Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Schlagwort: Kulturmanagement

  • Atrophie statt Kulturinfarkt: Warum wir ein Kulturmanagement des demographischen Wandels brauchen

    Zur Zeit wird viel über die Polykrise in der Kultur geschrieben: LongCovid, Publikumsschwund, Machtmissbrauch, Klimakrise, die nur schleppend vorangehende digitale Transformation usw. Trotz der einschüchternden Dimension dieser Krisen ist der Optimismus, sie in den Griff zu bekommen, bemerkenswert unerschütterlich. Beispielhaft ist mir das kürzlich an zwei Debattenbeiträgen zur Wiener Kulturszene aufgefallen. Im Standard wurden mit Statements von Fabian Burstein und Veronica Kaup-Hasler zwei scheinbar gegensätzliche Positionen einander gegenüber gestellt. Bei näherem Hinsehen besteht allerdings kaum ein Gegensatz. Es sind eher unterschiedliche Sichtweisen darauf, was zu tun ist. Kaup-Hasler ist als Funktionärin naturgemäß etwas optimistischer als Burstein, der gerade seine Streitschrift  „Eroberung des Elfenbeinturms“ bewirbt. Kaup-Hasler sieht hier und da noch Optimierungspotenzial, aber meint, dass die Richtung stimmt. Burstein liefert vier Vorschläge, wie sich die Krise bewältigen ließe: mehr Publikumsorientierung, mehr Bezug zur Lebensrealität, mehr Gegenwartsbezug, bessere Governance. In seinem Buch weitet er es dann auf 23 Thesen aus, was die Sache vielleicht ein bisschen komplexer aber nicht an sich aussichtslos macht. Burstein wendet sich dagegen, „Publikumsschwund und Relevanzverlust als schicksalhafte Konsequenz ‚äußerer Umstände‘“ einzuordnen, „als ob vorher alles gut gewesen wäre.“

    In Bezug auf Publikumsschwund und Relevanzverlust mag Burstein hier einen Punkt haben. Ich persönlich bin allerdings skeptischer, da mir keine Strategien bekannt wären, die Publikumsschwund oder Relevanzverlust wirklich nachhaltig und replizierbar aufzuhalten vermögen, d.h. über Erfolgsgeschichten einzelner Leitungsäras oder Fallbeispiele hinaus. Soweit ich das überblicke, gibt mir die empirische Forschung bei dieser Einschätzung recht, auch wenn ich gerne bereit bin, mich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Wie dem auch sei, endgültig machtlos sehe ich Kultureinrichtungen gegenüber einer Entwicklung, die sich auf der organisationalen Ebene zu einer Herausforderung mindestens der Größenordnung von Klimaneutralität, zeitgemäßen Organisationsstrukturen oder der Gewährleistung der gesellschaftlichen Relevanz von Kultur ausweiten wird. Trotz (oder gerade wegen?) dieser gewaltigen Dimension wird dieses Thema in der aktuellen Debatte um die multiplen Krisen meist als Randnotiz abgehandelt: Es geht um den demographischen Wandel. 

    Das Problem des demographischen Wandels wird sich als erstes im Personalmanagement niederschlagen. Dass diese Domäne im Kulturmanagement lange vernachlässigt wurde und oftmals immer noch wird, dürfte sich schon sehr bald sehr bitter rächen. Bereits jetzt zeigt sich allerorten Personalmangel. Dabei geht der demographische Wandel erst los. Stefan Schulz rechnet in seinem Buch „Die Altenrepublik“ mit Bezug auf Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit vor, dass in den nächsten zehn Jahren jährlich (!) durchschnittlich 400.000 mehr Menschen in Rente gehen, als in den Arbeitsmarkt eintreten. Über zehn Jahre gesehen werden also 4 Millionen Menschen im Arbeitsmarkt fehlen. Auch wenn es wenig Anzeichen dafür gibt, dass Richard David Precht mit seinen Prognosen Recht hat, dass die Automatisierung uns die Arbeit abnehmen wird, man kann angesichts dieser Zahlen eigentlich nur hoffen, dass er doch nicht ganz so daneben liegt, wie es derzeit aussieht.

    Nun kann man einwenden, dass die Arbeit im Kultursektor für viele Menschen attraktiv ist, weil sie u.a. Status und Selbstverwirklichung verspricht, der Kultursektor also weniger stark betroffen sein wird als die Sektoren Handwerk, Erziehung oder Pflege, die jetzt schon auf dem letzten Loch pfeifen. Allerdings hat Kulturbereich als Arbeitsfeld massiv an Attraktivität eingebüßt aufgrund vergleichsweise schlechter Bezahlung, Familienunfreundlichkeit und mitunter toxischen Arbeitsbedingungen. Von Dirk Schütz von Kulturpersonal, einer „Headhunting“-Agentur für den Kultursektor, ist zu hören, dass es bereits heute schwierig ist, Leitungspositionen im Kulturbereich zu besetzen. Das Problem dürfte sich massiv verschärfen. 

    In Bezug auf den Publikumsschwund könnte der demographische Wandel zunächst eher für Entspannung sorgen (oder sollte man es eher trügerische Sicherheit nennen?). Die „Boomergeneration“, die in den kommenden zehn Jahren in Rente geht, wird das erste Jahrzehnt ihrer Rentenzeit unternehmungslustig sein, über mehr Geld verfügen als folgende Rentnergenerationen und genügend Bezug zu den Angeboten haben, die Kultureinrichtungen derzeit so machen. Darin könnte sogar eine vorübergehende Chance für die Kultureinrichtungen liegen. In zehn bis fünfzehn Jahren wird diese Generation dann zunehmend als Publikum fehlen. Diese Entwicklung werden keine Publikumsorientierung, kein Lebensweltbezug, kein Gegenwartsbezug, keine Governance, kein Audience Development, kein Outreach und kein Marketing auffangen. Das Problem ist hier nicht (in erster Linie) soziale Abschottung oder Ausgrenzung, sondern simple Bevölkerungsstatistik – und damit durchaus „schicksalhafte Konsequenz äußerer Umstände“. Einzelne Einrichtungen werden härter oder weniger hart getroffen sein, smarter oder weniger smart damit umgehen. Internationalisierung mit Hilfe von digitalen Angeboten kann für große Kulturmarken eine Strategie sein, die Größe ihres Publikums zu halten. Hier und da wird es vielleicht gelingen, die Publikumszahlen durch Diversifizierung oder Popularisierung des Programms stabil zu halten. Aber der eh schon harte Kampf ums Publikum wird sich zuspitzen. Zum einen, weil die geburtenstarken Jahrgänge als Publikum verloren gehen, zum anderen, weil die dann folgenden Rentnergenerationen später in Rente gehen, weniger Geld zur Verfügung haben werden und vielleicht auch bevorzugt Formen von Kultur rezipiert, die nicht von den klassischen Einrichtungen angeboten werden können.

    Vor diesem Hintergrund denke ich, dass die Zeiten eines Kulturmanagements vorbei sind, das von einem hemdsärmeligen „Wir kriegen das schon hin, wenn wir nur vier oder sieben oder 23 oder wieviel auch immer Grundsätze beachten“ ausgeht und damit einem Wachstums- oder zumindest Stabilitätsoptimismus anhängt, die es bei anderen zu Recht kritisieren würde. Auch der Kultursektor unterliegt Grenzen des Wachstums. Diese Grenzen liegen allerdings nicht in den Rohstoffen am Anfang der Wertschöpfungskette, sondern an der schrumpfenden Ressource an deren Ende: dem Publikum. Insofern ist es gar nicht in erster Linie der vor zehn Jahren diagnostizierte Kulturinfarkt, an dem der Kultursektor krankt, sondern eher Atrophie, Gewebeschwund. Erst werden die Mitarbeiter verloren gehen, dann das Publikum und das ist nicht kompensierbar. Die Therapie könnte trotzdem ähnlich aussehen, wie damals für den Kulturinfarkt vorgeschlagen: Einen (Groß-)Teil des Kulturetats aus der derzeitigen Verwendung lösen und neu verteilen. Zur Unterstützung von Institutionen, Formaten und Projekten, die bisher zu kurz gekommen sind und zur besseren Ausstattung der weiterhin bestehenden Häuser. In quantitativer Hinsicht wird das ein Rückbau werden, der vermutlich hart und schmerzhaft verhandelt werden muss. Wenn allerdings gut verhandelt wird, kann diese Entwicklung in qualitativer Hinsicht für die Kunst, die Mitarbeitenden und das Publikum aber durchaus ein Gewinn sein.

  • Kultur im Shutdown – Teil 2: Was reimt sich auf Corona?

    Im ersten Teil dieses Beitrags zu #KulturinZeitenvonCorona ging es um die Frage, ob Kultureinrichtungen derzeit einfach vorübergehend ins digitale Exil gehen oder den Shutdown vielleicht auch zum Anlass nehmen, den digitalen Raum zu einer zweiten Heimat zu machen. In meinem Verständnis würde das heißen, digitale Medien nicht nur für kommunikative Zwecke, sondern auch für künstlerische Angebote und Experimente zu nutzen. Ich hatte die Hoffnung formuliert, dass dies nun passieren könnte und angekündigt, mich im zweiten Teil des Beitrags mit den Voraussetzungen zu beschäftigen, die dafür nötig sind.

    Die Euphorie weicht der Ernüchterung

    Wie generell in der Corona-Pandemie haben viele Aussagen nur eine extrem kurze Halbwertszeit. Und somit ist in Bezug auf die Hoffnung des ersten Beitrags bereits eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Zahllose digitale Künstler-Home-Stories deuten darauf hin, dass es eben doch vor allem darum geht, ein paar Grüße aus dem Exil zu schicken, also irgendwie im Gespräch zu bleiben, bis man alles wieder so machen kann, wie man es gewohnt ist. Speziell ernüchternd finde ich auch, dass vor allem gesendet, gesendet, gesendet wird, anstatt wenigstens auf interaktive Kommunikationsformate zu setzen und den echten, ehrlichen Austausch mit dem Publikum zu probieren. (Keine Regel ohne Ausnahme: Das Staatstheater Augsburg hatte da eine nette Idee mit Wünsch dir was.)

    Im Tagesanzeiger erschien eine unterhaltsam zu lesende Glosse zu diesem Thema, in der gefordert wird, den Shutdown lieber als kreative Pause und für die stille Arbeit am Meisterwerk zu nutzen. Auch das VAN-Magazin beschäftigte sich mit der Problematik: Hartmut Welscher sieht ebenfalls eher den digitalen Kampf um Aufmerksamkeit und Reichweite im Vordergrund. Also letztlich Kommunikation und Marketing statt künstlerische Arbeit und künstlerisches Experimentieren (die beliebte alte vermeintliche Dichotomie). Die großen Akteure, die bereits Reichweite haben, sieht er im klaren Vorteil gegenüber den kleinen Akteuren, die momentan sowieso ganz andere Sorgen haben, als digitale Formate zu entwickeln. Die Digitalisierung funktioniere daher nach dem kapitalistischen Prinzip: wer hat, dem wird gegeben. Allerdings mit dem unkapitalistischen Nebeneffekt, dass dem mittlerweile recht großen Angebot von Streaming-Angeboten nur eine sehr übersichtliche Nachfrage gegenüberstünde, die jetzt nur shutdown-bedingt einen Ausschlag erlebe.

    Da ist zweifellos etwas dran. Trotzdem ist es in meinen Augen zu kurz gesprungen. Musik wurde ja auch vor Corona durchaus sehr gern und viel virtuell und digital konsumiert (Spotify, Amazon unlimited, Youtube Music etc.). Nur lässt sich der virtuelle Musikkonsum heute nicht mehr mit Geschäftsmodell hinterlegen. Das ist das eine Problem. Das andere ist, dass damit auch die Motivation fehlt, digitale Möglichkeiten nicht nur als Chance auf mehr Sichtbarkeit und Reichweite zu verstehen, sondern als Experimentierfeld und Plattform auch für künstlerisch-ästhetische Formate. So verstanden würde ich mir die jetzige Situation als Innovations-Katalysator wünschen: Nicht nur Reichweite aufrecht erhalten oder ausbauen, bis man aus dem Exil in die Heimat zurückkehren kann, sondern auch jenseits des Reichweitenkalküls es als ureigenen Auftrag zu verstehen, auszuprobieren, was mit digitalen Mitteln so geht. Beim Spielen zeitgenössischer Musik steht schließlich auch nicht die Befriedigung irgendeiner Nachfrage im Vordergrund, sondern künstlerische Erwägungen und die Lust am Neuen. Diese Lust auf Neues wird oftmals als Teil des ureigenen Auftrags, auch als Legitimation der öffentlichen Finanzierung verstanden. Warum sollte das also nicht auch für neue künstlerische Möglichkeiten im digitalen Raum gelten? Die kommunikativen Möglichkeiten der digitalen Medien sind mittlerweile einigermaßen erprobt und professionalisiert worden. Die künstlerischen noch lange nicht. Die Corona-Krise könnte und sollte dafür ein Schubser sein. Es ist klar, dass man hier nicht innerhalb von zwei Wochen etwas Geniales hervorzaubert. Also ist die Empfehlung der Tagi-Glosse vielleicht gar nicht schlecht, den Shutdown als kreative Pause zu nutzen und in einem Jahr oder wann auch immer mit einem «richtigen Meisterwerk» um die Ecke zu kommen…  

    «The Collapse of Sensemaking»

    Genug der Vorrede. Jetzt zu dem Thema, das ich ursprünglich für diesen zweiten Teil vorgesehen hatte und das theoretisch erklärt, welche Aspekte auf Organisationsebene wichtig sind, um Krisensituationen zu überstehen und im Idealfall noch etwas Neues aus ihnen entstehen zu lassen. Es ist ein Gemeinplatz, dass Krisen und Katastrophen immer auch die Chancen für neue Entwicklungen mit sich bringen. Etwas weniger banal hat der Organisationspsychologe Karl E. Weick dieses Phänomen in seiner Analyse «The Collapse of Sensemaking in Organizations» vom Mann Gulch Disaster beschrieben. Bei dem Desaster handelte es sich um einen zunächst scheinbar eher harmlosen Waldbrand, der sehr plötzlich außer Kontrolle geriet. Von 16 Feuerwehrmännern, die zu seiner Bekämpfung im Wald abgesetzt worden waren, überlebten nur drei. Jahrzehnte nach dem Brand analysierte Weick die Ereignisse insbesondere in Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen die Katastrophe auf die Funktionsfähigkeit des Teams hatte und was die drei Überlebenden anders gemacht hatten als der Rest der Gruppe.

    Weick nutzt den Begriff des «sensemaking», der laut Wörterbuch mit «Sinnstiftung» übersetzt werden müsste. Wirklich übersetzen lässt sich dieser Begriff aber kaum. Ich finde, dass er am besten mit der deutschen Formulierung «sich einen Reim auf etwas machen» übersetzt werden kann, denn es betont wie der englische Begriff den Aspekt des Machens, des Produzierens. Handeln und Reflektion sind in diesem Begriff eng ineinander verzahnt und bedingen sich wechselseitig: Eine Reflektion über eine Situation legt eine bestimmte Handlung nahe, die Ausführung der Handlung wiederum zieht Reflektion nach sich, die wiederum eine Folgehandlung nahelegt usw. Um Sensemaking zu verstehen, hält Weick es für besonders aufschlussreich, Verhalten in Krisensituationen zu beobachten. Denn in Krisensituation taugen bewährte Routinen und Überzeugungen nichts mehr und die Betroffenen müssen sich eben einen Reim auf das machen, was gerade passiert, also Sensemaking betreiben.

    Weick erläutert das Konzept anhand des besagten Waldbrands. Das Feuer verhielt sich anders als erwartet, die verinnerlichten Routinen und Denkmuster der Feuerwehrmänner griffen nicht bei der Bekämpfung und es gelang den Männern nicht, sich einen Reim auf die Situation zu machen. Natürlich ist es besonders schwierig, in Stresssituationen gewohnte Verhaltensweisen abzulegen und Denkmuster zu hinterfragen. Dabei sind es aber oftmals gerade kontraintuitive Ideen, durch die eine Krise erfolgreich gemeistert werden kann. So forderte der Kommandeur der Gruppe die anderen Männer beispielsweise auf, ihr (schweres) Gerät abzuwerfen, um schneller und beweglicher zu sein und besser vor dem Feuer fliehen zu können. Die Männer verstanden den Sinn der Aufforderung nicht (warum sollte sich ein Feuerwehrmann angesichts eines solchen Feuers auch noch seiner Hilfsmittel entledigen?) und folgten ihr nicht. Das Feuer holte sie ein.

    Was die Überlebenden laut Weicks Analyse gerettet hatte war, dass sie es schafften, aus ihren Routinen als Organisationseinheit und ihren professionellen Denkmustern auszubrechen. Der Kommandeur legte ein Gegenfeuer, kurz bevor die Feuerwand ihn erreichte. Eine kontraintuitive Idee, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Aber so konnte er sich in den Aschefleck des Gegenfeuers legen und wurde vom Waldbrand verschont, weil es in diesem Aschefleck für das Feuer nichts mehr zu holen gab. Seine Kameraden verstanden nicht, was er vorhatte und rannten weiter bergauf vor dem Feuer davon. Zwei anderen gelang es, zusammen zu bleiben und sich in eine Felsspalte zu retten, wo das Feuer nicht hinkam. Sie schafften es, die nicht mehr funktionierende Organisationsstruktur des Teams durch eine neue, kleinere Organisationseinheit zu ersetzen und sich gegenseitig zu unterstützen.

    Vier Erkenntnisse von Weick

    Weick leitet vier Aspekte aus dem Fall ab, die in seinen Augen den Kollaps des Sensemakings in Krisen- oder Katastrophensituationen verhindern können:

    • Improvisation und Bricolage: Wenn gewohnte Maßnahmen nicht mehr funktionieren, gilt es, mit den einfachen verbleibenden Mitteln, neue Lösungen zu improvisieren. Diesen Punkt leitet Weick vor allem aus der Idee mit dem Gegenfeuer ab. Mit ein paar Streichhölzern und einem guten Gedanken gelang es dem Kommandeur der Gruppe, sich aus einer schier ausweglosen Situation zu befreien.
    • Virtuelle Rollensysteme: Wenn jeder jederzeit einen Überblick darüber hat, welche Verantwortlichkeiten in der Gruppe bestehen, ist es erheblich einfacher, eine zerfallende Organisationseinheit funktionsfähig zu halten, weil nicht mehr abgedeckte Aufgaben zumindest notdürftig ersetzt werden können. Zuviel Spezialistentum und Elfenbeinturm-Wissen sind in einer Krise, in der Fachwissen plötzlich nicht mehr viel Wert ist, nicht hilfreich.
    • Weisheit als Haltung (Attitude of wisdom): Um in Krisensituation reagieren zu können, ist es wichtig, sich der Voreingenommenheit und der Begrenztheit der eigenen Überzeugungen und Erfahrungen bewusst zu sein. Diese Haltung kann dabei helfen, dass man in schwierigen Situationen erkennt, alles ganz anders machen zu müssen, als man es bisher getan hat, dass bisheriges Wissen und Kompetenzen auf einmal nichts mehr wert sein können. Weisheit sei damit eher eine Haltung gegenüber Wissen und Erfahrung (über das man natürlich auch verfügen sollte) als die Summe aus Wissen oder Erfahrung selbst, so Weick.
    • Respektvolle Interaktion: Als Einzelkämpfer hat man es in Krisensituationen schwer. Es gilt also, Gruppen zu erhalten oder neue Einheiten zu bilden, wenn eine bewährte Organisationsstruktur angesichts einer Katastrophe zerfällt, weil man dann nicht auf sich allein gestellt ist, sich einen Reim auf die neue Situation zu machen. Zwar hat man wenig Zeit und Möglichkeiten, seine Mutmaßungen wirklich zu erhärten, aber immerhin kann man Lösungen intersubjektiv prüfen.

    Was reimt sich auf Corona?

    Diese Aspekte lassen sich auch auf die Krisensituation beziehen, in denen sich Kultureinrichtungen gerade befinden. Und bei vielen der gerade entstehenden Lösungen, lassen sich die Aspekte auch wiedererkennen: So sind die Hauskonzerte von Igor Levit ein schönes Beispiel für Improvisation und Bricolage: Mit einfachen Mitteln versucht er, weiterhin Musik für andere Menschen machen zu können. Akustisch ist das Ergebnis sicher nicht befriedigend und mit einem Konzertbesuch oder auch dem Hören einer CD zu vergleichen. In den Tweets rund um diese Konzerte wird aber auch deutlich, dass es darum gar nicht in allererste Linie geht. Es geht vielmehr darum, gemeinsam mit anderen Kunst erleben zu können. Interessant fand ich in der Hinsicht auch das Angebot des Mannheimer Nationaltheaters. Das Haus bietet keine Streamings von ganzen Aufführungen, sondern ca. halbstündige Zusammenschnitte aktueller Produktionen (hier z.B. Carmen). Zur Einstimmung gibt es ein paar O-Töne von beteiligten Künstlern und dann wird offenbar einfach mit der Bühnentotale gearbeitet, die normalerweise eigentlich nur für interne Zwecke aufgezeichnet wird. Mit Überblendungen, Schnitten, Farbeffekten und ähnlichem mehr wird dieses Material ästehtisch aufgewertet. So entsteht aus einem reinem Arbeitsdokument ein Dokument, das man in der aktuellen Situation auch veröffentlichen kann.

    Der Punkt mit den virtuellen Rollensystem schließt hieran an: Der eigentlich dokumentarisch arbeitende Video-Mitarbeiter produziert plötzlich ein künstlerisches Produkt über ein künstlerisches Produkt. Die klare Arbeitsteilung eines Theaters in künstlerische, administrative und technisch-handwerkliche Aufgaben verschwimmt. Silke Oldenburg erzählt im Interview mit Martin Zierold ebenfalls, wie sich im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg das Areiten in Silos auflöst. Kuratoren arbeiten in der Online-Redaktion mit, weil der neue Ausstellungsraum digital ist oder weil sie in ihrem eigentlichen Arbeitsfeld vorübergehend keine Aufgabe haben. Ich habe bereits vor einiger Zeit schon einmal versucht darzulegen, warum ein strategisches Verständnis von Marketing meines Erachtens auch die künstlerische Ausrichtung mit einschließt und dass es gut ist, manche Funktionsbereiche als Querschnittsaufgabe zu verstehen. Die aktuelle Krise bestätigt das: Es ist nützlich und produktiv, wenn man die Grenzen zwischen den «Arbeitssilos» fließend halten kann.

    Den Punkt «Weisheit als Haltung» finde ich am schwierigsten auf die aktuelle Situation zu beziehen. Im «Wie geht’s?»-Podcast  hört man viel die Meinung, dass sich sehr Grundlegendes ändern müsse und ändern werde und man nach der Krise nicht einfach so weitermachen könne, wie bisher. Sehr deutlich wird das z.B. im Gespräch mit Tina Heine. Auch könnte man argumentieren, dass der Kunst- und Kulturbereich eine Kernkompetenz darin hat, einen «anderen Blick» auf die Dinge zu werfen, gesellschaftlich relevante Themen und Fragen anders zu sehen und kontextualisieren, als man es gemeinhin tut und auf diese Weise die Begrenztheit und Voreingenommenheit unserer eingeübten Denkwege herausfordert. Vor diesem Hintergrund steht der Kultursektor per se für «Weisheit als Haltung» im Sinne Weicks. Und so gesehen hat auch der etwas phrasenhafte Ausspruch, dass Kultur in der Krise wichtiger denn je sei, durchaus seine Berechtigung. Gleichzeitig kommt darin aber auch all das allzu selbstgewisse Traditions- und Sendungsbewusstsein des Kulturbetriebs zum Ausdruck, das einer «Weisheit als Haltung» zumindest dem eigenen Tun und der eigenen Bedeutung gegenüber auch hinderlich sein dürfte. Die Lust am wirklich Neuen, scheint mir aktuell (noch) nicht sehr ausgeprägt zu sein (s.o.). Genau die gilt es aber, so habe ich Tina Heines Aussagen interpretiert, gemäß dem Prinzip «Weisheit als Haltung» zu nutzen und zum Tragen kommen zu lassen: Bestehende Erfahrungen und bestehendes Wissen unter den geänderten Voraussetzungen zu erproben und anzuwenden.

    Respektvolle Interaktion zu pflegen ist sicher zu jeder Zeit ein guter Tipp. Ich denke, das ist ein Modus, den Kultureinrichtungen und ihre Vertreter, Künstler und Kreative in vielen Fällen auch sehr gut beherrschen. Das zeigen die zahlreichen, sich permanent wandelnden Netzwerke und Vernetzungen, also die Fähigkeit, situativ Organisationseinheiten zu bilden, in denen Sensemaking stattfindet und gelingt. Nachholbedarf besteht in dieser Hinsicht in meinen Augen aber mit Blick auf das Publikum und die Öffentlichkeit: Die werden in meinen Augen bislang noch viel zu wenig als Ressource von Kultureinrichtungen begriffen und in die Netzwerke einbezogen. Wie oben geschrieben, kommt der Routinemodus «Senden, senden, senden» in der Krise scheinbar besonders zum Tragen. Da lässt sich gut die Parallele zu den Feuerwehrmännern ziehen, die an ihren Geräten festhalten, die ihnen nichts mehr nützen, sondern sie nur noch behindern. Auf digitale Medien und digitalen Kontakt zum Publikum zurückgeworfen zu sein, ist in meinen Augen eine große Chance, auch die Besonderheiten der Medien zu nutzen, also deren Interaktivität und Konnektivität. Wie gesagt verfolgt das Staatstheater Augsburg da eine interessante, kurzfristig realisierbare Idee.

    «Drop your tools»

    Auf der theoretischen Ebene können Weicks Ausführungen also durchaus etwas beitragen zum Verständnis, worauf es jetzt in den Kultureinrichtungen ankommt. Ob die vier Aspekte bereits erschöpfend sind, weiß ich nicht. Wahrscheinlich würden sich auch weitere Aspekte finden lassen. Mich interessiert zum Abschluss des Beitrags eher noch die Frage, was diese Erkenntnisse denn auf der praktischen Ebene bedeuten? Was sind kontraintuitive Ideen und Techniken, die hilfreich sein könnten, um den Kultursektor jetzt einerseits aus der Krise zu führen, andererseits aber auch insgesamt weiterbringen könnten? Was sind die konkreten Entsprechungen zu dem Gegenfeuer oder dem Aufruf «Drop your tools»? Ein etwas ketzerischer, aber nach Weick durchaus folgerichtiger Ansatz könnte es sein, zu schauen, was die Kultureinrichtungen traditionellerweise machen würden und sich dann zu überlegen, was das genaue Gegenteil davon wäre. Das wiederum wären dann vielleicht interessante Reaktionen auf die aktuelle Situation. Ich starte mal mit einer kleinen Thesen-Liste, die auf diesem Gedanken aufbaut:

    • Die Idee von «l’art pour l’art» hat ausgedient. Wie man jetzt merken kann, braucht Kunst das Publikum, das sie wertschätzt mindestens so sehr wie das Publikum die Kunst braucht.
    • Zuhören und interagieren ist das neue Senden und Monologisieren.
    • Digitale Medien sind nicht nur Werbekanäle, sondern auch virtuelle Bühnen, Ausstellungsräume, Lesesäle, Treffpunkte usw., müssen als solche aber auch begriffen und gestaltet werden.
    • Das heißt zum Beispiel, dass Kultureinrichtungen neue, formatgerechte künstlerische Experimente entwickeln sollten anstatt einfach die Archive zu plündern oder die Kunst aus den traditionellen Formaten einfach virtuell abzubilden.
    • Aufgaben der Kuration und der Kommunikation verschmelzen hier. Klare strukturelle Trennungen zwischen den Arbeitsbereichen, ebenso wie etwas übergeordneter zwischen Kultur und Management generell, sind nicht mehr funktional. Organisationsstrukturelle Grenzen verflüssigen sich.
    • Das gilt ähnlich in Hinblick auf das Publikum. Es sollte nicht mehr vor allem Objekt des Managementhandelns einer Kultureinrichtung sein, sondern Partner, d.h. als Bestandteil des Netzwerks einer Einrichtung auch als dessen Ressource verstanden werden.

    Wenn euch noch mehr Dinge einfallen oder ihr widersprechen wollt, tut das gern auf Facebook. Ich bin gespannt.

  • „Hello, we’re from the internet“ – Beitrag im Dossier Digitalisierung auf kubi-online.de

    Die Plattform kubi-online.de hat für ihr Dossier „Digitalisierung“ einen Aufsatz von mir angenommen, der kürzlich veröffentlicht wurde. In dem Text geht es hauptsächlich um die Frage, warum Kultureinrichtungen ihr Selbstverständnis angesichts der digitalen Transformation hinterfragen und anpassen sollten. Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist, dass die Theorie und Praxis des Kulturmanagements stark angebotsorientiert ist. Die öffentliche Finanzierung macht es möglich, weil sie die Einrichtungen vor den Dynamiken des Marktes schützt. Sie schützt jedoch nicht vor den Dynamiken der Digitalisierung, durch die immer mehr Menschen zu kulturellen Akteuren und Multiplikatoren werden, die sich Kulturangebote nach ihren eigenen Regeln aneignen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung sollten Kultureinrichtungen sich nicht nur als Kulturproduzenten verstehen, sondern zu Drehscheiben in der Auseinandersetzung mit kulturellen Themen werden.

    Im Dossier Digitalisierung sind insgesamt 14 Aufsätze enthalten, die sich mit der Digitalisierung insbesondere in der kulturellen Bildung beschäftigen.

  • Kulturmanagement – Eigene Disziplin oder „BWL für Arme“?

    Vor einiger Zeit fragte Hannes Tronsberg auf Twitter, warum es eigentlich Kulturmanagement als eigene Disziplin brauche? Schließlich gebe es – trotz bestimmt bestehender Besonderheiten und Eigenheiten gegenüber anderen Branchen – auch kein Schuh- oder Automanagement. Dass Kulturmanagement als eigene Disziplin und nicht als ein Teilgebiet der BWL oder Management Studies geführt werde, koppele sie von aktuellen Erkenntnissen ab und verlangsame ihren Fortschritt dadurch.

    Tatsächlich lassen sich schnell Beispiele finden, die Hannes These erstmal untermauern. Eins meiner Lieblingsthemen in diesem Zusammenhang ist das verkümmerte Verständnis von Marketing, das im Kulturbereich oftmals anzutreffen ist. Da wird ein wirklich sehr gut und umfassend ausgearbeiteter Forschungs- und Wissensstand weitgehend links liegen gelassen, weil man glaubt, er wäre nicht anwendbar auf den Kulturbereich. Tatsächlich liegt das Problem aber vor allem darin, dass man im Kulturmanagement bis heute von einem Marketingverständnis aus der Gründungszeit der Disziplin Kulturmanagement ausgeht. Vor 30-40 Jahren basierte Marketing noch stark auf einer goods-dominated Logic (GDL), Marketing war vor allem Industrieproduktemarketing, bei dem bestimmte Produkte auf einen Bedarf am Markt hin entwickelt, hergestellt und vertrieben wurden. (mehr …)

  • Co-Creation: Kulturtempel als Selbstbedienungsläden

    Einen Tag vor der Eröffnung der Bayreuther Festspiele 2015 wurde der erste Tweet im frisch eröffneten Twitter-Account @BayreuthFest veröffentlicht:

    Morgen gehen die Bayreuther Festspiele los. Dieses Jahr wagen wir den Schritt weiter in den neuen Medien: Hallo Twitter!— BayreutherFestspiele (@BayreuthFest) 24. Juli 2015

    Die Komische Oper Berlin, die selbst schon seit längerer Zeit auf Twitter aktiv war, begrüßte die Festspiele und wünschte viel Erfolg. Die Süddeutsche Zeitung, der Bayerische Rundfunk, ZEIT online und andere erwähnten den Account und griffen die dort verwendeten Hashtags für die eigene Berichterstattung auf. Auch bei Wagner-Fans fand der Account sofort Anklang: Zwei Tage nach dem ersten Tweet zählte @BayreuthFest bereits 500 Follower, am Ende des Festspielsommers waren es 1.500.

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  • Führung im Kulturbetrieb II

    In neueren Führungskonzepten wird unterschieden zwischen transaktionaler und transformationaler Führung. Transaktionale Führung versteht Arbeit als ein Tauschverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Individualinteressen der Mitarbeiter und die Unternehmensinteressen werden über eine Tauschaktion (Transaktion) ins Verhältnis gesetzt: Leistung gegen Belohnung. Der Mitarbeiter wird im Sinne der klassischen wirtschaftswissenschaftlichen Terminologie als rational denkender und handelnder Nutzenmaximierer, als homo oeconomicus, gesehen. MbO fällt unter diesen Ansatz der transaktionalen Führung. Über die speziell im Kulturbetrieb aber auch allgemein damit einhergehenden Probleme habe ich im ersten Teil beschrieben. Oftmals wird das transaktionale Modell übrigens dem Manager zugeschrieben, während sich der Leader des transformationalen Modells bediene. Aufgrund dessen, was ich im ersten Teil über Leadership geschrieben habe, kann ich mich dieser Auffassung allerdings nicht anschließen.

    Transformationale Führung

    Im Unterschied zum transaktionalen Modell umfasst die transformationale Führung auch soziale und emotionale Aspekte von Führung und spricht damit auch höhere Bedürfnisse des Menschen an. Hier geht es darum, den Mitarbeitern persönliche Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, die intrinsische Arbeitsmotivation auf den Unternehmenszwecks auszurichten und den Mitarbeiter auf diese Weise zum Mitunternehmer zu machen, man könnte auch sagen zu «transformieren». Analog zu den berühmten vier P des Marketing, bietet das Modell der transformationalen Führung vier Is als Merkhilfe. Denn transformationale Führung ist

    • Identifizierend. Damit ist ein authentisches Verhalten der Führungskraft gemeint, der dadurch Respekt und Vertrauen gezollt werden und die durch Übereinstimmung von Reden und Handeln zur Identifikationsfigur wird.
    • Inspirierend. Die Führungskraft vermag es, Sinn zu stiften (zum Beispiel mittels Vision, Symbolen, Bilder) und dadurch die Bedeutung von Zielen und Aufgaben zu erhöhen. Die Identifikation mit den Zielen der Firma wird so nicht nur durch monetäre oder Status-Anreize erreicht, sondern auch durch persönliche Verbundenheit.
    • Intellektuell. Die Mitarbeiter werden aber auch auf geistiger, intellektueller Ebene angeregt, Denkmuster zu hinterfragen und aktiv neue Erkenntnisse und Einsichten anzustreben, Probleme als Chance zu begreifen, etwas neues zu lernen und im Sinne des Ganzen zu denken und Verantwortung zu übernehmen (Mitunternehmertum).
    • Individuell. Im Rahmen der transformationalen Führung geht die Führungskraft individuell auf die Mitarbeiter und ihre sozialen Interaktionen ein, fördert und fordert den Einzelnen gemäß seinen Stärken und Schwächen und entwickelt Perspektiven mit ihm/ihr.

    Insbesondere den letzten Punkt erachte ich in Hinblick auf Führung im Kulturbetrieb für besonders wichtig, denn es ist ja nicht nur ein Klischee, dass Künstler Individualisten sind und dementsprechend auch individuell behandelt werden wollen. Der ehrgeizige, aber unerfahrene Jungschauspieler muss anders geführt werden als die Diva auf der Höhe ihrer Karriere und anders als der alternde Schauspieler, dessen beste Zeit vorbei ist. Der gewissenhafte Verwaltungsangestellte muss anders geführt werden als der genialische, aber launenhafte Hausregisseur. Diese, zugegebenermaßen etwas klischeehaften, Beispiele beziehen sich allein auf die Funktion des Mitarbeiters und zeigen, dass bereits in Bezug auf dieses eine Kriterium verschiedenste Führungsansprüche bestehen.

    Situative Führung

    Einen Ansatz, diesen unterschiedlichen Ansprüchen Rechnung zu tragen, bietet die situative Führung, z.B. in Form des Reifegradmodells von Hersey und Blanchard. Hierbei wird je nach Reifegrad und Motivation des Mitarbeiters ein anderer Führungsstil empfohlen. In Abhängigkeit von Motivation und Reifegrad wird unterschiedlich geführt:

    • Ist die fachliche Kompetenz und Motivation hoch, kann gemäß dem Management by Exceptions delegiert werden («delegating»). Diese Führung ist weder sonderlich aufgabenorientiert, noch sonderlich beziehungsorientiert.
    • Ist die fachliche Kompetenz hoch, die Motivation jedoch niedrig, zum Beispiel bei altgedienten Routiniers, wird weniger aufgabenorientiert, dafür stark beziehungsorientiert geführt («participating», kooperativer Stil).
    • Ist die fachliche Kompetenz niedrig, aber die Motivation hoch, zum Beispiel bei ambitionierten Anfängern, wird gleichermaßen stark beziehungs- und aufgabenorientiert geführt («selling», trainieren)
    • Bei geringer Reife und niedriger Motivation des Mitarbeiters erhält dieser einfach Anweisungen («telling», unterweisen). Die Führung konzentriert sich auf die Aufgabe, nicht auf die Beziehung zum Mitarbeiter.

    Jenseits von dieser schematisierten Darstellung situativer Führung umfasst diese freilich auch Führungshandeln in Bezug auf gruppendynamische und zwischenmenschliche Sym- und Antipathien. Um bei den konkreten Beispielen zu bleiben: Die Leiter der Schreinerwerkstatt und der Malerei, die sich seit Jahren in den Haaren liegen, müssen anders angesprochen werden als Disponent und Schauspieldirektor, die beste Freunde sind usw.

    Wie ich bereits im ersten Teil angesprochen habe, arbeitet in Kultureinrichtungen typischerweise eine besonders bunte Mischung an verschieden ausgebildeten und sozialisierten Menschen, weswegen die Führungsanforderungen hier wahrscheinlich anspruchsvoll und vielfältig wie kaum sonst irgendwo sind. Aber nicht nur im Kulturbereich, sondern insgesamt im kreativen, wissensbasierten, innovativen, dynamischen Umfeld, wo große Komplexität herrscht und Ziele nicht statisch definiert werden können, sondern sich kontinuierlich ändern und angepasst werden müssen, bietet sich daher intuitives, transformationales Führungshandeln zugunsten von Führungstechniken an. Transformationale Führung beinhaltet gegenüber der transaktionalen Führung, zu der MbO gerechnet werden kann, einen entscheidenden Paradigmenwechsel in der Sicht auf Führung: Der Vorgesetzte wird zur Führungskraft. Führungsinteraktionen berücksichtigen nicht mehr nur die vertikale Ebene von Vorgesetztem zu Mitarbeiter, sondern auch die horizontale Ebene der Mitarbeiter und ihre wechselseitige Beeinflussung untereinander. Die Führungskraft versucht komplexe, soziale Interaktionen in ihrem Team so zu beeinflussen, dass dieses seine Kreativität und Produktivität voll entfalten kann und in den Dienst der Sache stellt. Das heißt, die Führungskraft kann nicht mehr unbedingt wissen, was am Ende herauskommt und ist im besten Fall selbst von dem Ergebnis positiv überrascht.

  • Rundkfunkchor Berlin sucht singende Manager für LeaderChor

    Der Rundfunkchor Berlin lädt Manager und Führungskräfte zu einem Workshop-Wochenende vom 11. bis 14. September ein, an dem ein Programm mit Werken von Händel, Palestrina, Brahms und Whitacre erarbeitet und gemeinsam mit Mitgliedern des Rundfunkchores aufgeführt wird. Dieser so genannte «LeaderChor» (was für ein Wortspiel!) wird vom Chefdirigent Simon Halsey geleitet. Der Chor ist Teil des umfangreichen Rundfunkchor-Projekts «Broadening the Scope of Choral Music», das zum Ziel hat, «professionelle Chormusik auf den unterschiedlichsten Ebenen der Gesellschaft neu und anders erlebbar zu machen», wie es auf der Homepage des Chores heißt. Eine schöne Idee.

    Im Rahmenprogramm dieses Workshops soll es auch um die Kunst gehen, zu führen und sich führen zu lassen. Interessanterweise glauben Kunst- und Kultureinrichtungen oftmals, hier etwas zu vermitteln zu haben. Vor längerer Zeit habe ich über die Disziplin der Wirtschaftsästhetik berichtet, einer Unterdisziplin des Kulturmanagements, in der es um ebendiese Fragen geht. Hierbei wird allerdings außer Acht gelassen, dass die autokratische Führungskultur, wie sie in Kultureinrichtungen üblich ist und strukturbedingt oftmals auch notwendig sein mag, schon länger nicht mehr dem «State of the Art» einer modernen Managementlehre entspricht. Wo es geht, sollte ein guter Manager seinen Laden nicht wie ein Orchester oder ein Ensemble führen, in dem jedem Mitglied eine «von oben» definierte Rolle zugedacht wird, sondern eher wie eine Jazzband, wo jeder Raum für ausschweifende Soli und Improvisationen erhält und sich trotz aller individuellen Entfaltungsmöglichkeiten ein harmonisches Ganzes ergibt.

    Wer Interesse hat, mitzumachen: Hier geht’s direkt zum Anmeldeformular.

  • Ohne Strategie: Kulturmanagement-Studiengänge

    Kürzlich hat Christian Henner-Fehr gefragt, welche Ausbildung für Personen geeignet sind, die Führungspositionen in Kulturbetrieben anstreben. Er stellte exemplarisch den Master in Kulturmanagement dem MBA-Programm der Donau-Universität Krems gegenüber. In den Kommentaren zu dem Eintrag habe ich angemerkt, dass es sich allgemein kaum sagen lässt, was für angehende Kulturmanager empfehlenswerter sei.

    Beim Vergleich des Lehrangebots dieser beiden Studiengänge – man könnte wahlweise auch andere MBA- oder KM-Studiengänge heranziehen – fällt auf, dass in den Kulturmanagement-Lehrgängen drei wesentliche Aspekte fehlen: Strategisches Management, Führung und Personal- oder HR-Management. Braucht man das alles als Kulturmanager nicht? Wohl kaum. Es wäre gerade sinnvoll: Zum einen angesichts der beträchtlichen strategischen Herausforderungen, die sich Kultureinrichtungen stellen und in den kommenden Jahren stellen werden, zum anderen aber auch, weil in Kulturbetrieben ein besonders geschicktes Händchen im Umgang mit den nicht selten hochsensiblen Mitarbeitern gefragt ist. Trotzdem beschränkt sich das Kulturmanagement als wissenschaftliche Disziplin vor allem auf die Themenfelder Finanzierung, Marketing und Recht. Auch wichtig, sicher, aber unterm Strich ungenügend, um einen Kulturbetrieb zu führen. Also spiegelt sich in den derzeit angebotenen Lehrgängen die Krise der Kulturbetriebe (um es möglichst melodramatisch auszudrücken) in erstaunlich sinnfälliger Weise wieder und ich denke mittlerweile doch: lieber einen MBA machen.

  • Wir sind besser als Armin Klein glaubt

    Bücher, die in dramatischer Weise gesellschaftliche Missstände aufzeigen und schonungslos Reformen fordern haben seit einiger Zeit Konjunktur: Gabor Steingart, Hans Werner Sinn, Meinhard Miegel, Paul Kirchhoff usw. Da konnte es nicht ausbleiben, dass sich früher oder später eine Kassandra zu Wort melden würde, um auch dem deutschen Kulturbetrieb als solchem gehörig die Leviten zu lesen und ein tiefgreifendes Umdenken zu fordern. Die Rede ist von Armin Kleins Buch Der exzellente Kulturbetrieb.

    Diesen Büchern ist gemein, dass sie allesamt auf wenigen, immergleichen Mantren beruhen, die in jeweils verschiedenen Abwandlungen lauten: zuviel Staat, zuviel Regulierung und Bürokratie, zu wenig Eigenverantwortung und Eigeninitiative, verbitterte Besitzstandswahrung aller Orten, weiterwurschteln ohne Ziel und Vision. Um es vorweg zu nehmen, es ist die größte Schwäche von Kleins Buch, sich unreflektiert dieser Reformrhetorik zu bedienen.

    Schenkt man Klein Glauben, ist die deutsche Kulturlandschaft mittlerweile so verkorkst, dass nur noch ein harter, sauberer Schnitt und ein Neustart bei Null hilft. So besteht das erste Kapitel mit dem Titel »Zeit, dass sich etwas bewegt« in einer Auflistung all der Probleme, mit denen Kultureinrichtungen angeblich und tatsächlich zu kämpfen haben. Diese Bestandsaufnahme ist bereits höchst fragwürdig, weil Klein sich fast ausschließlich auf Zeitungsartikel (immerhin niveauvoller Zeitungen wie der FAZ und der Zeit) beruft (S. 16ff.), wissenschaftliche Studien aus zweiter Hand zitiert (z.B. S.21) und andere Wissenschaftler streckenweise aus der Sekundärliteratur zitiert werden (z.B. Luhmann, S. 47). Weiter geht es mit begrifflichen Unklarheiten. Klein spricht zum Beispiel von Subventionen für öffentliche Kulturbetriebe, später von Kultur als meritorischem Gut, d.h. als Leistungen, die auf Basis eines gesellschaftlichen Konsenses öffentlich finanziert werden. Dass öffentliche Finanzierung und Subvention jedoch zwei grundsätzlich verschiedene Dinge sind, wird deutlich, wenn man von staatlichen Subventionen für das Schulwesen oder die Polizei spricht. Klingt unsinnig, eben weil es keine Subventionen sind. Rein aus solchen formalen Gründen sind schon mal schwere Bedenken bei der Seriosität der Analyse anzumelden.

    Für den in Kleins Augen unumgänglichen Neustart empfiehlt er Kulturbetrieben zunächst einmal, Vision und Mission zu formulieren. Das heißt für ihn zum einen zu klären, wohin wollen wir uns entwickeln? (Vision) und zum anderen klar zu kriegen, warum gibt es uns heute? (Mission) Die Einschätzung, dass es ein gravierendes Problem im Kulturbereich gibt, weil diese Fragen oftmals nicht ausreichend beantwortet sind, kann ich nicht teilen. Die Aufgabe eines Stadttheaters (anhand dessen Beispiel Klein das Vorgehen deutlich macht) oder Landesmuseums ist in aller Regel klar umrissen und langfristig definiert. Da sich solche Einrichtungen nicht in einer hochdynamischen Konkurrenzsituation mit anderen Wettbewerbern befinden, lässt sich zudem die für private Unternehmen geltende Logik nicht ohne Weiteres auf öffentliche Kulturbetriebe übertragen.

    Überhaupt wird allzu oft die Marktlogik umstandslos auf den Kulturbereich angewandt und Methoden und Instrumente aus der BWL propagiert, die dort auch nicht mehr der letzte Stand der Forschung sind oder für Kulturbetriebe gar nicht sinnvoll greifen. Während Klein z.B. im Rahmen der strategischen Neuausrichtung die gute alte Situations- und SWOT-Analyse empfiehlt, wären gerade für gesellschaftlich stark verpflichtete und vernetzte Einrichtungen, wie Kulturbetriebe es sind, neuere, systemische Methoden und ganzheitliches Management mit Auswertung über Balanced Scorecards wesentlich sinnvoller.

    Das gleiche Problem im Kapitel »Konsequente Besucherorientierung«, wo das klassische Marketingmodell der BWL ohne weiteres auf den Kulturbereich übertragen wird, ungeachtet der Tatsache, dass zum Beispiel für die Preispolitik oftmals gänzlich andere Regeln gelten und ungeachtet der Tatsache, dass dieses Modell auch längst nicht mehr unumstritten ist. Überhaupt könnte man sich wünschen, dass ein kulturell beleckter Autor zunächst einmal den Begriff des Marketings für den Kulturbereich ganz grundsätzlich kritisch reflektiert. In dieser Hinsicht sehr empfehlenswert sind die Bücher von Peter Bendixen.

    Im Kapitel »Die lernende Kulturorganisation« beklagt Klein die überbordende Bürokratie in Kultureinrichtungen und kritisiert, dass Theater und Museen, die ja oftmals als nachgeordnete Behörden oder Regiebetriebe organisiert sind, nach Behördenlogik arbeiten und nicht der Logik ihrer speziellen Aufgabe folgen würden. Eine erstaunliche Feststellung für jemanden, der selbst am Theater gearbeitet hat. Gerade hier ordnen sämtliche Abteilungen (abgesehen vielleicht von der Lohnbuchhaltung) ihre Arbeitsweise der Logik des Betriebs unter: »Dienst nach Bedarf« ist das Motto für fast alle Mitarbeitergruppen, nicht »Dienst nach Vorschrift«. Sonst wären Nacht- und Wochenendarbeit für Künstler, Leitungsteam, Technik und Werkstätten eben so wenig eine Selbstverständlichkeit wie Überstunden für termingerechte Fertigstellung von jeweils individuell gefertigten Bühnenbildern und Kostümen.

    Die Liste ließe sich ohne Weiteres fortsetzen. Kulturmanagement sollte sich in meinen Augen jedoch davor hüten, einfach eine BWL für Kulturbetriebe zu sein, vielmehr eine um eine kulturelle Dimension erweiterte BWL, die nicht nur für Kultureinrichtungen stimmt, sondern alle Bereiche des Wirtschaftslebens bereichern kann. Wer regelmäßig Brand eins liest (aktuell mit einem wirklich witzigen Titel!), sollte wissen, was ich meine. Erfolgreiches, nachhaltiges, modernes Management braucht immer eine kulturelle Dimension. Das sollte das Kulturmanagement zu allererst begreifen. Das diesbezügliche Reflexionsniveau in Kleins Buch ist dürftig, die erwähnten Bücher von Bendixen zeigen, dass und wie es anders geht.

    Darüber hinaus ärgert mich, dass Klein mit zeitgeistiger Reformrhetorik die deutsche Kulturlandschaft schlechter macht, als sie ist. Sie ist einzigartig in ihrer Vielfalt und ihrer Leistungsfähigkeit, bei allen unbestreitbaren Herausforderungen und Problemen. Eine Antwort auf die oben erwähnten Bücher von Kirchhoff, Sinn und Co. ist Peter Bofingers Wir sind besser als wir glauben. Das sollte auch die Antwort der Kulturmanager auf Kleins Buch sein!