Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Blog

  • Winterwonderland

    Gestern habe ich mit John einen Ausflug ins Berner Oberland gemacht und mich von den majestätisch in der Sonne liegenden Bergen beeindrucken lassen. Sie haben es wirklich leicht, muss man sagen: Es ist ein tolles Panorama, das sich auf dem gut einstündigen Fußweg von Grütschalp nach Mürren vor einem ausbreitet. Während man auf dem Plateau durchs sanft geschwungene Winterwonderland stapft, protzen im Hintergrund Eiger, Mönch und Jungfrau um die Wette.

    Auf der Kleinen Scheidegg, auf die wir im Anschluss hochgefahren sind, steht man unmittelbar vor der Eigernordwand, deren Erstbesteigung übrigens erst im 9. Versuch geglückt ist. Die ersten 8 Versuche endeten tödlich. Ansonsten gilt es auf der Kleinen Scheidegg vor allem aufzupassen, dass einen die Skifahrer, die das Lauberhorn hinuntergedüst kommen, nicht umnageln, denn Fußgänger sind hier eigentlich nicht vorgesehen. Wir haben uns deswegen in eine »Beiz« verzogen und Röschti und Käsefondue gegessen. Besonders bemerkenswert fand ich die vielen kleinen Steppkes, die, mal gerade fünf Jahre alt, mit einem Affenzahn die Berge abwärts sausen. Lesen und Schreiben können sie wahrscheinlich noch nicht, aber mit dem Skifahren klappt’s wunderbar.

    Natürlich gibt’s auch ein paar Fotos vom Ausflug.

  • Spieler-Interview deluxe

    Erstaunlicherweise lief Sönke Wortmanns WM-Doku »Deutschland. Ein Sommermärchen« vor wenigen Tagen bereits im Fernsehen, nur wenige Wochen – nicht wie normalerweise zwei Jahre – nach dem Kinostart. Ich vermute, das war ein Befehl von ganz oben, direkt aus dem Kanzleramt oder dem Wirtschaftsministerium. Eine Maßnahme, um den frappierenden deutschen Aufschwung zu stabilisieren. (Ich glaube, es war der Focus, der sich nicht entblödete, von einem »neuen deutschen Wirtschaftswunder« zu sprechen. Oder war das nur Ironie und ich bin einfach zu viel in der Schweiz?)

    Ich muss sagen, ich war ziemlich enttäuscht von dem Film, obwohl er eigentlich genau so war, wie man erwarten musste. Es ist sowas wie ein 90-minütiges Spieler-Interview deluxe, unterbrochen von Bildern der überbordenden Emotionen, die doch irgendwo in uns Deutschen stecken. Das Ganze untermalt mit der unheimlich abtörnenden Musik Xavier Naidoos. Also: Ich hatte vom Feeling her eher nicht so ein gutes Gefühl.

  • Erfolgreiche Integration

    Inwieweit die Integration geglückt ist, lässt sich am besten anhand dieser kleinen Checkliste prüfen. Da es sie offenbar bislang nur in Englisch gibt, habe ich diejenigen Punkte übersetzt, die mir am auffälligsten oder witzigsten erschienen.

    Woran du merkst, dass du schon zu lange in der Schweiz bist:

    • Du findest Spontanität gut – solange sie geplant ist.
    • Du findest Gefallen am Frühaufstehen.
    • Du bekommst fürchterlichen Hunger, wenn du nicht um 12 Uhr dein Mittagessen hast.
    • Du regst dich nicht auf, wenn ein Feiertag auf einen Sonntag fällt.
    • Du kaufst nur noch Schweizer Produkte.
    • Du versuchst gegenüber Besuchern kartellbasierte Wirtschaft zu verteidigen.
    • Du freust dich auf die Wildsaison.
    • Du machst dir Sorgen, dass so viele Fremde ins Land kommen.
    • Du machst dir in einem Restaurant keine Gedanken, dass deine Jacke gestohlen werden könnte.
    • Du fühlst dich pleite, wenn du weniger als 300 CHF im Portemonnaie hast.
    • Du hoffst, die Schweiz wird nie der EU beitreten.
    • Du nimmst einen Fremdsprachenkurs – in Deutsch.
    • Du lehnst eine Einladung ab, um die Wohnung zu putzen.
    • Du fragst dich: „Warum kann der nicht einfach Schwiizerdütsch reden?“
    • Du bist froh über die Pause im Kino, um eine rauchen und auf Klo gehen zu können.
    • Du gibst eine Party, erwartest aber von deinen Gästen, dass sie bis 23.30h gegangen sind.
    • Du erwartest von deinen Gästen, dass sie dir beim Abwasch helfen.
    • Du räumst noch während deiner Party auf.
    • Du glaubst, es war das Verdienst der Schweiz, dass sie nicht in den 2. Weltkrieg einbezogen wurde.
    • Du glaubst, der Schweizer Franken verdankt seine Stabilität harter Arbeit.
    • Diese Liste regt dich auf.
  • Fluchtweg in die politische Korrektheit

    Weil die Frage aufkam: Wenn die Schweizer Handy meinen, sagen sie »Natel«. Das ist das Mobilfunk-Angebot der Swisscom, dem schweizerischen Pendant zur Telekom. Da es jahrelang das einzige Angebot auf dem Schweizer Markt war, ist der Markenname zum Synomym für mobiles Telefonieren geworden. Es handelt sich dabei übrigens um eine Abkürzung von »Nationales Autotelefon«.

    Also noch ein weiteres Beispiel für die zahlreichen Fallstricke, die für Deutsche in der Schweiz ausgelegt sind. Neulich las ich in diesem Zusammenhang, dass die Schweiz sehr vorbildliche Integrationsarbeit leiste. Nur für die Deutschen seien die Angebote absolut unzureichend. Man denkt eben, dass Deutsche sich hier ohne Weiteres zurecht finden, weil die Sprache ja im Prinzip die gleiche ist und sich die Kultur nicht so grundlegend unterscheidet. Aber in dem Artikel wurden dann etliche Dinge genannt, die eine kulturelle Kluft aufscheinen lassen, die tiefer ist, als gedacht und die Deutsche, die es in die Schweiz verschlagen hat, den dringenden Wunsch verspüren lassen, integrativ begleitet zu werden. Neben dem Schul- und Bildungssystem, das gänzlich anders ist als in Deutschland, wurde z.B. angesprochen, dass Schweizer mit Ironie nicht sonderlich viel anfangen können. Ich glaube, Deutsche lieben die Ironie, weil von ihnen stets in besonderem Maße politische Korrektheit erwartet wird, der sich ein Schweizer gar nicht in der Weise beugen muss. Ironie bietet da einen wunderbaren Ausweg. Man kann unerlaubte Dinge sagen und lässt sich durch Ironie immer noch ein Hintertürchen in die Welt der politischen Korrektheit offen. In dieser Welt sollte man jederzeit Zuflucht finden können, wenn man soviel historische Schuld auf sich geladen hat, wie die Deutschen.

  • Missverständnisse im Windschatten von Uschis Ente

    In meinen Augen hat der Schlager einen unverdient schlechten Ruf, denn Schlager können große Freude bereiten. Mein Lieblingsschlager ist »Im Wagen vor mir« von Henry Valentino und Uschi. Als ich dieses Lied zum allerersten Mal gehört habe, habe ich lauthals gelacht, weil ich es für eine Parodie hielt. Bis heute höre ich dieses Lied wirklich gern, weil ich es nach wie vor ausgesprochen witzig finde und ich kein anderes Beispiel kenne, bei dem Ironie und Debilität eine so unverbrüchliche Ehe eingehen. Kurz zur Erinnerung: Henry Valentino genießt das einfache Glück einer entspannten Autofahrt (»so schön mit 90«) und hängt sich in den Windschatten von Uschis Ente. Uschi dagegen hält Henry für einen geilen alten Bock (wer könnte es ihr verübeln, bei diesem wunderbar lässig dahergegrunzten »Ra-daa – ra-daa – radadadadaa«?) und kriegt es langsam mit der Angst zu tun. Schließlich fährt sie sogar vorzeitig von der Autobahn ab, um sich »hinter irgendwelchen Hecken« zu verstecken und kommt dadurch zu spät nach Hause.

    Ein richtiges kleines Drama, was sich da abspielt und uns wieder einmal vor Augen führt, dass Männer und Frauen einander einfach nicht verstehen können.

  • Merci für’s Telefon

    Heimat ist natürlich auch da, wo man versteht und verstanden wird. Schweizer machen es da einem nicht immer einfach. Einmal natürlich dieser merkwürdige Akzent, der klingt, als würde er starke Hals- und Rachenschmerzen verursachen, weil er so kratzt und knorzt. Die übertriebenen Verzögerungen auf bestimmten Konsonanten, die die sprichwörtliche Langsamkeit der Schweizer ausmachen, interpretiere ich immer als eine Hinauszögerung der Schmerzen, die da kommen. Würden die Schweizer beispielsweise das Wort »Danke« benutzen, würde es ungefähr so ausgesprochen »Dannnnn-kche«. Um das damit einhergehende Rachenkratzen zu vermeiden, sagt man jedoch meistens lieber »Merci viumau« (=»Merci vielmals«).

    Aber fast noch irreführender ist, dass die Schweizer oft nicht sagen, was sie meinen. Wenn sie zum Beispiel »Terminkalender« meinen, sagen sie »Agenda«, wenn sie »Agenda« meinen, sagen sie »Traktanden«, wenn sie »riechen« meinen, sagen sie »schmecken«, wenn sie »Pfand« meinen, sagen sie »Depot« und so weiter. Besonders witzig: wenn sie »Telefonat« meinen, sagen sie »Telefon«. »Merci für’s Telefon« heißt daher nichts anderes als: »Vielen Dank für den Anruf.«

    Keine rein Schweizer Eigenheit, sondern auch aus Süddeutschland bekannt, sind geballte Intelligenz vermittelnde Wendungen wie: »Ist das nicht der, wo gestern schonmal angerufen hat?«

  • Berge haben es leicht

    Je länger ich in der Fremde bin, umso mehr entdecke ich meine heimatliche Verwurzelung, die ich bis vor nicht allzu langer Zeit wahrscheinlich konsequent bestritten hätte. Als ich neulich in Bremen auf dem Weserdeich spazieren ging und mir der Wind ins Gesicht pfiff, da fühlte ich mich zu Hause und dachte: So muss es sein! Mich können der hohe Schweizer Lebensstandard und die Schweizer Märklin-Modelleisenbahn-Landschaft wenig beeindrucken und als ich neulich in einer Theaterfassung von »Buddenbrooks« war und Tony Buddenbrooks sagte: »Es ist merkwürdig, dass man sich an der See nicht langweilen kann. Liegen Sie einmal an einem anderen Orte drei oder vier Stunden lang auf dem Rücken!«, da habe ich wahrscheinlich zustimmend geseufzt. Das ist ein sehr schöner, zutreffender Satz. Eiger, Mönch und Jungfrau, die ich bei gutem Wetter von meinem Berner Zimmer aus sehen kann (s. Foto: Sonnenaufgang), sind zweifellos beeindruckend. Aber Berge haben es auch leicht. Um einer norddeutschen Marschlandschaft oder gar der noch eintönigeren See etwas abgewinnen zu können, braucht es sehr viel schärfere Sinne. Man muss genauer hinsehen, um etwas zum Staunen zu finden und ist zu einer feinen, differenzierten Wahrnehmung gezwungen. Aber wenn einem das gelingt, erschließt sich ein Reichtum, den Berge kaum zu bieten haben. In einem Eimer Watt befinden sich mehr Lebewesen als in den gesamten Alpen.

    Wenn man sich etwas verallgemeinernde Typologie gestattet, kann man daher zu dem Eindruck kommen, dass Unaufdringlichkeit und Bescheidenheit norddeutsche Tugenden sind, die die Einwohner von der sie umgebenden Landschaft gelernt haben. Allerdings behaupten die Schweizer von sich, in den Bergen zu leben mache ebenfalls bescheiden und demütig, weil einem die eigene Kleinheit immer vor Augen geführt wird.

    Eiger, Mönch, Jungfrau

  • Der kleine Unterschied

    Heute war ich im neuen Bond-Film. Um das Fazit vorweg zu nehmen: es ist ein guter Action-Film und ein weniger guter Bond-Film. Im Vorfelde wurde bereits überall lobend erwähnt, dass der Film realistischer und glaubwürdiger als die Vorgänger sei. Als sei das jemals ein geeigneter Maßstab für einen Bond-Film gewesen. Im Gegenteil: das surrealistische Moment machte wesentlich den speziellen und humoristischen Reiz der Filme aus. Q, der Bond immer in prophetischer Voraussicht mit exakt dem Gimmick ausrüstete, das sich später als lebensrettend oder zumindest ausgesprochen nützlich erwies, fehlt in diesem Film. Und mit ihm die wirklich guten Gimmicks. Das ist schon mal schade. Miss Moneypenny fehlt auch. Auch schade.

    Und dann ist dieser neue Bond doch eher sowas wie der kleine Prolo-Bruder von Bruce Willis als ein würdiger Nachfolger von Connery, Moore und Brosnan. Ein rauhbeiniger Raufbold, der sich lieber prügelt, als seine Gegner aus überlegener Coolness heraus auszutricksen. Action ist ja nichts Neues in Bond-Filmen, ebensowenig die schlagkräftige Faust als Waffe. Aber früher war es letzten Endes die coole Intelligenz, die Bond aus der Patsche half. Jetzt zeichnen ihn dagegen unbekümmerte Draufgänger-Mentalität und durchaus beachtliche Nehmerqualitäten aus.

    Man kann das natürlich alles damit erklären, dass der Film James Bond ganz am Anfang seiner Karriere präsentiert und die zentrale und sehr gut gemachte Kasino-Szene zeigt dann eigentlich schon den »vollendeten« Bond. Aber als er dort gefragt wird, ob er den Martini lieber geschüttelt oder gerührt möchte, antwortet er: »Sehe ich so aus, als ob mich das interessiert?« Nee. Und genau das ist das Problem.

  • Berühmte Schweizer

    Die Selbstgenügsamkeit der Schweizer führt dazu, dass nur wenige von ihnen über die Grenzen des Landes hinweg eine gewisse Berühmtheit erlangen. Man weiß ja nicht mal, wer die Schweiz überhaupt regiert. Schweizer, die man auch im Ausland kennt sind z.B. DJ Bobo, Josef Ackermann, Sepp Blatter und diese Architekten, die das neue Stadion in München gebaut haben. Und Wilhelm Tell kennt man natürlich, obwohl der eigentlich nicht zählt, weil er schon lange nicht mehr lebt. Mit gewissem Erstaunen las ich neulich übrigens in Wikipedia, dass Wilhelm Tell jede Frau haben konnte, die er wollte. Aber nicht, weil er schon damals von allen bewundert wurde, sondern weil er Zuhälter war.

    Roger Federer ist natürlich auch ein ausgesprochen berühmter und beliebter Schweizer. Und er ist mit seiner Perfektion und Überlegenheit irgendwie auch ein sehr typischer Schweizer. Denn wenn Europa eine Schulklasse wäre, dann wäre die Schweiz der notorische Streber: Weiß immer alles als erster, hat immer die Hausaufgaben gemacht – natürlich immer 0 Fehler, prügelt sich nicht wie die anderen, hat das am ordentlichsten geführte Heft und auch der Scheitel ist stets akkurat gezogen. Lehrers absoluter Liebling. Deutschland ist dagegen eher das Problemkind und leidet unter sowas wie einer unentdeckten Hochbegabung. Sowas äußert sich dann leicht in »Minderleistungen« und Verhaltensauffälligkeiten.

  • Wer hat’s erfunden?

    Ach ja, Ricola haben die Schweizer auch erfunden. Ich frage mich dabei allerdings, warum sich die Schweizer so explizit der Erfindung von Kräuterbonbons rühmen? Die Deutschen erfinden Autos und die Schweizer Kräuterbonbons. Hm. Ein bisschen was können die sich vielleicht auch von uns abgucken!?

    Einen sehr guten und prägnanten Einblick in die Schweizer Vorstellung eines erfüllten Lebens erhält man meines Erachtens in »Asterix bei den Schweizern«. Ich dachte zunächst, dass dieser Titel etwas irreführend ist, denn Schweizer kommen in der ganzen Geschichte kaum vor. Zumindest auf den ersten Blick, denn es ist wie immer: Gallier gegen Römer. Aber eben nicht zusammen mit den Schweizern, wie man vielleicht vorschnell denken könnte, wenn man z.B. noch »Asterix bei den Briten« im Kopf hat. Die Schweizer sind natürlich neutral. Deswegen entdeckt man sie erst auf den zweiten Blick, wie sie im Hintergrund irgendeinen Fußboden schrubben oder eine Büste abstauben. Und das trifft es irgendwie recht gut: Die Schweizer sind sehr ordentlich und sauber, aber einem ordentlichen Abenteuer nicht gerade zugeneigt. Um sie herum vollzieht sich die Weltgeschichte, aber sie halten sich da tunlichst raus. (Oftmals schlauerweise, muss man sagen.) Das war offenbar schon zu Cäsars Zeiten so – zumindest, wenn man Asterix als historisches Zeugnis gelten lässt – und ist heute nicht anders. Aber wenn es gut läuft, dann bleibt ein bisschen Geld in der Schweiz hängen und das wird mit außerordentlicher Gastfreundschaft aufgenommen.