Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


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  • Martenstein hadert mit der Kunst

    Beim Aufräumen fiel mir eine alte Martenstein-Kolumne von Anfang 2007 in die Hand, in der er anlässlich des Skandals um Neuenfels Idomeneo-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin mit moderner Kunst hadert. Lesenswert und witzig wie immer.

    Inhaltlich passt die Kolumne auch zu meinem vorletzten Eintrag, indem es um die Frage ging, was Kunst und Ökonomie voneinander lernen können. Während in der Wirtschaft Innovation und Fortschrittlichkeit durch das Kriterium der Nützlichkeit aussortiert werden, ist das in der Kunst nicht möglich. Dadurch wird Innovation (oder was als solche erscheint) häufig schon als Wert an sich gesehen. Dazu Martenstein:

    Ein neuer Kunststil dagegen beruft sich oft lediglich auf die Tatsache, anders zu sein, und das ist genauso ein Schwachsinn, als ob man die Geranien mit der Blüte nach unten einpflanzt und dies zum Fortschritt im Gartenbau erklärt.

  • Wirtschaftsästhetik

    Vor ein paar Tagen bin ich auf eine Seite zum Thema Wirtschaftsästhetik gestoßen. Das soll eine Forschungsrichtung der Managementlehre sein oder werden, bei der »das Feld der Kunst der Managementtheorie zugänglich« gemacht werden soll. Forschungsfragen können zum Beispiel sein:

    Was kann von »Hochleistungsorganisationen« wie Orchestern, die ein Höchstmass an Koordination und Perfektion bei der Produkterstellung erbringen, zur Organisationsgestaltung gelernt werden?

    Wie schafft es das Kunstsystem ständig ein so großes Innovationspotential zu entwickeln? Kann die Organisation des Kunstsystems Vorbild sein für Unternehmungen, die auf hoch innovativen Märkten agieren?

    Das klingt ja zunächst recht spannend. Dass man aber damit zu sinnvollen Ergebnissen kommt, wage ich ehrlich gesagt zu bezweifeln. Orchester funktionieren deswegen gut, weil sie streng hierarchisch und im Kern antidemokratisch organisiert sind. Soll das Vorbildcharakter für innovative, moderne Unternehmen haben? Wohl kaum. Und ist es nicht vielmehr so, dass die Wirtschaft, auch die bei Adorno-belesenen Kulturschaffenden so verachtete Kulturindustrie, in punkto Innovation und Fortschrittlichkeit die (ästhetischen) Standards setzt, während die etablierte Kulturszene dagegen den relevanten Themen um Jahre hinterher hechelt? »Café Umberto« beispielsweise, Moritz Rinkes Stück über Arbeitslosigkeit, wurde 2005 uraufgeführt, zwei ganze Jahre nachdem die Agenda 2010 (nach herrschender Meinung ja auch schon viel zu spät) ausgerufen wurde. Ästhetische Trends und Ausrufezeichen dagegen werden von Unternehmen wie Apple, Nike, Madonna oder Herzog & de Meuron gesetzt.

  • Wagners Ring ohne Musik

    Ob das so eine tolle Idee ist? Das Theater Heilbronn zeigt Wagners Ring als Schauspiel in einer Textfassung von Almut Fischer und K.D.Schmidt. Das ist insofern keine schlechte Idee, als Wagner als Dichter überhaupt nicht ernst genommen wird. Erst Dieter Borchmeyer fing an, mit diesem Vorurteil aufzuräumen, als er sein Buch »Das Theater Wagners« mit der erstaunlichen Erkenntnis eröffnete:

    Es läßt sich nicht bezweifeln: das Werk Wagners ist der wirkungsmächtigste Beitrag des deutschen 19. Jahrhunderts zur Weltliteratur.

    Borchmeyer ist aber Literaturwissenschaftler. Dass sich ausgerechnet Theaterleute als Fürsprecher für die Qualität der Wagnerschen Dichtkunst profilieren wollen, strapaziert meine Vorstellungskraft erheblich. Aber wer weiß? Wenn es schon Wagners Ring ohne Worte gibt, warum soll es dann nicht auch Wagners Ring ohne Musik geben?

  • Feminismus-Debatte

    Interessant ist die Diskussion um den alten und den neuen Feminismus, die durch die Auszeichnung Alice Schwarzers mit dem Ludwig-Börne-Preis startete. In ihrer Dankesrede griff sie nämlich den sog. neuen Wellness-Feminismus an, bei dem es nur um den persönlichen Erfolg in Sachen Karriere und Männer gehe.

    Während die Replik der Alphamädchen etwas beleidigt ausfiel (»Wir wollen aber auch was zum Feminismus sagen dürfen!«), war die der neuen deutschen Mädchen offensiv und intelligent: indem Schwarzer ihnen derart über den Mund fahre und abkanzele, was sie zur Diskussion beizusteuern haben, mache Schwarzer mit ihnen das, was sie der patriarchalen Gesellschaft vorwirft, mit den Frauen insgesamt zu machen. Eine scharfzüngige Antwort aus altfeministischen Reihen ließ wiederum auch nicht lange auf sich warten.

    Fehlt eigentlich nur noch die Stimme der aufkeimenden Männerbewegung, um diese Diskussion endgültig zu einer hochexplosiven Angelegenheit werden zu lassen.

    Dass diese ganze Debatte um Gleichstellung oder nicht möglicherweise aber schon etwas anachronistisch sein könnte, legt ein Buch der amerikanischen Wissenschaftlerin Susan Pinker nahe. Ihre These lautet in etwa: Frauen wollen weder in die Chefetagen, noch in techniklastige Branchen. Dass sie dort selten zu finden sind, sei ein Zeichen von Freiheit und Selbstbestimmung und nicht eines von Benachteiligung. Im Gegenteil: in armen Ländern ist der Anteil an Frauen, die in technischen Berufen arbeiten, wesentlich höher, weil sie dort besser verdienen als in kommunikativen, erzieherischen oder medizinischen Berufen, die sie ohne wirtschaftliche Not lieber ausüben würden. Diese Unterschiede in der Berufswahl lägen im übrigen nicht an patriarchal definierten Geschlechterrollen, sondern seien im Grunde hormonell bedingt. Testosteron wecke die Konkurrenzlust, das weibliche Hormon Oxytocin dagegen begünstigt Empathie. Ganz so simpel ist es vermutlich nicht, aber das Buch hat auch 400 Seiten.

    Ob es eine Chance gibt, dieses ganze Thema sachlich zu diskutieren?

  • Nochmal: Gedopte Musiker

    Heute habe ich entdeckt, dass es vor kurzem einen kurzen Artikel im Focus über das auch hier bereits thematisierte Problem des »Dopings« bei Musikern gab. Dort werden ein paar interessante Zahlen genannt:

    • – 50 % der deutschen Orchestermusiker leiden unter Auftrittsangst, die über normales Lampenfieber hinausgeht. Speziell Stimmführer und Solisten sind gefährdet.
    • – Ein Drittel bekämpft die Angst mit Alkohol und Betablockern.
    • – 20% sind über das Ausmaß der eingenommenen Mittel besorgt.

    Focus Nr. 15/2008, S. 68.

  • Wozu das Theater? II

    Auch Gerhard Stadelmeier beschäftigt sich mit dem Theater, dass nicht mehr an sich selbst glaubt, allerdings ungleich ausführlicher und eloquenter, als ich es im vorgestrigen Eintrag getan habe. Er stellt fest:

    Das Theater scheint in der panischen Angst, etwas in der Wirklichkeit draußen zu verpassen, in diesen Tagen hektisch vor sich selbst davonzulaufen.

    und meint damit Theaterprojekte und -performances, die nach draußen zu den »normalen Menschen« gehen: in die Straßenbahnen, Krankenhäuser, Gefängnisse, Warenlager, Gewächshäuser etc.

    So kam es, dass vor lauter Ersatz das Theater und sein ureigenstes, dramatisches Material langsam, aber sicher unter den Einfallshänden der Theatermacher sich verdünnisierte, ja vielerorts bis zur Unkenntlichkeit verschwand.

    Was dazu führe, dass die Theatermacher nur noch sie selbst sein können und die Angst vor dem Spiel immer größer werde.

    So wird etwas Altes, Fremdes, an Möglichkeiten eigentlich Unausschöpfbares, Überreiches nicht erobert, man macht sich nicht zu ihm auf wie zu einer Expedition ins tolle Ungewisse. (…) Man gönnt ihm keine Geschichte, keine Bezüge, keine Biographie, keine Abenteuer, keine Wunden, Narben, Würden und Schmerzen, die es auf seinen Fahrten und Stürzen durch die Zeiten erfahren hätte.

    Womit auch klar wäre, was Stadelmaier ohne es so explizit zu sagen für die bessere Alternative hält: das Theater als Museum, das es sowieso längst schon ist. Alles andere ist nur die verzweifelte Ignoranz des Unausweichlichen.

  • Wozu das Theater?

    Anhand einiger aktueller Ereignisse bricht wieder einmal die Frage nach Sinn und Zweck des Theaters auf. Das eine ist der Rücktritt Wolfgang Wagners und die daraus resultierende Frage, was seine Nachfolgerinnnen eigentlich können und leisten sollen. Peymanns bereits verlinkter Einwurf in dieser Sache war eher unterhaltsam als fundiert, aber auch die gelehrigeren Überlegungen zu dieser Frage bleiben unterm Strich ergebnislos.

    Auch das aktuell stattfindende Theatertreffen, sozusagen als Leistungsschau der deutschen Theater, ist so ein Ereignis. Mit »Die Erscheinungen der Martha Rubin« des Performance-Duos Signa erregte dabei bezeichnenderweise eine 8-Tage-Performance Aufsehen, die scheinbar das Theater als Medium in Frage stellt und damit, gewollt oder nicht, die Frage aufwirft, ob sich im herkömmlichen Theater überhaupt Innovatives, Heutiges sagen lässt. Ansonsten die bekannten Größen: Gosch, Petras, Ostermaier, Thalheimer, Marthaler usw.

    Und Klaus Bachler, der im Sommer die Intendanz der Bayerischen Staatsoper antritt, gab seine Ziele bekannt: Die Oper zur Nummer eins in Deutschland und zu einer der »Big Five« der Welt zu machen. So formuliert, klingt das eher nach sportlichem, als nach künstlerischem Ehrgeiz. Insofern wundert es aber nicht, wenn Bachler auf Regisseure aus dem Schauspielbereich setzt: Martin Kusej, Barbara Frey, Andreas Kriegenburg. Schließlich kommt er selbst auch aus dem Schauspielbereich. Was aber nicht heißt, dass er keine Ahnung von Oper hätte:

    Oper sei Theater, «erweitert und verdichtet um die Dimension der Musik», sagte er. Als solches müssten die Werke «in Bezug zur Gegenwart» gebracht werden, um Relevanz zu haben.

    Gut, dass das endlich mal einer gesagt hat!

  • Links: Wolfgang Wagner dankt ab

    Jetzt ist es amtlich: Wolfgang Wagner tritt noch in diesem Jahr als Leiter der Bayreuther Festspiele ab. Ich belasse es hier bei einer kleinen Zusammenstellung der interessantesten Links:

    Wagners Rücktrittsschreiben

    Sehr guter Hintergrundbericht von Julia Spinola in der FAZ. Vor allem interessant, dass es keinerlei Verpflichtung der Findungskommission gibt, die beiden Wolfgang-Töchter tatsächlich zu inthronisieren. Vielleicht steht der dramaturgische Höhepunkt in dieser Sache noch aus…?

    Claus Peymann haut wieder einmal auf die Kacke und meint, der beste Opernregisseur solle anstatt der Wagner-Töchter auf den Leitungsposten, seiner Meinung scheint das Jürgen Flimm zu sein. Flimm hatte 2002 einen Ring in Bayreuth inszeniert, der Peymanns Einschätzung allerdings nicht stützt.

    Angesichts der komplizierten Familienverhältnisse hat die SZ einen Stammbaum erstellt. Die 1867 geborene Tochter Richard Wagners Eva scheint demnach immer noch zu leben.

  • Kreativität kommt nicht von kreativen Typen

    Im Kulturmanagementblog beschäftigte Christian Henner-Fehr sich gestern mit (irrtümlichen) Erfolgsfaktoren des Innovationsmanagements und stellte fest, dass gerade das Teamwork bei Kultureinrichtungen oft zu kurz kommt, weil Kulturschaffende (s.a. Punkt 1: Kreativität kommt gar nicht von kreativen Typen!) tendenziell zu übermäßigem Einzelgängertum und Individualismus neigen. Daran anknüpfend gibt es noch zwei andere Gründe, die mir wichtig scheinen in Bezug darauf, warum es bei Kultureinrichtungen oft hapert.

    Ein Hauptgrund für die professionelle Implementierung von Innovationsmanagement ist bei den meisten Unternehmen die mittel- und langfristige Existenzsicherung. Wer mit einer neuen Idee als erster auf dem Markt ist, verdient auch zuerst und solange er keine Nachahmer hat, kann er auch gut verdienen. Diese Motivation fällt für öffentlich finanzierte Kultureinrichtungen weg, weil ihre Existenz langfristig gesichert ist – zumindest prinzipiell. Im Rahmen der knapper werdenden Etats, wird man lediglich in Hinblick auf Marketing und Finanzierung innovativ, aber das Kerngeschäft, das »kulturelle Produkt«, bleibt unberührt. Das führt zu dem von mir schon mehrfach angemerkten Paradox, dass Kulturinstitutionen dort am kreativsten sind, wo ihre Ökonomisierung fortschreitet. Wie gesagt: es sind nicht die kreativen Typen!

    Der zweite Punkt hängt damit zusammen: Die künstlerischen Arbeitsläufe sind bei allen Unterschieden im Detail hochgradig standardisiert und routiniert (Theater), teilweise auch überreglementiert (Orchester). Das ist nicht unbedingt ein gedeihliches Klima für die Kunst: »I don’t care about your acht Stunden. Entweder wir arbeiten oder wir arbeiten nicht.« (Leonard Bernstein in einer Probe zu den Wiener Philharmonikern. Vorspulen auf 7:13)