Christian Holst

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Autor: Christian Holst

  • Fünf Mal Spätromantik

    Neulich wurde ich gefragt, welche (klassische) Musik man denn meiner Meinung nach kennen sollte. Ich habe mich daraufhin entschlossen, eine kleine Reihe einzuführen und dem geneigten Hörer die aus meiner Sicht wichtigsten oder schönsten Werke bestimmter Gattungen zu empfehlen. Heute: Spätromantik. Was die Berge in geographischer Hinsicht sind, ist die Spätromantik in musikalischer Hinsicht: sie hat es leicht, Eindruck zu schinden.

    (1) Es gibt kein größer besetztes, farbenprächtigeres Werk in der gesamten Literatur als Schönbergs Gurrelieder und insofern kein besseres Beispiel für das, was Spätromantik ausmacht. Jaja, Gustav Mahlers Achte wurde unter Mitwirkung von mehr als 1.000 Personen uraufgeführt, aber diese Masse ist letztlich ohne musikalische Bedeutung. Genauso in Berlioz‘ Requiem mit 300 Pauken und 4.000 Sängern (oder war es das Te Deum?). Da geht es eigentlich nur um Krach. Die 10 Hörner, 8 Flöten, 4 Harfen und 10 Schlagwerker usw., die die Gurre-Lieder erfordern, haben nicht einfach den Zweck, Masse zu produzieren, sondern Farbe zu erzeugen. Masse ist freilich ein zwangsläufiges Resultat.

    (2) Mahlers Lied von der Erde gehört zu meinen absoluten Lieblingsstücken. Zu soviel Weltschmerz und Melancholie gibt es eigentlich gar nichts weiter zu sagen. Ich konnte mich nicht recht entscheiden, ob nicht Mahlers 9. Sinfonie die Erwähnung verdient, also im Zweifel beides hören.

    (3) Tristan und Isolde gilt gemeinhin als Anfang des Endes der tonalen Musik (ich sag nur Tristan-Akkord!), auch wenn einige Schlaumeier (wie ich) wissen, dass sich z.B. Wagners Schwiegervater Franz Liszt in einigen Werken bereits deutlich jenseits der Tonalität bewegte. Auch hier wieder die typischen spätromantischen Zutaten: sehrende Leidenschaft, dunkle Nacht, unglückliche Liebe, unvermeidlicher Tod und exzessiver Klangrausch.

    (4) Gerade höre ich Die tote Stadt von Korngold, der auch die sehr schöne Oper Das Wunder der Heliane komponiert hat. Eigentlich war zu seiner Zeit die Spätromantik schon vorbei, aber weil’s ja so schön war, ist das völlig in Ordnung. Es klingt halt nicht mehr so authentisch, nicht mehr so „erlitten“ wie bei Wagner oder Mahler, sondern etwas routinierter. Trotzdem wunderschön. Und so eine exaltierte Kunstform wie die Oper verträgt die große musikalische Geste nun mal sehr gut. Korngold war übrigens der Hans Zimmer der 30er, 40er und 50er Jahre: aus Deutschland geflohen, schrieb er zahlreiche Filmmusiken für Hollywood und gewann zwei Oscars.

    (5) Alban Bergs Violinkonzert ist so was wie der Schwanengesang der Spätromantik, 1935 komponiert, als die Spätromantik definitiv vorbei war. Das Werk basiert auf einer Zwölftonreihe, ist aber in seiner Expressivität zutiefst romantisch. Berg komponierte es als Requiem, dem Andenken eines Engels – gemeint ist Manon Gropius, die Tochter von Alma Mahler-Werfel und Walter Gropius, die 1935 im Alter von 18 verstarb.

  • Des Kaisers neue Kleider

    Im Schweizer Fernsehen gibt es seit einiger Zeit eine Werbung mit folgender Botschaft: »Verarsch deine Eltern und deine Lehrer. Besorg dir jetzt den unhörbaren Klingelton für’s Handy.« Wirklich! Kein Scherz. Natürlich sind die Werbeleute nicht ganz so dermaßen blöd, wie man jetzt auf den allerersten Blick denken muss. Sie scheinen geahnt zu haben, dass selbst Jugendliche, wenngleich vielleicht leichter manipulierbar, nicht so blöd sind, sich einen wirklich unhörbaren Klingelton zuzulegen. Zwar sind die Schweizer Jugendlichen konsumistisch total übersättigt und daher wahrscheinlich für solche Angebote anfälliger als andere Jugendliche. Aber einen gewissen Clou braucht es dann doch. Der besteht darin, dass dieser Klingelton in einem Frequenzbereich liegt, den Jugendliche noch, Erwachsene aber nicht mehr hören können, nämlich 17.000 Hz. Jaja. Mal abgesehen von meinem Zweifel, ob ein normaler Handylautsprecher überhaupt bis 17 Khz reicht und der Frage, ob der Vibrationsalarm nicht exakt die gleiche Funktion sehr viel zuverlässiger und sicherer erfüllt, ist diese Sache sicher ihre 3 Franken wert. Zumindest für diejenigen, denen es gegeben ist, sich im Frequenzbereich zwischen 17 und 18 Khz unhörbar zu unterhalten. – Die spinnen, die Schweizer!

  • Zeitung lesen

    Die Strecke Bremen – Bern dauert acht Stunden im Zug, wenn man Pech hat länger. Man hat also Zeit ohne Ende. Die ZEIT ist daher allein wegen ihres Umfangs eine gute Lektüre für lange Bahnfahrten. Aber natürlich vor allem, weil sie eine anständige Zeitung ist. Manchmal vielleicht ein bisschen blasiert und manchmal ist die phlegmatische Weitschweifigkeit etwas anstrengend, aber sei’s drum.

    Ich verstehe nicht, warum man eine Tageszeitung lesen sollte. Da stehen immer die Sachen drin, die man schon seit dem vorigen Abend aus den Nachrichten weiß. Für die meisten Nachrichten reicht es sogar, die Schlagzeilen von der GMX– oder web.de-Startseite zu lesen. Mehr als dass Herr Stoiber mal wieder in Sachen Gesundheitsreform querschießt muss man doch gar nicht wissen – wenn überhaupt. Aber mit dem Wortlaut und den Erwiderungen von Frau Schmidt, Frau Merkel, Herrn Beck und Herrn Westerwelle füllen die Redaktionen der Tageszeitungen dann ihre Seiten. In meinen Augen alles eitles Geplänkel.

    Die ZEIT dagegen verfolgt in der Tendenz eher den großen Bogen in der Stimmungslage der Nation und beleuchtet deren Hintergründe in sorgfältig abwägenden Besinnungsaufsätzen. Dabei kommt ein breites Spektrum an Meinungen und Haltungen zu Wort. Das macht ihre Anständigkeit aus und unterscheidet sie wohltuend von z.B. dem agitatorischen Tonfall des Spiegels und den simplen Weisheiten, die der Focus in griffigen Diagrammen unters Volk bringt.

  • Jenseits des Zaunes

    Der Jahreswechsel dient gerne als Anlass für gute Vorsätze, ab jetzt dieses und jenes anders zu machen als bisher. Ich habe solche Vorsätze nie gefasst, weil mir der Anlass viel zu abstrakt ist und sich Handlungsbedarf ja nicht aus der Tatsache ergibt, dass ein neues Jahr begonnen hat. Allerdings verleitet die Woche »zwischen den Jahren« mehr als andere Wochen dazu, das ablaufende Jahr zu resümieren und entsprechende Schlüsse für die Zukunft zu ziehen, einfach, weil man da meistens frei und deswegen Zeit für solche Gedanken.

    Grundsätzlich wird meiner Meinung aber die Notwendigkeit für umwälzende Veränderungen gnadenlos überschätzt. Der Glaube daran ist in meinen Augen nichts anderes als die als Optimismus und Tatendrang verkleidete Wehleidigkeit über die eigene Situation. Insofern ist es kaum verwunderlich, wenn der Ruf nach radikalem Umdenken und grundlegenden, umwälzenden Änderungen in Deutschland – dem Land, dessen Bewohnern so gerne ausgeprägte Jammerneigung und chronische Unzufriedenheit nachgesagt wird – zur Epidemie geworden ist.

    Der besagte Tatendrang speist sich aus dem naiven Glauben, dass man viel zufriedener wäre, wenn alles ganz anders wäre. Dass das Gras jenseits des Zaunes immer etwas grüner zu sein scheint, egal auf welcher Seite man steht, ist ein Phänomen, von dem man sich nicht irre führen lassen sollte. Insofern reicht der Vorsatz, öfter mal ein Loblied auf das Jetzt und Hier anzustimmen, anstatt immer auf die andere Seite des Zaunes zu gucken, wo das Gras eben auch nicht grüner ist.

    In diesem Sinne ein frohes neues Jahr!

  • Pünktlich

    Für die Bahnfahrt von Basel nach Hamburg am vergangenen Freitag hatte ich schon die schlimmsten Befürchtungen: Freitags ist eigentlich immer etwas, genauso wie Sonntag abends – meinen bevorzugten ICE-Reisezeiten. Am Freitag vor Weihnachten standen die Chancen auf einen »Horrortrip« meiner Einschätzung nach besonders gut. Aber weder war der Zug hoffnungslos überfüllt, noch bestätigten sich meine Befürchtungen. Dabei verhieß es zunächst nichts Gutes, dass der Zug in Basel wegen »zu später Bereitstellung« bereits mit einer Verspätung von 10 Minuten losfuhr. Schließlich war das schon mal eine wenig originelle Begründung, dabei ist die Bahn normalerweise nie um eine gute Erklärung verlegen: »Im Streckenabschnitt vor uns ist zur Zeit Stromausfall, die Weiterfahrt verzögert sich daher um unbestimmte Zeit«, »Wegen der Unwetter liegen auf der Strecke zwischen Köln und Düsseldorf Bäume auf den Schienen. Dieser Zug wird daher umgeleitet«, »Leider ist der Triebkopf defekt. Auf der Weiterfahrt können wir maximal 150 km/h erreichen, wir erreichen Frankfurt daher voraussichtlich mit 40 Minuten Verspätung«, »der Schaden am Triebkopf ist größer als bisher angenommen. Dieser Zug muss leider ausgesetzt werden. Im Bahnhof Göttingen steht ein Ersatzzug bereit« usw. Am Freitag trat jedoch der unwahrscheinliche Fall ein, dass der ICE die zehn Minuten bis nach Hamburg komplett wieder rausholte und ich beschämt ob meines Pessimismusses am Hauptbahnhof ausstieg. Ich war sogar so pünktlich, dass ich noch eine U-Bahn früher als geplant nehmen konnte.

    In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!

  • Schluss mit Langeweile

    Für euro26.de haben wir neulich diesen kleinen, ‚trashigen‘ YouTube-Clip gedreht. Das hat richtig Spaß gemacht. Weitere Folgen sind deswegen schon in Planung.

  • Winterwonderland

    Gestern habe ich mit John einen Ausflug ins Berner Oberland gemacht und mich von den majestätisch in der Sonne liegenden Bergen beeindrucken lassen. Sie haben es wirklich leicht, muss man sagen: Es ist ein tolles Panorama, das sich auf dem gut einstündigen Fußweg von Grütschalp nach Mürren vor einem ausbreitet. Während man auf dem Plateau durchs sanft geschwungene Winterwonderland stapft, protzen im Hintergrund Eiger, Mönch und Jungfrau um die Wette.

    Auf der Kleinen Scheidegg, auf die wir im Anschluss hochgefahren sind, steht man unmittelbar vor der Eigernordwand, deren Erstbesteigung übrigens erst im 9. Versuch geglückt ist. Die ersten 8 Versuche endeten tödlich. Ansonsten gilt es auf der Kleinen Scheidegg vor allem aufzupassen, dass einen die Skifahrer, die das Lauberhorn hinuntergedüst kommen, nicht umnageln, denn Fußgänger sind hier eigentlich nicht vorgesehen. Wir haben uns deswegen in eine »Beiz« verzogen und Röschti und Käsefondue gegessen. Besonders bemerkenswert fand ich die vielen kleinen Steppkes, die, mal gerade fünf Jahre alt, mit einem Affenzahn die Berge abwärts sausen. Lesen und Schreiben können sie wahrscheinlich noch nicht, aber mit dem Skifahren klappt’s wunderbar.

    Natürlich gibt’s auch ein paar Fotos vom Ausflug.

  • Spieler-Interview deluxe

    Erstaunlicherweise lief Sönke Wortmanns WM-Doku »Deutschland. Ein Sommermärchen« vor wenigen Tagen bereits im Fernsehen, nur wenige Wochen – nicht wie normalerweise zwei Jahre – nach dem Kinostart. Ich vermute, das war ein Befehl von ganz oben, direkt aus dem Kanzleramt oder dem Wirtschaftsministerium. Eine Maßnahme, um den frappierenden deutschen Aufschwung zu stabilisieren. (Ich glaube, es war der Focus, der sich nicht entblödete, von einem »neuen deutschen Wirtschaftswunder« zu sprechen. Oder war das nur Ironie und ich bin einfach zu viel in der Schweiz?)

    Ich muss sagen, ich war ziemlich enttäuscht von dem Film, obwohl er eigentlich genau so war, wie man erwarten musste. Es ist sowas wie ein 90-minütiges Spieler-Interview deluxe, unterbrochen von Bildern der überbordenden Emotionen, die doch irgendwo in uns Deutschen stecken. Das Ganze untermalt mit der unheimlich abtörnenden Musik Xavier Naidoos. Also: Ich hatte vom Feeling her eher nicht so ein gutes Gefühl.

  • Erfolgreiche Integration

    Inwieweit die Integration geglückt ist, lässt sich am besten anhand dieser kleinen Checkliste prüfen. Da es sie offenbar bislang nur in Englisch gibt, habe ich diejenigen Punkte übersetzt, die mir am auffälligsten oder witzigsten erschienen.

    Woran du merkst, dass du schon zu lange in der Schweiz bist:

    • Du findest Spontanität gut – solange sie geplant ist.
    • Du findest Gefallen am Frühaufstehen.
    • Du bekommst fürchterlichen Hunger, wenn du nicht um 12 Uhr dein Mittagessen hast.
    • Du regst dich nicht auf, wenn ein Feiertag auf einen Sonntag fällt.
    • Du kaufst nur noch Schweizer Produkte.
    • Du versuchst gegenüber Besuchern kartellbasierte Wirtschaft zu verteidigen.
    • Du freust dich auf die Wildsaison.
    • Du machst dir Sorgen, dass so viele Fremde ins Land kommen.
    • Du machst dir in einem Restaurant keine Gedanken, dass deine Jacke gestohlen werden könnte.
    • Du fühlst dich pleite, wenn du weniger als 300 CHF im Portemonnaie hast.
    • Du hoffst, die Schweiz wird nie der EU beitreten.
    • Du nimmst einen Fremdsprachenkurs – in Deutsch.
    • Du lehnst eine Einladung ab, um die Wohnung zu putzen.
    • Du fragst dich: „Warum kann der nicht einfach Schwiizerdütsch reden?“
    • Du bist froh über die Pause im Kino, um eine rauchen und auf Klo gehen zu können.
    • Du gibst eine Party, erwartest aber von deinen Gästen, dass sie bis 23.30h gegangen sind.
    • Du erwartest von deinen Gästen, dass sie dir beim Abwasch helfen.
    • Du räumst noch während deiner Party auf.
    • Du glaubst, es war das Verdienst der Schweiz, dass sie nicht in den 2. Weltkrieg einbezogen wurde.
    • Du glaubst, der Schweizer Franken verdankt seine Stabilität harter Arbeit.
    • Diese Liste regt dich auf.
  • Fluchtweg in die politische Korrektheit

    Weil die Frage aufkam: Wenn die Schweizer Handy meinen, sagen sie »Natel«. Das ist das Mobilfunk-Angebot der Swisscom, dem schweizerischen Pendant zur Telekom. Da es jahrelang das einzige Angebot auf dem Schweizer Markt war, ist der Markenname zum Synomym für mobiles Telefonieren geworden. Es handelt sich dabei übrigens um eine Abkürzung von »Nationales Autotelefon«.

    Also noch ein weiteres Beispiel für die zahlreichen Fallstricke, die für Deutsche in der Schweiz ausgelegt sind. Neulich las ich in diesem Zusammenhang, dass die Schweiz sehr vorbildliche Integrationsarbeit leiste. Nur für die Deutschen seien die Angebote absolut unzureichend. Man denkt eben, dass Deutsche sich hier ohne Weiteres zurecht finden, weil die Sprache ja im Prinzip die gleiche ist und sich die Kultur nicht so grundlegend unterscheidet. Aber in dem Artikel wurden dann etliche Dinge genannt, die eine kulturelle Kluft aufscheinen lassen, die tiefer ist, als gedacht und die Deutsche, die es in die Schweiz verschlagen hat, den dringenden Wunsch verspüren lassen, integrativ begleitet zu werden. Neben dem Schul- und Bildungssystem, das gänzlich anders ist als in Deutschland, wurde z.B. angesprochen, dass Schweizer mit Ironie nicht sonderlich viel anfangen können. Ich glaube, Deutsche lieben die Ironie, weil von ihnen stets in besonderem Maße politische Korrektheit erwartet wird, der sich ein Schweizer gar nicht in der Weise beugen muss. Ironie bietet da einen wunderbaren Ausweg. Man kann unerlaubte Dinge sagen und lässt sich durch Ironie immer noch ein Hintertürchen in die Welt der politischen Korrektheit offen. In dieser Welt sollte man jederzeit Zuflucht finden können, wenn man soviel historische Schuld auf sich geladen hat, wie die Deutschen.