Gelungene stARTcamp-Premiere in der Schweiz

Veröffentlicht von Christian Holst am

Die ersten Ideen für ein Schweizer stARTcamp gehen zurück in das Jahr 2012, wenn ich das richtig erinnere. Und wie das in der Schweiz mitunter so ist, dauert es einfach ein kleines bisschen länger als anderswo. Am vergangenen Montag war es dann aber endlich soweit mit der Schweizer stARTcamp-Premiere. Ca. 50 Camper waren wir im Historischen Museum Basel, das freundlicherweise Räume und Infrastruktur zur Verfügung gestellt hatte. In meinen Augen eine ideale Grösse für ein stARTcamp. Frank Tentler, der extra aus dem Ruhrgebiet angereist war, und Mitorganisator Axel Vogelsang haben bereits ausführliche Rückblicke in ihren Blogs veröffentlicht. Aber da jeder Teilnehmer aufgrund der parallel laufenden Sessions sein ganz individuelles stARTcamp erlebt, fasse ich den Tag hier auch noch einmal aus meiner Sicht zusammen.

Los ging es für mich mit einer Session von Tina Wodiunig und Bettina Riedrich über Twitter als Tool in der Veranstaltungsevaluation. Dafür hatten sie die Twitterperformance von drei verschiedenen Veranstaltungen ausgewertet. Laut Bettina und Tina eignet sich Social Media im Allgemeinen und Twitter im Besonderen zur Evaluation von Veranstaltungen, weil es ein unmittelbares, direktes, persönliches Feedback der Zielgruppe widerspiegelt und abbildet. Natürlich nicht repräsentativ, aber in den Tendenzen zum Teil doch sehr deutlich. Das erste Beispiel war die Veranstaltung oper für alle 2014, die ich selbst betreut hatte. Das Beispiel zeigte laut Tina und Bettina, dass sich Twitter einerseits gut eignet, um den Zuschauern nützliche Informationen und interessante Einblicke in die Vorbereitung und Hintergründe eines solchen Events zu geben. Es zeigt aber auch, welche Eigendynamik entstehen kann, die sich nicht planen lässt, aber trotzdem die positive Wahrnehmung verstärkt. Anlass war hier die Anwesenheit einer ehemaligen Miss Kosovo im Publikum, die unerwartet viel Aufmerksameit der kosovarischen Twitter-Community auf das Event zog. Als zweites Beispiel führten sie den Aufruf des Verbands der Museen der Schweiz an seine Mitglieder an, beim Internationalen Museumstag zu twittern. Hier war das Feedback allerdings recht mau, vermutlich, weil der Verband die Kommunikation mit der Twitter-Community nur «über Bande» anstossen konnte. Das dritte Beispiel waren die Tweevenings des Historischen Museums Basels. An diesem Beispiel entspann sich eine interessante Diskussion, welcher Art Veranstaltung denn überhaupt geeignet ist für Tweetups. Es herrschte weitgehende Einigkeit darüber, dass Formate wie Tweetups oder Twevenings für Museen besser geeignet sind, weil hier die Kunst weniger flüchtig ist als bei den performativen Künsten. Bei Aufführungen ist die Gefahr doch recht gross, dramaturgisch entscheidende Momente durch den häufigen Blick auf den Screen zu verpassen und von der Geschichte abgelenkt zu werden. Als Evolutionstool ist Twitter geeignet, um ein direktes, unmittelbares Stimmungsbild des Publikums einzufangen. Damit kann es eine interessante Ergänzung zu anderen Evaluationsmethoden sein. Ein Ersatz für systematische Methoden ist es dagegen nicht.

Nadia Holdener aka Lifehackerin liess die Teilnehmer ihrer Session einmal tief in das Youtube-Universum abtauchen, das für alle Anwesenden eine merkwürdig fremdes Paralleluniversum war. Als Nadia ein Video von PewDiePie zeigte, ging eine La-Ola-Welle hochgezogener Augenbrauen durch das Publikum. Wie dieser Typ es geschafft hat, 39 Mio. Abonnenten für seinen Kanal zu gewinnen und auf 10 Milliarden(!) Videoaufrufe zu kommen, blieb das grosse Mysterium dieser Session. Gerade dieses Unverständnis war aber auch sehr interessant, weil es zeigt, in welcher abgeschotteten Welt man sich in der Kulturszene bewegt, selbst wenn man sich als Social Media-Verantwortlicher innerhalb dieser Szene wiederum zur technologischen und kommunikativen Speerspitze zählt. 😉 Ebenfalls erstaunlich war die Erkenntnis, dass die Regelmässigkeit ein wichtiger Erfolgsfaktor einer erfolgreichen Channel-Strategie ist. Während es eine grosse Errungenschaft des klassischen Fernsehens ist, das Programm mittlerweile zeitunabhängig zur Verfügung zu stellen, erwartet die Youtube-Fangemeinde regelmässige und pünktlich erscheinende neue Folgen. Am Ende stand also die Erkenntnis, dass Youtube auch für Leute, die es regelmässig nutzen und daher zu kennen glauben, noch weitreichend unerforschtes «Neuland» ist.

Das war mein meistfavorisierter Tweet des Tages. Ich habe mich sehr gefreut, dass Frank die weite Reise aus dem Ruhrgebiet gemacht und gleich zwei Sessions gehalten hat, je eine zu seinen beiden Leib- und Magenthemen: Social Web Command Center und Locationbased Technologies. Der erste Vortrag handelte also im Wesentlichen davon, wie man sich mit Hilfe von Social Media die Arbeit mit Social Media erleichtern kann. Neben mir bereits bekannten und vertrauten Tools wie Hootsuite, stellte er dabei auch Services wie Slack oder Whatsservice vor, die ich noch nicht kannte, mir jetzt aber einmal genauer anschauen werde. Was das zweite Thema angeht – also die Verknüpfung und Bereicherung von bestimmten Orten mit der digitalen Welt zum Beispiel durch ibeacons oder Apps – habe ich einen ähnlichen Verdacht wie bei den Tweetups. Ich denke, sie sind sinnvoll für Museen, wo jeder sein eigenes Tempo und seine eigene Intensität der Betrachtung definieren kann. Sie machen aber weniger Sinn, wo der Aufführungsablauf den Takt der Rezeption vorgibt. Hier ist die angereicherte Realität eher Ablenkung als Vertiefung. Aber möglicherweise ist das eine Einschätzung, über die ich in ein paar Jahren herzlich lachen werde. Wer weiß?

Schliesslich hielt ich selber noch eine Session zum Thema Social Selling via Facebook (Folien). Während Frank den Teilnehmern mehrfach einbläute, dass Content king sei und die Bedeutung von Geschichten und Storytelling für die Kommunikation im Social Web gar nicht überschätzt werden könne, machte ich ein dickes Fragezeichen hinter diese These.

Oder wie Nadia es in einem Tweet auf den Punkt brachte: 

Wer intensiv mit Facebook arbeitet, weiß, dass nicht nur die organische Reichweite von Facebook systematisch herabgeschraubt wird, sondern auch die vielzitierte Relevanz oder der Mehrwert sehr schwammige und interpretationsbedürftige Kategorien sind. Facebook als grösstes Social Media-Netzwerk relativiert die Rede vom Content als King. Natürlich braucht es Inhalte. Aber er ist nicht «King», sondern mehr das Schmieröl für gekaufte Reichweite, während das Anzeigenbudget zugleich Sprit und PS zu sein scheint. Wenn man das anerkennt und sich von ein paar liebgewonnenen Social Media-Glaubenssätzen verabschiedet (Kommunikation auf Augenhöhe, Content is king etc.), dann kann man mit Facebook auch richtig Umsatz generieren. Was ja auch nicht schlecht ist.

Dass «Kultur digital erzählen» sich natürlich nicht aufs Social Web beschränkt und auch nicht inhaltlich nur an der Oberfläche kratzen muss, wurde deutlich in der Session von Regula Wyss. Sie zeigte, wie sich mit einfachen Mitteln (Keynote und Touchscreen) didaktisch anspruchsvolle und dabei trotzdem spielerisch-unterhaltsame Multimediastationen realisieren lassen. Dieses Beispiel war somit ganz im Einklang mit Franks These, dass Technik immer nur eine Hilfe sein sollte, um Ideen zu transportieren und zu vermitteln, nie Selbstzweck.

Alles in allem war es ein tolles, sehr konzentriertes, von Seite der Vortragsredner sehr gut vorbereitetes stARTcamp. Besonderer Dank gilt dem Historischen Museum, das wie gesagt die Räumlichkieten und die Infrastruktur zur Verfügung gestellt hat, Axel Vogelsang für die Initiative, ein Schweizer stARTcamp überhaupt mal in Angriff zu nehmen und Roger Aeschbach und seiner Firma element für den Löwenanteil der Organisation und eine ganze Menge Arbeit, die überhaupt nur auf dem Radar erscheint, wenn sie nicht gut gemacht wird. Insofern kann Roger stolz sein, dass niemand ausser ihm selbst weiss, wieviel er eigentlich für dieses Camp gearbeitet hat.

P.S.: Erfreulicherweise gab es auch Medienberichterstattung zum stARTcamp Basel. Susanna Petrin hatte nicht nur im Vorwege über das stARTcamp berichtet, sondern war auch selbst als «embedded journalist» am Camp dabei. Außerdem brachte Telebasel diesen kurzen Bericht:

www.youtube.com/watch?v=BnYDjwnShqI


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