar beeindruckend, aber nicht bewegend ist. Aber am Sport fasziniert auch die Überwindung vermeintlicher körperlicher Grenzen. Warum sollte man dann nicht auch an diesen zwei Interpretationen von Paganinis Caprice Nr. 24 Vergnügen finden – einer Komposition, die ohnehin eher sportlich als musikalisch intendiert ist?

    Das beste hieran ist in meinen Augen dieses unbestechliche Pokerface.

    Wer es lieber rockig mag, ist mit dieser Version von Dr. Viossy besser bedient: