Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Kategorie: Kulturarbeit

  • Staatsziel Kultur

    Gerade ist das Staatsziel Kultur am Bundesrat gescheitert. 2005 hatte die Enquete-Kommission Kultur in Deutschland vorgeschlagen, den Artikel 20, der die rechtliche Grundordnung Deutschlands definiert, um einen Absatz b zu erweitern mit dem Wortlaut: »Der Staat schützt und fördert die Kultur«. Einen konkreten Vorteil hätte das allerdings niemandem gebracht. Sinn und Zweck dieses Artikels wäre es allein gewesen, dass Künstler, Intendanten und Direktoren jedes Mal lautstark einen Verfassungsbruch hätten anprangern können, wenn wieder einmal irgendwo ein Kulturetat zusammengekürzt wird, freilich ohne durch diesen Artikel eine rechtliche Handhabe gegen die Kürzungen zu haben. Insofern ein völlig überflüssiger Artikel.

    Was Kunst und Kultur von staatlicher Seite aus brauchen, ist schon über Artikel 5, Abs. 3 gesichert, nämlich die Freiheit der Kunst. Dieser Artikel schützt die Kunst gegenüber politischer Willkür und ist die argumentative Grundlage für die öffentliche Finanzierung von Museen, Theatern, Orchestern, Filmen usw. Weiter sollte sich der Staat nicht in kulturelle Angelegenheiten einmischen. Sich schützen und fördern muss die Kultur schon selbst, indem sie sich aus inhaltlichen Gründen unverzichtbar macht. Wo der Schutz und die Förderung aus formalen, d.h. juristischen Gründen erfolgen muss, liegt der Verdacht nahe, das Geld könne eigentlich anderswo besser ausgegeben werden.

  • Ästhetische Spekulationsblase

    Das Entwickeln von Vision und Mission gehören zu den Basics von Leadership – auch im Kulturmanagement. Die Vision beschreibt einen für die Zukunft erwünschten Zustand eines Teams oder einer Organisation. Und zwar am besten in der Art und Weise, dass allen Beteiligten deutlich wird, warum es sich lohnt, Lebenszeit in die Verwirklichung dieser Vision zu investieren, d.h. durch unbescheidene Sinnüberhöhung des gesamten Vorhabens. Wer wäre nicht gerne dabei, wenn etwas Großes entsteht? Ein Paradebeispiel, wie visionäre Sinnüberhöhung erstaunliche Leistungen ermöglicht, ist Richard Wagners mit Hilfe vieler glühender Verehrer zustande gebrachtes Lebenswerk. Unter der Vereinigung aller Künste in einer Gattung, Festspielen allein für seine Werke und einer quasi-religiösen Aufwertung der Kunst ging es bei ihm nicht.

    Obwohl ich Wagner bekanntermaßen durchaus schätze, frage ich mich, ob das Prinzip Sinnüberhöhung, so effektiv es sein mag, ein legitimes Managementmittel sein kann (nicht nur im Kulturbereich). Führt es nicht viel mehr früher oder später in eine Art ästhetischer Entsprechung zur Finanzkrise? Einer riesigen, spekulativen Blase ästhetischer Versprechungen, die durch die realen Werte nicht mehr gedeckt werden kann und damit früher oder später platzen muss? Noch mehr Festtage, Museen, Ausstellungen, neue Spielstätten etc., die ambitionierte Intendanten und Direktoren mit noch weniger Ressourcen auf die Beine stellen, weil sie nur so an den nächstwichtigeren Posten kommen. Auch dieses Anreizsystem ist fragwürdig.

  • Kultur 2.0: Zwei Projekte zeigen, wie es geht

    In Karin Janners Interviews zum Thema Online-Marketing in Kultureinrichtungen fielen die Diagnosen über den Status quo relativ ernüchternd aus. Ich habe mich dabei noch ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt und behauptet, Web 2.0 werde in fünf Jahren ganz selbstverständlicher Bestandteil der Marketingkonzeption von Kultureinrichtungen sein. Zwei kürzlich gestartete Projekte machen mir Mut, dass ich Recht haben könnte.

    Das eine ist das vorgestern gestartete Blog der Duisburger Philharmoniker mit Namen dacapo. Meines Wissens der erste ambitionierte Versuch einer großen, öffentlich finanzierten Kulturinstitution in Deutschland, das Web 2.0 zu nutzen. Das Blog enthält kleinere Berichte aus der Arbeit des Orchesters, Konzertankündigungen, kurzfristige Infos zur Verfügbarkeit von Karten, Fotos und Filme von Proben etc. Um das Blog auch den weniger internetaffinen Konzertbesuchern schmackhaft zu machen, gibt es eine Nutzungsanleitung. Gute Idee. Vielleicht sollte man für die Schrift einen besseren Kontrast wählen und noch erklären, wie man sie größer stellt. Wer nicht (mehr) so gut sieht, hat sonst mit Sicherheit Probleme. Schade finde ich, dass das Blog unter eigener Domain läuft. Offenbar hat man sich noch nicht ganz getraut, den kompletten Internetauftritt der Philharmoniker entsprechend umzustellen. Aber das kann ja noch kommen. Jedenfalls sollte dieses Projekt Schule machen!

    Das andere ist loge2.de, eine Kultur-Community. Wer sonst nur Kulturbanausen als Freunde hat, findet hier Gleichgesinnte, die ihn oder sie zu Kulturveranstaltungen begleiten. Außerdem kann man Veranstaltungen eintragen und bewerten und direkt Tickets buchen. Momentan liegt der Schwerpunkt noch auf Veranstaltungen in und um Berlin. Auch das ein viel versprechendes Projekt, das umso besser funktionieren wird, je mehr Leute mitmachen und vor allem auch, je mehr Kultureinrichtungen ihre Veranstaltungskalender anschlussfähig (z.B. RSS) machen.

  • Im Interview beim Kulturmarketingblog

    In Karin Janners Blogserie Expertenbefragung zum Thema Online Marketing im Kulturbereich ist jetzt auch ein Interview mit mir zu lesen. Vielen Dank an Karin für die Einladung. Es macht Spaß Experte zu sein 😉 . Zuvor waren bereits einige andere Experten an der Reihe, darunter Christian Henner-Fehr, auf dessen Blog sich, aufbauend auf diesem Thema, eine lange, kontroverse Diskussion entspann. Diese Diskussion brachte mich noch auf ein paar ergänzende Gedanken zu der Frage, inwieweit die tendenziell elitäre Haltung von Kultureinrichtungen gegenüber ihrem Publikum durch das sog. Web 2.0 aufgebrochen und verändert werden könnte (s. Frage 2 im Interview). Bei vielen Kulturorganisationen gilt nach wie vor das von Arnold Schoenberg verfasste Motto: »Wenn es Kunst ist, kann es nicht für alle sein und wenn es für alle ist, kann es keine Kunst sein.«

    Prinzipiell steht Kultur ja heute jedem offen. Wer will kann für weniger als 10 EUR z.B. in die Oper gehen und sich Moses und Aron anhören, wenn es einen interessiert. Es gab sicher keine Zeit, in der so viele Menschen wie heute diese Möglichkeit dazu hatten. Trotzdem interessiert sich nur eine Elite dafür. Dass diese Elite jedoch möglichst groß ist, ist Ziel und Aufgabe des Kulturmarketing und betrifft dessen Verhältnis zum Publikum. Web 2.0 ist hier eine Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu wecken, sich zu präsentieren und Feedback zu holen.

    Die “tendenziell elitäre” Haltung betrifft aber vor allem auch das Verhältnis Künstler – Publikum. Das Grundgesetz garantiert der Kunst, nichts anderem als sich selbst verpflichtet zu sein. Dieses Recht ist ebenso kompromisslos wie das Schoenberg-Zitat. Trotzdem denke ich, dass die Kunst, die ihr Publikum auf Basis dieses Rechts auch gerne irritiert und verstört das Web 2.0 bzw. dessen Philosophie als Irritation des eigenen, eben tendenziell elitären Selbstverständnisses auffassen und produktiv machen sollte. Was daraus entstehen kann, ob es eine Abkehr von dem besagten elitären Moment bringt oder vielleicht dessen Bestätigung oder etwas ganz anderes, ist erstmal völlig offen. Sicher bin ich mir aber, dass die Auseinandersetzung mit und die Nutzung des Web 2.0 der Kunst und Kultur mehr erschließen kann als neue Marketingmöglichkeiten.

  • Konzepte für Bayreuth

    Die FAZ hat kürzlich die Konzepte für die Bayreuther Festspiele von den Bewerberinnenduos Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier sowie Nike Wagner und Eva Wagner-Pasquier abgedruckt.

    Im Vergleich zu Elke Heidenreichs ebenfalls in der FAZ veröffentlichten Bayreuther Vision sind beide Bewerbungen relativ brav, sogar verzagt – Nikes Konzept mit einem geplanten Vorfestival zu Pfingsten unwesentlich innovativer. In den wesentlichen Punkten stimmen die Konzepte jedoch überein:

    • Die Festspiele sollen wieder maßstabsetzend in der Auseinandersetzung mit Wagners Musikdramen werden.
    • Auch in Zukunft sollen sich die Festspiele Wagners 10 Hauptwerken widmen, evtl. auch mal die Frühwerke mit aufnehmen, zumindest den »Rienzi«.
    • Die Wichtigkeit der Nachwuchsförderung wird betont und soll durch eine Festspielakademie (Katharina und Eva) bzw. Meisterklassenkurse (Nike und Eva) gewährleistet werden.
    • Zukünftig sollen mehr und jüngere Menschen erreicht werden und zwar mittles medialer Expansion, d.h. mehr DVD-Veröffentlichungen, Public Viewing, Liveübertragungen in Kinos etc.
    • Die Finanzierung soll zukünftig über Sponsoren und die ton- und bildkonservenmäßige Ausbeute gestützt werden.

    In der Tendenz geht es Katharina und Eva schwerpunktmäßig darum, die Öffentlichkeitsarbeit auszubauen und zu professionalisieren, Nike und Eva hingegen darum, eine stimmige dramaturgische Linie in die Festspiele hineinzubringen.

    Mein Fazit ist trotzdem: Egal, ob Wolfgang, Eva, Nike oder Katharina – der Unterschied ist kaum größer als beim Nachnamen.

  • Deutsches Kulturleben in Zahlen

    Vor kurzem hatte ich bereits per Twitter auf eine Studie des Statistischen Bundesamtes zum deutschen Kulturleben verlinkt. Inzwischen habe ich da auch mal reingeguckt und ein paar griffige Kennzahlen über Kulturrezeption in Deutschland herausgepickt:

    • Die Deutschen lassen sich ihr Kulturleben 8 Mrd. EUR im Jahr kosten, das sind 1,6% des gesamten Haushalts und 97,10 EUR pro Person im Bundesschnitt. Sachsen ist in dieser Hinsicht das spendabelste Bundesland und gibt pro Person und Jahr 155,40 EUR für Kultur aus. Das heißt aufgeschlüsselt:
    • 137 Mio. Kinobesuche, d.h. 1,7 pro Bundesbürger und Jahr,
    • 434 Mio. Entleihungen in Bibliotheken (d.h. 5,3 pro Bundesbürger und Jahr),
    • 102,6 Mio. Museumsbesuche, d.h. 1,2 pro Bundesbürger und Jahr
    • 34,8 Mio. Theaterbesuche, d.h. 0,4 pro Bundesbürger und Jahr, Tendenz übrigens rückläufig.
    • 870.000 Menschen arbeiten in Kulturberufen, 31% mehr als 1997.
    • Interessant ist auch, dass die drei Stadtstaaten kulturell immer ganz vorne mit dabei sind. 7,5% der Erwerbstätigen in Berlin sind im Kulturbereich beschäftigt, in Hamburg sind es 5,9%, in Bremen 3,1%. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 2,3%.
    • Bei den Theaterbesuchen pro 1.000 Einwohner liegt Hamburg mit 2.380 vorne – Stage Entertainment dürfte daran wesentlich mitschuldig sein; es folgen Bremen mit 920 (erstaunlich!) und Berlin mit 910. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 420.

    Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2006.

  • Ruhm = Qualität?

    Die ZEIT beschäftigte sich im Feuilleton der letzten Ausgabe mit Starkult, auch und gerade im Kulturbetrieb. »Ruhm ist das wichtigste Gut im Kulturbetrieb« heißt es in einem Artikel. Und weil Ruhm im Showgeschäft (und im Kulturbetrieb) das ist, was die Marke im Konsumgüterbereich ist, sind alle scharf darauf. Je mehr der klassische Kulturbetrieb aus seiner Nische tritt, umso mehr ersetzt der Ruhm der Akteure die Kennerschaft beim Rezipienten und muss die Qualität bezeugen. Anna Netrebko, die imho sängerisch nicht so herausragend ist, wie ihr Ruhm suggeriert, ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung.

    Dass das einem Frankfurter-Schule-Jünger wie Klaus Zehelein mächtig gegen den Strich geht, ist klar. Es ist erstaunlich, wie er auf der kulturellen Überlegenheit der »seriösen Kunst« und damit auf der Unterscheidung zwischen »echter« Kunst und »Konsumkunst« beharrt. Das wird in diesem (nichtsdestotrotz schönen) Zitat deutlich:

    Als Paulus in Athen war, hat er Marktraffinesse bewiesen. Er wies die Athener darauf hin, dass sie zahlreiche Altäre für verschiedene Götter hätten, auch einen Altar für den unbekannten gott. Den hat Paulus marketingmäßig durch seinen Gott besetzt. Das ist der Erfolg des Evangeliums und der Erfolg der sogenannten seriösen Kunst in der Popularkultur.

  • Voneinander lernen: Kultur und Wirtschaft

    Die sog. Hochkultur lebt in dem Widerspruch, sich und ihre Gegenstände einerseits permanent in Frage zu stellen, mit verfremdeten Blick zu betrachten und sich selbst neu zu erfinden und sich andererseits auf diesem wackligen Untergrund ihrer Selbst vergewissern zu müssen. Sie will bewundert werden und eine Daseinsberechtigung jenseits von Zweck und Absicht für sich in Anspruch nehmen dürfen.

    Wenn es um die Frage geht, was die Wirtschaft von der Kultur (hier immer im Sinne von »Hochkultur«) lernen könne, wird ersteres gerne angeführt. Denn die Fähigkeit, sich von gegebenen System und ihren Mechanismen freimachen zu können, bedeutet Innovationskraft. Um innovativ sein zu können, muss man Blickwinkel aufs eigene Tun und Handeln verrücken und zunächst verrückte und abwegig erscheinende Ideen zulassen können, ohne sie gleich rational auf ihren Zweck abzuklopfen. Das kann und tut die Kulturszene und dass die Wirtschaft das auch kann, zeigen monatlich die Geschichten in Brand eins.

    Trotzdem gilt diese für Innovation nötige Verrücktheit nun gerade als Domäne der Kultur. Aber ist sie das wirklich? Ich bezweifele das aufgrund der Selbstvergewisserungstendenz in der Kultur, die einer wirklichen ästhetischen Vielfalt letztlich im Wege steht, weil sie eine ganze Reihe von a prioris definiert und die Kultur glauben macht, stets zu wissen, was Sache ist. Aber höchstens noch die Politk ist von soviel political correctness und Ideologie durchzogen wie die Kultur. Das Phänomen Regietheater ist durch Denkvorschriften und Denkverbote ideologisiert, bei der Neuen Musik ist es kaum anders, auch wenn es hier vielleicht langsam bröckelt (dafür sprechen z.B. der Erfolg von Tan Dun oder Lera Auerbach). Für den Bereich der Bildenden Kunst kann ich es nicht beurteilen, aber vermuten, dass es auch nicht viel anders ist.

    Jede Einschränkung, jede Richtungsvorgabe, so unterschwellig sie auch definiert wird, steht aber natürlich freidenkerischen, innovativen Kräften entgegen. Insofern glaube ich, dass nicht nur die Wirtschaft von der Kultur lernen kann (was sie schon tut), sondern genauso die Kultur von der Wirtschaft (was sie noch nicht unbedingt tut). Und zwar den pragmatischen, unideologischen Umgang mit Ideen und Konzepten, durch den sie ihr eigenes kreatives, kritisches Potenzial rehabilitieren würde.

    Ein schönes Beispiel, wo das bereits geschehen ist, gab es gerade im Kulturmanagement-Blog zu sehen.

  • Kulturmarketing 2.0

    Nicht nur aufgrund der zahlreichen Beispiele in der Web 2.0-Serie des Kulturmarketing-Blog, sondern auch durch aktuelle Gespräche bekomme ich das Gefühl, dass Web 2.0 in Kultureinrichtungen ein Thema wird und auch hier mit einiger Verspätung ein gewisser Hype entsteht. Mitunter werden die Möglichkeiten äußerst euphorisch und optimistisch eingeschätzt, mit Web 2.0 neues Publikum erschließen zu können. Da man mittlerweile in etwa weiß, was das Web 2.0 kann und was nicht, könnte das Kulturmarketing diese Hype-Phase eigentlich überspringen und von vornherein mit ganz pragmatischen und realistischen Erwartungen an das Thema herangehen.

    Live-Übertragungen von Events halte ich da zum Beispiel für nicht sonderlich erfolgsversprechend. Sei es ein Orchesterkonzert der Musikhochschule Rostock, die Wiederaufnahme der Meistersinger bei den Bayreuther Festspielen oder Konzerte aus Aspen oder Aix-en-Provence (geniale Seite!), die Faszination klassischer Musik vermittelt sich wohl kaum über PC-Monitor und -Boxen. Das gilt insbesondere, wenn es nicht um die großen, eingängigen Hits geht, zu denen ich die Meistersinger schon nicht mehr rechnen würde. Es mag funktionieren, einen Eindruck von dem zu vermitteln, was die Besucher erwarten dürfen. Streams und Clips werden aber eine schlechte Alternative zur Live-Veranstaltung bleiben und auch nur für Personen in Frage kommen, die sowieso auch ins Konzert gehen würden.

    Neues Publikum gewinnt man nicht mit neuen Medien, sondern mit einer neuen, web 2.0-gemäßen Haltung. Die besteht darin, den Dialog und die Vernetzung mit den BesucherInnen zu suchen, und zwar auf Augenhöhe. Gerade im Bereich der Hochkultur gilt es da m.E. zunächst, einigen Dünkel gegenüber dem Publikum über Bord zu werfen und es nicht nur als stumpfe, konsumistische, tendenziell ignorante Masse wahrzunehmen, die es zu gutem Geschmack zu erziehen gilt. Bevor man diese neue Haltung nicht verinnerlicht hat, wird man das Web 2.0 auch nicht erfolgreich nutzen können.

  • Wirtschaftsästhetik

    Vor ein paar Tagen bin ich auf eine Seite zum Thema Wirtschaftsästhetik gestoßen. Das soll eine Forschungsrichtung der Managementlehre sein oder werden, bei der »das Feld der Kunst der Managementtheorie zugänglich« gemacht werden soll. Forschungsfragen können zum Beispiel sein:

    Was kann von »Hochleistungsorganisationen« wie Orchestern, die ein Höchstmass an Koordination und Perfektion bei der Produkterstellung erbringen, zur Organisationsgestaltung gelernt werden?

    Wie schafft es das Kunstsystem ständig ein so großes Innovationspotential zu entwickeln? Kann die Organisation des Kunstsystems Vorbild sein für Unternehmungen, die auf hoch innovativen Märkten agieren?

    Das klingt ja zunächst recht spannend. Dass man aber damit zu sinnvollen Ergebnissen kommt, wage ich ehrlich gesagt zu bezweifeln. Orchester funktionieren deswegen gut, weil sie streng hierarchisch und im Kern antidemokratisch organisiert sind. Soll das Vorbildcharakter für innovative, moderne Unternehmen haben? Wohl kaum. Und ist es nicht vielmehr so, dass die Wirtschaft, auch die bei Adorno-belesenen Kulturschaffenden so verachtete Kulturindustrie, in punkto Innovation und Fortschrittlichkeit die (ästhetischen) Standards setzt, während die etablierte Kulturszene dagegen den relevanten Themen um Jahre hinterher hechelt? »Café Umberto« beispielsweise, Moritz Rinkes Stück über Arbeitslosigkeit, wurde 2005 uraufgeführt, zwei ganze Jahre nachdem die Agenda 2010 (nach herrschender Meinung ja auch schon viel zu spät) ausgerufen wurde. Ästhetische Trends und Ausrufezeichen dagegen werden von Unternehmen wie Apple, Nike, Madonna oder Herzog & de Meuron gesetzt.