Christian Holst

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Schlagwort: Wagner

  • Wagner oder Verdi? Wagner!

    Zum Start ins Verdi- und Wagner-Jubiläumsjahr fragte die ZEIT zehn Opernintendanten, wen der beiden sie für den größeren Komponisten hielten. Das Ergebnis ist nicht überraschend, wenngleich doch interessant. Acht der zehn hielten es für am diplomatischsten, beiden die gleiche Größe und Bedeutung beizumessen und liessen allenfalls noch ihre private Vorliebe durchblicken.

    Zwei Intendanten allerdings schlugen sich eindeutig auf Seiten Verdis. Sie finden seine Opern kürzer, humaner, ehrlicher, konstruktiver. Peter de Caluwe kommt sogar zu der Einschätzung, bei Verdi handele es sich um «Geschichten aus dem Leben». Als hätten die etwas in der Oper verloren. Interessanterweise sind es aber nicht die Vorzüge und Qualitäten Verdis, die sie zu dieser Einschätzung bringen: Adjektive wie «kürzer» oder «konstruktiver» sind nicht gerade erste Wahl für eine ernst gemeinte Lobeshymne. Es ist vielmehr das Missbehagen an Wagner. Das merkt man daran, dass gegen ihn verbal richtig aufgerüstet wird und es dröhnt und donnert wie bei Wagner selbst nur selten: da ist von geistiger und handwerklicher Onanie die Rede, von narzisstischem Gewaber, von Berechnung, von Leitmotiven, die uns indoktrinieren und vergewaltigen. Adornos Wagner-Kritik für BILD-Leser. (mehr …)

  • Unspielbar

    Dass visionäre Kunstwerke zunächst als «unspielbar» gelten, kam und kommt gelegentlich vor. Berühmte Beispiele ist u.a. Schuberts Große C-Dur-Sinfonie oder Wagners Tristan und Isolde. An Wagners Musikdrama haben sich 1863 keine geringeren als die Wiener Philharmoniker in 77 Proben die Zähne ausgebissen und es dann doch sein gelassen. Sowohl bei Tristan als auch bei der Schubert-Sinfonie hat sich später herausgestellt, dass die Beschränkung in den Köpfen der Aufführenden lag, nicht in der Partitur. Das ist bei Rachmaninows Klavierwerken nicht anders, wie man in diesem Clip sehen kann:

  • Lohengrin meets Lehman Brothers

    Das scheinbar Antiaufklärerische, das in Lohengrin im sog. Frageverbot zu Tage tritt, ist vermutlich schon in tausenden von Inszenierungen kritisiert und auseinandergedröselt worden. Jetzt, wie es scheint, einmal mehr in der Neuinszenierung an der Staatsoper Unter den Linden. Regisseur Herheim entblödet sich nicht, es gar «faschistoid» zu nennen.

    Natürlich muss es einem gebildeten Mitteleuropäer zu Beginn des 21. Jahrhunderts komisch vorkommen, dass Lohengrin seiner Braut Elsa verbietet, nach seinem Namen und seiner Herkunft zu fragen und diese sich zunächst darauf einlässt. Geschenkt. Das ist aber so offenkundig und oberflächlich, dass es inzwischen einfach nichts mehr hergibt. Entsprechend: Wer wäre denn so blöd, die Menschheit im Rahmen einer Märcheninterpretation mit der Erkenntnis erleuchten zu wollen, dass es sprechende Wölfe oder Feen, die drei Wünsche erfüllen, in Wirklichkeit gar nicht gibt und hier nur Döntjes erzählt werden?

    Das Ganze ist umso einfältiger, als die eigentliche Frage in Lohengrin eine hochbrisante, hochaktuelle und auch gar nicht so schwer erkennbare ist, vorausgesetzt, man verbaut sie sich nicht durch pseudo-aufklärerische, neunmalkluge Voreingenommenheit. Es ist ganz simpel die Frage von Vertrauen, die Wagner in dieser Oper dramatisiert. Ein Vertrauen übrigens, das Lohengrin nicht nur einer notleidenden Person als Preis für seine Hilfe abringt, sondern eines, das Elsa vorschießt, als sie sich mit «inbrünstigem» Gebet gegen die Verleumdung durch Telramund verteidigt.

    Und weil Theater ja immer «heutig» sein soll: Diese eigentliche Frage im Lohengrin ist eine, die zur Zeit die gesamte ökonomische Welt in ihren Grundfesten erschüttert und überhaupt eine ganz zentrale Frage in offenen Gesellschaften ist. In diesem Kontrast zeigt sich, dass Elsas Vertrauen zumindest auf den zweiten Blick auch nicht naiver ist als dasjenige, das viele gebildete Mitteleuropäer zu Beginn des 21. Jahrhunderts in die «unsichtbare Hand» bzw. die «Selbstheilungskräfte» des Marktes setzen.

    Wie auch immer. Diese Überlegung ist jetzt sicher nicht als Idee zu verstehen, Lohengrin in der nächsten Neuinszenierung an der Wallstreet statt in Brabant spielen zu lassen und aus Elsa eine toughe Brokerin und aus Lohengrin einen spendierfreudigen Finanzpolitiker zu machen. Es ist ein Plädoyer dafür, Lohengrin (für andere Opern gilt das entsprechend) und indirekt auch das Publikum nicht für so dumm und reaktionär zu halten, wie sie definitiv nicht sind.

  • Wagner-Hass-Zitate

    Nachdem ich neulich die schönsten Mozart-Hass-Zitate gesucht habe, setze ich diese kleine Reihe nun mit Hass-Zitaten zu Wagner fort. Während sich bei Mozart ja eigentlich alle einig sind, was er doch für ein Genie war, scheiden sich an Wagner von jeher die Geister, was die Suche ungleich ergiebiger macht. Allein ein nicht unbeträchlicher Anteil von Nietzsches Werk besteht aus Hasstiraden auf Wagner. Wer sich damit ausführlich beschäftigen mag, findet Lesestoff auf nietzsche.tv.

    Ich liebe Wagners Musik mehr als die irgendeines anderen Komponisten. Sie ist so laut, daß man die ganze Zeit reden kann, ohne daß die anderen Leute hören, was man sagt. – Oscar Wilde

    Ist Wagner überhaupt ein Mensch? Ist er nicht eher eine Krankheit? – Friedrich Nietzsche

    Man macht heute nur Geld mit kranker Musik; unsre grossen Theater leben von Wagner. – Friedrich Nietzsche

    Der Tonfall eines jeden Films aber ist der der Hexe, die den Kleinen, die sie verzaubern oder fressen will, die Speise verabreicht mit dem schauerlichen Murmeln: »Gut Süppchen, schmeckt das Süppchen? Wohl soll dir’s bekommen, wohl bekommen.« In Kunst hat diesen Küchenfeuerzauber Wagner erfunden, dessen sprachliche Intimitäten und musikalische Gewürze immerzu sich selber abschmecken (…). – Theodor W. Adorno

    Ich kann nicht so viel Musik von Wagner anhören. Ich hätte sonst den Drang, Polen zu erobern. – Woody Allen

    Das war zum Appetitmachen. Jetzt seid ihr dran!

  • Bayreuther Ränkespiele

    Eigentlich schien es, als sei Nike Wagner im Rennen um die Nachfolge von Wolfgang Wagner bereits klar abgehängt, nachdem Eva Wagner-Pasquier nach zunächst gemeinsamer Bewerbung mit Nike zur Feindin Katharina übergelaufen war und mit der ein Konzept eingereicht hatte. Nikes kürzlich gemachte Äußerung, sie werde bei der Bewerbung weiter dran bleiben, klang daher eher nach verbittertem Trotz als nach einer realistischen Chance. Jetzt zaubert sie mit Gérard Mortier einen Partner als Trumpf aus dem Ärmel, der stechen dürfte, wenn der Stiftungsrat auf Basis der fachlich-künstlerischen Kompetenz über Wolfgang Wagners Nachfolge entscheiden sollte.

    Die FAZ hat das wirklich bühnenreife Ränkespiel heute ausführlich geschildert und kommentiert:

    Julia Spinola jubelt über die Bewerbung Mortiers und Patrick Bahners kommentiert die neue Konstellation. In einem kurzen Abriss wird die einzigartige Geschichte des Familienunternehmens Bayreuther Festspiele nachgezeichnet. Und zuletzt gab es noch die Befürchtung, dass Wolfgang Wagner angesichts der neuen Situation einen Rücktritt vom Rücktritt macht.

  • Konzepte für Bayreuth

    Die FAZ hat kürzlich die Konzepte für die Bayreuther Festspiele von den Bewerberinnenduos Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier sowie Nike Wagner und Eva Wagner-Pasquier abgedruckt.

    Im Vergleich zu Elke Heidenreichs ebenfalls in der FAZ veröffentlichten Bayreuther Vision sind beide Bewerbungen relativ brav, sogar verzagt – Nikes Konzept mit einem geplanten Vorfestival zu Pfingsten unwesentlich innovativer. In den wesentlichen Punkten stimmen die Konzepte jedoch überein:

    • Die Festspiele sollen wieder maßstabsetzend in der Auseinandersetzung mit Wagners Musikdramen werden.
    • Auch in Zukunft sollen sich die Festspiele Wagners 10 Hauptwerken widmen, evtl. auch mal die Frühwerke mit aufnehmen, zumindest den »Rienzi«.
    • Die Wichtigkeit der Nachwuchsförderung wird betont und soll durch eine Festspielakademie (Katharina und Eva) bzw. Meisterklassenkurse (Nike und Eva) gewährleistet werden.
    • Zukünftig sollen mehr und jüngere Menschen erreicht werden und zwar mittles medialer Expansion, d.h. mehr DVD-Veröffentlichungen, Public Viewing, Liveübertragungen in Kinos etc.
    • Die Finanzierung soll zukünftig über Sponsoren und die ton- und bildkonservenmäßige Ausbeute gestützt werden.

    In der Tendenz geht es Katharina und Eva schwerpunktmäßig darum, die Öffentlichkeitsarbeit auszubauen und zu professionalisieren, Nike und Eva hingegen darum, eine stimmige dramaturgische Linie in die Festspiele hineinzubringen.

    Mein Fazit ist trotzdem: Egal, ob Wolfgang, Eva, Nike oder Katharina – der Unterschied ist kaum größer als beim Nachnamen.

  • Wagners Ring ohne Musik

    Ob das so eine tolle Idee ist? Das Theater Heilbronn zeigt Wagners Ring als Schauspiel in einer Textfassung von Almut Fischer und K.D.Schmidt. Das ist insofern keine schlechte Idee, als Wagner als Dichter überhaupt nicht ernst genommen wird. Erst Dieter Borchmeyer fing an, mit diesem Vorurteil aufzuräumen, als er sein Buch »Das Theater Wagners« mit der erstaunlichen Erkenntnis eröffnete:

    Es läßt sich nicht bezweifeln: das Werk Wagners ist der wirkungsmächtigste Beitrag des deutschen 19. Jahrhunderts zur Weltliteratur.

    Borchmeyer ist aber Literaturwissenschaftler. Dass sich ausgerechnet Theaterleute als Fürsprecher für die Qualität der Wagnerschen Dichtkunst profilieren wollen, strapaziert meine Vorstellungskraft erheblich. Aber wer weiß? Wenn es schon Wagners Ring ohne Worte gibt, warum soll es dann nicht auch Wagners Ring ohne Musik geben?

  • Links: Wolfgang Wagner dankt ab

    Jetzt ist es amtlich: Wolfgang Wagner tritt noch in diesem Jahr als Leiter der Bayreuther Festspiele ab. Ich belasse es hier bei einer kleinen Zusammenstellung der interessantesten Links:

    Wagners Rücktrittsschreiben

    Sehr guter Hintergrundbericht von Julia Spinola in der FAZ. Vor allem interessant, dass es keinerlei Verpflichtung der Findungskommission gibt, die beiden Wolfgang-Töchter tatsächlich zu inthronisieren. Vielleicht steht der dramaturgische Höhepunkt in dieser Sache noch aus…?

    Claus Peymann haut wieder einmal auf die Kacke und meint, der beste Opernregisseur solle anstatt der Wagner-Töchter auf den Leitungsposten, seiner Meinung scheint das Jürgen Flimm zu sein. Flimm hatte 2002 einen Ring in Bayreuth inszeniert, der Peymanns Einschätzung allerdings nicht stützt.

    Angesichts der komplizierten Familienverhältnisse hat die SZ einen Stammbaum erstellt. Die 1867 geborene Tochter Richard Wagners Eva scheint demnach immer noch zu leben.

  • Das Rheingold I: Der Karajan-Film

    Rheingold In Vorbereitung auf einen Workshop beschäftige ich mich gerade mit dem Rheingold, dem Vorabend zu Wagners Ring des Nibelungen. Gerade sah ich dazu den Rheingold-Film, den Karajan 1978 gedreht hat und der jetzt auf DVD wiederveröffentlicht wird. Er ist ein gutes Beispiel dafür, dass man noch lange keine Aufführung in Wagners Sinne hat, wenn die Kostüme und Bühnenbild in etwa so aussehen wie damals in Wagners eigenen Inszenierungen. Gelungen sind nämlich lediglich die Verwandlungsszenen zur dritten und vierten Szene und und die, in der der unsichtbare Alberich die Nibelungen durch Nibelheim scheucht. Denn die sind filmmäßig konzipiert und lassen sich im Film deswegen so realisieren, wie es im Theater niemals möglich wäre, zumindest nicht, solange der Requisiteur keinen echten Tarnhelm auftreibt. (mehr …)