Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Blog

  • Brecht als Vordenker eines kapitalistischen Heilsversprechens

    Jede Erfindung braucht einen Mutigen der sie vordenkt. Beim Podcasting scheint das Bertolt Brecht gewesen zu sein. Ende der 1920er Jahre schrieb er:

    Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müsste demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren.

    Dank der Vergesellschaftung der Medien, die mit deren Digitalisierung möglich geworden ist, machen die Medien heute auch denjenigen sprechen, der vormals die passive Hörerrolle einnahm. Jeder Hörer ist damit zum potenziellen Lieferanten geworden. Interessant ist dabei auch, dass Brecht nicht nur technische Vorstellungen beschrieb, die heute durch das Podcasting weitgehend erfüllt werden, sondern dass er dabei auch an die positiven kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen dachte, die heute dem partizipativen Web zugeschrieben werden: Das neue Medium gibt jedem Einzelnen eine Stimme, ermöglicht eine neue Kultur der Meinungsfreiheit, stärkt die Demokratisierung und neue Formen gesellschaftlicher Zusammenarbeit und ist geeignet, alte hierarchische oder gar totalitäre (Kommunikations-)Strukturen zu untergraben. Brecht dachte damit vor dem Hintergrund seiner sozialistischen Überzeugungen eine Entwicklung voraus, die heute als «Heilsversprechen des Kapitalismus» Realität geworden ist. Das ist nicht ohne Ironie.

  • Ein Buch namens Zimbo

    Max Goldt hat ein neues Buch veröffentlicht. Es enthält eine Sammlung einiger Titanic-Kolumnen sowie die Dankesrede zur Verleihung des Kleist-Preises. Bislang habe ich noch jedes Buch von Max Goldt verschlungen, aber diesmal ist der Funke irgendwie nicht rübergesprungen.

    In einer Rezension des Hessischen Rundfunks heißt es: «… der Schreibstil wird dann zum eigentlichen Bedeutungsträger.» Da ist was dran und wahrscheinlich hat mich das diesmal – zum ersten Mal – gestört. Im Vorgänger-Buch Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens, so war mein Eindruck, gab es eine Reihe von Texten, in denen Goldt Stellung zu mehr oder wenigen aktuellen Problemen oder Fragen bezog und die sich tendenziell von der assoziativen Kolumne zu einer eher ernsthaften, gründlich reflektierenden essayistischen Form entwickelt hatten. Diesmal scheint’s mir wieder in die andere Richtung zu gehen und kaum über eine Reminiszenz an alte Texte und Bücher hinauszugehen. Den Texten fehlt das überraschende Moment und die sinnfälligen Aufhänger.

    Vielleicht aber gibt es ja auch ein Max Goldt-Alter, aus dem ich jetzt einfach raus bin? In seinen Lesungen sitzen wirklich immer 90% Studenten.

  • Internet als neues Heilsversprechen des Kapitalismus?!

    In der wirklich empfehlenswerten Sendereihe Fragen an den Autor vom Saarländischen Rundfunk hörte ich vor kurzem ein Interview mit Susanne Gaschke über ihr Buch «Klick – Strategien gegen die digitale Verdummung». Grob gesagt lautet das Fazit: Wenn digitale Medien aufgrund unbestreitbarer Vorteile ergänzend eingesetzt werden ist das ok, wenn sie andere Aktivitäten verdrängen ist das problematisch. Da schimmern natürlich auch gewisse Vorbehalte einer Print-Journalistin mit durch, aber das macht diese Aussage ja noch nicht falsch. Wirklich interessant fand ich insbesondere einen Gedanken, den Gaschke ganz am Anfang der Sendung formulierte. Und zwar meinte sie, die sozialen Web-Medien seien das neue Heilsversprechen des Kapitalismus bzw. Neoliberalismus. Ihr Argument: Im Kontrast zum real existierenden Sozialismus lag das Heilsversprechen des Kapitalismus bis Ende der 80er stets auf der Hand. Diese Kontrastfolie Sozialismus gibt es seit einiger Zeit nicht mehr, weswegen der Kapitalismus, insbesondere in der aggressiv vorgetragenen Form des Neoliberalismus in den letzten Jahren in die Kritik geraten ist. Also wird die rasante und kapitalistisch getriebene Entwicklung des Internets zur Sozialutopie überhöht und das Netz zu einem demokratisierenden, völkervereinenden Instrument hochgejubelt: Jeder kann seine Meinung frei äußern, in unmittelbaren Kontakt mit Menschen auf der anderen Seite der Erde treten, grenzüberschreitende Zusammenarbeit wird möglich, Diktaturen erzittern vor seiner umstürzlerischen Kraft, in Wikipedia kumuliert sich die überschaubare Klugheit Einzelner zu einer enormen Weisheit der Massen usw. usf. Und all das hervorgegangen aus dem Geiste eines entfesselten, angelsächsisch geprägten Unternehmertums. Das ist ein interessanter Gedanke, denn etliche Prinzipien der sozialen Medien stehen tatsächlich erstmal im Gegensatz zu den Prinzipien des Kapitalismus, vor allem was Vorstellungen über Besitz und Eigentum und damit auch Verwertungs- und Kapitalisierungsrechte angeht. Auf er anderen Seite scheint das Internet die ideale Gelddruckmaschine zu sein, wenn man das richtige Geschäftsmodell gefunden hat. So schnell wie Google hat wahrscheinlich noch kein Weltkonzert zuvor derartige Marktmacht aufgebaut.

  • Kunst und Kultur: Nicht für alle da

    Christian Henner-Fehr fragte kürzlich «Heißt Ihre Zielgruppe ‹alle›?» und thematisierte damit den oft formulierten Anspruch von Hochkultureinrichtungen, für alle Bevölkerungsgruppen da sein zu wollen. Projekte wie «Oper für alle» oder Scheinanglizismen wie Public Viewing bezeichnen die Aktivitäten, die diesem Anspruch Rechnung tragen sollen. Für Christian Henner-Fehr ist schnell klar, dass es sich dabei höchstens um einen kulturpolitischen Vorsatz handeln kann, als Marketingstrategie jedoch zwangsläufig scheitern muss, weil «alle» als Zielgruppe zu unspezifisch sind und der Marketingaufwand ins Unermessliche wachsen müsste, wenn man mit dieser Strategie Erfolg haben wollte.

    Meines Erachtens geht es sogar noch einen Schritt weiter. Denn Marketing heißt nicht nur die Auswahl und Definition bestimmter Zielgruppen, sondern auch die gezielte Ausgrenzung von Zielgruppen, die man eben gerade nicht erreichen möchte. «Kick out the wrong customers» besagt eine saloppe Formel. Das klingt zunächst politisch ziemlich unkorrekt, aber die Probleme der Marken Lonsdale und Fred Perry machen beispielhaft deutlich, worum es dabei geht. Denn beide Marken kämpften jahrelang mit dem Image, Neonazi-Marken zu sein. Aus diesem Grund richteten sie ihr Marketing gezielt so aus, dass sie für diese Kundengruppe unattraktiv wurden, z.B. indem Lonsdale den Christopher-Street-Day in Köln sponserte und mit dem Spruch warb «Lonsdale loves all colours».

    Bei öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen ist ein Ansatz a la «Kick out the wrong customers» wesentlich problematischer, schließlich sollte das Steuergeld, das dort ausgegeben wird, allen zugute kommen. Dennoch wäre es illusorisch zu glauben, dass hier keine Selektionsprinzipien greifen würden. Sie greifen einfach subtiler. Durch die Auswahl von Kunstwerken und Künstlern, durch die Art, wie der Diskurs über das kulturelle Erbe geführt wird und die Art, wie der ästhetische Anspruch formuliert und realisiert wird findet aktive Ausgrenzung statt. Durch die Art der sozialen Begegnung, Lage, Erscheinungsbild und Einrichtung der Räumlichkeiten usw. kommen weitere Ausgrenzungsfaktoren hinzu, die auf den überwiegenden Teil der Bevölkerung höchst abschreckend wirken: Ins Theater gehen beispielsweise etwa nur 4-6% der Bevölkerung, weihnachtliche Familienbesuche der «Zauberflöte» und des «Zauberers von Oz» eingerechnet. Der Vorteil dieser subtilen Art der Ausgrenzung ist, dass man explizit den gegenteiligen Anspruch behaupten kann. Wobei auch das nicht immer der Fall ist: Gerade haben eine Reihe von Kultureinrichtungen in einer größeren Schweizer Stadt Vergünstigungen gekappt, die den Besucherkreis zunächst erfolgreich erweitert und vergrößert haben. Der Grund: man wollte nicht mehr jeden Hans und Franz als Besucher haben, die einmal kommen und sich dann nie wieder blicken lassen.

    Wie immer man das beurteilt glaube ich, dass der Anspruch, Hochkultur sei für alle, ein sozialromantisches Lippenbekenntnis ist, das nicht funktioniert weil es nicht funktionieren kann. Die Frage, ob Kultur für alle ist oder nicht, ist in meinen Augen weder eine Frage des Kulturmarketings, noch der Kulturpolitik, sondern vor allem der kulturellen Bildung. Denn nur die ermöglicht den nachhaltigen Zugang und ein dauerhaftes Interesse.

  • Dudamel: Der Obama unter den Dirigenten

    Gustavo Dudamel ist so eine Art Barack Obama unter den Dirigenten: Groß geworden in sehr bescheidenen Verhältnissen, dank starker Ausstrahlung und Begeisterungsfähigkeit eine spektakuläre Karriere in der jeweiligen Branche hingelegt und dort höchst rasant auf einen Spitzenposten durchmarschiert. Anfang Oktober trat Dudamel sein Amt als Chef des Los Angeles Philharmonic Orchestras an. Das Eröffnungskonzert in der Hollywood Bowl mit Beethovens 9. Sinfonie gibt es, leider in sehr bescheidener Bild- und Tonqualität, auf youtube zu sehen:

    Mir scheint, dass Dudamel mit seinem ekstatischen Überschwang eine Tradition des Dirigierens wiederbelebt, die nach dem Tod von Leonard Bernstein und Sergiu Celibidache verloren gegangen ist. Gegenüber nüchtern-textkritischen, historisch informierten Interpretationen waren die radikal subjektiven, emotional zugespitzten und deswegen oft streitbaren Deutungen etwas in Verruf geraten. Möglicherweise läutet der immense Erfolg von Dudamel eine gewisse Trendumkehr ein. Denn wenn der Name Dudamel fällt, dann kann man hohe Beträge darauf wetten, dass Worte wie Leidenschaft, Rausch oder Ekstase noch im gleichen Atemzug folgen werden.

  • Podcast: Ein Kontrabass spielt selten allein

    Ein weiteres schönes Beispiel dafür, wie persönlich und authentisch man über soziale Medien kommunizieren kann ist der Podcast Ein Kontrabass spielt (selten) allein. Friedrich Witt – fast 80-jährig! – erzählt darin Anekdoten, Erlebnisse und Ansichten aus seinem Leben als Musiker und jahrzehntelanger Solobassist der Berliner Philharmoniker. Das ist ebenso unterhaltsam wie informativ und subjektiv. Nett sind auch die regelmäßigen Kontrabasseinlagen. Denn der Titel bringt es auf den Punkt: Wann hört man schon mal einen Kontrabass allein? Eine kleine Einschränkung ist, dass Witt zwischendurch immer wieder einmal gerne den Lobgesang anstimmt auf die guten alten Zeiten, in denen es noch richtige Dirigenten wie Karajan oder Furtwängler gab. Wie war das doch schön und vor allem so originell, wenn Karajan unzufrieden war und dem Orchester androhte, es zusammenbinden, mit Benzin übergießen und anzünden zu wollen. Heute möchten die Dirigenten lieber Claudio genannt werden, was bei Witt auf wenig Verständnis stößt. Wer das Buch oder das Stück Der Kontrabass kennt, der wird bei Witt auch immer wieder den Minderwertigkeitskomplex aufblitzen hören, den Patrick Süskind offenbar sehr treffend darstellt. Das wiederum macht den Podcast freilich sehr sympathisch.

  • Staatsballett Berlin: «Audience Development» mit Videocast

    Auf den ersten Blick macht der Videocast des Staatsballetts Berlin nicht wahnsinnig viel her. Wackelige, verwaschene Bilder, keine Moderation, selten mal ein Interview, meistens einfach ein paar amateurhafte Eindrücke aus der Arbeit des Ensembles. Die Machart entspricht nicht den technischen und redaktionellen Standards der PR-Clips der Bayreuther Festspiele. Der Grund ist, dass die Clips in Zusammenarbeit mit Schülern und Schulklassen entstanden sind, die die Compagnie über Tage oder Monate mit der Kamera begleitet und Filme über deren Arbeit erstellt haben. Auch wenn die Videos nicht als PR-Clip taugen, werden hier die neuen kommunikativen Möglichkeiten der sozialen Medien durch die Einbeziehung derjenigen, die man mit seinem Kulturangebot erreichen möchte, viel weitgehender und kreativer genutzt als beim Bayreuther Beispiel. Hier bleibt man nicht dabei, die Logik des Fernsehens in das Web 2.0 zu tragen, sondern wagt darüber hinaus, ein gewisses Maß an Kontrolle über die eigene Außendarstellung aufzugeben. Diejenigen, die man als Zuschauer von morgen gewinnen will, werden so zu aktiven Partnern und Botschaftern, die die Clips in ihre Netzwerke tragen. Jede Wette, dass das so genannte «Audience Development» auf diese Weise nachhaltiger gelingt, als wenn man jungen Leuten kurze PR-Clips präsentiert, wie Viva sie doch einfach besser hinbekommt.

  • Theater-Lobbyismus auf Leben und Tod

    Dass Theater-Lobbyismus nicht eine Angelegenheit der wohldosierten Worte und einer fein austarierten Balance zwischen Jammern und Selbstlob sein muss, zeigt der französische Theaterdirektor Richard Martin. Nachdem die staatlichen Zuschüsse für sein Theater Toursky gestrichen wurden, wählte er die denkbar theatralste Form des Lobbyismus: Er machte den Einsatz für sein Theater zu einer Sache auf Leben und Tod, indem er am Samstag in den Hungerstreik trat und proklamierte, dass «unsere Kultur und Freiheit» in Gefahr sei. Damit steht zumindest fest, dass er etwas von Theatermachen versteht und staatliche Zuschüsse somit weiterhin verdient hätte.

  • Das Dilemma der Theater-Lobbyisten

    Die deutschen Theater und Orchester konnten ihre Eigennahmen in der Saison 2007/08 um 1,1 Prozentpunkte steigern. Für den Deutschen Bühnenverein ein gutes Zeichen, Direktor Rolf Bolwin meint:

    Hier wird deutlich, dass die Theater und Orchester auf die ökonomische Krise mit der Steigerung ihrer eigenen Wirtschaftskraft reagiert haben. Das sieht man auch an der Zahl der Veranstaltungen, die ebenfalls von 63.600 auf 64.700 angestiegen sind.

    Mit solch einer Interpretation dieser Zahlen läuft er allerdings Gefahr, den Bühnenverein mittel- und langfristig in ein Lobbyistendilemma bringen. Denn natürlich muss er die Erfolge der deutschen Theater und Orchester darstellen. Aber wenn die Theater Jahr für Jahr nicht nur künstlerisch zulegen, sondern auch ihre Effizienz und ihren ökonomischen Erfolg steigern, dann drängt sich doch die Frage auf, ob sich die öffentliche Hand nicht in ihrem Engagement zurücknehmen kann. Die Argumente liefert der Bühnenverein sogar frei Haus. Deswegen schiebt Bolwin auch gleich hinterher, dass es jetzt darum ginge, diese Erfolge und erfreulichen Zahlen nicht durch Kürzungen der öffentlichen Finanzierungsbeiträge zu gefährden. Aber welches Gewicht hat so eine Aussage angesichts der Belastungen und Schulden, die durch die Wirtschaftskrise für die öffentliche Hand entstanden sind und noch entstehen werden? Das Eis, das der Bühnenverein hier betritt, scheint mir sehr dünn zu sein.

  • stART als Trendmarke ’09 nominiert (Best practice IX)

    Der Erfolg der stART.09 wurde heute zusätzlich zu den weitestgehend positiven Rückmeldungen der Besucher mit der Nominierung als Trendmarke 2009 noch einmal bestätigt. Der Wettbewerb wird veranstaltet von der Berliner Agentur causales und ist so eine Art Oscar des deutschsprachigen Kulturmanagements. Laut heutiger Pressemitteilung «zeichnet (er) die erfolgreichsten Marketingstrategien von Kulturprojekten und die engagiertesten Kulturvermittler im deutschsprachigen Raum aus». Die Preisvergabe findet am 29. Oktober im Rahmen der Kulturmarken-Gala in Berlin statt. Bitte kräftig die Daumen drücken!

    Die Stadt Duisburg macht etwas richtig: Neben der stARTconference wurde auch Karl Janssen, twitternder Kulturdezernent der Stadt, beim Award nominiert – als «Kulturmanager des Jahres».